Wir haben Millenials interviewt, die Musik nicht so mögen, wie der Rest der Welt
Credits: Lina und Paul

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Wir haben Millenials interviewt, die Musik nicht so mögen, wie der Rest der Welt

"Ich hab erwähnt, dass Musik für mich nicht so wichtig ist. Sie hat 'Du tust mir leid' gesagt, ist aufgestanden und gegangen."

Wir leben in Zeiten, in denen fast jedes Tinder-Profil die heiligen drei Hobbys auflistet: Musik, Reisen und Freunde treffen. Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass die Originalität bei diesen Hobbys ein bisschen auf der Strecke bleibt: Ja, Samuel, Freunde treffen mag ich auch ganz gern, genauso wie der Rest der Welt. Ich musste aber letzte Woche einsehen, dass Musik doch auch nicht die Vorliebe von allen Menschen auf dieser Welt ist. Somit ist Samuel wieder im Rennen für den Seelenverwandten-Award.

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Aber wie geht das? Bei der Fülle an Musikrichtungen, die uns jederzeit zur Verfügung stehen, muss man Musik doch mögen. Außerdem ist ein nicht unbedeutender Teil der Sozialisation im Teenager-Alter gerade für Millenials über Musik gelaufen: Ob Emo, Krocher, Punkrocker oder HipHopper – Musik war ein essenzieller Bestandteil von Gruppenzugehörigkeit. Wir haben mit Menschen gesprochen, die Musik tatsächlich nicht als wichtigen Teil ihres Alltags bezeichnen. Spannend: Fast jeder Befragte wollte anonym antworten – aus Angst vor Hate.

Paul*, (27), Embedded Entwickler

Foto von Paul

Noisey: Wie würdest du dein Hörverhalten beschreiben?
Paul: Ich habe so gut wie nie das Bedürfnis, Musik zu hören. Ich komme sehr gut ohne klar. Einen iPod habe ich zwar, aber den benutze ich schon seit Jahren nicht mehr zum Musik hören. Viel eher höre ich damit Hörbücher, Podcasts oder andere Formate, die mir irgendwas beibringen oder lehren.

Also Musik in dem Sinn hörst du gar nicht?
Bei sehr monotonen Tätigkeiten, bei denen ich nicht denken muss, drehe ich mir schon was auf, damit es nicht so langweilig ist. Aber wenn es anstrengende Denktätigkeiten sind, find ich es oft hinderlich und muss sie abdrehen. Ich bin aber kein musikhassendes Ungustl. Es gibt viele Lieder und Alben, die mir gut gefallen und die hör ich mir auch ab und zu an. Aber eigentlich nur vereinzelt, weil es mir grad einfällt, dass es ja mal dieses coole Lied gab. Aber es stört mich absolut nicht, wenn ich mal wochenlang keine Musik hören würde oder könnte.

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Wieso hörst du nicht so gern oder nicht so viel Musik?
Ich denke, dass es mit der Erziehung zu tun hat. Bei meinen Eltern zuhause läuft und lief zwar immer Musik – immer Ö3 –, aber sie haben nie aktiv Musik gehört, die sie gut fanden. Es wurden nie CDs oder so abgespielt. Aber: Mein Bruder hört schon immer sehr viel Musik und geht auch auf Konzerte. Da unterscheiden wir uns sehr stark. Ich gehe schon gerne auf Festivals, habe aber nie Spaß vor der Bühne.

OK, was heißt, du hast keinen Spaß vor der Bühne?
Manchmal kaufe ich mir nicht mal ein Festivalticket und bleibe einfach am Camping-Platz. Und beim Fortgehen ist mir alles andere wichtiger als die Musik. Ich habe sieben Jahre Schlagzeug und Klavier gespielt. Da ging es aber tatsächlich mehr um Aufmerksamkeit, denke ich. Eine riesige Leidenschaft hat sich da nie entwickelt. Und ich sing gern Karaoke. Das hat aber wieder nichts mit einer Leidenschaft für Musik zu tun, sondern weil ich schon ganz gern im Rampenlicht stehe und auch wieder für meine Performance bewundert werden will.

"Ich hab erwähnt, dass Musik für mich nicht so wichtig ist und ich auch gut ohne leben kann. Sie hat "Du tust mir leid" gesagt, ist aufgestanden und gegangen."

Musik wird ja auf Tinder als Hobby angepriesen und hat bei jungen Menschen meistens einen hohen Stellenwert. Hast du schon komische Reaktionen auf deine Einstellung zur Musik bekommen?
Ich war einmal im Werk (Anm: einem Club in Wien) und hab mich mit einer Frau gut unterhalten. Irgendwann kam Musik als Thema auf und ich habe erwähnt, dass Musik für mich nicht so wichtig ist und ich auch gut ohne leben kann. Sie hat "Du tust mir leid" gesagt, ist aufgestanden und gegangen. Ich musste lachen. Ich tu mir nicht leid.

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Was wünschst du dir von der Gesellschaft? Spürst du Druck, Musik mögen zu müssen?
Jeder soll machen, was er will, aber bitte nicht andere dafür verurteilen, weil ihnen was anderes gefällt. Ich habe dafür andere Interessen. Was die anderen denken, ist mir egal.


Musiker und ihr Sommer:


Lina*, 25, Social Editor

Wie gestaltet sich dein Hörverhalten ?
Lina: Ich höre halt wenig Neues und ich bin auch ur schnell von Musik genervt. Ich mag keine hohen, schrillen Töne – da fällt schon viel weg. Ich mag Stille. Und dann hör ich halt paar Lieder, die ich seit Jahrzehnten immer wieder sehr intensiv höre, weil ich damit viele Erinnerungen verbinde. Aber es fällt mir schwer, mit neuer Musik zu connecten. Ich habe auch selten Lust, aktiv danach zu suchen und brauche auch lange, um in ein Lied reinzukommen. Erst nach zehn Mal hören weiß ich, ob ich es mag und ob es in meine sehr enge Auswahl von Liedern, die ich sehr selten aber immer wieder höre, kommt. Weißt du, warum du nicht so gern und nicht so viel Musik hörst?
Teilweise is es mir auch einfach irgendwie zu viel Reizüberflutung. Ich versuch auch oft Klassik zu hören, weil ich mir denke, dass es nicht so stressig ist. Aber da sind so viele hohe Töne dabei. Ich bin sehr wählerisch, wenn es um Musik geht: Tiefe Töne ohne Gesang mag ich. Mit Gesang an sich tu ich mir immer schwer. HipHop geht leichter, aber da connecte ich eher über den Text und nicht über die Musik. Ich kann auch nicht gleichzeitig lernen oder lesen und Musik hören, es ist mir zu viel. Keine Ahnung, wie das alle machen.

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Wie geht's in einer Gesellschaft voller Musik-Liebhaber?
Es is so ein beschissenes Prestige-Ding mit der Musik. Alle machen immer so auf Musik-Snobs und ich hasse es ur. Nur weil du Geräusche in deinem Ohr magst und ich die Stille, macht dich das nicht zu einem höheren Wesen, Arschloch.

"Immer wenn mich wer 'Was hörst du?' fragt, kriege ich einen Schweißausbruch."

Was wünscht du dir von der Gesellschaft? Spürst du Druck, Musik mögen zu müssen?
Immer wenn mich wer "Was hörst du?" fragt, kriege ich einen Schweißausbruch. In der Arbeit habe immer große Kopfhörer an und mein Kollege meinte mal, dass ich sicherlich gute Musik damit höre. Aber ich habe sie eigentlich, damit meine Ohren warm bleiben und ich in Stille arbeiten kann. Ich finde dieses Interview wichtig, da endlich Menschen wie ich repräsentiert werden.

Klara*, 24, Studentin

Wie ist dein Hörverhalten so?
Klara: Wenn ich alleine zuhause bin, höre ich eigentlich so gut wie nie Musik. Ich höre meistens Hörspiele, aber ich wohne auch alleine. Ich höre aber auch die nur aufgrund von Hintergrundgeräuschen.

Falls du doch ab und an Musik hörst: In welchen Situationen und welche?
Beim Laufen ab und zu, aber da höre ich einfach die aktuellen Charts, weil mich bei sowas Hörspiele doch etwas irritieren. Beim Putzen höre ich gerne The Clash. Seit wann, würdest du sagen, hörst du nicht so gern oder nicht so viel Musik, wie der Rest der Welt?
So mit 13 und 14 habe ich wahnsinnig viel Musik gehört, vor allem so Zeug aus der Zeit, als Punk gerade bekannt wurde. Aber meine Eltern sind beide nicht sonderlich musikalisch, also habe ich einfach nie diese Leidenschaft für Musik vom Elternhaus mitbekommen, denke ich. Ich mag es auch lieber, wenn keine Musik läuft, wenn ich mich mit Leuten unterhalte. Auch von zu lauter Musik in Lokalen bin ich sehr schnell genervt. Es irritiert mich einfach, vor allem wenn ich dem Ganzen nicht gezielt meine Aufmerksamkeit schenke. Live-Konzerte finde ich dafür wieder ganz cool, besonders im kleinen Rahmen.

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"Ich hatte eine Zeit lang was mit einem Musiker, der damit gar nicht klargekommen ist, dass mir Musik halt nichts gibt."

Hast du schon komische Reaktionen auf deine Einstellung zur Musik bekommen?
Leute sind meistens etwas irritiert. Ich hatte eine Zeit lang was mit einem Musiker, der damit gar nicht klargekommen ist, dass mir Musik halt nichts gibt. Also wenn dann jemand bei mir zuhause ist, will ich wirklich keine Musik hören, auch bei meinen Eltern stört mich diese permanente Beschallung vom Radio.

Fühlst du einen gewissen gesellschaftlichen Druck?
Nein gar nicht, manchmal ist es mir dann halt etwas peinlich, wenn ich irgendwelche modernen Lieder oder Interpreten nicht kenne, aber auf der anderen Seite wissen viele Menschen auch nicht über Sachen, die mich interessieren bescheid. Ich finde, dass Musik hören ein etwas langweiliges Hobby ist, wenn man selber Musik macht, ist das wieder was anderes. Aber ich bin sehr gerne außerhalb des Hauses unterwegs und da scheint mir Musik hören als etwas zu passiv.

Teo, 29, Angestellter

Foto von Teo.

Wie hörst du Musik im Gegensatz zu deiner Umgebung?
Teo: Also ich höre nicht ungern Musik – ich hasse es nicht oder so – aber im Vergleich zu meinen Freunden merke ich, dass es mir nicht so wichtig ist, wie anderen Menschen. Ich habe einfach nicht den Zugang dazu. Ich "fühle nicht mit" – Konzerte geben mir nichts. Schon allein deswegen, weil ich mich mit keinem Künstler so arg identifizieren kann, dass ich sagen würde, ich bin ein Fan von ihm, ihr oder der Gruppe. Mir gefällt meistens nur ein Lied von einem Act und nie alle Songs.

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Und wenn dir Songs gefallen, welche sind das?
Der weitere Grund, warum ich kein großer Musikfan bin: Ich kann Querbeet alles hören. Egal ob Deutschrap, HipHop, R'n'B, klassische Musik, Rock oder türkische Musik. Deswegen bin ich in meinem Freundeskreis einfach nur der Radiohörer.

"Wenn jemand in mein Auto einsteigt, verbinden sie generell sofort ihre Handys, um ihre Musik abzuspielen – weil ich ja nur Scheiße höre."

Wie reagieren Menschen auf dich und dein Anti-Hobby?
Ich werde "Radiohörer" genannt. Ich muss damit leben. Wenn jemand in mein Auto einsteigt verbinden sie generell ihre Handys, um ihre Musik abzuspielen – weil ich ja nur Scheiße höre.

Isabella*, 25, Studentin

Wie hörst du Musik?
Isabella: Gar nicht. Manchmal werde ich von Freunden auf Konzerte mitgenommen, sonst unfreiwillig im Club. Am Weg zur Uni lese ich lieber Zeitung und beim Vorglühen und auch im Club unterhalte ich mich lieber. Ich bekomme Brechreiz, wenn jemand seine Gitarre auspackt und diese schnulzigen Songs spielt, was ja leider in meiner Umgebung sehr oft passiert.

Wieso interessiert Musik nicht? Interessiert doch irgendwie fast alle Menschen!
Ja, das stimmt schon und oft wird mir eh passable Musik gezeigt. Aber ich finde, dass das eine stupide Beschäftigung ist. Einfach eine Flucht vor dem Nachdenken. Es gibt schon Situationen in denen Musik wahrscheinlich passt, zum Beispiel bei depressiven Verstimmungen, aber meistens ist sie nur dazu da, damit man seine eigenen Gedanken nicht hört. Ich versuche sehr, nicht Gesellschaftstrends zu verfallen, die meiner Meinung nach potenziell zur Dummheit führen. Deshalb habe ich auch keine Social Media-Accounts. Meine Interessen liegen einfach ganz wo anders. Als Jugendliche wollte ich schon dazu gehören, aber da war der Musikgeschmack eh katastrophal. Good Charlotte und so ein Scheiß.

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"Ich versuche sehr, nicht Gesellschaftstrends zu verfallen, die meiner Meinung nach potenziell zur Dummheit führen."

Auch nicht klassische Musik? Sie hat ja den Ruf intelligent zu sein.
Nein, für mich ist das Musik hören an sich nicht intelligent. Ganz egal, ob man seinen Kopf mit klassischer Musik oder Pop – der ja ähnlich komplex sein kann – ausschaltet, man schaltet seinen Kopf aus. Ich will nicht versnobt klingen: Für mich ist das eben nichts, weil es mich ablenkt. Ich glaube sofort Menschen, die sagen, dass Musik ihnen hilft oder sie zum Nachdenken anregt. Außerdem ist es bei dem Überangebot für mich richtig anstrengend, Musik zu finden, die mir auch gefällt.

Und wie reagiert deine Umgebung auf diese Haltung?
Beschissen. In meinem Freundeskreis sind viele Vinyl-Hörer und Menschen, die Musik wirklich lieben – deshalb lande ich relativ oft auf Konzerten – aber sie können mich nicht nachvollziehen. Manche versuchen, mich zu bekehren. Es erinnert mich ein bisschen an die Kommunikation von Veganern mit Fleischessern. Oder an die Zeugen Jehovas. Auf jeden Fall geht es bei manchen in Richtung Mobbing. Viele sind auch beleidigt, wenn ich Musik hören als stumpfsinnig bezeichne, weil sie ja gern Musik hören und sich somit als stumpfsinnig bezeichnet fühlen.

Fremden Menschen sage ich nicht mehr, dass ich es dumm finde. Ich nenne einfach random Künstler, die mir einfallen. Es gibt also Menschen auf der Welt, die von mir denken, dass ich Britney Spears höre. Und wenn ich Dates habe, dann versuche ich ehrlich zu sein, aber es nervt, da dann im gesamten Date nur ein Thema besprochen wird : Wieso ich keine Musik höre.

Was würdest du dir von der Gesellschaft wünschen?
Naja, grundsätzlich Akzeptanz gegenüber individuellen Präferenzen. Warum muss ich Musik hören? Es ist so, wie wenn man auf einer Party sagt, dass man nichts trinkt. Es stört doch dein Trinkverhalten nicht, warum muss man mich dann zwingend auch in diesen Bann ziehen? Und: Bitte hört auf "Wonderwall" auf der Gitarre zu spielen.

*Name von der Redaktion geändert

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