Wie du deiner Familie an Weihnachten Deutschrap 2016 erklärst

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Wie du deiner Familie an Weihnachten Deutschrap 2016 erklärst

2016 war in vielerlei Hinsicht ein bewegtes Jahr mit Höhen und Tiefen. Das gilt auch für Rapfans. Weihnachten ist also die perfekte Zeit, Oma und Co. zu erklären, was dich dieses Jahr im Deutschrap so beschäftigt hat.

Fotos: Screenshots von YouTube und Vimeo aus den Videos „An ihnen vorbei" von Chryme TV, „SXTN-Deine Mutter" von SXTN und „Episches Interview—Fler, Sentino und Jalil vs. Niko" von Backspin

Die Essenz der meisten großartigen Weihnachtsfilme wie Schöne Bescherung ist, dass der größte Fluch an Weihnachten gleichzeitig sein größter Segen ist: die Verwandtschaft. Die neugierige, aufdringliche und manchmal etwas voreingenommene Verwandtschaft.

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Ich dachte, mit 26 Jahren wäre ich inzwischen über die unangenehme „Und was machst du jetzt mit deinem Leben"-Fragerei hinaus. Der 30. Geburtstag meiner Schwester letzten Monat belehrte mich eines Besseren. Worauf ich hinaus will: Auch in diesem Jahr wird eure Familie euch mit allen möglichen (und vor allem auch unmöglichen) Fragen zu eurem Leben löchern und ihr könnt nichts dagegen tun. Ihr seid hilflos ausgeliefert.

Der einzige Ausweg, der euch bleibt, ist ein anderes Thema zu finden, über das ihr schwadronieren könnt und zu dem Muddi, Vaddi, Oma, Opa und Co. ihre ungebetene Meinung abgeben können. Zum Beispiel Deutschrap. Ist ja auch irgendwie Teil eures Lebens als Rapfans und immer noch besser, als über die Zukunftsaussichten eures Soziologiestudiums zu fantasieren.

Bei all den Ereignissen, die 2016 Deutschrap erschüttert, amüsiert und erzürnt haben, gilt es, sich auf die großen Themen zu konzentrieren und die Verwandtschaft auf leicht verständlich Art und Weise in den  Kosmos des Raps einzuführen. Das könnte in etwa so ablaufen:

2016 war das Jahr der 187 Straßenbande.
Wie nennen die sich? Na, da kann ich mir schon denken, worum es geht. Bestimmt Drogen und Gewalt und SEX!

Nun ja, es ist Straßenrap, da liegt ihr schon richtig. Aber was die 187er neben ihrer Musik vor allem auszeichnet, ist, dass sie es geschafft haben, eine Art Mythos um sich zu schaffen. 187 bedeutet für die Leute nicht einfach eine gewisse Art Musik, sondern ein Lebensstil—man könnte schon fast sagen, eine gewisse Lebensphilosophie. 
Die da wäre?

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Freundschaft, Treue seinen Freunden (aber vor allem auch sich selbst) gegenüber und unbekümmerter Optimismus, würde ich sagen. 
Sie haben sich eine Corporate Identity geschaffen?

Könnte man so sagen. Und eine ziemlich erfolgreiche. Drei Mal in einem Jahr Gold zu gehen, ist eine erstaunliche Leistung. 187 ist wie ein Technik-Großkonzern, wenn ihr es so besser versteht. Nicht immer ganz korrekt, aber die Leute lieben es einfach und es gibt im Moment eben auch kaum etwas Besseres auf dem Markt.

Aber Proleten sind das ja schon. Immer dieses Macho-ich-hab-den-Längsten-Getue.

Das ist aber kein Männerding. Das ist ein HipHop-Ding. In diesem Jahr ist eine Frauenrapgruppe in der Szene erschienen, die sich derselben Muster bedient: SXTN. Und die dafür gleichermaßen gefeiert wie kritisiert wurde. Vor allem für dieses Lied und Video: 

Ein bisschen pubertär ist das ja schon. Und auch wieder nackte Frauen. Geht das nicht auch mal anders?

Das geht auch anders. Aber ihr müsst eben verstehen, dass das Eine das Andere nicht ausschließt und vor allem auch nicht abwertet. SXTN haben danach beispielsweise auch noch Videos zu ernsten Themen wie Rassismus und Prostition veröffentlicht. Was nicht heißt, dass ein Lied, wo man ohne Schwanz Mütter fickt schlechter ist, weil es keine sozialkritische Aussage hat. 
Ich kann mir sogar vorstellen, dass es die sogar hat auf gewisse Weise. Als Frau sagt man sowas ja eigentlich nicht.

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Eben. Das Video hatte damals große Diskussionen ausgelöst, in denen sich sehr viele Rapfans darüber aufgeregt haben, dass Frauen solche Musik machen. Das ist dann natürlich ehrenlos, ordinär und nuttig. 
Ich bin zwar kein Fan von Mutterficken, aber ich glaube, ich verstehe was du meinst.

Es gab auch noch eine andere Frau, die Rap in diesem Jahr ziemlich aufgemischt hat: Haiyti. Die fickt keine Mütter. Vielleicht gefällt euch das besser. 

Oh, sehr düster. Aber ich verstehe nichts. Müssen wir uns Sorgen um sie machen?

Das weiß ich nicht, in musikalischer Hinsicht jedenfalls nicht. Toxic war vermutlich eines der besten Releases dieses Jahr. Um jemand anderen wurden sich da dieses Jahr mehr Sorgen gemacht: Fler.

Oh Gott, mach das aus! Was? Das geht eineinhalb Stunden?

Ja, Rapinterviews finden in Spielfilmlänge statt. 
Ich finde, das ist ein sehr unhöflicher Mensch. Das gucken sich die Leute doch nur an, um sich lustig zu machen!

Nicht unbedingt. Fler ist zwar inzwischen für seine Interviews fast bekannter als für seine Musik, aber er hat dieses Jahr auch ein Album herausgebracht, das sehr gut besprochen wurde und irgendwie seinen Ruf wieder rehabilitiert hat. Teilweise zumindest. 
Müssen wir jetzt eineinhalb Stunden Fler angucken?

Nein. Stattdessen können wir uns die großen Hits anhören. Fruchtmax hat vermutlich den Rapsong des Jahres geliefert. 

Wenn das mit den Drogen nicht wäre, könnte das auch ein gutes Weihnachtslied sein. Da gönnt man sich ja auch immer was.

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Das stimmt. Hits wie „WKM$N$HG" sind aber keine bloßen One-Hit-Wonder mehr. Sie prägen die Jugendsprache und prägen damit nachhaltig die Popkultur. Das geht inzwischen soweit, dass diese Art so zu sprechen kein Jugendphänomen mehr ist, das nur in der HipHop-Szene stattfindet, sondern beispielsweise auch in der Werbung aufgegriffen wird. 
Und das hat dieser Fruchtmax erfunden?

Naja, nicht nur. Aber er ist Teil davon. Aber mit so einem Hit wird man eben zur Identifikationsfigur damit. Wo wir von Hits reden. Neben „WKM$N$HG" sprengte dieses Jahr noch ein anderes Hit-Wonder Deutschrap: Miami Yacine. 

Irgendwie sind alle großen Hits dieses Jahr Drogenlieder, kann das sein?

Na ja, im eigentlichen Sinne ist das ein klassischer Representer-Rap-Track, da sind die Drogen eher Nebensache. 
Was für ein Träck? Du meinst wieder im Sinne: Ich hab den Längsten?

Ja. Und den hatte Miami Yacine in Bezug auf Klicks bei YouTube auch dieses Jahr … Fast. Über 30 Millionen Views hat der Track bis jetzt gesammelt. Das ist unglaublich, vor allem für einen bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich unbekannten Rapper. Er wurde dann aber noch von den 187ern überholt. Aber das wechselt sich auch ständig wieder ab. 
Ich glaube das den meisten von denen nicht. Von wegen zwei Kilo Kokain.

Das war dieses Jahr auch ein großes Diskussionsthema: Wie wichtig ist es, real zu sein im Rap, also tatsächlich nur über Dinge zu rappen, die tatsächlich auch der Wahrheit entsprechen.
Also, wenn man das mal mit Büchern vergleicht: Wenn jemand eine Biografie schreibt, dann gehe ich schon davon aus, dass das alles den Tatsachen entspricht. Aber ein Roman oder gar ein Märchen wäre glaube ich ziemlich langweilig, wenn man da keine Fantasie einbringen würde. Und ein Märchen muss ja kein schlechteres Buch sein als eine Biografie, nur weil es für Kinder ist oder seine Handlung erfunden ist.

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Ich glaube, das kann man ganz gut so übertragen. Eine Rapperin ist auf jeden Fall keine Märchenerzählerin: Schwesta Ewa. Die wurde dieses Jahr wegen des Verdachts auf Zuhälterei festgenommen. 
Über die haben wir doch letztes Jahr schon geredet, oder? Die war doch früher selbst Prostituierte.

Genau. Aus vielen Ecken wurde Ewa für ihre „Authentizität" gefeiert. Ihr Labelboss Xatar hat auch bereits eine Haftstrafe wegen eines Goldraubs absitzen müssen. Man könnte sagen, AON ist das kredibilste Straßenrap-Label in Deutschland, wenn es um das Verhältnis von echtem Leben zu Raptexten geht. 
Aber ein Goldraub ist doch etwas anderes als Zwangsprostitution! Authentizität hin oder her, aber in dem Punkt ist Authentizität nichts Gutes. Aber diesen Xatar kenn ich. Der war auf der Frankfurter Buchmesse …

… Und hat dieses Jahr mit Haftbefehl ein gemeinsames Album rausgebracht inklusive Kurzfilm.
Haftbefehl kenn ich auch. Der war ganz viel in der Zeit.

Ja, die hatten sogar ein recht unangenehmes Interview zu dem Album in der Zeit. Dafür, dass Haftbefehl und Xatar zu den beliebtesten und besten Straßenrappern Deutschlands zählen, ist das Album dennoch etwas hinter den Erwartungen geblieben. Aber eigentlich war das auch gar nicht anders möglich, wenn die Erwartungen so hoch sind.
Ich finde das lustig. Wie zwei Lausbuben, die Räuber und Gendarm spielen. Können wir jetzt vielleicht aber doch wieder Last Christmas hören … ?

Wie letztes Jahr Yung Hurn schon sagte: Nein.

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