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Amtlich bestätigt: Raven im Berghain ist Kultur

Das Finanzgericht Berlin-Brandburg hat ein möglicherweise wegweisendes Urteil gesprochen.

Leitkultur, Streitkultur, Willkommenskultur, Fankultur, Hochkultur, Erinnerungskultur, Clubkultur und Joghurtkultur. In Deutschland sind die Einwohner wohl verrückt nach Kultur. Vor 14 Jahren zählte Eckhard Henscheid "Alle 756 Kulturen" in seinem gleichnamigen Buch auf. Mittlerweile dürften noch einige dazugekommen sein. Ganz offiziell als Kultur gilt jetzt auch das Berghain, wie es in aktuellen Meldungen heißt​. Aber wie kam es dazu?

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Seit mehreren Jahren gibt es einen Rechtsstreit zwischen der Berghain Ostgut GmbH und dem Finanzamt Berlin. Grund ist die Besteuerung der Eintrittsgelder der Clubnächte im Berghain. Diese werden mit dem normalen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent veranschlagt, während bei Konzerten in derselben Location nur sieben Prozent abgeführt werden müssen. Nach dem Umsatzsteuergesetz § 12 Abs. 2 Nr. 7 gilt der er­mä­ßig­te Um­satz­steu­er­satz lediglich für "die Ein­tritts­be­rech­ti­gung für Thea­ter, Kon­zer­te und Mu­se­en so­wie die den Thea­ter­vor­füh­run­gen und Kon­zer­ten ver­gleich­ba­ren Dar­bie­tun­gen aus­üben­der Künst­ler". Konzerte gehören demnach zur Kultur, die aufgrund ihres besonderen Wertes für die Bildung steuerlich entlastet wird. Ein DJ-Set in der Panorama Bar dient hingegen nur der Unterhaltung, so die gängige Auffassung.

Die Betreiber des Berghains sehen das aber anders. Bis 2008 führten sie nicht nur für Konzerte, sondern auch für die Clubnächte den geringeren Steuersatz ab, bis ihnen das Finanzamt das untersagte und eine Nachzahlung forderte. Dagegen klagte das Berghain und bekam nun Recht.

Hinter der steuerrechtlichen Frage verbirgt sich wieder die beliebte Frage: Was ist Kultur? Für die Verhandlung bestellt das Gericht eigens Tobias Rapp als Gutachter ein. Dessen Buch "Lost and Sound. Berlin, Techno und der Easyjetset" galt dem Berliner Finanzamt nämlich als argumentative Grundlage für die steuerliche Bewertung des Berghain im Jahre 2008, wie Rapp im Nachgang des Prozesses nun schrieb.

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In seiner Begründung schrieb das Finanzamt damals, dass ein DJ-Set kein Konzert sei, weil es keine Bühne gebe und die Musik keinen Anfang und kein Ende habe. Außerdem klatsche das Publikum nicht und man könne vorher keine Eintrittskarte kaufen, weil die Besucher erst am berühmt-berüchtigten Türsteher vorbei müssen. Tobias Rapp argumentierte in seinem Gutachten, dass im Berghain sehr wohl gejubelt und geklatscht werde. Und wie man reinkomme, sei für die Frage nach dem Kulturcharakter der Veranstaltung egal. Die meisten Besucher kämen wegen der Musik ins Berghain und die "Kreativi­tät ei­nes DJs beim Mi­xen von Mu­sik ent­spricht der ei­nes Di­ri­gen­ten."

Vor dem Fi­nanz­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg in Cott­bus ließen sich die Richter von Zeugen beschreiben, wie eine Nacht im Berghain für gewöhnlich abläuft: "Wie ver­hal­ten sich die Leu­te beim Zu­hö­ren?", "Was macht eigentlich ein DJ?" oder "Er­zäh­len Sie doch bit­te et­was über die so­ge­nann­ten Dar­krooms." Eine Vertreterin des Finanzamtes fragte, was der Zweck der Musik im Berghain sei. Ihre These: Sie dient dem Rausch und dem Tanzen. Damit handele es sich eindeutig um Unterhaltung und nicht um Kultur. Der Anwalt des Berghains sah das auch so. Seine clevere Ergänzung: Ein Konzert von Gustav Mahler könne bei einem Menschen allerdings das gleiche bewirken. Offenbar folgten die Richter am Finanzgericht Berlin-Brandenburg seiner Argumentation und gaben der Klage des Berghains statt.

Möglicherweise wurde mit dem Urteil des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg ein Präzedenzfall geschaffen. Andere Clubs könnten nun gute Chancen haben, einen großen Batzen Geld einzusparen. Elektronische Musiker könnten nun außerdem die Diskussion um den Verteilungsschlüssel der GEMA neu aufrollen. Diese unterscheidet nämlich nicht nur in westlicher Tradition nach ernsthafter und unterhaltsamer Musik (bekannt als E- und U-Musik). Sie bezahlt auch Künstler, die E-Musik machen, anteilig höher als Unterhaltungsmusiker.

"Es ist nun also of­fi­zi­ell: Tech­no ist Kul­tur", schreibt Tobias Rapp. Ist das nun gut oder schlecht? Manch besorgter Berghainjünger wird jetzt wahrscheinlich wieder das Ende seiner Subkultur heraufbeschwören und engstirnige Verfechter eines konservativen Kulturbegriffs auf der anderen Seite entrüstet die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Klar ist, dass die Diskussion zwei besonders deutsche Absurditäten zusammenbringt: das undurchsichtige Steuerrecht und den Kulturfetisch.

Header | Steuerrechtlich Kultur: das Berghain | Foto: Imago