Bierduschen, Moshpit & Wahnsinn: Wir waren bei einem Scooter-Konzert
Foto: Vincent Grundke  (Instagram: @vollvincent)

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Konzertbericht

Bierduschen, Moshpit & Wahnsinn: Wir waren bei einem Scooter-Konzert

"Um uns herum die totale Ekstase, welche Flüssigkeit zu wem gehört und woher sie stammt, ist längst nicht mehr auszumachen."

Das Jahr 2018 ist ein Jahr der großen Jahrestage. Das Ende des Ersten Weltkrieges, die Märzrevolution von 1848, sowie die Proteste von 1968 feiern runde Geburtstage – und Scooter. Ein Vierteljahrhundert gibt es die Band um den aus Ostfriesland stammenden Frontmann H.P. Baxxter nun schon. Während Hans Peter scheinbar nicht zu altern scheint, hat seine Band Fakten geschaffen. Mehr als 30 Millionen verkaufte Tonträger in über 50 Ländern, 23 Songs in den deutschen Top 10, mit dem sinnfreien Klassiker "How much is the fish?" in den UK-Charts Madonna vom Thron gestoßen, Tourneen von Japan über Russland bis Litauen. In den vergangenen 25 Jahren haben Scooter sicherlich genug Schotter angehäuft, um sich mehrmals zur Ruhe setzen oder in goldenen Jacuzzis voller Gespielinnen langsam verwelken zu können. Dennoch touren sie ohne Unterlass weiter. Es wurde Zeit für einen Konzertbesuch, um das Phänomen Scooter zu verstehen.

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Vor dem Berliner Velodrom hat sich bereits eine grölende Menge eingefunden, die sehnsüchtig nach Einlass begehrt. Fruchtsekt und Pfeffi machen die Runde, erstaunlich viele Menschen haben eine Unterbodenbeleuchtung an ihren Schuhsohlen und angesichts des Massenbesäufnisses strahlen die Pfandflaschensammler über beide Ohren. Die ganze Meute steht in Reih und Glied. An den Seiten ist zwar jede Menge Platz, aber niemand kommt auf die Idee, diese endlose Schlange vor dem Eingang zu überwinden. Niemand außer uns, natürlich. Wir stoppen nur kurz vor einem alten Mann. Und wenn ich "alt" sage, dann meine ich nicht alt im Sinne von "Boah Papa, du hast einfach keine Ahnung von Dagi Bee"“, sondern eher "Ende des Zweiten Weltkriegs“. Auf seinen Gehstock gestützt, wartet auch er auf den Einlass.

Ein Mann kommt vorbei, der exakt wie H.P. Baxxter aussieht. Jedes Detail stimmt. Offensichtlich genießt er die unzähligen "Hans Peter"-Rufe der Umstehenden und auch seine Freunde nennen ihn so. Vielleicht heißt er ja tatsächlich H.P., soll es ja geben.


thump-Video: "Auf einem Höhlenrave 300 Meter unter der Erde"


Endlich im Inneren der 12.000 Menschen fassenden Halle angekommen, gibt es nur ein Ziel: nach vorne! Das ist durchaus metaphorisch zu verstehen. Wer hier kein Gas gibt, hat schon verloren oder soll sich zu den "ironischen" Zuschauern auf die Gästelisten-Tribüne verpissen. Wir gehen dahin, wo es weh tut. "Ganz oder gar nicht" – das ist unser Motto! Und was "ganz" bedeutet, wird uns relativ schnell klar gemacht. Kegelclub meets Moshpit meets Mallorca-Urlaub meets Bauer sucht Frau-Kandidaten meets Pegida. Ein Vierteljahrhundert Scooter, das ist auch ein Vierteljahrhundert Deutschland. Wenn man Klischees sucht, ist man hier richtig.

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Die sich direkt anbahnende erste Prügelei können wir dank der Hilfe eines freundlichen Glatzkopfs abwenden. Leider wird dieser sich später durch seine "patriotischen Äußerungen" wieder äußerst unbeliebt machen. Um den Warm-up-DJ zu ertragen, schütten wir so viel von dem Velodrom-Bier wie möglich in uns rein. Auf den Bechern steht "I feel Hardcore" und auf der Bühne wird jetzt ein riesiger Stinkefinger präsentiert, der langsam an die Deckenhalle steigt. Hier werden die visuellen Träume eines jeden Großraumdiskotheken-Besitzers wahr. Euer Geld macht's möglich.

Es geht endlich los und schon mit dem ersten Ton, der durch die Boxen wummert, habe ich einen vollen Bierbecher im Nacken. Die klebrige Pampe frisst sich durch das T-Shirt bis in die Unterhose. Auch die Frisur ist ruiniert, aber was habe ich erwartet. Dutzende Tänzerinnen in brasilianischen Karneval-Outfits, durchtrainierte Chippendale-Typen, ein durch die Luft fliegender Hai, überdimensionale Fahnen und unzählige Pyro-Kanonen machen deutlich, dass das hier Profi-Shit ist. Ihr könnt ja gerne blasiert rauchend in der letzten Reihe auf dem Konzert irgendeines Indie-Talents stehen, aber mit H.P. läuft sowas nicht. Ein Duracel-Hase auf Koks ist ein Scheiß gegen diese Mensch gewordene Party-Maschine.

Anders als bei früheren Gigs hat man die beiden Typen an den Synthesizern inzwischen direkt in den schlecht ausgeleuchteten, hinteren Teil der Bühne verbannt. Währenddessen darf sich der Mann, der in einem TV-Interview schon mal gesagt hat, dass jeder Gig für ihn wie ein Orgasmus sei, auf seiner gigantischen Showtreppe ungeniert ausleben und in sein Mikrofon schreien. Die zwei anderen Bandmitglieder sind ja generell eher nebulös, werden immer wieder mal ausgetauscht und haben (zumindest auf der Bühne) eigentlich nur die Aufgabe, grinsend und bewegungsreich auf irgendwelche Knöpfe zu drücken.

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Als vor ein paar Jahren mal wieder einer dieser Hintergrundkollegen ausgetauscht wurde, nannte Hans Peter als Grund, dass nicht jeder mit seinem Lifestyle mithalten könne und Scooter eben bedeute, nach jedem Konzert auch noch eine Aftershowparty mit allem Drum und Dran zu feiern. Mögliche Jobausschreibung also: Zwei Stunden hinter H.P. so tun, als wenn man ein Instrument spielt und danach mit ihm unter Einfluß von dutzenden Wodka Bull um die Häuser ziehen. So langsam werde ich neidisch auf diesen Job.

Da Scooter niemandem mehr etwas beweisen müssen, gibt es auch keinen Grund mehr, irgendwem etwas vorzuspielen. H.P. zaubert plötzlich eine Feuer spuckende Gitarre hervor, obwohl das im Hintergrund vor sich hin hämmernde musikalische Werk überhaupt keinen Anlass dafür bietet. Mir wird bewusst, wie unglaublich frei dieser Mensch sich fühlen muss. Anschließend zertrümmert er das Instrument in bester Jimi-Hendrix-Manier auf dem Bühnenboden und verschwindet erst mal ein paar Minuten.

Um uns herum die totale Ekstase. Welche Flüssigkeit zu wem gehört und woher sie stammt, ist längst nicht mehr auszumachen. Eine Technoabfahrt nach der anderen dröhnt durch die Halle. Pyro, Menschen und Töne sind längst zu einer schwitzenden Einheit geworden. Unmöglich zu sagen, welcher Song gerade gespielt wird und ob irgendjemand hier es merken würde, wenn man ihm den gleichen Track in Dauerschleife vorsetzen würde.

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Mit jeder Minute wird deutlicher: Hier haben einfach ein paar Leute Spaß mit unglaublichem Blödsinn und verdienen damit Millionen. Und das alles dank den Tausenden von Jüngern, die wie in einer Zeremonie zu den Konzerten pilgern, um sich knappe drei Stunden vom gleichen Beat berieseln zu lassen. Seems legit.

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