In Berlin hinterlässt die 187 Strassenbande kreischende Teenies und stolze Väter

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In Berlin hinterlässt die 187 Strassenbande kreischende Teenies und stolze Väter

Wir waren bei der Autogrammstunde von Bonez MC, Raf Camora und Gzuz, um herauszufinden, wieso sie so sehr von ihren Fans geliebt werden.

Bonez MC und RAF Camora haben mit Palmen aus Plastik einen kleinen Meilenstein gesetzt—das ist jetzt schon klar, obwohl das Album erst vor ein paar Tagen rausgekommen ist. Nie klang deutschsprachiger Dancehall so dreckig und wusste derart mitzureißen. Die Kritiker lieben es und die treuen Fans feiern die catchige Platte sowieso. Vor allem in Berlin durften sich Anhänger von RAF und der 187 Straßenbande freuen, denn zum Releasedatum letzten Freitag gab es eine groß angelegte Autogrammstunde inklusive Bühne, Moderator, Nebelmaschine und Pyro-Effekten am Alexanderplatz, hinter dem Alexa Einkaufszentrum.

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Als ich aus dem schmierigen Dunkel der U-Bahnstation in die grelle Sonne auf dem Alexanderplatz trete, fallen mir sofort  über den Platz verteilte Kids mit Nike-Caps und Brusttaschen auf, die unabhängig voneinander in Richtung Event hetzen—einige haben Jägermeisterflaschen dabei oder zerkleinern mit verstohlenem Schulterblick Gras in irgendeinem gefalteten Flyer. Wie nicht anders zu erwarten, hat sich schon knapp 45 Minuten vor Beginn der Aktion eine beeindruckende Menschenmenge mit den Händen voller Premium-Boxen versammelt und eine schier endlose Schlange um ein paar Absperrgitter gebildet. Wer jetzt erst kommt, stellt sich irgendwo mit gutem Ausblick hin, denn Anstellen sieht erstmal nicht nach einer Option aus. Deswegen wird pausenlos gedrängelt und geklettert. Die Securities müssen praktisch im Sekundentakt Kids, die sich mit gewiefteren Methoden durchschlängeln als Locals vor dem Berghain, unter Geschrei auf ihren Platz zurückverweisen.

Auf einer Art Balkon genieße ich den Überblick und den überwältigenden Haze-Geruch. Jemand hat vom Veranstalter Media Markt den recht undankbaren Job bekommen, die Veranstaltung zu moderieren. „Ist euch langweilig? Mir auch", sagt er halb scherzhaft, halb verzweifelt. Immerhin kann er an diesem heißen Spätsommertag ein paar Boxen unter die aufgewühlte Meute bringen. Neugierig laufe ich kurz hinten am Zeltkonstrukt vorbei, erhasche einen Blick auf die Jungs und dann geht es schon los: Der epische Einzug der zurzeit am meisten gehyptesten Rapper Deutschlands.

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Die Menge rastet natürlich aus—alle singen bei „Ohne Mein Team" mit, das jetzt sicherlich schon zum fünften Mal läuft. Die Ankunft der Künstler hat das Ekstase-Level nochmal erhöht. Die überwiegend zwischen 14 und 19 Jahre alten, überwiegend männlichen Fans drehen komplett durch—vor allem als ein paar Minuten später auch noch GZUZ die Bühne entert. Eine ältere Dame fragt mich, was hier los ist. Ich kann ihr die Verwunderung nicht verübeln, denn so „Gangster-Rap" Atmosphäre und Klientel auch sein mögen, hier könnte angesichts der kreischenden Fans auch eine Boyband stehen.

Jetzt wird das traditionelle Autogrammstunden-Programm eingeläutet, immer wieder kurz unterbrochen von Pausen, um die schwitzende Menge anzuheizen. Die ersten erfolgreichen Autogrammjäger verlassen verwirrt vor Freude die Bühne. Einer schreit: „4 1/2 Stunden und es hat sich voll gelohnt" Doch keiner hört zu. Max ist auch unter den Ersten, die von wartenden Fans neidisch beäugt werden („Guck mal, der hat zwei Boxen, darf der das?"), musste als Mitarbeiter des Media Markts im Alexa allerdings nicht so lange anstehen. Immerhin opfert er seine Mittagspause, denn Max ist 187-Fan der ersten Stunde und HipHop-Nerd. „Ich lebe für Deutschrap" sagt er, was sich natürlich gut mit seinem Job trifft. Ich freue mich für die Jungs, eigentlich jeder hier versprüht ungekünstelt und ehrlich gute Laune. Ich gehe in den von 187-Merch geprägten Supermarkt, um mir ein Bier zu kaufen. Verglichen mit den halbbesoffenen Kids, die high von Jägermeister, Mischbieren, zerknautschten Joints und Smalltalk mit GZUZ sind, komme ich mir zu nüchtern vor.

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Wieder zurück auf dem Platz und prompt rennt ein tollpatschiger 15-jähriger Hühne mein frisches Bier über den Haufen, während ich ein Foto mache. „Pass doch auf, AMK". Der Unterschrift auf seinem Shirt zu urteilen, war er grad auf der Bühne und ist noch etwas durch den Wind. Nach dem zweiten Supermarkt-Trip beobachte ich das Spektakel vom Balkon. Vor allem um die Bühne herum besteht die Welt nur noch aus kreischenden Mädchen und angesoffenen Jungs, die sich um den Hals fallen. Irgendwie ist das alles wirklich herzerwärmend. Ein Junge springt vor Freude über sein ergattertes Autogramm so energisch umher, dass er seine signierte CD fallen und am Boden zerschellen lässt. Als einziger Beobachter kann ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen.

Mittlerweile läuft „Mörder" zum gefühlt zwölften Mal und immer findet sich irgendwer, der mitsingt. Auf der Bühne tut sich abgesehen von unregelmäßigem Anheizen der Crowd relativ wenig, da die pflichtbewussten Rapper natürlich unnachgiebig signieren—dafür bricht plötzlich in der Schlange Unruhe aus. Die obligatorische Schlägerei findet gerade anscheinend wegen einer Brille statt. Als alles schon wieder entspannt ist, schaltet sich Bonez zum Beschwichtigen ein. Fast zur gleichen Zeit geraten ein paar Drängler mit Securities aneinander, aber die Stimmung bleibt überwältigend friedlich und entspannt—was überrascht, schließlich sind es an die 30 Grad und hunderte berauschte Menschen hängen ungeduldig aufeinander.

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Gerade taucht der Media Markt-Moderator wieder auf, um eine Premium-Box durch irgendein Anheiz-Spiel zu verlosen. Da prescht Bonez vom Signier-Tisch nach vorne, greift sich die Box und drückt sie unter dem Johlen der Menge dem Erstbesten in die Hand. Ich verstehe, warum der Mann hier so beliebt ist. Rechts von mir verlässt ein frustriert wirkender circa 15-Jähriger seinen Platz im hinteren Drittel der Schlange und sagt seiner Mutter „Ich bin SO kurz vorm Explodieren." Plötzlich werde ich von rechts angerempelt: Ein gehetzter Vater trägt seinen kleinen Sohn mit einer Bestimmtheit und Eile durch die Menge, die man eigentlich nur bei Eltern sieht, wenn ihr Kind sich gerade in die Hose machen will. Doch keine 20 Sekunden später steht der Kleine mit seinen stolzen Eltern auf der Bühne und GZUZ lässt den vielleicht 6-Jährigen vom Publikum hochleben.

Die kleine Familie ist heute extra aus dem Umland Magdeburgs angereist, um die Autogrammstunde zu sehen, erzählen mir Mutter Yvonne und Vater Andy später. Ihr Sohn Jaden Silas („wie bei How High" meint Yvonne zu mir) scheint auf der Bühne jedenfalls eine Menge Spaß gehabt zu haben, jetzt ist er genau wie seine Eltern ein wenig perplex, während der Freundeskreis um sie herum die Aktion feiert. Wieso Jaden auf die Bühne gewunken wurde, wissen sie auch nicht, man kenne sich aber auch flüchtig: „Ich wollte unbedingt die Masken aus dem „9mm"-Video kaufen, also hab' ich mir die Nummer von Bonez geklärt und mal mit ihm gequatscht", erzählt der stolze Vater Andy, der so wirkt, als könnte er sein Glück gar nicht fassen.

Überhaupt: Überall, wo man hinschaut, sind Menschen überwältigt von Emotionen. Ein neunjähriges Mädchen mit dickem GZUZ 187-Schriftzug auf den Wangen kommt aus ihrem Heulkrampf gar nicht mehr raus—weil sie Gzuz gesehen hat und jetzt befürchtet, wegen der lange Schlange nicht zu ihm zu können. Beim vierten Bier-Run beichtet ein mir entgegen kommendes Mädchen ihrer Freundin: „Der Wunsch meines Lebens ist grade in Erfüllung gegangen!" Eine perplex wirkende Blondine wird von einem Krankenpfleger abgeführt, lächelt aber noch.

Gegen acht Uhr abends, also rund drei Stunden nach dem offiziellen Beginn der Autogrammstunde, unterschreiben die Rapper immer noch fleißig Dinge. „Palmen aus Plastik" wird zum 30. Mal gespielt und die Schlange ist immer noch nicht bedeutend kleiner geworden. Die Crowd lässt sich hin und wieder noch ein müdes „Wooooo" entlocken, langsam sind aber auch die meisten Kids ziemlich gebügelt und ich spiele mit dem Gedanken, mich zu verziehen (s/o an den riesigen Bier-Kühlschrank im Alexa-Edeka, ohne den ich niemals so lange überlebt hätte). Ich habe einfach nicht das Durchhaltevermögen, das Bonez, Raf, Gzuz und ihre Entourage hier an den Tag legen. Und schon gar nicht das ihrer Fans, die mit großer Sicherheit zu den leidenschaftlichsten und süßesten in der deutschen Musiklandschaft zählen. Bis nach zehn Uhr abends geht die Veranstaltung und selbst da waren noch nicht alle fertig. Mal ganz ehrlich: Wenn sowohl kreischende Teens als auch angesoffene Redaktionsnerds sich nicht daran stören, dass deine Single jetzt schon zum hundertsten Mal läuft, machst du verdammt viel richtig.