Mit Die Achse nach Hong Kong Teil 1: Vom brachialen The Streets-Gig direkt in den Flieger
Alle Fotos: Phillip Kaminiak

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Mit Die Achse nach Hong Kong Teil 1: Vom brachialen The Streets-Gig direkt in den Flieger

Eben saßen wir noch mit den beiden Produzenten Farhot und Bazzazian im Backstage und schon sind wir auf dem Weg zum Videodreh in China.

Der Heimathafen in Berlin-Neukölln, ein lauer Frühlingsabend. Vor der Tür drängeln sich aufgeregte Menschen, die stolz ihre Billets umklammern. Flehende Blicke von kaufwilligen Kartensuchern streifen mich. Ich schaue auf den Boden, ihr Leid ist nicht mein Problem, ich habe mein Ticket. Wie Aussätzige streifen sie zwischen den Besuchern umher, doch niemand bietet ihnen Erlösung. Auch ich nicht, ich hab schließlich eine Aufgabe. Der Durchschnittsbesucher ist hier, weil Mike Skinner aka The Streets sich heute Abend die Ehre gibt und kauft am Merchandise-Stand Feuerzeuge mit dem Streets-Emblem für fünf Euro. Doch im Innenraum wird die Bühne des Theatersaals erst einmal von einem anderen Logo beherrscht. Riesengroß prangt eine Weltkugel und folgende Worte über dem aufgebauten Equipment: "Die Achse".

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Im Backstage sitzen die beiden Männer, deren Schriftzug gerade im dicht gefüllten Saal zu sehen ist. Ihnen wurde gesagt, dass die Knoppers auf dem Buffettisch nur für Mike Skinner sind und genau deshalb greift einer von ihnen sofort in die verbotene Schale und steckt sich ein paar der Schokowaffeln ein. Abends, halb zehn in Deutschland. Apropos Deutschland. In knapp zwei Wochen wird ihre erste EP erscheinen: Angry German. Gibt es einen Grund für den Titel? "Der Grund liegt doch auf der Hand", sagt der mit den Knoppers in der Tasche. Kein weiterer Kommentar. Wer die beiden Musiker sind, das weiß man gerade noch so. Alle weiteren Infos muss man sich hart erarbeiten. Die Musik ist hier eindeutig der bessere Interviewpartner.

Heute eröffnen sie den Abend, es ist einer ihrer ersten gemeinsamen Live-Gigs. Einer der beiden ist Farhot. Der Produzent mit dem bürgerlichen Namen Farhad Samazada muss in Deutschland eigentlich niemandem vorgestellt werden. Neben seinen Arbeiten für Nneka, Talib Kwali, Die Fantastischen Vier, Curse oder Selah Sue hat er sich spätestens durch die brachiale Beat-Landschaft von Haftbefehls "Chabos wissen wer der Babo ist" ein Denkmal gesetzt. Der andere heißt Bazzazian. Ehemals unter dem Namen Benny Blanco aktiv, produzierte er unter anderem musikalische Meilensteine wie Azads Faust des Nordwestens oder Russisch Roulette von Haftbefehl. Alben die jeglichen Trend überdauern werden, gemacht für eine halbe Ewigkeit.

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Farhot & Bazzazian sind Die Achse und die wollen nicht nur spielen

Im Publikum hat man sich inzwischen mit Bier eingedeckt und plaudert munter vor sich hin. Mittvierziger mit grauen Schläfen treffen auf Dreißigjährige, die noch nicht realisiert haben, dass sie keine Zwanzig mehr sind. Mit Zehn saßen sie vor dem Fernseher und warteten darauf, dass Heike Makatsch oder Mola Adebisi auf VIVA ihr Lieblingsvideo anmoderierten. Jetzt sind sie hier und wollen etwas von diesem Gefühl der Jugend zurück, abseits der Hiobsbotschaften der Generation Null. Ein wenig in Erinnerungen schwelgen, damals, als alles noch besser war und man sich keine Sorgen machen musste. Man tauscht sich über neueste Indie-Entdeckungen oder vergangene Konzerte aus. Warten auf das Unerwartete.

Ohne Vorwarnung betreten Farhot und Bazzazian die Bühne, der Beat setzt ein, das Plaudern verstummt. Bereits nach wenigen Sekunden wird den Anwesenden klar: Die wollen nicht nur spielen. Der brachiale, progressive Sound, die teils verstörenden, teils anmutigen Visuals, die Tonwellen die über die Zuhörer hereinbrechen, lassen keine vage Haltung zu. Entweder ganz oder gar nicht. Hate it or love it. Das hier hat nichts zu tun mit den üblichen Klangbildern, vielmehr erinnert der Auftritt an eine Mischung aus den Einstürzenden Neubauten, Kraftwerk, Gorillaz, Kanye West und irgendwas Neuem, nicht Definierbarem. Die Anleihen stammen aus sämtlichen Musikrichtungen, egal ob HipHop, Metal oder Dancehall, und dienen nur einem Zweck: dem unbedingten Willen, nach vorne zu gehen.

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Eine gute halbe Stunde lang gibt es kein Entkommen, keine Ausflüchte. Die Achse stehen mit ihrem Sound ganz offensichtlich für eine aggressive Gegenbewegung zur beruhigenden Dauerberieselung der Musikindustrie. Während in der aktuellen Musiklandschaft der Ist-Zustand das Höchste der Gefühle ist, die vermeintliche Sicherheit des Jetzt als bewahrenswert gilt, wird hier zerstört. Soundflächen, Ästhetik, Grafik – nichts ist sicher. Denn die Lust der Zerstörung ist eine schaffende Lust. Der Mensch ist zur Vollkommenheit nur bei Zerstörung fähig, so formulierte es der Schriftsteller Erhard Blanck. Wenn Zerstörung auch noch neue Räume schafft, ist das Ideal erreicht. "Hate You, Hate You, Hate You!", dröhnt es aus den Boxen im Heimathafen.

"Wir fliegen nach Hong Kong. Ich dachte, du kommst mit?"

Nach dem Gig sind die beiden entspannter. Niemand hat den Knoppers-Diebstahl bemerkt und der Auftritt lief gut. Ich mache mich an die üblichen Reporter-Fragen. Was denn so ansteht. Wo man so hin will. "Hong Kong", sagt Farhot. "Wir fliegen nach Hong Kong. Ich dachte, du kommst mit?" Tatsächlich hatte die Band mich eingeladen sie zu begleiten, aber wer glaubt schon, dass das dann wirklich klappt? Ich habe gelernt, erst an solche Versprechen zu glauben, wenn ich im Flieger sitze. In diesem Moment kommt das Flugticket auf meinem Handy an. Jackpot! Im Hintergrund spielt längst Mike Skinner. Als er ins Publikum springt, bepöbelt er einen Security, der ihn vorsichtig aber bestimmt in Richtung Bühne zurückdrängt. Herrlich, diese Briten. Und ich fliege jetzt also nach Hong Kong, in die ehemalige britische Kolonie. Das bedeutet wiederum, dass ich vielleicht aufhören sollte zu trinken, in wenigen Stunden geht der Flug. Quasi direkt vom Konzert in den Flieger und dann in eine andere Welt. Insgesamt 17 Stunden im Flugzeug.

Die Millionenmetropole, inzwischen zur Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China mutiert, scheint dem Kollektiv gerade gut genug, um als Kulisse für ihr neuestes Video herzuhalten. Gibt es denn einen Plan? "Lass dich überraschen. Es wird von der Grundidee ein bisschen wie das letzte Mal. Nur ganz anders und mal tausend", sagt Chehad Abdallah, Regisseur der Achse-Videos und generell für alles Visuelle bei der Band zuständig. Das letzte Mal? Sofort denke ich an das kürzlich erschienene "Hate You"-Video, in dem eine vermummte Person geschlagene vier Minuten Häuserfassaden, Polizeiautos und U-Bahnhöfe bemalt, eine einzige, verbundene Linie aus einer Sprühdose. Kreativität durch Dekonstruktion. Eventuell sollte ich doch weitertrinken. Antworten bekommt man hier, wenn überhaupt, nur direkt auf dem Silbertablett in die Fresse geworfen. Das Mysterium der Kombo wird jedenfalls weiter aufrechterhalten.

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Wenige Stunden später sitze ich im Flieger nach Hong Kong. Ein Blick in das mitgebrachte Equipment der Filmcrew lässt mich erstmals an den Absichten der Beteiligten zweifeln. Ein paar Laptops, eine Drohne, Zangen und Bolzenschneider. Was haben die vor? Wo sind die Cheerleaderinnen, die Felgen und Moët-Flaschen? Keine Antwort. Links von mir sitzt Farhot, eingewickelt in Kopfhörer und eine Decke. Er erzählt mir, wie er Bazzazian über die Arbeit für Haftbefehl traf und die beiden irgendwann bemerkten, dass der Vibe zwischen ihnen stimmt. Ganz abgesehen davon, dass sie jeweils Fan des anderen waren und sind. "Erst viel später habe ich dann mal rausgefunden, dass der Typ eins meiner Lieblingsalben produziert hat: Haftbefehls Azzlack Stereotyp. Hätte der mir ja auch mal sagen können." Ich nicke. Hätte er wirklich. Rechts sitzt ein junger Mann, der sich als Captain Olf vorstellt. Ist er der Kameramann? Oder ein Setrunner? "Eher letzteres", schmunzelt er. Nun gut, dann warte ich eben ab. Drei Rotwein und ein paar schlechte Bord-Filme später träume ich über den Wolken, ohne zu ahnen, das mich Rooftopping, Ladyboys und Filmrisse erwarten würden: Berlin – Hong Kong. Die Achse des Unwissenden.

Morgen erscheint der zweite Teil des Hong Kong-Trips, Freitag dann das dort gedrehte Video zu "Angry German".

Bis dahin solltet ihr Die Achse auf Facebook und Instagram folgen. Die 'Angry German' EP könnt ihr HIER vorbestellen.

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