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Warum sich kein Schweizer Festival an einer Frauenquote beteiligt

45 internationale Festivals verpflichten sich, per 2022 50 Prozent Frauen auf ihren Bühnen zu haben. Darunter ist kein Schweizer Festival.
Lorde am Openair St. Gallen 2017. Foto: Nick Lobeck

Willkommen in Absurdistan: Während 45 internationale Festivals eine Frauenquote auf ihren Bühnen einführen wollen, veröffentlicht das Zürich Openair am selben Tag seine ersten Acts – zu denen keine einzige Frau gehört. Man darf schon mal zu einem sehr langsamen und schmerzhaften Facepalm ausholen: Unter den 45 Festivals, die mehr Künstlerinnen buchen wollen, ist kein einziges aus der Schweiz. Dabei diskutierten die Schweizer Musikindustrie und Medien erst Anfang Februar das "Frauenproblem" in der lokalen Szene.

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Die Initiative zur Frauenquote kommt von der britischen Musik-Förderplattform PRS Foundation. Ihr Projekt Keychange soll Musikerinnen mehr Plattformen verschaffen. Nun hat die PRS Foundation am 27. Februar bekannt gegeben, dass sie mit 45 internationalen Festivals eine Vereinbarung zu einer Frauenquote von 50 Prozent per 2022 getroffen hat – auf der Bühne, aber auch etwa bei Podiumsdiskussionen. Darunter: das Reeperbahn Festival (Hamburg, Deutschland), The Great Escape (Brighton, England), das Eurosonic (Groningen, Niederlande) und North By North East (Toronto, Kanada). Nur kein Schweizer Openair findet sich unter den grossen Namen. Ist die ganze Gleichberechtigungsdebatte der Schweizer Musikindustrie eine Farce und in Wirklichkeit schert sich hier niemand um Musikerinnen? Was sagen Schweizer Festivalveranstalter dazu?

Openair St. Gallen

Christof Huber, Festival-Direktor und Booker: "Keychange ist bisher nicht an uns herangetreten. Aber als Chef des europäischen Festivalverbands Yourope stehe ich mit der Chefin der PRS Foundation in direktem Kontakt. Wir werden das Anliegen mit unseren Mitgliedern diskutieren. Die Bemühungen und Förderungen sind unterstützenswert, aber wir bezweifeln, dass eine 50-Prozent-Quote bis 2022 umsetzbar ist – und daran werden diese Festivals dann gemessen. Es kann nicht sein, dass ein Festival nur nach Gender-Balance programmiert wird, dabei aber allenfalls Qualität oder Aktualität auf der Strecke bleiben. Wir hatten am Openair St. Gallen bereits 2017 eine verhältnismässig gute Quote. 2018 sieht das mit vielen spannenden und aktuellen Künstlerinnen im Programm noch viel besser aus. Mit dem neuen Programm-Release sind noch weitere Künstlerinnen dazugekommen."


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Zürich Openair

Marion Meier, Bookerin: "Wir sind uns des Problems bewusst und bemühen uns, so viele Frauen wie möglich auf unsere Bühnen zu holen. Letztes Jahr betrug der weibliche Anteil beim Zürich Openair 35 Prozent. Bei den ersten Veröffentlichungen für 2018 sind wir zwar noch total männerlastig, aber das kommt ja noch einiges. Wir sind zuversichtlich, auch dieses Jahr eine ausgewogene Mischung zusammenzustellen. Gleichzeitig ist es für ein Showcase Festival aber einfacher, eine 50/50-Quote einzuhalten. Für ein Openair wie unseres ist das sehr schwierig umzusetzen. Unter anderem weil es auf Headliner-Ebene und im mittleren Segment zu wenige weibliche Acts gibt, die infrage kämen. Auch die Verfügbarkeit der Acts spielt eine grosse Rolle und die liegt leider nicht in unserer Macht. Grundsätzlich begrüssen wir den Support für weibliche Künstler aber sehr und versuchen so gut wie möglich einen Beitrag zu leisten."

Gurtenfestival

Simon Haldemann, Mediensprecher: "Aufgrund der durchaus berechtigten Kritik, dass zu wenig Frauen gebucht wurden – auch beim Gurtenfestival –, haben wir uns für 2018 eine Quote von 30 Prozent als Ziel gesetzt. Frauen oder Frontfrauen auf der Bühne sollen junge Frauen motivieren, Musik zu machen. Wir sind nun bei einem Schnitt von rund 23 Prozent für das diesjährige Festival. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Im DJ-Booking sind wir ebenfalls sensibilisiert und streben diese Quote an. Wenn man der 50-Prozent-Frauenquote die gebührende Wichtigkeit einräumt, kommt man dem Ziel näher. 2022 sind hoffentlich mehr Frauen unterwegs. Fix eine Quote von 50 Prozent anzustreben, kann den Booker aber auch hemmen. Man sollte das konsequent und organisch verfolgen."

m4music Festival

Philipp Schnyder, Festivalleiter: "Die Frage über die Einführung einer 50/50-Quote bis 2022 werden wir diskutieren. Die Pop-Förderung des Migros-Kulturprozent hat derzeit zum Hauptziel, bei der Professionalisierung der Schweizer Popmusikszene zu helfen. Dabei ist uns wichtig, dass Frauen massgeblich berücksichtigt werden. Wenn wir das aktuelle Line-up des m4musics anschauen, stellen wir fest: Unter den 45 Acts sind 15 Musikerinnen. Das ist ein Anteil von 33 Prozent. Elf der Künstlerinnen kommen aus der Schweiz und vier aus dem Ausland. Wir freuen uns, nicht nur viele, sondern vor allem spannende Künstlerinnen zu präsentieren: Ace Tee, Chiri Moya, Emilie Zoé, Flèche Love, Ibeyi, KT Gorique, Meimuna, Stefflon Don, Sandor, Ta'shan und Veronica Fusaro. Darüber hinaus treten am m4music Bands auf, bei denen Musikerinnen eine tragende Rolle spielen, wie All XS, Hundreds, Klain Karoo oder Mama Jefferson."

One of a Million Festival

Nik Fischer, Festivalleitung: "Wir wurden nie angefragt, ob wir uns an dieser Aktion beteiligen möchten. Ich bin eigentlich kein Fan von Quoten, aber wir werden auf jeden Fall auch in Zukunft gezielt versuchen, Frauen zu fördern. Wir hatten am diesjährigen Festival so viele Frauen auf unseren Bühnen wie nie zuvor – immerhin 37,5 Prozent. Und das ist kein Zufall. Ich bin überzeugt, dass man weiterkommt, wenn man einfach mal macht. Gleichzeitig muss Mann sein Handeln aber auch immer wieder reflektieren und mit dem nötigen Bewusstsein bei der Arbeit sein. Ich frage mich auch, wieso man immer von "Frauenbands" spricht. Von "Männerbands" spricht ja niemand. Wir sollten an den Punkt kommen, an dem es keine Rolle mehr spielt, ob Frauen oder Männer in Bands spielen. Weil es einfach eine Selbstverständlichkeit ist, dass beide Geschlechter Musik machen und gleichberechtigt sind."

Bad Bonn Kilbi

Daniel Fontana, Medienverantwortlicher: "Unter den 45 Festivals sind ja viele dabei, die sich mit jedem Etikett schmücken, das Kredibilität bringt. Ich habe kein schlechtes Gewissen, dass wir nicht dabei sind. Wir hatten immer viele Frauen am Festival und setzen uns auch dafür ein. Aber das müssen nicht alle wissen – es geht ja um die Musik. Gäbe es so eine Initiative für eine Frauenquote in der Schweiz, würde ich sie unterstützen, weil es viele Veranstalter nur schaffen, wenn sie dazu gezwungen werden. Selber würden wir aber nicht mitmachen, weil es bei uns bereits funktioniert."



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