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Noisey Blog

Bravo Hits – eine Analyse

Eine CD, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.

Erinnerst du dich noch an deine erste CD? Es war mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit eine beliebige Ausgabe der Bravo Hits und du kannst heute immer noch alle Songs auswendig mitsingen. Kein Grund sich zu schämen—das Leben besteht nun einmal zu 80% Prozent aus schlechter Musik, aber hat einer von euch mal darüber nachgedacht, warum das so ist? Wie so oft, liegt der Grund für unser Verhalten im Erwachsenenalter in den Erlebnissen unserer Kindheit.

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Die Pubertät ist, abgesehen von den Saufgelagen und dem Gruppensex, absolut beschissen und eine Strafe. Der passende Soundtrack dazu, die alle drei Monate erscheinende Bravo Hits Compilation, ist es dementsprechend auch. Es könnte aber auch andersrum sein (Huhn oder Ei?). Das sollte man mal untersuchen. Wir haben uns also zwei Bravo Hits CDs, Volume 13 (1996) und Volume 83 (2013), genauestens angehört und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es um die musikalische Früherziehung dieser Generation so schlecht steht wie eh und je.

Den Bravo Hits hingegen geht es wunderbar. Nahezu jede Edition platziert sich an der Spitze der deutschen Albumcharts. Das Konzept, das jeder Bravo Hits zugrunde liegt, und offensichtlich aus den frühen 90er Jahren stammt, funktioniert nach wie vor. Hier das ewig geltende Rezept einer guten Bravohits.

EDM destroyed my youth

Die Hohe Dichte an EDM-Tracks macht die Bravo Hits schon immer zu einem gefährlichen Werkzeug. Electronic Dance Music, kurz EDM, ist weder eine neue Erfindung, noch ist EDM neu im Mainstream. Nur die Bezeichnung ist neu. Ungefähr die Hälfte der Tracks einer Bravo Hits wummern seit jeher so billig-unerträglich, dass es einem unmöglich gemacht wird, die Platte zu hören, ohne dabei einen epileptischen Anfall zu erleiden. Das Experiment EDM hieß damals eben nur Eurodance.

Hinter Culture Beat, Daisy Dee, Captain Jack, Music Instructor & Fun Factory steckt die gleiche Intention wie bei den EDM-Tracks der neuesten Bravo Hits. Das beste Beispiel dafür, dass in 17 Jahren nichts Bedeutendes in der Bravo Hits Redaktion getan hat, ist „Give it up". Der Song taucht in seiner Originalversion auf der Best of Bravo Hits '92 auf und in einem schrecklichen EDM-Remake auf der neuesten Version

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R.I.U, Calvin Harris, Rene Rodriguez, Discobitch, Sean Paul und Follow Your Instinct feat. Alexandra Stan heißen die Künstler, die das breite EDM-Fundament auf der neuesten Bravo Hits bilden. Letztere hat übrigens auch eine EDM-Version von KC and the Sunshine Bands „Give it up" eingebracht. Bei diesem Lied wäre so viel Luft nach Oben gewesen, dass es eigentlich unmöglich ist, es nicht zu verbessern. Und trotzdem, Alexandra Stan hat es geschafft, das niedrige Niveau zu unterbieten. Chapeau.

Bravo Hits 83

Bravo Hits 13

Das Multi-Kulti-Lied mit dem lustigen Text

Eine alte Tradition bei den Bravo Hits: Das Multi-Kulti-Lied auf einer ganz fremden Sprache, die kein Mensch versteht (zumindest niemand aus der Bravo-Hits-Zielgruppe). 1996 erfüllte man die Quote mit Los del Rio und deren Song auf „Macarena" und Mr. Presidents „Coco Jambo"—das, meine Freunde, ist Welmusik. 2013 am Start: „Papaoutai" von Stromae in so schnellem Französisch, dass inhaltlich gar nichts mehr beim jugendlichen Hörer ankommt. Umfragen haben ergeben, dass die Hörer unter sechs Jahren auf diese Kategorie voll abfährt. Alle die schon ein wenig älter sind, legen sich einen völlig schwachsinnigen deutschen Text in ihrem Kopf zusammen, der so oder so ähnlich etwas später als Schlümpfe-Edition herauskommt (Ja Ja der Kokos Django/ Ja Ja, der…). Und das hier wird wirklich gesungen:

Los del Rio:
Dale a tu cuerpo alegria Macarena
Que tu cuerpo es pa' darle alegria y cosa buena
Dale a tu cuerpo alegria, Macarena
Heeeeey Macarena

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Mr President: Ya ya ya coco jambo ya ya yea (2x)

Stromae: Où t'es? Papaoutai? (4x)

Bravo Hits 83

Bravo Hits 13

Traurige Mädchen

Sie sind die zweitgrößte Fraktion auf der aktuellen Bravo Hits. Dass wir Mitleid mit Miley und Co haben, wurde früher schon einmal besprochen. Zu den immer gleichen Bravo-Hits-Girls (Miley, Frida Gold…) gesellen sich dieses Mal neue Gesichter, wie die von CHVRCHES. Die Songauswahl wurde so getroffen, dass all diese gesichtslosen Stimmen irgendwie total austauschbar, auf ihren mehr oder weniger sorgfältig produzierten Elektro-Pop-Beats sitzen. Ja, auch 1996 gab es sie schon, die Bravo-Hits-Girls. Wer erinnert sich noch an Whigfield oder Das Modul? Keiner, richtig. Selbst wenn man sich dieses Video ansieht, erinnert man sich nicht an die Stimmen der Blondinen. Das einzige, was wieder auftaut, sind eisige Gedanken an die Beats. Diese gesichtslosen Stimmen sitzen auf wirklich, wirklich schnellen Elektrobeats. In dieser Hinsicht vielleicht doch eine Verbesserung.

Bravo Hits 83

Bravo Hits 13

Noch traurigere Jungs

Richtig traurige Balladen scheinen nicht erst seit gestern Männersache zu sein. Hurts (I've got nothing left to live for / Got no reason yet to die) , Olly Murs ('Cause I'm cold and alone tonight / I miss you) und Max Herre (Dir ist ganz egal ob und wer ich bin / Du bist ungerecht und deshalb voller Hoffnung) battlen sich hier um die Krone der Melancholie und liefern so die perfekte Vorlagen für die Tagebücher der Adoleszenz.

Was wir hier sehen, ist die Eins-zu-eins-Übertragung des Konzepts des tränenreichen Popsongs, der von einem süßen Typen vorgetragen wird. Dieses Konzept erlebt in den 90ern zusammen mit den Boygroups seine Hochphase. Der ‚Sensible' war damals immer der Liebling aller Mädchen. Das Konzept lebte davon, sich in einer Brühe der Gefühle zu suhlen—allerdings gab es auch immer einen Rap-Part, wegen der Street Credibility und so. Wo sind heute die deepen Schmuseraps? Ahh—hier: Max Herre, danke…

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Bravo Hits 83

Bravo Hits 13

Lichtblicke

Gibt es auch, schließlich gibt es in der Natur diesen Mechanismus, der blinde Hühner nicht verhungern lässt. Diese kleinen Lichtblicke waren früher wahrscheinlich der Grund für 90% der Verkäufe, denn wer 1996 nicht vor dem Radio sitzend auf seine Lieblingslieder warten wollte, dem blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder das gesamte Taschengeld für ein paar Maxi-CDs zu verprassen, oder den Dreck zu schlucken, der sich zwischen den Lieblingsliedern auf Hit Compilations wie den Bravo Hits versteckt. Wer jung und belastbar ist, hat sich letzten Endes wahrscheinlich für Option 2 entschieden, irgendwo musste ja das Geld für die Buffallo Towers abgezwackt werden.

Den Bravo Hits eine Expertise für deutschen Rap anzuhängen, ist ungefähr so falsch wie die Kuschelrock Compilation mit Rock in Verbindung zu bringen, aber immerhin stieg man bei Bravo schon ziemlich früh auf den ziemlich mies flowenden Zug des deutschen Raps mit auf. 1993 schaffte es Die Deutsche Reimachse auf die Compilation. 1996 gab es auch schon gute deutsche Acts wie Feinkost Paranoia, aber immerhin schafft es Fettes Brot mit „Jein" auf die Bravo Hits 13. Das ist der erste und einzige Rapsong, den sogar deine Mutter dir von vorne bis hinten mitrappen kann. Es ist 1996, deine Freundin ist weg und bräunt sich… Definitiv ein Lichtblick.

Auf der Bravo Hits 13 geht es in kleinen Schritten bergauf. Da wo letztes Mal noch Cro und Yasha waren, finden wir dieses Mal beispielsweise Casper und Marteria. Obwohl es den Kids so verkauft wird, sind bei weitem nicht alle Songs auf der Compilation neu. Die Run Boy Run Ep von Woodkid kam beispielsweise schon im Mai 2012 heraus, aber die von der Bravo sind ja nicht doof. Wenn die von Universal das Lied jetzt als neue Single vermarkten, können die von der Bravo das schon dreimal, und für guten Musikgeschmack, ist es ja bekanntermaßen nie zu spät. Das sieht man auch im Falle von Tensnake. Mit ihm haben wir letztens erst über seine Wirkung auf die breite Masse gesprochen und es sieht so aus, als hätte er uns da was verheimlicht…

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Bravo Hits 83

Bravo Hits 13

Wer der Meinung ist, die Bravo Onlineredaktion hat mit dem „Bist du schwul—finde es heraus in 10 Minuten!"-Test pädagogisch fragwürdigen Content verbreitet hat, der eigentlich sofort auf den Index gehört, muss konsequenterweise auch die Bravo Hits unter diese Kategorie zählen. Die Bravo Hits waren unsere ersten eigenen CDs, und viele von uns hören bis heute richtig schlechte Musik. Selbst du und ich. Du könntest hier auf Noisey so viele gute Sachen lesen, ich könnte über gute Sachen schreiben, aber mal ehrlich: Die Scheiße hat uns gecatcht und sie tut es immer noch. Wir sind alle Opfer einer vorpubertären EDM-Prägung, die verantwortungslose Erstsozialisierung durch die Bravo Hits wird uns wahrscheinlich für immer verfolgen, aber das ist halb so wild. Es ist nur eines von vielen Problemen in der ersten Welt, der besten aller möglichen, oder so.

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