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#metoo

Frauen im Musikjournalismus: "Ein Interview gibt's, wenn du 'nice' zu mir bist"

Grapschende Manager, Interviews gegen Sex und aufdringliche Musiker – der Musikjournalismus bleibt männlich und das nicht ohne Grund. Sexismus und sexuelle Belästigung sind Teil der Jobbeschreibung.
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Vanessa ist Chefredakteurin von fresh Black Austrian Lifestyle, einem Magazin, mit dem sie afro-österreichischen Alltag aus der Nische und ins Bewusstsein bringen möchte. Die erste von ihr betreute Ausgabe trug den Titel #RHYTHM und widmete sich unser aller Lieblingsthema (Musik) und einigen unserer Lieblingsorte (österreichischen Clubs). In einem Thread auf Twitter war sie eine der jungen Frauen, die auch auf eine der Schattenseiten der Musikszene aufmerksam gemacht hat: Sexismus und Sexuelle Belästigung. In ihrer Zeit als Musikjournalistin bei unterschiedlichen österreichischen Medien musste sie Vieles über sich ergehen lassen. Hier ist ein Auszug aus ihren Erlebnissen.

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Vor ein paar Jahren wurde der männliche Blick der Musikjournalisten ein Thema. Musikerinnen werden oft anders – oft unfairer und strenger – kritisiert als ihre männlichen Kollegen. Doch auch das Verhältnis zwischen Musikjournalistinnen und der leider immer noch männlich dominierten Musikbranche kann problematisch sein. Als ich mit 18 begann, über Musik zu schreiben, war ich übergewichtig und für die meisten Männer unattraktiv – ein Glück, wie sich später zeigen sollte. Denn kaum hatte ich abgenommen, wurden die Annäherungsversuche mehr – auch von Menschen, die einen gewissen Abstand hätten halten sollen.

Dieser notwendige Abstand ist oft blurry – die alte Formel "You Don’t Shit Where You Eat" kann aber als Mantra zu jedem Branchenevent mitgenommen werden. Wer mich privat kennenlernt, kann mich gern nach einem Date fragen – da spielt der Beruf keine Rolle. Wenn ich mir allerdings nicht sicher bin, ob sich unsere Wege noch kreuzen und es Probleme verursacht, ist eine Abfuhr angebracht. Definitiv unerwünscht sind Booty-Call-Nachrichten um 3 Uhr morgens von Typen, mit denen ich rein beruflich zu tun habe. Noch lächerlicher wird's, wenn sie vergeben sind.

Alter, weißer, mächtiger Mann

Rassismus ist mir in diesem Bereich in den letzten Jahren selten begegnet. Künstler und sogenannte Musikmenschen wirken eher happy, jemanden zu sehen, den sie nicht unbedingt im Journalismus erwarten. Sexismus steht klar im Zentrum der Diskriminierung. Doch war auch ich vor einem alten, weißen, mächtigen Mann nicht gefeit. Mein Vor- und Nachname waren einem etwa 50-jährigen Manager nicht "afrikanisch" genug, weshalb er sie gleich umdichtete und mich lächerlich machte. Meine Schockstarre motivierte ihn auch noch dazu, mich anzufassen.


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Sexuelle Belästigung kann viele Gesichter haben, werten kann es nur die betroffene Person selbst. Für einige Frauen mögen unerwartete Berührungen ein Kompliment sein, für mich sind sie ungewollt und somit nicht OK. Es gibt Unterschiede zum Flirt, aber diese Unterschiede kennen auch die meisten Männer. Besonders der Machtaspekt motiviert dazu, die Grenze zu überschreiten. Aus einem Auto hinterherzupfeifen ist kein Flirt, da es keine Erfolgschancen geben kann.

Ein Chef, der ungefragt auf den Hintern tätschelt ebenfalls nicht, weil der/die Angestellte in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, kommt mir in meinem Ermessen ganz klar zu nahe. Anfassen ohne Vorwarnung ist für mich ein No-go. Viele tun es nicht, um erfolgreich zu flirten, sondern um zu zeigen, dass sie es einfach machen können. Das Gespür, wann und wo eine Berührung angebracht ist, kann man(n) entwickeln. Ein Flirt ist dann sinnvoll, wenn die andere Person die Chance hat, darauf einzugehen. Zur Not lässt sich mit Augenkontakt und einem Lächeln testen, ob die andere Person gerade Bock drauf hat, oder sich gleich umdreht.

No Sex, No Drugs, Just Rock'n'Roll

Während ich ein "she’s hot" aus dem Mund eines Rockstars noch ignorieren kann und versuche, die Blicke auszublenden, wenn es notwendig ist, sich nach dem Kamera-Equipment zu bücken, ist ein spontaner Kuss auf den Mund doch etwas zu viel des Guten. Immer neue Entschuldigungen, wie "Das ist einfach das Business" schleichen sich in meinen Kopf ein.

Interviews in Tourbussen gehören zum Daily Life jedes Journalisten, der mit Artists zu tun hat, die unter einem straffen Zeitplan leiden. In den engen Gängen des Fahrzeugs kann es schon mal zu Berührungen kommen. Diese vorsätzlich auszuführen, gehört nicht zum guten Ton. Und hey, ich verstehe, dass junge Frauen im Tourbus Erinnerungen an die Groupie-Ära wecken. Ein 15-minütiges Interview wird auch mit viel Fantasie kein "Almost Famous" – ich bin weder Penny Lane, noch die weibliche Version von William Miller.

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Ein Interview, wenn du 'nice zu mir bist'

Ein Manager, der das zugesagte Interview kurz davor mit den Worten "You get it, if you are a little nice to me" kommentiert, schockiert mich dennoch. Der Mann vor mir wollte Sex. Die zumeist männlichen Journalisten, die ein Interview mit den besagten Musikern führen konnten, wurden nicht um solche Dienste gebeten. Die Journalistin allerdings wird mit einem Groupie gleichgesetzt. Ich habe kein Problem, wenn Interviews abgelehnt werden. Verschiebungen oder spontane Absagen sind normal. Was allerdings nicht geht, sind Zusagen, die an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind, die nicht mit meiner journalistischen Arbeit zusammenhängen. Dem Medium, zu dem ich mit leeren Händen zurückkehrte, sagte ich den Grund nicht – zu groß war die Scham, gescheitert zu sein.

Will er Pussy, bekommt er Pussy

"Zieh dich später bitte sexy an!" ist keine Nachricht, die ich auf beruflicher Ebene erhalten will. Wenn ich dieses Bedürfnis hätte, hätte ich mir einen anderen Job ausgesucht. Little did I know, dass dies allerdings ein Schachzug des Presseteams sein kann, die Musiker zu motivieren, doch Interviews zu geben. Kritisch beäugt und für fuckable befunden, kommt man an einen Tisch mit anderen Journalistinnen, die ebenfalls nach ihrem Äußeren ausgesucht wurden.

"Für Frauen kann ein simples 'Nein' das Karriereende bedeuten."

Das Konzept – suchen wir fünf scharfe Journalistinnen und bringen wir damit die Rapper in die richtige Mood – scheiterte. Das Presseteam, das selbst aus drei Frauen bestand, musste möglicherweise selbst einspringen. Usus, wie mir eine ehemalige Mitarbeiterin eines Labels bestätigte. Will ein millionenschwerer Rapper Pussy, bekommt er Pussy. "Wenn du keine passende findest, will ich deine", soll derjenige zu einem Teammitglied der Plattenfirma gesagt haben. Die Drohung, sie bei einem "Nein" beim Chef anzuschwärzen, folgte.

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Da kann sich Frau aussuchen, ob sie einwilligt oder lieber ihren Job verliert. Ein Mann wird eher selten in diese Situation kommen, doch für Frauen kann ein simples "Nein" das Karriereende bedeuten. Dass manche Rapper ein Problem mit Grenzen haben, zeigt auch das Beispiel Rick Ross, der keine weiblichen Rapperinnen bei seinem Label duldet, da er sich sexuell nicht zurückhalten könnte.

No Friends, No Benefits

Privat habe ich nichts gegen viel Haut. Meine Outfits sind oft etwas freizügig, wenn ich im Dienst bin, nehme ich mich allerdings zurück. Es ist schwer, das richtige Kleidungsstück zu finden, das bei 35 Grad Festivalwetter auszuhalten ist. Die Angst, als Bitch abgestempelt zu werden, ist aber doch größer als die Furcht vorm Schwitzen. Fotos werden zu Social Media- und Werbezwecken gepostet, meistens springt dabei keine Freundschaft mit den Acts heraus und das Plus kann man sowieso vergessen. Es ist ein normaler Job. Nach einigen Vorfällen verliert man allerdings die Lust, sich diese Gedanken ständig machen zu müssen. Gewisse Aufträge nur mehr in Begleitung eines männlichen Kameramanns, Fotografen oder Journalistenkollegen anzunehmen, ist zwar möglich, jedoch belastend. Dem Musikjournalismus den Rücken zu kehren, war die einfachere Variante. Viel hielt mich sowieso nicht mehr.

notquitesluttyenoughforthebighiphopbiz

Dieser Hashtag unter einem Foto war der einzige Anhaltspunkt meines Unmutes, der auf meinen Social-Media-Kanälen zu finden war. Die Frage, weshalb diese Erlebnisse erst Jahre später bekannt werden, stellen sich viele. Es wird jedoch selten bedacht, wie sich eine Person in diesen Momenten fühlt. Man schämt sich, dass einem so etwas passieren konnte und gibt sich teils selbst die Schuld. Eine innere Stimme sagt, dass man das wohl ertragen müsste, wenn man es zu etwas bringen will. Bewegungen wie #metoo machen Mut, seine eigenen Erlebnisse zu thematisieren. Nicht, weil man "damit hausieren" gehen will, sondern weil es die Gewissheit gibt, nicht alleine zu sein. Außerhalb des Musikjournalismus habe ich sicher Schlimmeres erlebt. Tief geprägt haben allerdings die Erfahrungen, in denen deutlich wurde, dass ich als Frau trotz harter Arbeit nie dieselbe Anerkennung im Job bekommen werde wie meine männlichen Kollegen. Verletzten kann es mich nicht mehr, es ärgert. Musikjournalistinnen sind keine Groupies.

Vanessa auf Twitter: @VanSista

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