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'Dogs of Berlin' ist das absurdeste Stück TV-Geschichte und jetzt schon Kult

"Wer kennt es nicht: Montagmorgens zur Afterhour ins Berghain und erstmal Ex-Bushido-Beschützer Arafat im Darkroom treffen. Alles ganz normal in Berlin." – Unser Autor hat Tränen in den Augen.
Dogs of Berlin Fahri Yardim Felix Kramer

Die Werbung ist so groß wie die ganze Hausfassade. Seit einer Woche hängt sie jetzt schon gegenüber meiner Wohnung. Eine Woche, in der ich sowohl der Werbung als auch der dazugehörigen Sendung nicht entfliehen konnte. Dogs of Berlin steht auf dem monströsen Plakat. Und "Die Stadt ist ein Pulverfass". Das "ein" ist rot markiert. Damit klar ist, dass es nicht mehrere Pulverfässer sind. Dabei wäre das viel treffender.

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Denn Dogs of Berlin, eine neue Netflix-Serie, die im kriminellen Berlin spielt, ist mehr als ein Pulverfass. Es ist eine Lagerhalle für Feuerwerk, in die man eine panische Katze wirft, an deren Pfoten brennende Streichhölzer befestigt wurden.

Diese Katze springt dann wie besessen durch die Halle und entzündet bei ihrem ekstatischen Befreiungskampf Lunte um Lunte. Wild und hysterisch, unkoordiniert und unüberlegt. Und während sie versucht, vor den sich anbahnenden Explosionen zu fliehen, startet sie bereits die nächste Katastrophe. Ein solches Schauspiel ist zugegebenermaßen ein Genuss für jeden Menschen mit einem Funken Schadenfreude im Leib. So ein Mensch bin ich. Hätte die Katze einen Namen, er würde Christian Alvart lauten.

Alvart ist Autor und Regisseur der Serie. In der Vergangenheit hat er unter anderem die Tatort-Folgen für Til Schweiger inszeniert und geschrieben. Mit Dogs of Berlin ist ihm ein unfreiwillig komisches Meisterwerk gelungen. Ein Machwerk, wie es Deutschland verdient hat. Das jedem Marsmenschen vorgeführt werden sollte, der wissen möchte, was im deutschen Film so alles schief läuft. Dogs of Berlin vereint alle Berlin-Klischees, die es gibt: Punker, Araber-Clans, Neonazis, Bullen und Prenzlauer-Berg-Muttis. Um nur ein paar zu nennen. An Klischees sei immer etwas Wahres dran, sagt man. Und dennoch gibt es hier nichts, was es wirklich gibt. Das muss man erstmal schaffen.

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Ein unfreiwillig komisches Meisterwerk.

Aber der Reihe nach: Angeblich geht es in Dogs of Berlin um den Mord an einem Fußballer, doch relativ schnell wird klar, dass das niemanden interessiert. Weder die Schauspieler noch den Regisseur oder gar die Zuschauer. Drauf geschissen, so wie die Hunde, die dauernd auftauchen und in der Postproduktion bearbeitete, dampfende Hundehaufen in der Stadt verteilen.

Man könnte zum Beispiel beginnen, über die unglaublichen Dialoge zu sprechen. So antwortet Hauptdarsteller Fahri Yardim beispielsweise, während er in einem schwulen Technoclub abzappelt, auf die Frage "Hast du was?" mit "Musik ist meine Droge!". Dann wendet er sich ab und tanzt weiter.

In besagtem Technoclub hängen übrigens auch die arabischen Clan-Mitglieder ab, während der Rest der Gäste oberkörperfrei zu elektronischer Musik stampft. Wer kennt es nicht: Montagmorgens zur Afterhour ins Berghain und erstmal Ex-Bushido-Beschützer Arafat im Darkroom treffen. Alles ganz normal in Berlin. Denn hier sind alle so unglaublich verwegen und crazy.


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Oder man beschäftigt sich mit den Rappern, die in dieser Serie mitspielen dürfen, müssen, wollten. Etwa Sinan-G, der den Paten von Berlin mimen darf und dabei die Strahlkraft eines lethargischen Schulhofschlägers entwickelt. Da kann man ihm noch so viele Maschinengewehre in die Hand drücken. Wenn die Rolle nicht über die Eindimensionalität eines Jersey-Shore-Prolls hinauskommt, bringt das alles nichts. Sinan-G taumelt dementsprechend zehn Folgen lang durch Berlin, immer auf der Suche nach einem weiteren Sandsack, der von sich behauptet, Schauspieler zu sein, um ihn anzubrüllen.

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Auch Sänger Yonii darf ab und zu mal besorgt in die Kamera schauen. Die übrigens jedes Mal unglaublich schnell auf die Gesichter zoomt, sobald jemand Neues die Szenerie betritt. Das ist nicht etwa Guy Ritchie für Arme, sondern Guy Ritchie für obdachlose, taubstumme, arme Analphabeten.

Kommen wir zu den Neonazis, die natürlich alle Springerstiefel und Glatze tragen und eigentlich nichts machen, außer Fußball zu gucken und im Vereinsheim abzuhängen. Und wenn sie dann doch mal aus Berlin-Marzahn losziehen, um "Kuffnucken" zu jagen (jetzt schon das Jugendwort 2019), dann steht jemand an einer Baseballschläger-Ausgabestelle und verteilt Knüppel an die wütend grölende Horde. Das ist so schlecht schön, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.

Das Schlechteste, was ich je gesehen habe – und genau deshalb liebe ich es jetzt schon.

Die vermeintlichen Feinde der Neonazis leben in "Kaiserwarte". Das soll irgendwie Kreuzberg oder Neukölln sein. Nur halt ohne Gentrifizierung, Hipster, nette Cafés, Second-Hand-Shops und Spätis. Stattdessen prangen in Kaiserwarte überall monströse arabische Schriftzeichen an der Wand. Und natürlich ist der Bezirk eine "No-Go-Area" für die Polizei. Damit wir das alle verstehen, wurde per Sprühdose eine rote Linie auf dem Boden gezogen. Polizisten und Polizistinnen dürfen diese Linie nicht übertreten und halten sich (vorläufig) auch daran. Wenn man den Bezirk als SEK-Beamter betritt, muss man damit rechnen, dass die bösen Araber ein Loch in den Boden gehauen und einen Teppich darübergelegt haben. Da tritt man dann drauf, fällt hinunter und hat multiple Knochenbrüche.

Und weil das alles nicht absurd und überflüssig genug ist, hat man noch ein paar weitere Handlungsstränge hinzugefügt: die kroatische Wettmafia, ein paar "Hells Angels" (die nicht Hells Angels heißen), den Deutschen Fußball-Bund (der auch nicht so heißen darf), einen Jungen, der Rapper werden will (und deswegen Haftbefehl in dessen Studio "Digga Sounds" vollquatscht), eine kleine Punkerin, die in der gesamten Staffel keine sinnvolle Funktion übernimmt oder die Geschichte voranbringt, und lauter Bullen, die sich alle gegenseitig abwechselnd scheiße oder cool finden. Und Titten. Jede Menge überflüssiger Titten, die vollkommen sinnlos in der Gegend herumbaumeln.

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Wenn man das alles in einen sehr teuren Netflix-Mixer drückt und kräftig durchrührt – so wahrscheinlich die Vermutung der Produzenten –, dann wird da schon was bei rauskommen. Und es ist ja auch was bei rausgekommen: das absurdeste Stück TV-Geschichte, das dieses Land jemals gesehen hat. Und ich möchte ausdrücklich daran erinnern, dass es Hai-Alarm auf Mallorca und Helden – Wenn dein Land dich braucht gab.

In Deutschland werden Filme oder Serien, die unglaublich schlecht, aber dennoch unterhaltsam sind, gerne als "Kult" betitelt. Dogs of Berlin hat alles, um dieses Prädikat verliehen zu bekommen. Mein bisheriger Lieblingsfilm des Segments "Kult" ist Bushidos Zeiten ändern dich. Und es tut weh, zugeben zu müssen, dass es einen neuen Boss im Game gibt. Dogs of Berlin ist das Schlechteste, was ich je gesehen habe – und genau deshalb liebe ich es jetzt schon.

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