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Rudis Brille

"Ganz Österreich weiß, wie Conchita Wursts Infektion passiert ist" – Gedanken zum Hass

Unser Kolumnist Rudi Wrany hat sich ein paar Gedanken über die Reaktionen zu Conchita Wursts HIV-Outing gemacht.
Foto: Imago/Sven Simon

Diese Woche begann mit einem Thema, über das die breite Öffentlichkeit wohl noch immer nicht genug aufgeklärt ist: Die Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst erklärte, dass sie schon seit Jahren HIV-positiv ist. Das Thema wäre an sich nicht für die Öffentlichkeit gedacht gewesen, doch ein Ex-Freund wollte sie erpressen und sie wolle niemandem das Recht geben, so tief in ihr Leben einzudringen. So weit, so stark.

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Es ist schwer, sich vorzustellen, wie unruhig es im Inneren eines Menschen zugehen muss, wenn man sich durch solche Umstände gezwungen sieht, etwas preiszugeben, was man gerne privat gehalten hätte. Das Outing erfolgte via Instagram, wo sie aktuell über 300.000 Follower hat. Ein ruhiges, sachliches, kurzes Posting über die Sachlage, das national wie international gewaltiges Echo auslöste und sogar der New York Times ein kurzes Statement wert war. Doch alles, was auf Social Media gepostet oder geoutet wird – wir kennen es zu gut – löst ein Schallecho aus anderen Welten und Seelentiefen aus. So auch dieses Mal.

Einmal mehr mussten wir sehen, wie unmenschlich Menschen mit einer HIV-Infektion in einer neokonservativen Gesellschaft behandelt werden. Neben vielen echten und geheuchelten ("Ja, eh arm, aber ….") Verständnisbekundungen schlug der Sängerin auch eine Schlammlawine an Hass und Häme entgegen und es erinnerte ein wenig an ihre ersten Tage, noch bevor sie den Song Contest gewonnen hatte. Nämlich an den Tag, an dem sich Tom Neuwirth – der Mann hinter Conchita – dazu entschloss, als Conchita Wurst für Österreich ins ESC-Rennen zu ziehen und die Herzen der Öffentlichkeit zu erobern – aber auch zu polarisieren. Eben weil sie anders war. Eine Frau mit Bart: "Ja dürfens denn des?"

Das dünne Mäntelchen der Toleranz und Offenheit, das durch Conchitas Sieg beim Song Contest vor drei Jahren dem ganzen Land umgehängt wurde, dürfte längst vom von rechts kommenden rauen Wind der Realität weggeweht worden sein. HIV ist – abgesehen von den großen Städten – noch längst kein Thema, mit dem die Bevölkerung entspannt umgeht. Das "Anders-Sein" in unserem Land, wo Slim Fit und Dirndl wieder zum Alltagsbild gehören, war immer schon ein kurzes Strohfeuer: Wenn es erlischt, herrscht eisige soziale Kälte.

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Screenshot via FPÖ-Fails

Aber was rede ich, der Leser will immer Beispiele hören: Der wohlige Schauer des "Schau mal, was die wieder schreiben" muss einem erst über den Rücken huschen, damit man sich bewusst wird, in welcher immens intoleranten, schlichtweg harten Gesellschaft wir derzeit leben. Es gilt der Leistungsdruck, das Besitzen und das Sehnen nach längst vergangenen Aufbruchszeiten in Form von lähmenden Retroevents: Vor allem musikalisch und in der Clubszene, denn dort hat die gay culture eine ganze Partygeneration geprägt: schrill, ausgelassen, Scheißmirnix. Gerade aus dieser Szene hat sich aber auch mit dem Life-Ball-Projekt ein weltweit anerkanntes entwickelt, welches das Thema HIV und Safer Sex und seine Forschung über das Virus zum Inhalt machte und uns allen step by step die Furcht nahm. Bis jetzt.

Federführend beim Schlammwerfen war wieder einmal die Leserschaft der Gruppe
"FPÖ", deren Postings allerdings nach der Entrüstung und Veröffentlichung zum Großteil wieder gelöscht wurden.

Vieles wurde bei FPÖ-Fails gesammelt und liest sich wie eine Wiederholung dessen, was in den letzten Monaten aus diesen Ecken kam: Von "Cool, jetzt hat man endlich was Positives an Wurst gefunden," über "Blöd, dass Tom ein HIV-kranker, schwuler und armesliger Homo ist," bis hin zu "Die armen Kinder, denen der Wurschtl die Hand gegeben hat, auch wenn es nicht so ansteckend ist". "Null Mitleid" und "Dass auf Schwulsein im Islam die Todesstrafe steht" sind weitere Hinweise. Aber auch im Forum des Standard herrschte nach den vielen Berichten über das Outing und die Reaktionen darüber Uneinigkeit: "Bitte, das ist kein Mann, das ist eine Sängerin" und natürlich dürfen ständige Belehrungen über safer Sex und Analverkehr nicht fehlen, weil ja ganz Österreich weiß, wie damals die Infektion passiert ist.

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So lernt man in der Gruppe "Wir für Österreich" auch noch, dass es ja kein Wunder sei, wenn so etwas passiere, denn "Wer sich in dieser sexuellen Richtung bewegt, muss so etwas in Kauf nehmen“. Hier rinnen also aus allen Seiten diverse seelische Ausscheidungen ins Netz: doppelbödige Moralvorstellungen, Christentum, Sexualfeindlichkeit aber auch hoffnungslos eingeimpfte Homophobie gepaart mit Schadenfreude und selbst konstruierten Vorwürfen, Conchita habe das nur aus PR-Gründen getan.

Screenshot via FPÖ-Fails

Das ist wohl der Dümmste aller Vorwürfe, denn freiwillig outet sich jemand, der wie Tom Neuwirth aus der tiefsten Steiermark kommt und weiß, was es heißt, wegen seiner Sexualität diskriminiert zu werden, nur, wenn die Befreiung dadurch größer ist als die Schmach. Mit dem, was nun folgte, hat Conchita sicher gerechnet. Der Hass aus dem Netz kann durch viel Aufklärung und Gegenwind sicher nicht verbannt, aber zumindest bloß gestellt werden – indem man ihm seine eigene Fratze vorhält.

Als weiteres Beispiel sei die Schmutzkampagne gegen Mireille Ngosso, der im Kongo geborenen und in Wien aufgewachsenen neuen stellvertretenden Bezirkschefin des ersten Wiener Bezirks genannt, die ebenfalls auf diesen besagten Seiten wegen ihrer Hautfarbe beschimpft und diskriminiert wurde. Das fällt nicht unter "eine andere Meinung haben", sondern unter "die Menschenwürde der anderen bewusst verletzen". Genau dagegen ist Conchita immer eingetreten und hat dies hundertfach glaubhaft postuliert. Doch der Facebook-Stammtisch, das virtuelle Thing des kleinen Mannes, ist gnadenlos. Das wusste Conchita und hat wohl deswegen mit dem Outing gezögert – genau darum gebührt ihr Support und Respekt.

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