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Captain Ashi—Unterwegs im räudigen Band-Kosmos

Wie Bands dem Konzertveranstalter das Leben zur Hölle machen

Versetzt man sich mal in die Lage eines Konzertveranstalters, gibt es nur einen Feind: die Band.

Nachdem wir uns in der letzten Ausgabe dieser Kolumne alle ein mal in kollektives Kopfschütteln begeben haben, weil ein paar unerfahrene Konzertveranstalter vergessen haben, das Backstage-Bier kalt zu stellen, drehen wir den Spieß heute endlich mal um. Denn so schlimm unprofessionelle Clubbetreiber und Bandbetreuer auch sein mögen—die Bands, mit denen sie teilweise arbeiten müssen, sind schlimmer. Ich weiß, wovon ich rede! Denke ich nämlich an meine eigene Band, insbesondere an die ersten Jahre spätjugendlichen Übermuts und genereller Planlosigkeit, tun mir noch heute die Veranstalter leid, die sich damals mit uns rumschlagen mussten. Aber es sind nicht nur unerfahrene Anfänger-Kapellen, die Clubs und Festival-Crews den Job erschweren, es sind vor allen Dingen auch gestandene Profi-Mucker, die den gemeinen Veranstalters mit extravaganten Sonderwünschen und sonstigen Wehwehchen die Nacht versauen. Versetzen wir uns also ein mal in die Lage des durchschnittlichen Konzertveranstalters: Du hast die Bühne aufgebaut, die Bar wird vorbereitet, das Wechselgeld ist gezählt. Könnte ein guter Abend werden, wenn die bestellte Band dir heute nicht einen der folgenden Sätze um die Ohren jagt:

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17:30 „Das Navi sagt, wir sind in 10 Minuten da!“

Die ersten Probleme mit dem auftretenden Künstler bahnen sich oft schon vor der Ankunft in der Location an. Gewöhnlich werden vor jeder Show feste Zeiten ausgehandelt, teilweise sogar vertraglich, damit die Veranstaltung reibungslos abläuft. Gewöhnlich fliegen diese Zeiten nicht selten über Bord, sobald man eine Prise Kater, einen kleinen Autobahnstau oder einen Kotz-Stopp auf dem Rastplatz in den Terminplaner der Band mischt. „Ja Hallo, hier ist der Veranstalter aus dem MÄX Forstensiedel, ich wollt mal fragen, wann ihr ankommt? Jetzt ist ja schon 17 Uhr…“, fragst du zaghaft ins Telefon. Du kannst schon fast die panischen Gesichter im Tourbus vor dir sehen, als dann eine heisere Stimme antwortet: „Ja also, das Navi sagt, wir müssten gleich da sein. Wir stehen hier nur, äh, grad im Stau. Und eine Reifenpanne haben wir auch noch! Und ein Biber hat uns das Bremskabel durchgebissen! Aber das läuft, wir sind gleich da, ich schwöre!“ Spätestens wenn jemand im Hintergrund flüstert „Frag noch mal wann Soundcheck is!“, weißt du: Diese Schweine kommen zu spät und sie sind selber schuld. Unpünktlichkeit auf Tour ist zwar nahezu unabdingbar, solange man ohne wütenden Tourmanager mit Peitsche im Anschlag unterwegs ist, bringt aber jeden Konzertveranstalter vor Ort um den Verstand. Eine Show vorzubereiten ist so schon chaotisch genug, dafür braucht es keine Band, die zwei Stunden zu spät zum Soundcheck kommt. Das Verhältnis zwischen den Parteien ist jetzt schon angespannt und kann nur durch einen vollen Laden, ein hervorragendes Konzert und tadelloses Benehmen im Backstage wieder gekittet werden.

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18:45 „Sag mal, habt ihr vielleicht noch zwei Keyboardstands, ein Netzteil und acht Klinkenkabel für uns? Wir haben unsere gestern in Berlin vergessen.“

Du hast den Technik-Rider genau studiert und deine besten Leute darauf angesetzt. Die Anlage steht, knallt und gibt Gas—alles ist verkabelt, ausgemessen und eingestellt. Die Band schleppt nun eine Kiste nach der anderen in den Club und verteilt ihr Equipment im ganzen Raum. Verklebte, schmierige Kabel werden aus dicken Knoten befreit, Gaffa-Tape-Reste werden von Verstärkern gespachtelt und irgendwo testet jemand, ob das total verbeulte Mikrofon noch funktioniert. Es dauert nicht lange, bis der Sänger dich antippt und mit müden Augen fragt: „Sag mal… wir haben da gestern so ein, zwei Sachen nach der Show liegen la… äääh, verloren. Habt ihr vielleicht noch so ein 9 Volt Netzteil mit so einem vierzackigen gelben Adapter-Anschluss aus Japan? Und unsere Klinkenkabel sind auch alle gebrochen, gleichzeitig. Habt ihr davon noch so zehn bis zwölf? Achja und Gitarrensaiten, Gitarrensaiten wären gut.“ Du durchwühlst das Lager und rufst deine Kollegen an, kratzt ein paar Kabel und Anschlüsse zusammen und hoffst, dass sie den Ansprüchen der Hobbymusiker gerecht werden. Verabschiede dich von diesen seltenen Leihgaben, denn die Band wird sie am Ende des Abends klammheimlich in ihren eigenen Cases verstauen oder sie ebenso verklebt und schmierig zurückgeben, wie ihr eigenes, klägliches Häufchen Technik. Für Musiker, die mit halb kaputtem oder komplett unvorhandenem Equipment anreisen, gibt es in der Hölle sicher eine extra Abteilung—und auch ich werde eines Tages darin schmoren. Direkt daneben ist dann das Fegefeuer für technisch ahnungslose Nachwuchsacts: „Also ehrlich gesagt weiß ich jetzt gar nicht, ob das Stereo oder Mono ist. Ist doch egal, oder? Ich drücke einfach mal diesen Knopf hi…“ FIEEEEEEEEEEEEEEEEP. „Oh, jetzt hab ich eure Hochtöner kaputt gemacht. Sorry.“

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19:30 „Jetzt wo der Moritz dabei ist, bräuchten wir noch einmal vegan und glutenfrei, aber ohne Tofu, der hat Allergien! Die anderen Portionen vielleicht mit mehr Fleisch—aber vom regionalen Bauernhof wäre geil!“

Dass du für umweltbewusste Punkbands, Straight-Edge-Muskelpakete und Rasta-Rapper keine Spaghetti Bolognese oder ein paar Bockwürste auf das Catering-Buffet mehr stellen kannst, ist inzwischen auch beim letzten Veranstalter angekommen. Das war in den Neunzigern sicher zumindest teilweise um Einiges einfacher. Aber die Zeiten ändern sich und mit dem Einzug der bewussten Ernährung zur Pflege von Geist, Körper und Erdball in den Mainstream hat sich auch das Fressverhalten tourender Musiker verändert. Seitdem gibt es Dinkel- statt Weizennudeln, Kürbiscremesuppe statt Chilli con Carne und immer jede Menge Tofu in allen Formen und Farben. Und trotzdem bist du vor den tückischen Extrawürsten nasal flüsternder Künstlerschweine nicht immer gefeit: „Ähm, also pass mal auf…“ erhebt sich der Schlagzeuger mit wehleidigem Blick unter einem Turm aus Haaren, „Wir finden das voll gut, dass ihr hier so bewusst kocht und so aber wir hatten dir eigentlich noch eine Mail geschrieben, dass der Laurenz jetzt mit auf Tour ist und der verträgt halt kein Gluten. Jetzt liegen hier aber diese ummantelten Kartoffelspalten… und der Sigmar mag halt eigentlich keinen Käse und jetzt habt ihr hier so eine milchige Soße mit auf dem Teller … Ich weiß jetzt auch nicht recht, was wir da machen können…“ Atme zweimal tief durch, bevor dir der Arsch platzt. („Was wir da machen können!? Siehst du da draußen die Wiese hinter dem Club!? Da habe ich euch mit Absperrband einen Quadratmeter Grünfläche abgesteckt, lasst es euch schmecken, ihr verkackten Ökohippies!“) Schluck den Frust und steck den Bands ab sofort einen kleinen Buyout von 10€ pro Nase in die Jackentasche, womit sie sich auf der naheliegenden Dönerstraße austoben können. Das kommt billiger als der Einkauf im Reformhaus und du bist die Bande für eine Stunde los!

20:15 „Ich hab hier noch 24 Namen für die Gästeliste.“

Wäre dieser Artikel ein Guide mit dem Titel „Wie vermiese ich meinem Konzertveranstalter die Laune?“, müsste diese Nummer hier ganz oben stehen. Wenn man als Musiker schon ein, zwei Jahre on the road ist, lernt man viele, viele Leute kennen, was dazu führt, dass die benötigten Gästelisten immer länger und umfangreicher werden. Tourleben ist eben nicht nur ein Job, sondern auch ein großer Spaß, an dem alle Freunde, Freundesfreunde und flüchtigen Bekannten teilhaben sollen. Bezahlen soll nur der Pöbel! Alle auf die Gästeliste, in den Rettungsbooten ist noch Platz! So kommt es nicht selten vor, dass der auftretende Künstler an der Einlasskasse vor dir steht und dir seine Gästeliste aufschlägt wie eine frische Rolle Klopapier. „Die hier müssen alle noch drauf!“, fordert er und zeigt dabei auf eine ganze Horde alter Schulfreunde. „Und Robert Stadlober + 4!“ Jetzt heißt es hart bleiben und verhandeln. Die Gästeliste des Grauens hat allerdings auch einen Vorteil: Wenn der Abend ohnehin schon gähnende Lehre verspricht, weil kein Schwein diese Band kennt und du sie nur aus Mitleid gebucht hast, hast du wahrscheinlich einen Prozente-Deal mit ihnen vereinbart. Das heißt, du bezahlst sie in Anteilen der Kartenverkäufe. Dann reibe dir schelmisch die Hände, zieh den 73 Bandgästen das Saufgeld aus den Taschen und schiebe dem Künstler später sein mickriges Taschengeld zu.

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21:30 „Wir brauchen noch eine halbe Stunde, lass noch ein bisschen warten!“

Drängelnd stehst du im Türrahmen zum Backstage und schaust auf die Uhr. „Wollt ihr nicht langsam mal auf die Bühne, Mädels?“ Aber Aufbruchstimmung sieht anders aus. Der Keyboarder feixt mit einem Tinder-Date, die Sängerin gurgelt Ingwertee und die Gitarristin streitet sich am Telefon lautstark mit ihrem Freund. „Lass noch ein bisschen warten, bis es richtig voll wird!“ winkt der Bassist mit feuerroten Augen ab, bevor er sich kopfüber noch einmal blubbernd in seiner Bong vergräbt. Der Schweiß steht dir auf der Stirn, das Publikum wird ungeduldig, aber die Band ist noch nicht bereit. „Jetzt gehen schon die ersten, wollt ihr nicht mal?“, legst du nach. Die Sängerin feuert ihr Handy in die Ecke und steckt sich eine Zigarette an: „Ich rauche noch eine, dann können wir.“ Aber aus einer Kippe werden zwei und aus zwei werden drei. Wenn du Glück hast, kennt die Kapelle ihr Publikum besser als du und wägt mit der akademischen Dreiviertelstunde genau den richtigen Moment ab, um auf die Bühne zu springen. Wenn du Pech hast, schlurfen sie 22:15 bekifft und lustlos on stage um vor einem Pulk Menschen zu spielen, das sich vor Warterei kaum mehr auf den Beinen halten kann. Wenn du das nächste Mal vor der Herausforderung stehst, Musiker pünktlich aus dem Backstage zu scheuchen, drehe einfach die Heizung auf Null (Winter) oder auf Fünf (Sommer) und schick deinen nervigsten, gesprächigsten Mitarbeiter, um ihnen Gesellschaft zu leisten.

21:45 „Wir brauchen DRINGEND noch eine Flasche Jägermeister!“

„Ist die erste denn schon leer?“ fragst du erstaunt und schaust auf den verwüsteten Kühlschrank. „JA sichiiii!!!“ lallt dir der DJ entgegen und hält den winzigen Rest einer Flasche Tequila in die Luft. Einer der Rapper tritt näher, legt dir die Hand auf die Schulter und bittet dich behutsam: „Pass auf, wir müssen echt ein bisschen in Fahrt kommen, so. Sonst läuft das nicht. Bisschen Party, turn up, weißt?“ In diesem Moment kannst du eigentlich keine richtige Entscheidung treffen. Drehst du dem Act jetzt den Saufhahn zu, beschwörst du schlechte Laune und Hemmungen im Scheinwerferlicht, karrst du die nächste Ladung Schnaps herein, fütterst du den überbordenden Exzess, der nicht selten in einem völlig desaströsen Konzert ausartet. Winde dich am besten mit der Notlösung „Getränkemarken“ aus der Zwickmühle. Drück dem Act ein paar Plastik-Chips in die Hand und versprich ihnen, dass sie damit an der Bar bezahlen können. Die Chancen stehen mehr als gut, dass die Jungs sich vor der Show nicht im Publikum blicken lassen wollen und deshalb lieber auf dem Trockenen sitzen bleiben, statt sich den Weg durch die Menge an den Tresen zu kämpfen. Echte Profi-Musiker haben außerdem einen Flachmann mit Schnaps in der Brusttasche, falls es wirklich hart auf hart kommt.

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23:15 „Wir brauchen dringend NOCHMAL EINE FLASCHE JÄGERMEISTER!“

Die Show verlief problemlos, die Band ist glücklich, das Publikum ist glücklich. Jetzt können sich also alle zufrieden in den Absturz fallen lassen und gepflegt besaufen. Während dir die zahlenden Gäste allerdings für gutes Geld die Bar leer trinken, verlangt die Band selbstverständlich, dass du ihren Aftershow-Krawall sponserst. Kleb die Stühle im Backstage fest, versteck die Wertgegenstände und gib ihnen den billigsten Fusel, den du finden kannst. Die Qualität der Spirituose spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr.

23:20 „Wir bauchen dringend auch noch ein paar Drogen!“

Okay, jetzt mal halblang. Als Veranstalter übernimmst du für einen kurzen Zeitraum tatsächlich die Verantwortung für den gesamten Alltag der kunstschaffenden Reisegruppe—du sorgst für ihr Futter, für ihr Bett, zeigst ihnen wo sie Groß und Klein machen können, erklärst ihnen, wie man eine Dusche bedient und bist auch sonst die Mutti für alles. Aber auch Muttis dürfen mal „Nein!“ sagen und draufhauen. Nur weil fünf Seitenscheitelträger in ärmellosen T-Shirts und säuberlich zerschnittenen Röhrenjeans gerade ihr erstes Konzert ausverkauft haben und letzte Woche für 250€ Promo-Kapital auf einem Musikmagazin-Sampler gelandet sind, heißt das noch lange nicht, dass du jetzt aus einer stinkigen, goldenen Öllampe kriechen musst, um ihnen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Zigaretten kaufen können sich diese Arschgeigen auch selber und bevor du jetzt um den Block hustlest, um ein Tütchen gestrecktes Kokain zu besorgen, drückst du der Saubande lieber kopfschüttelnd die Hotelschlüssel in die Hand und verpuffst ganz schnell in einer dampfenden Trickfilm-Wolke.

11:45 „Äh, sorry, dass wir dich so früh noch mal stören müssen, aber…“

Es ist kurz vor Mittag und dein Job ist seit sechs Stunden erledigt. Spätestens als dir Florian, der ominöse Tourbegleiter, das letzte Mal in die Garderobe gekotzt hat und du die Band endgültig aus dem Laden schmeißen konntest, war deine Arbeit verdammt nochmal getan. Und jetzt tanzt dein bescheuertes Handy vibrierend über den Nachttisch und zwingt dich frühzeitig aus der Koje. Der Text auf dem Display verheißt nichts Gutes: „Robert (BAND)“. Egal, was Robert (BAND) dir gleich ins Telefon jammert—du wirst bereuen, den grünen Button gedrückt zu haben. „Ja grüß dich, Thomas. Erst mal sorry, dass wir dich wecken, aber wir haben da ein Problem. Oder mehrere. Also unser Auto, das haben wir ja in diesem Parkhaus abgestellt. Da ist jetzt aber wohl zu am Sonntag. Weißt du vielleicht, was man da machen kann? Ach ja und erinnerst du dich noch an die kleine, dicke Rothaarige von gestern? Weißt du, wie die heißt oder wie man die erreichen kann? Wir finden Sven und Alex nämlich nicht mehr. Außerdem haben wir hier noch so einen Rucksack gefunden, der nicht uns gehört und unser Laptop müsste noch bei euch hinter der Bar…“ Wenn du von der altmodischen Sorte bist und ein Telefon mit Strippe hast, herzlichen Glückwunsch! Wickel das Kabel sorgfältig drei mal um deinen eigenen Hals und wirf den Hörer schon mal über die Vorhangstange hinter dir. Wenn das heisere Gejammer des winselnden Musikers gerade allerdings aus deinem Smartphone rauscht, erhebe dich aus deinem Trott, steig in eine frische Hose, stell dich den Problemen des Tages und freu dich schon mal auf das nächste Wochenende, wenn es wieder heißt: „Ja grüß dich, sprech ich da mit dem Veranstalter vom Scharmützel Oberberga? Wir stehen hier grad meeega im Stau.“

Im März liest Captain Ashi live aus seinen Horrorgeschichten:

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