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Dinge, die ich an der Luzerner Clubkultur hasse

Das Luzerner Nachtleben hat mich teilweise sozialisiert. Leider ist es wie mit allem anderen auch—irgendwann siehst du in den Clubs nur noch Dinge, die dir auf den Sack gehen.

Ich habe viele schöne Jahre in Luzern verbracht, wurde bei meiner Ankunft mehr als herzlich begrüsst und fühle mich jedes Mal immer noch sehr wohl, wenn ich meine alte Heimat besuche, obgleich ich mittlerweile in Zürich wohnhaft bin.
Als Konsument, DJ (der viel Zeit in der dortigen Szene verbracht hat), und notorischer Nörgler habe ich in Luzern schon viel erlebt und kenne so einige Tiefen des Luzerner Nachtlebens, mit denen ich davor in Stuttgart nicht in Berührung gekommen bin. Dabei musst du auch gar nicht direkt den Princesse Club, vormals das Opera, vor Augen haben, dessen Pendant wir mit dem Perkins Park am Killesberg in Stuttgart genauso haben. Fangen wir beim offensichtlichsten Punkt an:

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Die kleinste Grossstadt der Schweiz

Luzern gilt als die kleinste Grossstadt der Schweiz, woran zwei grundlegende Dinge gekoppelt sind: Einerseits existiert im Raum Luzern nur eine begrenzte Anzahl Kids und "Twentysomethings“, die sich die Nächte mit elektronischer Musik um die Ohren schlägt. Andererseits bin ich selten auf Leute getroffen, die ihre Homies aus Basel oder Zürich dazu überreden (konnten), eine Nacht in Luzern zu verbringen, um dieses "Idyll des Nachtlebens“ näher kennenzulernen.

Beide Faktoren tragen schliesslich dazu bei, dass ich im Ausgang permanent auf dieselben Personen treffe, ob hinter der Bar und dem DJ-Pult oder vor der Bar und dem DJ-Pult. Oder vor dem Club selbst. Oder auf dem Weg zu einem anderen Club. Oder auf dem Heimweg. Den Ausgang in Luzern kannst du dir dementsprechend wie einen grossen Schulausflug vorstellen, an dem dir immer wieder dieselben—und leider auch die falschen—Klassenkameraden vor die Nase laufen. Jemand wirklich neues kennenzulernen, fällt da irgendwann schwer und du musst anfangen, Nachtzuschlag zu bezahlen, um mal rauszukommen. Dabei war der Ausgang ursprünglich ja mal dafür gedacht, doch musst du dich mittlerweile beinahe rechtfertigen, wenn du alleine losziehst.

Das Bahnhofsmonopol

Egal, ob im Sommer oder Winter—wenn du bis 24:00 Uhr etwas vergessen hast, was vor oder während dem Clubbesuch wichtig erscheint, dann kommst du um einen Besuch im Bahnhof Luzern leider nicht herum. Da es allen anderen genauso ergeht, steckst du dort—vor allem in der warmen Jahreszeit—in einer heillosen Menschenmasse fest, die sich zwischen Aperto, "Drinks of the World“ und Coop bewegt und an deren Rand wahlweise weinende, grimmige oder kotzende Teenies in gesonderten Grüppchen auftreten. Sind dir unerwartet und kurzfristig auch noch "Produkte“ ausgegangen, die es so im Detailhandel leider nicht zu kaufen gibt, musst du wohl oder übel hinter den Bahnhof ans Inseli—eine Rasenfläche hinter der Universität, die ein wenig in den See hineinragt, aber streng genommen nichts von einer Insel hat—eigentlich ist es eher ein grosser Busparkplatz mit angrenzendem Rasen. Hier triffst du zu allem Überfluss häufig schon früh am Abend auf Leute, die du—wie unter Punkt eins beschrieben—später dann nochmal zu Gesicht bekommst. Stichwort Schulausflug.

Kinderdisco

Die Altersgruppen variieren. Während das Rok diesbezüglich eher offen ist und alle Schichten versammelt und spezielle Partyreihen wie die ehemals importierten "Fake Moustache“-Partys gänzlich als Maturafeier verschrien waren, legen wenigstens ein paar Clubs wie das Uferlos Wert auf eine elaborierte Zielgruppe. Klar ist Luzern hier in seinen Ausmassen beschränkt und potenzielle Besucher gibt es nicht in solchen Scharen wie in Zürich, wodurch die Clubbetreiber gerne jeden nehmen (wollen), den sie kriegen können. Aber ein Club ist eben nicht für jeden, daher ja auch der Name. Und wenn nur lang genug alle hineingelassen werden, ist das das Ende der Individualität solcher Einrichtungen—am Ende orientieren sich die meisten ja doch am Markt und wenn der überall homogen ist, ist es schlimmstenfalls auch das Programm.

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Die Werbung

Die meisten Clubs in Luzern begreifen es einfach nicht: Der Flyer oder die Webgrafik brauchen eine gewisse Auflösung und dahinter sollte eine neue Idee stehen, die sich fortsetzt. Logos und Fonts aus den 90ern sind nicht mehr in, genauso wie in Retrooptik, und sollten eigentlich schon längst komplett verboten sein. Leider fühlt sich die Bundesversammlung in Bern hierfür nicht zuständig und macht keinerlei Anstalten, rettende Gesetze zu beschliessen.

Besonders kreative Köpfe sind mittlerweile auf dem Trip, abstrakte Grafiken—häufig mittels Kreisen, Striche und Dreiecken—einzusetzen, wobei mich immer mehr das Gefühl beschleicht, dass die alle dasselbe Template verwenden. 2D ist in dieser Gruppe ebenso wieder stark in Mode, Flat Design sei Dank—dabei frage ich mich immer, wieso ich einen Club ansprechend finden soll, der das Kacheldesign von Windows imitiert, statt progressive Kulturelemente herauszubilden. Wieso sind Batiken eigentlich nicht wieder angesagt?

Konzentriertes Haten

Wann war das Publikum mies drauf? Welche Party ging daneben? Wo hat die Türpolitik versagt? In welchem Laden war Backstage wieder mal nicht für den DJ aufgefüllt? Und warum hat DER das Booking bekommen? Fragen über Fragen, die während des Clubabends natürlich geklärt werden müssen—am besten in kleinen Grüppchen hinter oder neben dem DJ-Pult, auf der Toilette oder vor dem Club. Oder auf dem Weg zum Inseli. Entziehen kannst du dich dem Ganzen nicht, denn als Anti-Hater ohne eigene Meinung zu Anderen hast du—ich wiederhole mich, aber Luzern ist echt klein—in der lokalen Vetternwirtschaft schon verloren. Dass jemand lästert, spricht sich hier genauso schnell herum wie das Gegenteil. Und selbst wenn du es schaffst, dich in der Nacht oder beim Auflegen von solchen Gruppen fernzuhalten, holen sie dich bei Tag wieder ein—spätestens, wenn du zum DJ- und Booker-Stammtisch erscheinen musst, der während meiner Zeit in Luzern regelmässig stattgefunden hat. Darum wisse, der wahre Sonderling hat keine Entourage.

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Arbeitslose Türsteher

Wozu braucht es hier eigentlich Türsteher, wenn doch ohnehin nie etwas passiert und sich die Menschen in der Schlange so korrekt verhalten wie zur Passkontrolle? Vor vielen Jahren soll ein in seiner Ehre gekränkter Gast des Opera mal versucht haben, mit seinem Auto die Türsteher zu attackieren und ist frontal in den Laden gefahren—ein Manöver, das sich heute in jedem guten “Epic Fail”-Video wiederfindet und wohl von keinem Türsteher der Welt verhindert werden kann.

Da aber beinahe jeder in jeden Laden gelangt, erfüllt der Türsteher in Luzern nicht einmal zwingend die Funktion des Selecteurs. Vielmehr sind sie oft einfach dazu da, dir tief in die Augen zu schauen und dann hinterherzublicken, wenn du an ihnen vorbei durch die Tür gehst. Wahrscheinlich müssen einfach die ganzen Barhocker vor den Clubeingängen besetzt werden, die vorher für teures Geld angeschafft wurden. Und der Manor muss seine Anzüge ja auch irgendwie losbekommen.

Das ewig gleiche Lied

Habe ich ungefähr im Ohr, wenn ich in Luzern weggehe: Eine grobe Mischung aus Tech House (der ja immer geht), G-House (der nur kurz geht und auf dem Vocal-Versatzstücke möglichst den Eindruck von Gangsta-Rap hinterlassen sollen), House (der eigentlich nie geht) und Techno—je nachdem, was DJs aus Luzern darunter verstehen. Oft ist das dann reines Stakkato, obwohl elektronische Musik da mehr zu bieten hätte—aber Fläche und Melodik trauen sich die wenigsten.

“Am Schluss entscheidet dann der Weg zum Club”—eine so gehörte Weisheit von Betreibern, die wissen, dass ihr Programm mit anderen aus demselben Viertel identisch ist. Dabei geht Individualität so noch schneller verloren als bei einer homogenen und geldgeilen Türpolitik—geh ich doch wegen der Musik überhaupt von Zuhause los! Wirklich eigene Wege zu gehen traut sich in Luzern aber niemand, aus Angst, Abendkassenbesucher zu verprellen. Was war denn damals noch der Unterschied zwischen Rok und Tunnel?

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Eine Snare ist eine Snare

Das sollte man eigentlich meinen, doch darüber entscheidet in Luzern stets der Club(-besitzer) selbst. Auch, ob die Frequenzen einer Hi-Hat überhaupt jemals das Licht jenseits der Boxenmembrane erblicken, wird hier gründlich abgewogen und hängt letztlich von der Entscheidung ab, eingenommenes Geld nicht doch lieber in ein neues Logo oder ins Wändestreichen zu investieren, anstatt in eine (Art) Anlage. Dabei ist das Ohr neben unserem Sinnes- auch unser Gleichgewichtsorgan—man könnte also argumentieren: Wenn du keinen ordentlichen Sound hörst, kannst du auch nicht richtig tanzen.

Wo gehts denn nachher weiter?

Nirgends. Und genau das ist meistens das Problem. Hast du als DJ samstags in der Früh den letzten Track gespielt oder wirst vom Türsteher mit der Taschenlampe angestrahlt, kannst du im Sommer immerhin gepflegt über den Wochenmarkt spazieren oder am See deinen Rausch ausschlafen. Teilweise ist auch die eigene Freundin zu der Uhrzeit schon wach und schiebt über Handy Stress, weil du dir die Nacht ja wieder anderweitig um die Ohren gehauen hast, was du dann auf dem Wochenmarkt ausdiskutieren musst. Aber den Rest des Jahres hast du keine Alternative.

Abschliessend kann ich einen Ausflug ins Luzerner Nachtleben nur jedem empfehlen, dem die Zürcher Clubs zu teuer sind. Und schön ist es ja trotzdem in Luzern—spätestens am nächsten Morgen.

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