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Interviews

Egopusher brechen auf ihrem Debütalbum mit Geige und Schlagzeug musikalische Normen

Das Zürcher Duo macht mit seinem Debütalbum 'Blood Red' den Spagat zwischen verdrecktem Technoclub und Feuilleton. Wir haben Egopusher zum Interview getroffen.
Foto: Pressebild

Egopusher haben mit ihrem Debütalbum Blood Red seinen Sound gefunden: Während die einzigartige Kombination aus Geige und Schlagzeug auf der ersten EP Egopusher noch brachial und etwas zu experimentell wirkte, gehen Tobias Preisig (Geige) und Alessandro Giannelli (Drums) jetzt musikalisch durchdachtere Wege. Synthesizer und digitale Beats gesellen sich zu den bereits bekannten Zutaten der beiden Berufsmusiker und machen das Album, das diesen Freitag erscheint, so zu einer spannenden Mischung aus improvisierten Jamsessions und monotonen, technoiden Clubsounds. Blood Red ist mal eine futuristische, mal eine sphärische, mal eine düstere und mal eine epische Reise und könnte hervorragend in den Soundtrack von Blade Runner 2049 passen. Diese Platte vereint den Drang, die Nacht durchzutanzen und gleichzeitig musikalische Normen herauszufordern und zu brechen. Egopusher macht Post-Techno, Post-Jazz, Post-Rock. Ich habe Tobias und Alessandro kurz vor dem Release von Blood Red getroffen.

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Der erste Treffer auf Google nach eurer Webseite und euren Social-Kanälen ist ein NZZ -Artikel zur Debüt-EP. Das bringt mich direkt auf die Frage, ob ihr mehr Feuilleton oder mehr Underground seid – mehr elitärer Jazz- oder mehr verdreckter Technoclub?
Alessandro: Wenn ich auswählen könnte, mehr das Zweite. Wir sind nicht elitär, oder?
Tobias: Nein, sicher nicht. Generell ist es uns eigentlich egal. Ich meine, es ist schön, wenn ein NZZ-Leser auf uns kommen darf, aber auch wenn wir im Untergrund passieren.

Wieso funktioniert Egopusher auf beiden Ebenen?
Alessandro: Ein Ding ist sicher unsere Kombination der Instrumente, die etwas sehr Spezielles ist und die du weder im Club noch im Alltag siehst oder hörst. Deswegen, denke ich, interessierts eben auch Menschen aus der Kunstszene. Aber wir haben etwas daraus gemacht, was auch im Club funktionieren kann.

In besagtem Artikel wird eure Debüt-EP damit umschrieben, dass sie der perfekte Soundtrack für die Apokalypse sei. Findet ihr, diese Beschreibung passt heute noch?
Tobias: Ich glaube, wir haben uns schon weiterentwickelt. Am Anfang waren es eben nur die Geige und das Schlagzeug, wodurch wir sehr viel – und vor allem physische – Energie in die Musik reingesteckt haben. Deswegen wurde es auch immer schnell dark. Mittlerweile ist es nicht mehr der Zirkusgeiger, der wahnsinnig zeigt, was er kann, oder der Schlagzeuger, der damit angibt, was er kann. Wir haben angefangen, mehr zu produzieren und die Songs auf dem Album sind überlegter oder reflektierter, weniger wie das apokalyptische Vollgas-Kopf-durch-die-Wand.
Alessandro: Aber Soundtrack ist es immer noch, würde ich sagen.

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Liegt das daran, wie ihr an dem Album gearbeitet habt. Beziehungsweise: Wie habt ihr überhaupt an dem neuen Album gearbeitet?
Alessandro: Wie bei der ersten EP kommt eigentlich alles aus der Improvisation heraus. Bei unseren Proben haben wir immer alles aufgenommen und daraus sind dann Songs entstanden. Jetzt haben wir aber recht lange nicht in derselben Stadt gewohnt – ich eine Weile in London, Tobias in Berlin. Wir haben uns dann immer über unseren gemeinsamen Google-Drive-Ordner ausgetauscht. Wir haben jeweils unsere Impro-Sessions aufgemacht und versucht, daraus etwas zu basteln, sind dann wieder zusammengekommen und habens live gespielt und dann im Studio aufgenommen.
Tobias: Vorher haben wir eigentlich alles zusammen improvisiert und daraus einen Song entwickelt. Jetzt haben wir je individuell daran gearbeitet, ohne dabei physisch zusammen sein zu müssen. Das war schon eine Herausforderung aber auch eine spannende Erweiterung unserer musikalischen Sprache. Es gab natürlich Momente, in welchen der eine zu sehr in eine Richtung gegangen ist und der andere in die andere, aber es hat sich schlussendlich natürlich angefühlt. Wenn man sich jetzt das Endresultat anschaut, merkt man, dass es sehr organisch zusammengewachsen ist.
Alessandro: Der grosse Unterschied zur EP war auch noch, dass wir damals viel zusammen geprobt und Gigs gespielt haben und irgendwann fanden: Das, was wir können, müssen wir auf Platte bringen. Jetzt war es komplett umgekehrt.

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Dass ihr explizit ein Album machen wolltet.
Tobias: Genau. An die EP sind wir eigentlich wie an eine Jazz-Platte herangegangen. Wir sind ins Studio und haben sie in drei Tagen eingespielt. Zwei, drei Edits, that's it. Das Album haben wir mehr produziert.
Alessandro: Jetzt müssen wir es wiederum live umsetzen.

Aber hat euch bei der Arbeit übers Internet nicht die zwischenmenschliche Ebene gefehlt? Konntet ihr herausspüren, was der andere machen wollte?
Tobias: Wir kennen uns mittlerweile extrem gut. Seit drei, vier Jahren sind wir extrem intensiv im Austausch. Während wir am Album gearbeitet haben, sind wir – auch wenn der eine London und der andere in Berlin war – weiterhin in Kontakt geblieben, haben viel telefoniert, uns gegenseitig besucht und uns wieder in Zürich getroffen. Wenn man sich für zwei Jahre nicht sieht und jeder an seinem Zeug rumbastelt, kann das nicht funktionieren.
Alessandro: Dann gäbe es zwei verschiedene Platten.
Tobias: Eine A- und eine B-Seite.

Wie würde sich die Seite A von Seite B unterscheiden? Was macht euch beide aus?
Alessandro: Ich arbeite zu safe und denke in Kästchen. Und Tobias bringt immer wieder das Freche.
Tobias: Ich bin der Störenfried, der Träumer.

Auf dem Album seid ihr viel elektronischer geworden. Woher kommt das?
Tobias: Ich habe das Gefühl, das hat sich für uns sehr natürlich ergeben, weil wir plötzlich in Clubs wie der Zukunft morgens um 2 Uhr gebucht wurden oder auf einer grossen Bühne spielen konnten. Da haben wir gemerkt, dass es extrem gut funktioniert und ankommt, wenn es elektronischer wird. Unsere Musik ist oft mit den Orten gewachsen, an denen wir aufgetreten sind, weil wir auch manchmal improvisierte Elemente in unseren Shows haben. Wir haben uns im Prozess zum Album viele Samples hin- und hergeschickt. Ich habe jeweils auch irgendwelches Zeug aufgenommen, das weit weg von einem Song oder einem Plan war. Bei den ersten zwei ist Alessandro vielleicht nicht eingestiegen und beim Dritten kam dann: Woah, das ist supergeil, das hat mich grad inspiriert, um etwas Anderes zu machen. So ging es immer hin und her. Darum kann man auch gar nicht sagen, wie jetzt das Elektronische reingekommen ist.
Alessandro: Es passiert auch einfach manchmal spontan, wenn wir im Übungsraum sind. Da ist es auch mal so gewesen, dass wir einen Song in drei Stunden komplett umgemodelt haben. Unsere aktuelle Single "Flake" zum Beispiel klang vorher ganz anders.
Tobias: Es war so ein elegisches free-of-time Rubato-Stück von mir. Dann hat Alessandro mal einen Beat und verschiedene Harmonien dazu gespielt und plötzlich wurde es zu einem Song, der jetzt unsere Single ist – und alles ist in einem Tag entstanden, während andere Songs über Monate wachsen.
Alessandro: Manchmal gibt es einfach diese magischen Momente, die du dir nicht erklären kannst.

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Ihr habt jetzt schon ein paar Mal Orte als inspiration genannt – London, Berlin, die Zukunft, Bühnen. Wieso ist der Einfluss dieser so gross auf euch?
Tobias: Ich denke, die Musik, die aus uns herauskommt, wird immer durch die Welt, in der wir leben, beeinflusst. Und diese Welt ist uns wichtig: Wir gehen beide an viele Konzerte, in den Ausgang, Sachen anschauen – das ist extrem wichtig. Darum empfinde ich es auch einfach als normal, dass sich unsere Musik auf unser Umfeld fokussiert.

Mit dem Albumtitel Blood Red schlagt ihr in eine brutalistische Kerbe – auch noch mal auf das Apokalyptische bezogen. Wieso dieser Name?
Tobias: Der Titelsong "Blood Red" ist eigentlich kein klassischer Song, sondern eine komplette Improvisation und eine Stimmung. Mit blutrot ist dabei der Himmel bei Dämmerung gemeint. Diese Stimmung hatten wir damals im Studio in Berlin. Ich finde ausserdem, dass es eine schöne, tiefe Farbe ist und überhaupt nichts Blutrünstiges hat .
Alessandro: Der Albumtitel ist ausserdem wichtig, weil der Song das ist, was uns eigentlich ausmacht: Wenn wir zusammenkommen, entsteht etwas Schönes und das ist improvisiert. Auch weil der Song etwas Anderes ist als alle anderen Songs, musste er drauf. Lustig eigentlich, dass er jetzt so wichtig geworden ist: Wir haben ihn in zehn Minuten gegen Schluss der Produktion noch eingespielt.

Ihr habt gesagt, bei Blood Red ging es euch explizit darum, ein Album zu machen. Habt ihr auch andere Ziele verfolgt als das Albummachen an und für sich?
Tobias: Es ist natürlich eine völlig andere Dimension. Alessandro hat immer ganz klar gesagt, dass es etwas ganz Anderes ist, ob wir jetzt eine EP oder ein Album machen. Man hat einen anderen Bogen, den man spürt. Am Anfang habe ich gedacht: "Komm, wir machen einfach ein paar Songs und wenn's genug hat für ein Album, dann ist es ein nice to have." Im Nachhinein habe ich aber auch gelernt, dass es extrem viel Sinn macht, mit dem Geist anders heranzugehen und eine andere Planung zu haben. Ein Album ist schlussendlich mit einem Buch zu vergleichen, das man im besten Fall vom ersten bis zum letzten Kapitel liest. Wobei man sich schon fragen muss, ob es noch Sinn macht, ein Album herauszubringen, in einer Zeit, in der Songs mehrheitlich einzeln gehört werden. Also die Kapitel so aus dem Buch rausgerissen und einzeln konsumiert werden. Dementsprechend müssen die Songs, die einzelnen Geschichten auch unabhängig voneinander funktionieren. Trotzdem war es uns wichtig, dass wir über die zehn Songs eine ganze Geschichte erzählen.
Alessandro: Als Band ist es auch einfach wichtig, ein Debütalbum zu haben. Auch weil es etwas Schönes ist.

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Was für eine Geschichte erzählt Blood Red ?
Alessandro: Ich finde, es ist die Geschichte unserer Band, mit einem krassen Wandel. Von damals, als es angefangen hat, bis jetzt ist mega viel passiert. Auch mit den Songs selbst. Wir haben mit "William" einen Song auf dem Album, der schon auf der EP war. Er hat während den paar Jahren, in denen wir ihn schon spielen, einen so krassen Wandel durchgemacht, dass er einen Platz auf dem Album und einen zweiten Teil verdient hat. Der zweite Teil heisst "Jennifer" und ist eigentlich live entstanden.

'Blood Red' erscheint am Freitag dem 13. Oktober über Irascible Music.

Nächste Live-Daten von Egopousher: 19. Oktober, Südpol Luzern
20 Oktober, Moods Zürich (Plattentaufe)


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