Wie gefährlich ist Fortgehen in Wien wirklich?
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Wie gefährlich ist Fortgehen in Wien wirklich?

Ich habe mit einem Polizeisprecher, Clubbetreibern und Partygängern gesprochen und sie zur momentanen Sicherheitsituation in Wiens Nachtleben befragt.

"Von der Party ins Spital: Ist Feiern noch sicher?" und "Immer mehr Messerstecher – Polizei rüstet auf", sind nur zwei Headlines von vielen, die ich über das Nachtleben in Wien gelesen habe. Der letztgenannte Artikel wurde mittlerweile gelöscht. Ein Grund zur Löschung wurde –auch nach mehrmaliger Nachfrage – nicht genannt. Im Forum der Interessengemeinschaft Liberales Waffenrecht Österreich werden entsprechende Artikel gepostet und eine schwerere Bewaffnung der Polizei gefordert. Auch auf Social Media-Plattformen wie Facebook stößt man in den Kommentarspalten immer wieder auf besorgte Stimmen, die behaupten, dass man sich nachts in Wien nicht mehr (alleine) auf die Straße trauen kann. Wenn von Gewaltexzessen die Rede ist, wird nicht selten die Situation am Gürtel zum Thema. Im "Problembezirk Ottakring" sei es, laut Berichten, mittlerweile schon üblich, dass junge Menschen nicht mehr ohne Bewaffnung aus dem Haus gehen.

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Screenshot aus dem gelöschten Artikel von City4U.

Doch sind Wiens Partygänger wirklich in irgendeiner Art gefährdet oder wird hier nur medial Angst geschürt? Weil wir kurz unseren Alltag vergessen und uns zu bestimmten Anlässen (oder grundlos) die Nächte um die Ohren hauen wollen, müssen wir uns doch keine Gedanken um unsere Sicherheit machen, oder? Ich habe mich mit Polizeisprecher Paul Eidenberger, Clubbetreibern und jungen Nachtschwärmern unterhalten, um mehr über die Sicherheit in der feiernden Hauptstadt zu erfahren.

Subjektives Sicherheitsempfinden versus Kriminalstatistik

Screenshot: Kommentare zu einem Artikel von oe24.at

Die Posts in Foren und diverse Reaktionen auf die Berichterstattung sind ein Indiz dafür, dass das subjektive Sicherheitsempfinden einiger Wiener stetig sinkt. Und das obwohl die Kriminalstatistik des Bundesministeriums für Inneres (BMI) etwas ganz anderes aussagt. Dort geht hervor, dass die Zahl der angezeigten Gewaltdelikte (beziehungsweise Straftaten im Allgemeinen) im Trend rückläufig ist. In den Berichten des BMI wird stellenweise auch von einem "historisch niedrigen Niveau" geschrieben. Auch die Aufklärungsrate angezeigter Delikte steigt stetig. Das bedeutet, dass die Täter nicht ungeschoren davonkommen – was von manchen Kommentatoren auch gerne behauptet wird. Bei 61,5 Prozent der begangenen Taten gab es eine Beziehung zwischen Täter und Opfer. Das relativiert das Geschehene zwar nicht, bedeutet aber, dass die Wahrscheinlichkeit, aus heiterem Himmel von einem Unbekannten attackiert zu werden, eher gering ist. Rein statistisch gesehen, müsste man sich also in Wien keine Sorgen machen, wenn man abends etwas länger unterwegs ist.

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Um mehr über das subjektive Sicherheitsgefühl von Menschen, die ausgehen, zu erfahren, bin ich rausgegangen und habe ein paar junge Leute befragt, die öfters in Wiens Nachtleben unterwegs sind. Rafael (23, Student) wohnt direkt am Gürtel und geht dort auch sehr gerne fort. Auf meine Frage, ob er sich in der Gegend unwohl fühlt, hat er eine ziemlich eindeutige Antwort parat: "Nein, Angst hab ich noch nie gehabt. Ich bin auch noch nie angepöbelt worden oder hab das Bedürfnis gehabt, hinter mich zu schauen, wenn ich in eine dunkle Straße gegangen bin. Ich komme aus Frankfurt und dort schaue ich schon eher, wo ich entlanglaufe oder pass auf mein Portemonnaie auf." Für ihn war genau das ein Grund, nach Wien zu ziehen. Unangenehme Erfahrungen hat er hier noch keine gemacht.

Die ausbleibenden Erfahrungen gewalttätiger Übergriffe bedeuten allerdings nicht, dass es derartige Vorfälle nicht gibt. In dem bereits gelöschten Artikel von City4U wurde außerdem behauptet, dass viele Jugendliche nicht mehr ohne Messer im Sack vor die Tür gehen. Das klang für mich schwer vorstellbar. "Es stimmt, dass die Leute – nicht nur Jugendliche – vermehrt mit eingestecktem Messer aus dem Haus gehen, als das vielleicht vor fünf oder zehn Jahren noch der Fall war. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen das Messer extra dabei haben, um damit jemand anderem einen Schaden zuzufügen", sagt Polizeisprecher Paul Eidenberger. "Ein Messer mitzuführen, ist in Österreich generell nicht verboten. Wenn sich damit jemand beispielsweise eine Wurst zur Jause schneiden möchte, dann soll er das auch bitte machen." Ein großes Problem, dass Eidenberger bei mitgeführten Messern sieht, ist, dass diese bei Amtshandlungen zu einer Gefahr für die Beamten werden können. Wer bewaffnet aus dem Haus geht, hat ja nicht automatisch den Vorsatz, wahllos jemanden damit zu verletzen.

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Screenshot von City4U

Auch Mike Tscholl vom Loft und David Mochida Krispel vom Chelsea – beides Lokale am Gürtel –erzählten mir, dass es äußerst selten zu Übergriffen aller Art kommt. Sie bestätigen mir auch, dass es kaum bis gar nicht vorkommt, dass Gäste bei Durchsuchungen an der Tür bewaffnet sind und man ihnen verbotene Gegenstände abnehmen muss.

Manuel (28, Student) ist jemand, der schon einmal körperliche Gewalt beim Fortgehen erfahren hat. Manuel nimmt die Sache eher locker und lacht darüber, als er mir davon erzählt. "Ich bin mal auf dem Heimweg von zwei Typen zusammengeschlagen worden", erzählt er. "Ich hab mir auf dem Heimweg noch einen Kebab geholt. Dann bin ich dort bei dem Standl gestanden und habe gegessen. Plötzlich sind die Zwei auf mich losgegangen. Ich hab davor kein Wort mit denen gewechselt." Während er mir das erzählt, wirkt er sehr amüsiert. Es ist ihm nicht viel passiert, er hat nur ein paar Schürfwunden davongetragen. Auch bei der Ausführung des Ausgangs der Geschichte, muss er schmunzeln: "Ich bin dann halt am Boden gelegen und hab ein bisschen geblutet. Nachdem ich aufgestanden bin, hat mir der Kebab-Typ noch ein Bier geschenkt und ich bin weitergegangen, haha."

Was, wenn du dich trotz der steigenden Sicherheit unsicher fühlst oder einen Übergriff bemerkst?

Aber was ist, wenn du dich trotz alledem noch fürchtest, wenn du alleine in dunklen Gassen unterwegs bist? Eidenberger rät, eine Vertrauensperson zu fragen, ob sie einen begleiten kann. Auch Samra (24, Studentin) – die gerne beim Schwedenplatz und im Flex unterwegs ist – setzt auf diese Taktik: "Ab und zu hab ich schon ein mulmiges Gefühl, aber ich würde nicht sagen, dass ich Angst habe. Wenn sonst noch jemand dabei ist, den ich kenne, ist das kein großes Ding."

Wenn man alleine unterwegs ist, kann man sich in einer Notsituation an das Sicherheitspersonal wenden. Abseits von Clubs kannst du Passanten auf einen eventuellen Vorfall aufmerksam machen und sie bitten, die Polizei zu verständigen. "Wenn ich alleine fortgehe, weiß ich zwar, dass dort noch andere Leute sind, aber auf die darf man sich nicht primär verlassen, denke ich.", meint Samra. "Wenn ich irgendwelche Situationen beobachte, geh ich auch hin und versuche, einzuschreiten. Das ist irgendwie mein 'bad habit'", erklärt sie mir. Ich bin der Meinung, dass diese Art von Zivilcourage auf keinen Fall als "bad habit" angesehen werden sollte. Es sollte normal sein, dass viel mehr Menschen so reagieren würden, anstatt einfach wegzuschauen.

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Man sollte laut Eidenberger nie zögern, den Notruf zu wählen, wenn man sich von einer Person bedroht fühlt oder eine gefährliche Situation beobachtet. "Die Polizei ist dann spätestens in zwei Minuten vor Ort und sieht sich die Situation an. Auch falls dann nichts sein sollte, ist die Polizei nicht grantig und es wird nichts passieren. Wir fahren dann einfach weiter", sagt Eidenberger. Dass die Polizei nicht grantig wird, wenn sie ihren Beruf ausübt, möchten wir auch irgendwie stark hoffen.

Der Polizeisprecher rät eindringlich davon ab, sich selbst mit Messern, Pfeffersprays oder ähnlichen Dingen zu bewaffnen. Jede Waffe, die man bei sich trägt, könne nämlich im Ernstfall vom Täter gegen einen selbst verwendet werden. Vor allem, wenn man sich nicht wirklich mit der eigenen Bewaffnung auskenne, was laut Eidenberger "in den meisten Fällen so ist."

Samra (24)

Musst du dich jetzt anscheißen, wenn du in Wien fortgehst?

Diese Frage beantwortet der Polizeisprecher mit einem klaren Nein: "Man muss das auch ein bisschen vergleichen und in Relation setzen. Es gibt jedes Wochenende zehntausende Leute, die fortgehen. Wenn man das damit vergleicht, wie oft wirklich Gröberes (Anm.: Messerstechereien und dergleichen) passiert, ist das im Endeffekt wirklich nicht mehr viel." Auch wenn gewisse Medien manchmal (und manchmal auch gerne) was anderes behaupten, ist Wien eine der sichersten Städte der Welt.

Mir stellt sich nun die Frage, warum es manche Medien für richtig halten, der Bevölkerung – egal ob jung oder alt – mit reißerischer Berichterstattung Angst zu machen, beziehungsweise gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu hetzen. Dasselbe gilt für manche Aussagen privater Personen in Foren oder Kommentarsektionen. Letztendlich gießt doch genau das nur Öl ins Feuer und erhitzt die Gemüter noch mehr. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe von – vor allem täglich konsumierten – Medien- und Nachrichtenportalen, die Menschen zu informieren, ohne sie zu verunsichern oder einzuschüchtern. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Meinungen von Menschen immer weiter auseinander getrieben werden, sollte man darauf bedacht sein, eine friedliche, faktentreue Stimmung zu verbreiten. Leider gibt es aber noch immer mehr als genug Medien, die täglich die Ängste ihrer Leser nutzen, um möglichst viele Klicks zu generieren. Sei es durch provokative Headlines oder durch schwindlige Like-Umfragen.

Sandro auf Twitter: @voriboy

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