Rudis Brille: Sind nur Vinyl Only-DJs "echte" DJs?

FYI.

This story is over 5 years old.

Rudis Brille

Rudis Brille: Sind nur Vinyl Only-DJs "echte" DJs?

Rudi Wrany hat sich diesem viel diskutierten Thema der DJ-Szene angenommen und unter anderem Gerald Van der Hint und Andy Catana um ihre Meinung zu dem Ganzen gebeten.

Header: Foto via unsplash | Vinicius Amano

In den letzten Jahren stiegen die Vinylverkäufe wieder stark an und widersprachen damit dem Trend, dass die neueste Technologie die alte verdrängen kann. Im Dancefloor- und Elektroniksektor führte dies zu einer Flut an neuen (Selbst)-Darstellern, die einen Furz auf die Haptik-Liebe gaben. Durch das Aufkommen rein digitaler Verkaufsplattformen wie Beatport, Traxsource oder iTunes, kam es in der Folge zu einer Schwemme an (unter)durchschnittlichen Produktionen und schließlich zu einem Verdrängungsmechanismus der reinen Vinyl-DJs.
Auch in Österreich ist nach dem Einbruch bei den Vinylverkäufen nun ein merkbarer Anstieg der Liebe zur Schallplatte festzustellen, was sich in vielen Postings der neuen "Lieblings-LP" in den sozialen Medien und dem beharrlichen Zulauf bei den einschlägigen Plattenläden und -börsen niederschlägt – wobei ich behaupte, dass es sich hierbei um ein Sammler- und Spezialistenphänomen handelt.

Anzeige

Das führte auch zu einem kleinen geschmäcklerischen Kulturkampf unter DJs und auch Hörern: Nur der Vinyl-DJ ist der real DJ, nur wer auf Vinylpartys tanzt, versteht etwas von Techno, nur der "Vinyl Only"-Club ist das echte neue Schwarz. In jedem Fall gelingt es Spezialplattenläden heute wieder weit leichter zu überleben und Kundschaft zu generieren: Aktionstage wie der Record Store Day und der Black Friday haben ihr Scherflein dazu beigetragen.

Gerade das DJ-Business und seine Präsentationsformen wurden durch diese "Kurvenlage der Technologien" ganz schön durcheinander gewirbelt. Die neuen Möglichkeiten – vor allem die der Tonabnehmer – machten es vor etwa zehn Jahren mit einem Mal einfacher als je zuvor, DJ zu "werden", was ja bei uns, trotz einiger peinlicher DJ-Schul-Versuche, schon immer ein rein autodidaktisches Vergnügen war.

"Am guten alten Technics 1210er wurde Auflegen noch in hunderten Home-Sessions samt integrierter nachbarlicher Beschwerden geübt."

Ein Techno-Set ohne gekonntem Mixing ist übrigens auch kein Techno-Set, sondern nur ein plumper Versuch. Das muss(ste) gelernt sein und am guten alten Technics 1210er wurde dies noch in hunderten Home-Sessions samt integrierter nachbarlicher Beschwerden geübt. Oder aber man kannte einen Clubbesitzer gut, der einen Nachmittage lang in seinem Etablissement üben ließ.

Das Angleichen der Beats (oder Breaks) am Technics 1210 war über mehrere Stunden freilich nicht immer zu 100 Prozent perfekt möglich, die kleinen "Haggler" und ihre schnelle Korrektur zeigten ebenfalls von Professionalität und Lebendigkeit.

Anzeige

Mit der Digitalisierung des Auflegens reichte von nun an eine kleine Bibliothek an Tracks – die man sich auch gut und gerne zusammenschnorren und stehlen konnte –, das ständige Herunterladen der neuesten Hits, oft auch in gecrackten Versionen von kasachischen Seiten, zwei USB-Sticks und los gings. Man musste schon sehr untalentiert sein, um so das Mixen nicht schneller zu erlernen als noch zu den alten Turntable-Zeiten.

"Ehemalige Vinyl-DJs erscheinen wie einst mit schickem Trolley – und entnehmen diesem … nichts."

Die alte Vinyl DJ-Elite war lange ratlos, wie sie mit den Revolutionen umgehen sollte, ehe sie sich – einem Dominoeffekt gleichend – dem neuen Trend anschloss und die schweren Vinyltaschen zuhause ließ. Auch bekennende "Traktor"-DJs wechselten zum einfacheren System und neuerdings ist das Erscheinen des DJs in einem Club ohne Tasche (der Kopfhörer am Haupt, der Stick im oder am Sack – wie man es sehen will) keine Seltenheit mehr. Die sogenannten "Plazebo"-Bags sind ein peinlicher Kollateralschaden des Ganzen. Ehemalige Vinyl-DJs erscheinen wie einst mit schickem Trolley und entnehmen diesem … nichts.

Nun treffen hier aber auch zwei Arbeits- und Denkschulen aufeinander. Jene, die den DJ noch im klassischen "DJ Culture"-Sinne sehen will: der Stöberer, das Trüffelschwein, der Raritätensammler, der sich ehrlich abschleppt, sein Set penibel ausdenkt und es – sich hart mit dem Mixing abkämpfend – an den Mann bringt. Meist ein wenig abgewetzt und zerschlissen, wenn er denn nicht Sven oder Ricardo heißt und seine 23 Plattenkisten von gut bezahlten Sklaven in die Clubs dieser Welt tragen lässt, um sich nur ja nicht den Ischiasnerv zu beleidigen.

Anzeige

Und dann jene Version des leichten Luftikus, der mehr Geld für Kleidung als für Musik ausgibt, nur mehr daheim am PC ein wenig Ordnung haben muss und trotzdem mit 20-mal so vielen Tracks im Club erscheinen und ebenso viel länger spielen kann und dabei auch noch gut aussieht, weil er nicht drei Minuten an jedem Übergang hängt. Als Gag empfehle sich der dritte CDJ, auf dem man ab und an noch ein bisschen herumdreht während man sich durchs Haar fährt.

Eine Diskussion seit vielen Jahren, die nun dank der steigenden Beliebtheit von Vinyl neue Befeuerung erhält: "Vinyl Only"-Partys und auch kleinere Festivals erfreuen sich steigender Beliebtheit und DJs kommen nun tatsächlich wieder mit vollen Plattentaschen in die Clubs, die sie brav davor für Facebook und Instagram abfotografiert haben.

Dort erlebt der Zuhörer dann oft sein blaues Wunder. Wer das Mixing mit Vinyl nicht wirklich beherrscht, stinkt oft auch soundmäßig gegen die WAV-Files total ab. Abgesehen davon, dass man jeden Fehler gnadenloser wahrnimmt.

"Hörbar anders dürfte Vinyl in Wien tatsächlich nur auf den Anlagen der Forelle und vielleicht noch im Flex klingen."

Ich persönlich finde alles, was in diesem Kontext anderes ausschließt, fragwürdig, wenn nicht unnötig und gipfelt nicht selten in unnötiger Polemik. Jeder DJ sollte nach seinen Vorlieben spielen dürfen, denn am Ende entscheidet das Ergebnis in Form schön aufgebauter Sets mit Idee und Liebe und die Reaktion des Publikums. Die meisten arrivierten DJs, die ich kenne und die mittlerweile den Umstieg von analog auf digital ohne Tränen geschafft haben, sehen das ähnlich. Puristen wird es aber stets und überall geben, wenngleich ich natürlich verstehen kann, dass viele das Haptische und den warmen Klang des schwarzen Goldes immer schmerzlich vermissen werden. Aber: Hörbar anders dürfte Vinyl in Wien tatsächlich nur auf den Anlagen der Forelle und vielleicht noch im Flex klingen, ansonsten sind auch die schlecht gewarteten und alten 1210er-Modelle dafür verantwortlich, dass es oft ein böses Erwachen gibt.

Anzeige

Andy Catana vom Label Do Easy Records sieht keine rasende Verbesserung: "Wir verkaufen 500 bis 600 Stück konstant, ohne starken Anstieg", sagt er, wobei er selbst immer noch circa 20 bis 30 Prozent Platten spielt, von "Vinyl Only"-Partys allerdings wenig hält. Das tut auch der derzeit erfolgreichste Technoveranstalter Gerald van der Hint (Meat Market, Mutter), der unlängst sein eigenes Vinyllabel Meat Recordings gründete, allerdings dazu anmerkt: "Ich habe keine Freude daran, dass Vinyl momentan so chic ist. Die Presswerke sind für Monate ausgebucht. Die Leute, die immer Vinyl geliebt und gelebt haben, warten, während Universal David Bowie-Platten Re-Issues für Bobo-Geburtstage presst, die in ein bis zwei Jahren auf eBay um 51 Cent zu haben sind. Auf Discogs kosten Platten, die vor ein paar Jahren zwei Euro wert waren, auf einmal 20 Euro. Und das alles nur, damit irgendwelche Hipster, die in fünf Jahren kein Vinyl mehr sehen wollen, sich jetzt damit auf Instagram ablichten lassen können.

"Natürlich kann man sich darüber beschweren, dass nun viele Partys versuchen, Gäste mit dem 'Vinyl-Only-Schmäh' anzuziehen."

Seit einigen Jahren betreibt Van der Hint das Partyformat "Mutter" im Sass, wo nur Platten gespielt werden: "Wir machen seit vielen Jahren Mutter. Das ist eine Vinyl Only-Party. Das war lange vor dem Hype. Natürlich kann man sich darüber beschweren, dass nun viele Partys versuchen, Gäste mit dem 'Vinyl-Only-Schmäh' anzuziehen. Aber da gäbe es vorher - aus meiner Sicht - noch viele andere Dinge zu thematisieren, die mir wesentlich häufiger und lästiger auffallen. Zum Beispiel, wenn PromoterInnen 'Function One' auf ihre Flyer schreiben. Das sagt bestimmt noch weniger über die Party aus, als 'Vinyl Only'."

Anzeige

Der Grazer Promoter Thomas Tschermonegg (Audiotherapie) sieht die Sache so: "Was ich in Graz als Trend beobachten konnte beziehungsweise noch immer kann, ist, dass sich viele DJs, die digital angefangen haben aufzulegen, dabei richtig Feuer fassen konnten, das 'richtige' DJing/Pitching mit Platten lernen wollten. Es ist halt einfach eine größere Herausforderung, mit Platten einen guten Übergang zu spielen als digital. Viele meiner Freunde und auch ich schätzen es, dass wir Musik in der Hand halten können, da ist der Bezug zu einem Album oder einer EP gleich ein ganz anderer. Auf Vinyl kauft man eigentlich (leider nicht immer) nur Musik, für die man 100 Prozent einsteht und die einem etwas bedeutet. Man kauft zeitlosere Musik und selektiert einfach viel strenger."

Zu seinen ein- bis zweimal jährlich stattfindenden "Vinyl Only"-Events meint er: "Die Grundlage, um im Club wieder Vinyl zu spielen, war bei uns mit der Postgarage gegeben. Es hat sich auch der Musikmarkt gedreht. War es 2010 noch so, dass man viele digitale Tracks nicht auf Vinyl erhalten konnte, was ja noch immer so ist, geht der Trend jetzt aber dahin, dass es extrem viele Vinyl Only-Releases gibt beziehungsweise viele Labels Monate vor dem digitalen Release auf Vinyl veröffentlichen."

"Let the music do the talking. Das übertragende Medium ist nicht die Botschaft."

Gerald Van der Hint kommt gerne ins philosophische Schwärmen, wenn er über Vinyl spricht:
"Für mich als DJ ist es wichtig, hin und wieder Vinyl Only-Sets zu spielen. Seit ich Mutter einmal im Monat spiele, bemerke ich, dass es mir bei meinem DJing hilft. Ich vergleiche es immer mit der Situation, wenn ein/e MusikerIn sonst mit kompletter Backline, Band und Orchester tourt, aber ab und zu auch Gigs spielt, wo sie oder er ganz alleine mit seinem Instrument auf der Bühne steht. Back to basics.

Die Leute mit zwei Turntables und einem Mixer zu unterhalten, ist ganz einfach eine andere Experience. So wie analoge Fotografie nicht immer besser – aber bestimmt eine andere und wichtige Erfahrung für die/den FotografIn ist. Ich persönlich möchte es nie missen und kann nur jedem empfehlen, sich der Liebe (wieder) hinzugeben. Wenn man sich und sein DJing sehr ernst nimmt, dann lernt man daraus sehr vieles (wieder)."

Das Schlusswort überlasse ich gern "Shorty" vom altgedienten und beliebten Plattenladen Rave Up Records im 6. Bezirk: "Persönlich gehe ich bei den Vinylverkäufen von einem Plafond aus, der nahe liegt, weil es – bis auf die ewigen Nerds – den Leuten primär um Devotionalien ihrer Heroen geht. Es geht aber schon auch um das Haptische, darum, dem Bewussten einen Platz zu geben und das richtige HiFi zusammenzustellen. Es wird aber anno now mehr Raison einkehren als zu unseren Tagen: Rewind … Wie lange hielt sich unsinnig, dass der DJ nur mit Vinyl wertig sein kann? Let the music do the talking. Das übertragende Medium ist nicht die Botschaft."
In diesem Sinne: May the Groove be with you DJs, mit oder ohne Vinyl Only!

**

Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.