Wie tot ist die HipHop-Hauptstadt Linz?

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Wie tot ist die HipHop-Hauptstadt Linz?

Seit Salzburg und Wien musikalisch im Medienmittelpunkt stehen, hat man wenig über Linzer HipHop gehört. Wir haben uns genauer angesehen, wie es dazu kam.

Header: Kayo, Markee, DJ Phekt und DJ Twang in jüngeren Jahren. Foto: Kayo

In der dunklen, internetlosen Zeit der frühen 90er, als HipHop in ein Alter kam, in dem Drogen und Geld auf einmal interessant wurden, hatten auch ein paar Österreicher die Idee, ihre Punchlines über gesampelte Beats zu legen. Inspiriert von den Vorbildern aus Übersee zuerst auf Englisch, später Hochdeutsch und schließlich – nach ein paar Jahren Grassroots-Arbeit – im österreichischen Dialekt. Für letztere Ausprägung übernahm vor allem eine Stadt die Vorreiterrolle und das fast ganz ohne Drogen: Linz. Ab der Mitte der 2000er-Jahre gab es um die oberösterreichische Hauptstadt kein Herum, war man auch nur ansatzweise an heimischem HipHop interessiert.

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Und selbst für mich als Indie-Mensch waren Acts wie Texta, Markante Handlungen, Da Staummtisch, Def Ill und Hinterland ein Begriff. Und auch die Kapu – der mittlerweile legendäre Club und Kulturverein mitten in Linz, in der auch schon Nirvana aufgetreten sind – war mir als Schmelztiegel der Boombap-Beats und des Conscious-Rap bekannt. Aufgewachsen bin ich eigentlich in der oberösterreichischen Provinz und selbst dort hießen die Headliner des lokalen Metal-Festivals – dem Müh-Fest in Pettenbach – Markante Handlungen und Texta. Einfach, weil sich auch Metalheads auf die Musik der Linzer einigen konnten. Heute sorgen solche Bookings eher für aufgebrachte Mobs mit Heugabeln – siehe Rock in Vienna. Für mich stand die Stadt seit dieser Zeit jedenfalls für hochqualitativen Mundartrap und alles, was dort rauskam, konnte man so gut wie immer blind empfehlen.

Zehn Jahre später erfährt man vom Glanz dieser Zeiten nur noch aus Anekdoten oder wenn man sich Vollendete Tatsachen, das Debüt-Album von Markante Handlungen, anhört. Der genreübergreifende Konsens ist irgendwo in der Zeit verloren gegangen. Dass wir hier von der Vergangenheit reden müssen, wurde mir erst bewusst, als jemand in einem Nebensatz erwähnte, dass das mit der HipHop-Hauptstadt ja auch schon vorbei sei. Ich fragte mich, ob die goldenen Jahre wirklich schon völlig abgeschlossen sind oder ob wir im Osten – geblendet vom Cloudrap aus Salzburg und Wien – einfach nicht mitbekommen, dass es in Linz noch brodelt. Also habe ich meinen Arsch aus dem Bürosessel in den Zug gen Westen gehievt und in meiner alten Landeshauptstadt einen der wichtigsten Protagonisten der Linzer-HipHop-Szene besucht: Philipp Kroll alias Flip von Texta.

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Hier seht ihr, aus welchen Crews sich die Linzer Szene über die Jahre hinweg zusammengesetzt hat. In ganzer Pracht könnt ihr euch die Grafik hier ansehen, falls ihr am Handy seid.

An ihm kommt man nicht vorbei, wenn man über Linzer HipHop spricht. Er ist Produzent, Obmann der Kapu, hat das Label Tonträger Records gegründet und ist vor allem Teil von Texta. Damit kann man Flip ohne Weiteres als Mittelpunkt der Szene bezeichnen, bei dem auch heute noch alle Fäden zusammenlaufen. Auch, wenn die Szene schon einmal geschlossener aufgetreten ist.

Um zu verstehen, warum wir mittlerweile nicht mehr so über die Stadt als österreichischen HipHop-Ankerpunkt reden wie vor zehn Jahren, muss man die Vergangenheit betrachten. Und Flip ist zum Glück ein wandelndes Lexikon, was das Ganze angeht.

In den über 20 Jahren, in denen Linz von einer Ansammlung an Hobbyrappern zur Hochburg für HipHop avancierte, passierte genug, um Bücher damit zu füllen. Dabei haben sich bereits drei Rapper-Generationen abgewechselt. Natürlich würde es den Rahmen dieses Artikel sprengen, sämtliche Crews hier aufzuzählen, aber die folgenden Absätze werden euch einen Überblick über die wichtigsten Eckpunkte der Linzer HipHop-Geschichte geben, um zu verstehen, warum es dann auch wieder vorbei war, mit der Vorreiterrolle der Stadt.

1. Generation: Anfang bis Ende der 90er

Flip mit einem Texta-Relikt: die Debüt-EP Geschmeidig (1995). Foto vom Autor

Eigentlich sollte ich Flip direkt in der Kapu treffen, nur stehe ich vor einer geschlossenen Türe, als ich dort ankomme. Er könne gerade nicht von seinem Studio weg, weil er noch auf seinen Sohn aufpassen müsse, bis seine Freundin zurückkommt. Also verschieben wir den Treffpunkt ins Studio, das sich praktischerweise gleich in der Nähe der Kapu befindet. Der Sohn schläft gerade, als Flip mir ein Stück Linzer Torte serviert und wir beginnen, über die Anfänge der HipHop-Stadt zu sprechen. Aber leise, damit wir den Kleinen nicht aufwecken. Dann gehen wir auf Zeitreise.

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Aus der sogenannten Freien Szene – also dem Linzer Kunstmilieu, das damals schon zur Kapu gehörte – und der Auwiesen-Szene aka dem Linzer-Ghetto bildeten sich zwei anfänglich gegensätzliche Lager. Die einen wollten lieber Geschichten erzählen, die anderen ihren inneren Gangster nach außen tragen. Damals war es noch üblich, auf Englisch zu rappen – immerhin kamen die Vorbilder ja auch aus den Staaten. Texta durchbrachen diese Sprachbarriere und waren somit die ersten, die deutschsprachigen HipHop nach Linz brachten. CRB (Crime Rhyme Brothers, später Creative Rhyme Brothers) und Waiszbrohd – beide Crews zählten sich zu den Auwiesenern – rappten dann auch auf Deutsch, allerdings allesamt noch auf Hochdeutsch. Für Mundartrap war die Welt noch nicht bereit.

Texta fanden übrigens zusammen, als Flip, Huckey, Laima und Skero bei der Wiedereröffnung der Kapu 1993 für einen "Kapu-Rap" kollaborieren sollten. Der Rap ist zwar nie erschienen, die vier Jungs machten trotzdem unter dem Namen Texta weiter. Zeitgleich löste sich die Auwiesener-Szene allmählich auf, da mit dem Aufkommen von Techno viele der "Auwiesener-Gangster" das Genre wechselten und sich mit Ecstasy-Verkauf das Leben finanzierten. In Auwiesen wurde das mit dem Gangsterrap tatsächlich ernst genommen.

Der Betreiber des Auwiesener Stahlstadt-Studios, in dem zum Beispiel auch Chakuza gearbeitet hat, sitze derzeit im Gefängnis für Kokainhandel, sagt mir Flip. Die beiden Lager – also Freie Szene und die Übrigen aus Auwiesen – vermischten sich nach kurzer Zeit und so fand auch die finale Version von Texta mit dem Beitritt von DJ Dan ihren Ursprung, der vorher Teil der Crime Rhyme Brothers war. Dass in dieser Generation bereits eine Szene entsteht, die sich gegenseitig befeuert und sich durch friendly competition vorantreibt, zeigt, wie sich Linz später weiterentwickelt und wofür es schließlich auch bekannt wird: eine Stadt, in der vor allem lyrische Qualität und Zusammenarbeit wichtig ist.

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Manifestiert hat sich dieses Konglomerat aus HipHop-Enthusiasten schließlich in Form eines Labels, namentlich Tonträger Records (TTR). Der erste Release nennt sich Parkbankflows von Waiszbrohd (später Brotlose Kunst) und passierte nur, weil Flip (wie er hier zitiert wird) nicht mitansehen konnte, wie die Waiszbrohd-Burschen nur auf Parkbänken rumsaßen, anstatt aus ihrer Musik etwas zu machen. Mit dem Label wurde der Grundstein gelegt. Texta machten Pionierarbeit für österreichischen HipHop und kamen auch in den frühen Jahren bereits über die österreichischen Grenzen hinaus.

Nach ein paar Jahren haben sich dann bereits Die Antwort, Rückgrat und Kayo & Phekt unter die Linzer-Elite gemischt und begonnen, auf TTR ihre Songs zu veröffentlichen. Mit ihrem Zusammenschluss als Markante Handlungen setzten sie schließlich neue Qualitätsstandards, an denen sich die frischen Acts heute noch orientieren.

2. Generation: Ende der 90er bis Ende der 00er aka The Golden Age

3. Generation: Ende der 00er bis heute

Die oben genannten Acts sind bis heute die letzten Vertreter des Tonträger-Umfelds und selbst sie befinden schon in ihren späten 20ern. Irgendwann verschlief Linz den Anschluss an das junge Publikum, obwohl HipHop gerade jetzt durch Cloudrap bei den unter 20-Jährigen für ausverkaufte Hallen sorgt.

"Markante Handlungen war damals der ärgste Shit, aber 2017 interessiert das keinen mehr."

Natürlich würde der blanke Hedonismus, mit dem sich Cloudrap schmückt, gar nicht nach Linz passen. Dort wurde schon immer mehr auf lyrische Qualitäten geachtet, als auf aussagelose Texte. Wie konnte trotzdem eine ganze Generation völlig ausgelassen werden?

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Average hat es zwar mittlerweile auch nach Wien gezogen, er sieht aber nach wie vor, dass es bei vielen von den übrigen Linzer-Crews keine Bestrebungen gibt, ihren Sound zeitgemäßer zu machen: "Sowas wie Markante Handlungen war damals der ärgste Shit, aber 2017 interessiert das keinen mehr." Mundart funktioniert zwar immer noch – Crack Ignaz hat ihn auch erfolgreich nach Deutschland gebracht –, alles andere, was die Musik von damals bezeichnet, ist aber längst passé.

Average versuche aber zukunftsorientierter als seine Kollegen zu handeln, sagt er. Für ihn bedeutet das mehr auf sein Image als frankophiler Rapper, der auch Olympique Marseille-Fan ist, zu achten und Songs zu machen, die – angelehnt an die Cloudrapper – eher ein Gefühl vermitteln. Für andere bedeutet das, zu Genres zu wechseln, die HipHop nur mehr als Anleihe sehen und meist elektronischer sind und damit oft vom traditionellen Tonträger-Sound abkommen.

So sieht die Kapu heute von der Seite aus. Gemacht wurde es von Kryot und Michael Hacker. Foto vom Autor

Abby Lee Tee ist zwar beispielsweise immer noch Teil von Hinterland, die sich zur 3. Generation zählen, widmet sich aber mittlerweile zum Großteil seinen eigenen, hauptsächlich elektronischen Tracks: "Es gibt jetzt immer mehr, die zwar ausbrechen, aber trotzdem noch irgendwie dabei bleiben." Er meint damit auch Alex The Flipper. Der schreibt zwar gemeinsam mit seinem Bruder Andreas "Antrue" vom Staummtisch immer noch Musik unter dem Namen Andi + Alex, verbringt aber inzwischen mehr Zeit als Produzent. Zum Beispiel für Mavi Phoenix oder Gerard. Beide, Alex The Flipper und Abby Lee Tee, haben immer noch Verbindungen zur Linzer-Szene, stehen aber mittlerweile zum Großteil außerhalb davon. Und leider folgt ihnen bis jetzt niemand nach.

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Eine weitere mögliche Erklärung dafür kann fehlende Offenheit sein: "Es braucht für junge Acts eine Art Rebellion. Man muss die alten Werte herausfordern, damit sich das weiterdreht. Bei Evolution gehört auch immer ein bisschen Reibungsfläche dazu", sagt Alex The Flipper. Die fehlt ihm in Linz und Average sieht das ähnlich. Wobei man der Stadt anrechnen kann, einer gewissen Tradition zu folgen und nicht gezwungen irgendwelchen Trends hinterherzulaufen. Und natürlich wird in Linz auch noch experimentiert, nur wäre es nicht sonderlich authentisch, würden Texta nach 20 Jahren plötzlich mit Cloudrap-Nihilismus daherkommen.

"Die Tonträger-Künstler haben einen langen Atem. Qualität wird sich immer durchsetzen."

Dass die Generationen auch einfach zu unterschiedlich sein können, ist für Flip eine weitere Erklärungsmöglichkeit: "Das ist eine Generation, die letztendlich eine unauthentische Erziehung genossen hat, in der es nur ums Äußere geht. Die wollen nichts bewegen." Für Flip ging es in der Anfangszeit der Linzer-Szene darum, anzupacken und die Stadt zu requirieren, indem man Häuser einnehme, Strukturen in Form von Magazinen und Labels aufbaue und Dinge selber in die Hand nehme. Das sieht er heute nicht mehr so.

Andi + Alex auf dem Donauinselfest 2013. Alex ist auch als Alex The Flipper bekannt. Foto: Paul Buchegger

"Aber die Tonträger-Künstler haben einen langen Atem. Qualität wird sich immer durchsetzen. Mich reden jetzt noch Leute auf das Gediegen-Album von 1997 an", sagt Flip mit angemessenem Optimismus. Mit 2017 soll Linz wieder auf die HipHop-Landkarte zurückkehren, die sie eigentlich nie so richtig verlassen haben. Es gibt viel nachzuholen, vor allem, was den Social Media-Bereich betrifft. Und schaut, dass eure Website bald wieder online geht!

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Was wird in Linz jetzt passieren?

Natürlich ist Linz nicht tot, mit Headlinerslots auf Metalfestivals kann man aber in nächster Zeit trotzdem nicht rechnen. Es fehlen immer noch die ganz frischen Acts, die sich auch zur Szene zugehörig fühlen. Dazu müssen Flip und die restliche Tonträger-Crew den verpassten Anschluss an das Internetzeitalter nachholen.

Aber dass die Linzer-Szene sich ihres Zustandes bewusst ist, ist schon der erste Schritt zur Weltherrschaft und vor Kurzem veröffentlichten die Tonträger-Allstars (Texta, Hinterland, Average, Staummtisch) den Song "Morgen", die Tonträger-Compilation kommt später im Jahr. Es tut sich was und es hat sich eigentlich immer was getan. Linz hat nie aufgehört, eine HipHop-Stadt zu sein, es wird der Stadt lediglich derzeit weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Woran auch die oben genannten Gründe schuld sind. 2017 könnte das Jahr sein, nachdem man doch wieder an HipHop denkt, wenn man über Linz redet. Wir werden jedenfalls wieder öfter nach Oberösterreich schauen, denn Linz schon völlig abzuschreiben, wäre einfach nur nachlässig.


Änderung, 13.7.2017:
Es wurde klarer formuliert, dass die Aussage "Man wollte auch hier keine Details nennen, weshalb es dazu kam, aber die Stichworte "Koks", "Huren" und "Psychose" sind gefallen." von einer anonymen Quelle kommen. Pull Quote wurde entfernt.

Benji auf Twitter: @lazy_reviews

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