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Darum funktionieren Festivals in Österreich nicht (mehr)

Was muss passieren, damit wir nächstes Jahr nicht nochmal über den schlechten Festivalsommer schreiben müssen?

Collage von Samantha Tobisch. Klobildausschnitt von Christopher Glanzl.

Langsam machen sich die warmen Tage rar. Die Anfangseuphorie des Festivalsommers schwenkt in Herbstmelancholie um und die Musikpresse zieht ein Fazit des vergehenden Musiksommer.FM4 hat die aktuelle Festivallandschaft Österreichs genauer beleuchtet und das IQ-Magazin ebenso. Alle sind sich einig: Österreich hat zu viele Festivals. Das Land ist übersättigt. Aber was muss passieren, damit wir nächstes Jahr nicht wieder die gleichen Artikel lesen müssen? Wir haben uns Gedanken gemacht und Hannes Tschürtz von Ink Music dazu befragt.

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Zuerst noch ein Überblick über den Sommer, von dem Barracuda und Arcadia noch länger sprechen und hoffentlich auch lernen werden. Das Frequency hat von 200.000 auf 120.000 Besucher abgebaut, Arcadia hat das Jazz-Festival, One-Drop-Festival und das Nuke absagen müssen. Als eines der wenigen Festivals hat das Nova Rock einen neuen Besucherrekord aufstellen können. Im Juni gab das Konto der Festivalhungrigen anscheinend noch was her. Wie Susi Ondrušová im FM4-Text vorrechnet, sind Festivals immerhin eine kostspielige Angelegenheit.

Hannes Tschürtz erklärt, wie es zu solchen Schwierigkeiten kommen konnte: "Die neuen Teilnehmer haben nicht unbedingt Rücksicht darauf genommen, wie der Markt aussieht; wie groß er ist. Durch die langjährige Monopolstellung [von Barracuda, Anm.] wurde dieser Markt gefärbt. Das hat beim Konsumenten eine bestimmte Erwartungshaltung ausgelöst. Jede Form von Veränderung bricht diese Gewohnheiten. Es liegt einfach in der Natur der Sache, dass nicht jede Neuerung der Konzepte gleich funktioniert." Österreichs Festivals werden sich ändern, so viel steht fest. Damit sie nicht untergehen und wir damit unsere liebsten anarchistischen Ventile verlieren, müssen sie sich auf ihre Stärken besinnen und erkennen, was in Österreich noch möglich ist. Auch ohne Festivalmonopol.

Was in den Revue-Texten bereits angeschnitten wird und eine wesentliche Rolle im diesjährigen österreichischen Festivalsommer spielt, sind spezialisierte ausländische Festivals und Locations, die mehr sind als Mehrzweckhallen. Bestes Negativbeispiel ist das Frequency. Früher wurde das FM4 (!) Frequency als klares Alternative-Festival betrieben.

Heute spielt auf der selben Bühne M83, Paul Kalkbrenner und Damian Marley—in dieser Reihenfolge. Damit positioniert sich das Festival als eines für Leute, denen egal ist, wer gerade spielt. Hauptsache sie sehen noch die Sportfreunde Stiller. Das ging dem Festival bisher auf, weil Barracuda durch die Monopolstellung einfach möglichst viele Leute abholen wollte und auch konnte. Wie der diesjährige Sommer zeigt, geben Menschen, denen es um ihre Musik geht, keine 130 Euro mehr für wild zusammengewürftelte LineUps aus. Das meine ich nicht wertend, ich unterstelle den Frequency-Fans ja nicht, dass sie behaupten, dort auch wirklich nur für die Musik hinzufahren. Da geht es um Anarchie und Spaß. Das müssen sie aber auch nicht mehr. Der Markt hat sich geändert, neue Teilnehmer wollen mitnaschen am Festival-Kuchen.

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Wer seinen Lieblingsact sehen und dazu noch mehr Qualitatives des selben Genres haben will, fährt auf Festivals, die sich spezialisieren. Raver fahren aufs Melt oder Lighthouse-Festival, HipHop-Menschen aufs Splash! und wer gerne Pitchfork liest, aufs Primavera. Dort muss keine Zeit mit Limp Bizkit überbrückt werden, eher überschneiden sich Acts, die man sehen will. Ein Luxusproblem, wie ich dieses Jahr am Frequency gemerkt habe.

Aber warum müssen dann Genre-spezifische Festivals, wie die von Arcadia, abgesagt werden? Dass dem Reggae-Festival niemand nachtrauert, verstehe ich. Hören Leute eigentlich wirklich noch ernsthaft Reggae? Falls ja, meldet euch, ich will euch verstehen lernen. Das Nuke litt wohl auch unter seinem recht austauschbaren LineUp und das Jazz-Fest hatte zwar die Roots, die hielten das restliche LineUp allerdings auch nicht zusammen. Für all diese Genres gibt es Festivals in Europa, die mit hochkarätigerem LineUp aufwarten und in manchen Fällen sogar recht bezahlbar sind.

Hinzu kommt, dass das Festivalgelände in Wiesen zwar eh schön ist, sich aber mit den Stränden am Lighthouse, den Bergbauriesen bei Melt und Splash und dem Meeresblick am Primavera einfach nicht messen kann. Was Österreich braucht, sind also neue, aufregende Locations, wie die Ruinen vom Prime Festival, das seit gestern stattfindet oder das Rostfest in Eisenerz oder LineUps, bei denen man nicht das Gefühl hat, Wiedergekäutes aufgetischt zu bekommen. Festivals, die sich zwar nicht mit ihrem LineUp am Frequency und Rock in Vienna messen können, aber mit andern Reizen spielen, sogennanten "weichen Kriterien". "Es gibt verschiedene harte und weiche Kriterien, die die Qualität eines Festivals ausmachen. Das LineUp ist eben das harte Kriterium und es gibt schon auch weiche Kriterien, an denen du den Charakter eines Festivals auch definieren kannst", sagt Hannes Tschürtz, der selber früher in Wiesen gearbeitet hat.

Sowas ist leichter gesagt, als getan. Vor allem bei den Festivals in Wiesen, die wegen den Kapazitätsgrenzen nie so große Namen holen können, wie das Nova oder Frequency. "Man muss es den Leuten erstens erklären und zweitens schmackhaft machen. Es ist ein brutaler Bruch—verglichen mit dem, was Wiesen in Vergangenheit war. Das funktioniert nicht von heute auf morgen. Du musst extrem viel kommunizieren. Das ist keine leichte Aufgabe. Das war Arcadia auch bewusst", sagt Tschürtz. Diese Kommunikation hat zumindest bei mir dieses Jahr noch gefehlt. Auch aus meinem Freundeskreis hörte ich niemanden sagen, dass sie unbedingt nach Wiesen fahren wollen. Dabei hat das burgenländische Festivalgelände seine Reize. Gute Gastro, menschenwürdige Sanitäranlagen und eine familiäre Atmosphäre. Solche Reize müssen nur gezielter ausgespielt werden.

Ein Beispiel dafür, dass große Festivals mit rein harten Faktoren in Österreich trotzdem funktionieren können, ist das EDM-Festival Electric Love. Das wird von Jahr zu Jahr größer, weil es sich eben sein Genre ausgesucht hat und darin immer besser wird. Wenn andere Veranstalter nächstes Jahr auf Qualität, anstatt auf Quantität setzen, sehe ich Chancen, in den kommenden Jahren wieder steigende Zahlen zu sehen. Ansonsten steht hier nächstes Jahr vermutlich wieder genau dasselbe.

Ich hoffe auf eine Zeit, in der die Leute wieder von Wiesen schwärmen. Hannes Tschürtz prognostiziert das so: "Wenn Arcadia jetzt die Chance kriegt, mit dem Konzept drei bis vier Jahre dort zu arbeiten, kann ich mir durchaus vorstellen, dass wieder eine gewisse Liebe zum Wiesengelände entsteht. Aber vielleicht nicht mit sieben verschiedenen Festivals, sondern vielleicht nur mit einem oder zwei bestimmten." Liebe Arcadia, ich wünsche dir einen besseren Sommer 2017 und schau, dass du dich nicht übernimmst.

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