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Nein, besoffen Nachrichten zu schreiben, ist nicht nur schlecht

Wo Schatten, da auch Licht.

Foto: Antonia Matschnig

Hallo, ich habe ein Problem. Also eigentlich habe ich mehrere Probleme, aber eines davon ist mein Mobilgerät. Und dieses Mobilgerät-Problem haben einige Menschen. Meistens sind diese Menschen 17 und ab irgendwann haben sie—dank der Erfahrung und der Reife—dieses Problem nicht mehr. Ich muss gestehen auch ich habe es mir mehr oder minder abgewöhnen können—aber es passiert noch immer. Besoffene Nachrichten.

Du weißt schon, die Art von Nachrichten, die dir am nächsten Tag definitiv peinlich ist. SMS von gestern Nacht zu lesen ist ähnlich wie ein Video zu sehen, in dem du total dicht bist und lallst. Es ist peinlich berührend und demütigend. Es zeigt dir ungeschönt, wie peinlich du betrunken wirklich bist. Und das Schlimmste ist: Du kannst niemandem die Schuld geben, außer dir selbst.

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Wenn auch deine erstgewählte Konfliktlösungsstrategie die „Schuldzuweisung” ist, dann weißt du, dass du auf jeder Ebene verloren hast, wenn es um deine eigenen Ausrutscher geht. Ja klar, man kann sagen, man hat zu viel erwischt. Tut man auch. Mehr Rechtfertigung ist ja auch nicht rauszuholen. Aber dein Gegenüber weiß—genau wie du—dass mehr dahinter steckt. Deshalb ist es dir ja so unangenehm.

Weil du Blöße gezeigt hast. Durch meine jahrelange Erfahrung mit betrunkenen Liebesgeständnissen, oder sogar für mich nicht leserlichen Nachrichten, habe ich zwangsläufig Gründe für mich finden müssen, die diese Nachrichten nicht nur als schlecht ansehen. Ich habe mich damit anfreunden müssen. Und ich habe es auch. Hier die Argumente die dir das Gefühl geben, dass du ein besserer Mensch bist:

Foto via Flickr | Melissa Donohue | CC BY-ND 2.0

Du erfährst wer du wirklich bist

Ja, OK. Es wäre natürlich edler, du würdest dein „ichh muss an dih denken” nicht im Facebook-Chat um drei Uhr nachts loslassen. Aber das Leben ist nun Mal kein Wunschkonzert. Denke daran: Du hast deinen emotionalen Erguss gehabt, weil da etwas in dir drinnen war. Dein Ziel ist dir nüchtern egal? Nein, ist es eben nicht. Wenn du dich so gut selbst belügst, dass du es dir glaubst, dann holt dich der wieder Wodka auf den Grund deines reinen Herzens. Du hast deiner Mutter um fünf ein „Hdul" geschrieben? Eindeutig ein Familienmensch—triff sie mal wieder!

Du hast deinem Ex-Freund eine „Ich liebe dich, du dummes Arschloch” SMS geschickt? Toll, du bist noch nicht darüber hinweg. Du fragst deine jetzige Sexbeziehung ob ihr nicht mal ins Kino wollt? Du sehnst dich nach einer richtigen Beziehung. Du fragst Menschen spontan nach Sex? Du bist untervögelt. Nachrichten von letzter Nacht lassen dich wissen, wo du wirklich stehst. Das bist du. Ganz ohne die Leugnung, Lügen und sozialen Erwartungen. Nur du, zwei Promille und dein Handy. Siehst du? Andere Menschen müssen auf einen deepen Trip durch die halbe Welt, um diese Erkenntnisse zu haben. Dir reichen ein paar Stamperl. Du sparendes, tiefsinniges Ding.

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Du erfährst aber auch, wer du nicht bist

Nun Gefühlseruptionen arbeiten immer wieder gegen die Kopf-Logik. Es hat schon seine Gründe, warum du nüchtern nicht die Sachen sagst, die du im Suff sagst. Meistens sind diese Gründe erschlagend. Deine Liebesgeständnisse an Menschen zu lesen, die du eigentlich nicht in deinem Leben haben willst, helfen dir, dich neu zu positionieren.

Oft war ich selbst überrascht, welche Menschen nun Opfer meines alkoholisierten Wahrheitswahns geworden sind. Was macht man dann? Genau, man reflektiert restfett. Restfettes Reflektieren hat zwar auch seine Nachteile, aber wir sind jetzt bei den Vorteilen. Und was gibt es Besseres, als deine Lage zu gewissen Personen zu überdenken? Wahrscheinlich nur einen vernünftigen Umgang mit deinen Mobilgerät zu erlernen. Beides sind übrigens tolle Restfett-Aktionen.

Du lernst, dass alles vergänglich ist

Auch Scham. In meiner schlimmsten Suff-Handyzeit, habe ich jeden Abend eigentlich anderen Menschen geschrieben. Suff-Liebe ist vergänglich. Suff-Notgeilheit auch. Deine Entschuldigungen leider auch, wenn es jedes Wochenende der selbe Mensch ist. Auch deine „Ich trinke nie wieder etwas”-Schwüre. Alles im Leben ist einfach vergänglich. Wenn du eines Tages diese allumfassende Erkenntnis hast, wird dein Leben sehr viel entspannter und besser.

Heute zum Beispiel juckt es mich fast gar nicht, wenn ich wieder seltsame Privatnachrichten von mir selbst an diverse Menschen lese. Es ist mir irgendwie egal geworden. Ich sag dann meistens „Oh. Naja. Sorry. Harter Abend gestern.” Dann fahre ich mit meinem Leben fort. Ganz ohne Scham. Du lernst dich selbst nicht mehr ganz so wichtig zu nehmen, dein Ich zu akzeptieren und wirst so durch deinen Rausch zu einem besseren Menschen. Erzähle das mal deiner Yoga-Tante.

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Du wirst lernen, den Unterschied zwischen wahren Gefühlen, Notgeilheit und manipulativen Drama zu erkennen

Screenshot von der Autorin

Ich habe schon von Menschen gehört, die es ohne einen Lernprozess drauf haben. Gratuliere, ich habe nicht dazu gehört. Meine Gefühle vermischten sich oft mit Notgeilheit und manipulativen Drama. Oft war ich mir nicht sicher—stehe ich auf den Typen, weil er mich im Inneren berührt? Oder will ich einfach nur, dass er mich berührt? Oder möchte ich ihn berühren, weil ich eine manipulative Hexe bin, deren Ego bekräftigt ist, wenn er mich will?

Dass alles sind sehr ähnliche Gefühle. Deine Nachrichten zeigen dir ganz genau, worum es sich jetzt genau handelt. Wenn du deinen zwei Spritzer Rausch missbraucht hast, um dem Gegenüber unverständliches Zeug zu schreiben—Manipulation. Geht die Nachricht Richtung Sex—Notgeilheit. Geht die Nachricht in Richtung Liebe—Liebe. Besser als jeder Bravo-Test.

Du lernst offener mit deinen Gefühlen und Gedanken umzugehen

Der Clue ist, dass du mit jeder deiner besoffenen SMS und Nachricht merkst, dass es OK ist Sachen zu sagen, die du fühlst und denkst. Achtung, jetzt kommt der Tante Gerti-Spruch: Besoffen ist die Abkürzung für besonders offen. Ein offener Mensch zu sein, der sich seiner Gefühle und Gedanken nicht schämt—du bist näher dran, als deine kontrollierten Mitmenschen. Irgendwann hat es auch bei mir Klick gemacht und ich habe gelernt vorzugreifen.

Meistens schreibe ich dann „Du, ich werde heute Abend trinken und deshalb:…” Wenn du nach drei Schluck Bier ein notorischer Herz auf der Zunge-Träger bist, dann wirst du relativ bald den Dreh heraushaben, nüchtern vorzugreifen oder gleich nüchtern darüber zu sprechen. Fast wie ein richtiger Erwachsener.

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Du lernst dich mit Unannehmlichkeiten des Lebens auseinander zu setzen

Schau, so ein Rechtfertigungsgespräch ist wirklich nicht leiwand. Ich weiß das. Es ist auch nicht cool, jemandem deine Emotionen zu offenbaren, der sie (noch) nicht verdient. Aber hey, es gehört dazu. Es gehört dazu, ausgelacht oder nicht ernstgenommen zu werden. Oder auch ignoriert zu werden. Das sind essentielle Erfahrungen für dich und deinen Geist. Es macht dich zu einem erfahrenen, großartigen Wesen, dass alles zu durchleben.

Kontrollierte Menschen—wie viel wissen die schon? Über sich und über andere? Nichts, sage ich dir. Ja, sie sind reif und ihre Restfett-Depressionen halten sich in Grenzen. Aber ist das lustig? Ist das Leidenschaft? Ist das die pure Essenz des menschlichen Geistes? Kontrolle? Man trinkt doch, um diese zu verlieren. Die haben es nicht geschafft. Du schon. Vergiss das nicht.

Fredi hat auch Twitter: @schla_wienerin

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