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DJ Leaks

Eine Kurzgeschichte über die beschissene Realität eines Wiener DJs

Ein Wiener DJ hat die ungeschönte Wahrheit über das Auflegen zusammengefasst.
Header: Foto via Flickr | icanteachyouhowtodoit | CC BY 2.

Die ganz normale Realität des DJ-Seins sieht bei mir wie folgt aus: Vier Wochen vor dem Gig bekomme ich von einem Veranstalter die Anfrage, ob ich auf seiner (und ich schreibe absichtlich seiner, weil ich mich wirklich nicht erinnern kann, wann ich das letzte Mal von einer weiblichen Veranstalterin gebucht wurde) Party spielen mag. Lässt es der Kalender zu, nehme ich gerne an, verhandle nicht lange bei meiner Gage, weil es in Wien eh nur den Standard-Satz von maximal 150 Euro gibt. Da erspare ich mir gerne die drei bis zehn Mails und schone meine sonst eh schon strapazierten Nerven.

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Hier stellen wir euch weibliche Veranstalterinnen aus Wien vor:


In der Woche vor der Party versuche ich langsam, geistig die Platten zusammenzusuchen, die ich dann gerne spielen will. Hier kommt es natürlich auf die Lokalität, die Veranstaltungsreihe und die vermeintliche Crowd an. In manchen Clubs, die eigentlich Bars sind, brauche ich keine Subbass-lastigen UK-Bomben zücken. Geht nicht. Weiß man schon.

Ebenso wenig funktioniert 70bpm-Experimental Industrial bei einer Crowd, die Federn in den Haaren trägt und sich mit Glitzer fesch macht. Das geht dann sonst auf die Erwartungshaltung und zu viel brauche ich mir und und dem feierwütigen Volk nicht zumuten. Bis ich dann wirklich die Muse finde, mich faktisch durch gefühlte 5000 Platten zu suchen, dabei die Hälfte nicht finde und von "Ah, die hab ich auch. Gleich mal reinhören" ablenken lasse, ist es Freitag Abend.


Die besten und die schlimmsten Dinge in der elektronischen Musik:


Von der Woche komplett geschafft und weil ich in dem Alter auch nach wie vor so verblödet bin, am Tag davor auf "ein Bier" zu gehen, ist die Motivation gleich null. Besser gesagt: Ich will eigentlich nicht. Ich will zu Hause rumknotzen, "ein" Reparatur-Seidl genießen und Musik machen oder mir eine Serie ansehen und mich darüber ärgern, dass der scheiß Stream beschissen lädt. Das ist aber keine Option. Somit ungefähr das einpacken, was ich in 30 Minuten gefunden habe und ja nicht die USB-Sticks vergessen.

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Auf den Sticks befinden sich unveröffentlichte Stücke von einem selbst, die ich mich dann oft doch nicht traue, den Connaisseuren vorzuspielen – sofern sich die Überauskenner überhaupt mal wieder vor die Türe wagen, um dann gelangweilt in einer Ecke über so gut wie alles abzulästern. Aber es gibt auch diesen einen Ordner, der mit diversen Evergreens vollgepackt ist, die ich eigentlich selbst nicht mehr hören kann, die mir aber ab und an den Arsch retten.


Sind DJs nur noch Dienstleister?


Fürs Duschen ist es schon zu spät. Somit frisches Leiberl an, Deo und Duft dezent auftragen und Taxi rufen, weil um 23:00 Uhr geht es los. Gut gelaunt angekommen im Club des Vertrauens, lungern an der Bar fünf Gestalten. Das Barpersonal freundlich und mit einem Lächeln begrüßen. Immerhin sind das für die nächsten sechs Stunden jene Personen, die darüber entscheiden, ob ich verdurste oder um 4:10 Uhr noch ein wirklich allerletztes Bier und noch einen Schnaps bekomme. Nachdem mir die Plattennadeln überreicht wurden, begebe ich mich hinter meinen Arbeitsplatz.

Dort müssen es die DJs vom Vortag recht lustig gehabt haben, weil alles richtig schön pickt, mit Asche voll ist, die Regler auf Maximum gestellt sind und ich die nächsten fünf Minuten damit verbringen darf, alles neu zu verkabeln, weil die Laptop-DJs ein herrliches Chaos hinterlassen haben. "Wurscht. Es ist wirklich schon wurscht," denke ich mir beim Soundcheck, weil die linke Monitorbox gar nicht funktioniert und die rechte dermaßen ächzt, dass es einer audiophilen Sau graust.

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Na gut. Gehen wir es an. Geleiten wir die Gäste mal in den Abend mit wunderbarem Ambient. Die ersten 20 Minuten versuche ich zu akklimatisieren und mich auf den Abend richtig einzustellen. Nach 18 Minuten kommt ein Gast zu mir und erkundigt sich, wann es denn so richtig los geht. Ich verstehe die Frage nicht und erkundige mich, was genau damit gemeint ist. Na wann denn so Tech-House oder so kommt, will die Person wissen. Weil man war mit Freunden gerade die letzten zwei Stunden bei so einem nobel Japaner und da lief die gleiche Musik.

Deswegen ist man hier her geflohen. Freundlich gebe ich die Auskunft, dass der Abend noch jung ist und man sich ein wenig gedulden muss, da ich versuche, eine Geschichte über den Abend zu erzählen und die braucht ihre Zeit. Gut. Wurde akzeptiert. Gefühlte zehn Minuten später kommt aus der gleichen illustren Runde die nächste Anfrage, wann es denn nun endlich los ginge.


Dieser österreichische DJ hasst Clubs:


Weniger freundlich gebe ich zu Antwort, dass es dann so richtig los geht, wenn sie mir eine Flasche Wodka herstellen. Beleidigt zieht die Person von dannen und überbringt die frohe Kunde den Freunden des Experimental-Maki. Da trifft zum Glück mein DJ-Partner des Abends ein mit zirka einer Stunde Verspätung und der Entschuldigung, dass man noch schnell duschen musste. Kein Problem. "Da sind deine Getränke-Bons. Du bist mein Gast. Lass uns einen feinen Abend gemeinsam haben," vermittle ich meinem Hawara und koche innerlich leicht. Aber nur leicht. Nach drei, vier Platten frage ich ihn, was er denn heute so eingepackt hat, weil bis jetzt harmonisieren wir nicht sonderlich auf einer gemeinsamen musikalischen Ebene. Er zeigt mir seine Schätze und ich komme langsam darauf, dass ich komplett konträr gepackt habe. Bravo. Super.

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Aber wurscht. Irgendwie werden wir das schon hinbekommen. Immerhin machen wir das jetzt schon seit ein paar Jahren. Also nicht ärgern. Lieber den Ärger mit dem ersten Vodka-Shot runterspülen. Gegen 1:00 Uhr ist der Club, der eigentlich eine Bar ist, gut gefüllt mit Erasmus-StudentInnen, Möchtegern-Alkoholikern und eine paar Menschen, die sich eigentlich zum Plaudern getroffen haben und sich von der Hintergrundmusik eigentlich nur belästigt fühlen. Ab und zu kommt jemand vorbei, wünscht sich einen Track, der absolut gar nicht zu dem passt, was wir gerade auflegen, will sein iPhone aufladen oder rempelt betrunken gegen das DJ-Pult, wodurch die Nadel über die 80 Euro teure Platte fegt, der ich ein halbes Jahrzehnt hinterhergejagt habe.

Alles nicht so schlimm. Alles ganz normal. Ab und zu versucht eine mutige Person zu tanzen, schafft es aber nicht, noch einen andere Person zu motivieren, weshalb es auch nur bei einem Versuch bleibt. Um 2:30 Uhr rufe ich mir in Gedanken zu: "Nur noch 1.5 Stunden. Durchhalten." Die anfänglich mitgebrachten leichten Kreuzschmerzen entfalten sich nun in voller Pracht. Herrlich. "Vielleicht sollte ich wirklich mehr Sport machen. Damit fange ich dann wirklich gleich am Montag an," rede ich mir ein und denke parallel darüber nach, wie ich den morgigen Tag verkatert in der Wohnung verbringe.

3:45 Uhr. Endlich. Die Kellnerin signalisiert uns, dass wir Schluss machen sollen. Geschafft! Wir packen zusammen, klopfen uns auf die Schultern. "War ein super Abend. Müssen wir unbedingt öfter machen," rufen wir uns zu.

Ja, genau. Und beim nächsten Mal nehme ich diese statt jene Platten mit. Wuhu! Platten sind gepackt und die Systeme werden samt Cases an der Bar brav retourniert. Nur mehr die Honorarnoten ausfüllen und ab nach Hause. Ahja. Wir haben ja noch zusätzlich zehn weitere Getränkebons gebraucht und die Zigaretten von meinem Partner müssen wir von der Gage auch noch abziehen. Bleiben heiße 45 Euro für jeden übrig. Macht nichts. Wir machen es ja nicht wegen dem Geld, sondern weil wir so viel Spaß daran haben. "Taxi!" schreie ich um 4:10 Uhr durch die Nacht. "Taxi bitte!"

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