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Das ändert sich beim Fortgehen, wenn du 30 wirst

Wir versuchen die größten Mythen über das Fortgehen im fortgeschrittenen Alter zu bestätigen oder zu widerlegen.

Während ich diesen Text hier schreibe, habe ich einen echt schweren Schädel. Ich trinke eigentlich gar nicht mehr so viel, aber diese Woche waren einige Veranstaltungen, an denen ich beruflich oder privat nicht vorbei kam. Das heißt seit einer Woche schlittere ich im Grunde nur noch vom Saufen zum Kater zum Saufen zurück. Jetzt sitze ich hier im Büro auf der Couch, trinke Tee, stöhne vor mich hin und und werde von meinen jungen Kollegen ausgelacht.

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Wenn die wüssten. Seit geraumer Zeit nehme ich gerne die Rolle des grumpy old man ein, der Sachen wie "das kommt auch noch auf euch zu!" grummelt. Aber kommt es das wirklich? Es gibt ja eine Menge Vorurteile und Mythen über das Fortgehen im etwas fortgeschrittenem Alter. Jetzt, wo auch ich alt bin, kann ich einige davon bestätigen und andere entkräften. Also, liebe Enkel: Versammelt euch um meinen Ohrensessel und hört auch meine Geschichten an. Ich werde jeden Mythos einzeln bearbeiten.

Mythos 1: Du gehst weniger oder überhaupt nicht mehr fort

Jein. Auf diese Frage gibt es natürlich keine so richtig pauschale Antwort. Wer mit 31 angehender Abteilungsleiter bei einem Rückversicherer ist und auf sein zweites Kind wartet, der geht natürlich wenig fort. Aber seien wir ehrlich: Der ist vermutlich auch mit 29 nicht viel fortgegangen. Grundsätzlich ist es nicht so, als würde mit 30 ein Schalter umkippen, der dich Freitagabend zuhause hält. Es ist primär eine Frage der Lebensumstände. Die Musikjournalisten, die ich kenne, sind auch mit Mitte 30 noch so viel unterwegs wie viele mit Mitte 20. Wenn du einen halbwegs entspannten Job hast und die Wochenenden noch nicht zwingend zum Relaxen benötigst, dann sind der Freitag und der Samstag mit 31 genauso versoffen wie mit 21 – gerade weil man ja auch plötzlich Geld hat, zumindest verglichen mit dem durchschnittlichen Studenten. Im Grunde sind die meisten Leute gerne Berufsjugendliche, aber die Umstände erlauben es nicht allen. Was aber tatsächlich sehr schnell rapide abnimmt, ist das Fortgehen unter der Woche. Wenn man einen Job hat, geht das einfach wirklich nicht mehr. Man macht es gelegentlich, aber bereut es jedes Mal bitterlich. Vor allem wegen Mythos 5 (s.u.).

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Mythos 2: Fortgehen macht weniger Spaß

Nein. Das ist Blödsinn. Es verändert sich halt. Wenn man jung ist, hat Fortgehen immer noch ein bisschen etwas Aufregendes und Rebellisches. Das fällt halt irgendwann weg. Man geht fort, weil man ein bisschen dem Stress aus dem Job entkommen will, weil man unter der Woche viel zuhause auf der Couch herumliegt, weil man unter Leute kommen will oder weil man den DJ mag. Das sind jetzt alles keine Gründe, die exklusiv mit 30+ auftreten, aber es fallen halt auch einige weg. Der Exzess ist nicht mehr so wichtig. Man steht oft mit seinen Leuten am Rand, trinkt den Longtrink, den man sich mit Mitte 20 nicht hätte leisten können, redet darüber, was sich so tut und schaut den 24-jährigen beim Angraben zu. Man ist aber dabei nicht unzufrieden. Ja, man hat halt einiges schon gesehen, aber das macht das Fortgehen nicht weniger spaßig. Nur ein bisschen entspannter.

Mythos 3: Um dich herum sind nur noch Kinder

Ja und nein. Natürlich bist du mit 30+ eher am oberen Ende der Fortgehstange angekommen, wenn es um das Alter geht. Aber andererseits wirst du dir ja auch nicht Locations suchen, die für ihre zahlreichen Gäst um die 20 bekannt sind. Ja, als 30-jähriger bist du im B72 schnell der creepy Dude, der in der Ecke herumlungert. In der Forelle bist du damit aber natürlich im Rahmen. Zwei Dinge passieren aber natürlich wirklich. Erstens wächst du bei bestimmten Partys und Locations aus dem Kernpublikum heraus. Es gibt eine Menge Leute, die behaupten, "in der Sauna sind nur noch Kinder". Das ist halt Blödsinn. Als die Location aufgemacht hat, waren wir alle irgendwas zwischen 22-27. Das ist das (Kern-)Publikum immer noch, nur wir sind es halt nicht mehr. Manchmal verändern sich eigentlich gar nicht wirklich die Dinge um dich herum, sondern du selbst.

Daneben gibt es aber noch eine Sache, die ich jetzt mal als die "Bekanntenkurve" bezeichne. Je länger du dich im Nachtleben einer Stadt bewegst, desto mehr Leute kennst und begrüßt du. Nur werden diese Leute auch irgendwann älter. Und irgendwann kehrt sich diese Kurve dann um. Du merkst plötzlich, dass du den oder den eigentlich schon ewig nicht mehr getroffen hast. Du merkst, dass du bei bestimmten Partys früher 20 Leute gekannt hast. Dann nur noch 15. Dann nur noch 5, und irgendwann gehst du selber nicht mehr hin. Das ist der Lauf der Dinge. Ich hab das hier mal krude visualisiert, wobei die Kurven eigentlich viel flacher ist. Aber ihr werdet wohl verstehen was ich meine.

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Grafik: Ein stolzer Jonas

Mythos 4: Du hältst nicht mehr solange durch

Genauso wahr wie falsch. Körperlich bist du natürlich noch genauso in der Lage bis 7 Uhr weiter zu feiern, mit entsprechender chemischer Unterstützung sogar auch bis Mittags. Da spielt dann aber ein anderer Punkt hinein: Mit steigendem Alter sind viele Menschen in festen, relativ stabilen Beziehungen. Das hat dann einige Auswirkungen. Zum einen fällt das "last man scoring"-Argument weg. Viele Menschen (vor allem Männer) bleiben bis zum Schluß auf Partys, weil sie hoffen dass die anwesenden potentiellen Sexualpartner irgendwann so besoffen sind, dass sie ihre Standards absenken und nachgeben. Die Zermürbungstaktik. Wenn man in einer langfristigen und halbwegs glücklichen Beziehung ist, gibt es in diesem Punkt dann keinen Grund mehr, die Stunden zwischen 4 und 6 Uhr, wo die Party ihren Höhepunkt längst überschritten hat, noch auszuharren und seinen protestierenden Magen zu ignorieren. Außerdem haben Menschen in Beziehungen häufiger am Wochenende Tagesaktivitäten, die halt vor 17 Uhr beginnnen Und das muss gar nicht der sprichwörtliche Flohmarkt sein.

Mythos 5: Die Kater werden schlimmer

Scheiße ja. Ernsthaft: Wenn man jung ist, kann man sich nicht vorstellen wie furchtbar Kater werden, wenn du mal die Blüte deiner Jugend überschritten hast. Mit steigendem Alter wirst du irgendwann den 2-Tages-Kater kennenlernen und nur noch Freitag fortgehen, damit du Montag wieder fit bst. Und dann kommt irgendwann der 3-Tages-Kater. Das alles wird auch auf dich zutreffen. Die einzige gute Nachricht: Du kannst dem eh nicht entkommen, also kannst du dich genauso gut einfach zurücklehnen.

Ich hoffe, ich habe mit einigen der schlimmsten Mythen rund um die große Drei aufräumen können. Keine Angst, Älterwerden ist echt nicht so schlimm.

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