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Wie sich das Gesicht des männlichen Popstar-Schwarms verändert

Was Frauen—zumindest bei ihren Pop-Idolen—wollen, ist nicht die Fantasie eines perfekten Körpers, sondern den Ausdruck einer komplizierten Sprache des Gefühls. Und Talent.

Als ich eine Teenagerin war, war Usher mein größter Schwarm. Er hatte alles: das verschmitzte Lächeln, die gefühlvollen, körperbetonten Dance-Moves, die Bauchmuskeln, mit denen du Käse reiben konntest. Es war Ende der 90er und männliche Popstars brauchten nur zwei Dinge, um zum Schwarm zu werden: Ein Babyface (ausgeprägtes Kinn und gefärbte Haarspitzen optional) und die Fähigkeit zu tanzen. So bin ich auch Ricky Martin verfallen.

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Die Männer oder Jungs, für die damals dein Herz schlug, fielen in verschiedene Kategorien. Zunächst gab es die Boyband-Schwärme—entweder die etwas rüpeligen britischen Jungs wie Take That oder Boyzone oder die etwas ernsteren amerikanischen Boybands wie die Backstreet Boys oder *NSYNC und ihr verlorener Sohn Justin Timberlake. Dann gab es die Objekte, bei denen es etwas mehr um die Bauchmuskeln ging, wie den ehemaligen australischen Soap-Star und späteren Sänger Peter Andre (der unerklärlicherweise auf der anderen Seite des großen Teichs nie Erfolg hatte), die unbehaglich sexuellen Typen wie Enrique Iglesias, die „alternativen“ Adonisse wie Lenny Kravitz und dann die Hüftschwinger wie Usher und Mr. Martin—aber alle hatten eins gemeinsam. Trotz ihren femininen Falsettos und Musik mit angeblich echten Gefühlen waren sie ausgesprochen maskulin. Ihr Testosteron trat durch ihr Muskelspiel und ihre aggressive Sexualität zutage. Das männliche musikalische Pin-up der späten 90er war gerade feminin genug, um daraus einen falschen Mann des Gefühls zu machen, doch war dieser auch ein Macho. Sein Mackertum war in der Rückschau leicht homoerotisch, besonders im Kontext einer Boyband (oder bin ich die Einzige, die den Subtext im Video zu „Quit Playing Games With My Heart“ sieht?). Und trotzdem war er ebenso latent homophob mit seinem Bestehen auf die eigene Heterosexualität.

Im bereits erwähnten „Quit Playing Games With My Heart“ zum Beispiel sind fünf erwachsene Männer mit offenen Hemden zu sehen, die sich zusammen im Regen räkeln, dabei ist der Kanon der Backstreet Boys aber, dass sie gezielt nur für Frauen singen. Und wie sie in „As Long As You Love Me“ klar machen, ist es egal, wer diese Frau ist, so lange sie ihrem Mann vollständig ergeben ist. In „Backstreet’s Back“ sind die Boys auf einer extravaganten Halloween-Party in Outfits zu sehen, die Heidi Klum würdig sind, sie knurren jedoch: „Do you think I’m sexual?” in Richtung der weiblichen Zuseherinnen (sowohl den sexy Zombie-/Vampir-/Mumien-Frauen im Video als auch uns, dem Publikum). In „I Want It That Way“ tanzen die Boys in engelsgleichem Weiß herum und himmlische Schnitte nehmen uns von einer Szene mit zur anderen, gesungen wird jedoch darüber, dass sie nicht wollen, dass ihre Frau ein Verlangen äußert, welches im Gegensatz zu ihrem eigenen steht. Der 90er-Schwarm existierte mit dieser Art von Widerspruch und präsentierte eine scheinbar gefühlvolle Version subtiler Maskulinität, während er immer noch extrem an den Machtverhältnissen heteronormativer Geschlechterrollen festhielt.

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Der Pop-Schwarm der 90er war nicht sonderlich weit entfernt von den Rock-Göttern der 60er und 70er sowie den Hair-Göttern der 80er. Ob in engen Jeans und mit Make-up Hotelzimmer zerstörend (Mick Jagger, John Lennon, David Bowie) oder mit Lederweste und voluminöser Dauerwelle (Axl Rose, Jon Bon Jovi), moderne Schwärme haben die Grenzen zwischen maskulin und feminin schon immer verschwimmen lassen, doch war dies immer Performance. Selbst Elvis Presley, mit seinem unnachahmlichen Hüftschwung, war eine geschickte und unwiderstehliche Verbindung von beidem. Sein perfekt frisiertes Haar, die weiche Haut und seine verträumten Liebeslieder neigten zum Zarten und Femininen, während sein Auftreten als Veteran, sein grinsendes Fahndungsfoto und seine Gefängnis-Rocker-Attitüde zum Maskulinen schwenkten.

Nur sehr selten entstehen Schwärme durch rohe, primitive Männlichkeit. Außer natürlich sie heißen Bruce Springsteen. Um im Pop begehrlich zu sein, müssen Männer im Allgemeinen ein gewisses Maß an Weiblichkeit in ihrem Aussehen (schöne Haare, rasiert) zeigen, müssen diese Weiblichkeit aber auch plausibel zurückweisen können (wofür das öffentliche Image eines Playboys von Vorteil ist). Unsere Schwärme, egal wie feminin, haben immer auf ihre Potenz bestanden, ob durch ihre Texte oder öffentliches Aufreißen. Ricky Martin hat nach der Veröffentlichung von „Livin’ La Vida Loca“ schließlich mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, um sich zu outen. Das macht die Liebesgötter von 2015 im Vergleich zu ihren Schwarm-Pendants der Vergangenheit so einzigartig.

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Denk an die Liebesgötter der Pop-Gegenwart: Ed Sheeran, Sam Smith, Bruno Mars, John Legend und Justin Bieber. Nur anhand der Liste siehst du bereits, dass unsere Schwärme ein wenig vielfältiger geworden sind und weniger Waschbrettbauch aufweisen als jemals zuvor (ausgenommen Biebs, der eine Art Ausreißer zu sein scheint, ein Überbleibsel gar). Sheeran ist die Inkarnation von Ron Weasley, Smith ist offen schwul, Mars ist, obwohl er die Dance-Moves hat, ein winzig kleiner Typ und Legend ist ein stolzer Familienvater. Und trotzdem gilt ihnen unser Verlangen.

Ich will nichts davon so klingen lassen, als wäre es eine schlechte Sache. Ich glaube, dass sich das Wesen der Männlichkeit und die Art des männlichen Popstars, die es hervorbringt, ständig weiter entwickelt—aus einer Reihe von Gründen. Am offensichtlichsten ist der Einfluss des Internets. Wir wissen, dass das Internet die Art verändert hat, wie wir Kultur verbreiten und aufnehmen, und dass es uns in Bezug auf Musik erlaubt, weitaus vielfältigere Künstler zu erleben und zu teilen. Es bringt uns dazu, eine Menge Mist abzufeiern (virale Hochzeitsvideos, die Kardashians), aber es ermöglicht uns auch, Talente zu entdecken, die wir für ein Magazincover vielleicht nicht als würdig erachtet hätten. Denn eine Sache, die unsere neuen Liebesgötter gemeinsam haben, ist ihr gewaltiges Talent als Songwriter; etwas, das zumindest in den 90ern keine Voraussetzung war, wenn du einen Hundeblick hattest und zumindest einen Ton halten und die Choreografie lernen konntest.

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Geschlecht und Sexualität sind heutzutage außerdem viel weniger starr, zumindest verglichen mit früheren Generationen von Pin-ups. Während die Popstars, die wir geliebt und auf Postern geküsst haben, also immer mit Weiblichkeit geflirtet haben, ist dieses Flirten nicht länger notwendig. Sam Smith ist offen schwul und wo Chartstürmer der Vergangenheit entweder (dürftig) versucht haben, ihre Homosexualität zu verbergen (Ricky Martin, George Michael) oder offen schwul waren und daher als „schwule Künstler“ kategorisiert wurden (Elton John, Boy George), genießt Smith den Erfolg als Liebesgott, ungeachtet seiner Sexualität. Ein Beispiel: Mein heterosexueller Freund ist total verliebt in ihn, genau wie ich, eine heterosexuelle Frau. Der aufstrebende 20-jährige australische Star Troye Sivan ist in einer ähnlichen Position: Er singt über Jungs, aber auch Mädchen fallen wegen ihm in Ohnmacht. Heutzutage diktiert die sexuelle Orientierung eines Sängers nicht unbedingt, welche emotionale Verbindung wir, die Fans, mit ihm eingehen. Allmählich verliert die sexuelle Orientierung die Kraft darüber, wie wir ihn wahrnehmen.

Die Veränderung dieser Dynamik ist nichts, was unbedacht geschieht. In einem Interview mit Out diskutierte Smith sein Ziel, den Fokus von Sexualität auf die Musik zu lenken: „Mein Ziel ist es, den Leuten zu vermitteln, wie gut es für mich war, damit schwule Männer oder Eltern mit schwulen Kindern sich hoffentlich meine Geschichte ansehen können und denken: ‚Wow, so sollte es sein. Darauf können wir hinarbeiten.’ Das war mein ganzes Motiv—dass nicht mehr darüber geredet wird. Es sollte über meine Musik geredet werden.“ Da der Fokus auf seinen zu Tränen bewegenden Liebesliedern liegt, ist es nicht schwer, weiche Knie wegen Sam Smith zu bekommen. In einem historischen Kontext ergibt es sogar noch mehr Sinn, wenn man bedenkt, dass sich Künstler wie David Bowie und Mick Jagger bewusst schwule Eigenarten und visuelle Aspekte schwuler Kultur angeeignet haben, um sowohl ihrem Erfolg als auch ihrer Begehrtheit als Liebesgötter zu helfen. Doch Smiths Sexualität wird weder offen zur Schau getragen, noch wird sie für die Beliebtheit instrumentalisiert. Sie ist organisch und authentisch; untrennbar aber unaufdringlich, was seinem Ziel dienlich ist, Sexualität zu etwas zu machen, das sein künstlerisches Talent nur geringfügig beeinflusst und ihn damit automatisch zu einem Schwarm macht.

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Die Natur des Femininen verändert sich ebenfalls. Die vierte Welle des Feminismus kämpft gegen das Stigma im Zusammenhang mit der öffentlichen Darstellung weiblicher Begierde. „Was Frauen wollen“ ist ein heißes Thema und wir sind verrückt danach, dies aus dem Mund von Frauen zu hören. In der Popmusik wird dies dadurch sichtbar, dass wir Frauen nicht länger sagen, dass sie einen Nick Carter wollen. Wir hören auf Frauen, die uns sagen, dass sie einen Ed Sheeran, einen Bruno Mars, einen John Legend wollen. Was Frauen—zumindest bei ihren Pop-Idolen—wollen, ist nicht die Fantasie eines perfekten Körpers, sondern den Ausdruck einer komplizierten Sprache des Gefühls. Und Talent. Wenn diese Männer ein Indiz sind, dann ist die Wahrnehmung, dass Frauen definitiv von Talent angezogen werden, eindeutig wahr.

Im Gespräch mit Vulture über Sheeran bezeichnen Amanda Dobbins und Lindsey Webber ihn als „Muppet-artig“. Um seine Anziehungskraft zu erklären, beschreibt Lindsey ihn wie folgt: „Sein Sound ist wohlklingend genug; er ist tatsächlich talentiert; und sagen wir es so, er sieht einfach extrem… harmlos aus.“ Tatsächlich ist etwas an einem Mann, der nicht andauernd mit dem Becken stößt, andauernd versichert, dass er einen Penis hat und keine Angst davor, diesen zu benutzen. Wenn man dem die Unterstützung durch Taylor Swift hinzufügt, auf die Dobbins und Webber ebenfalls eingehen, dann wird Sheeran zu dem Mann, den Frauen wollen. Sheeran ist ein Kommunikator und mit seinen engelsgleichen Tönen vermittelt er eine Art Männlichkeit, die sehr selbstsicher ist, jedoch ohne die Angeberei. In „Don’t“ ist er zum Beispiel eindeutig und unmissverständlich bezüglich seinen Gefühlen, jedoch nicht gewillt, sich als betrogen zu inszenieren. Dieser Song ist die Antithese zu „Hotline Bling“—Sheeran ist ein sitzengelassener Liebhaber, der nicht zu stolz ist, zuzugeben, dass er verletzt ist, während Drake wütend und rachsüchtig ist und sich kleinlichen, sexistischen Spitzen gegen seine Ex zuwendet. Was der Grund ist, warum Drake kein moderner Liebesgott sein kann.

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John Legends zartes, aber entschlossenes Wesen ist dem von Sheeran ähnlich: Er singt über den „schönen Geist“ einer Frau und dass er „bei jeder Laune da bleibt“, besingt aber auch ihre körperliche Schönheit. (All das wird unterstützt von seiner sehr öffentlich dargestellten Hingabe zu seiner Frau Chrissy Teigen.) Auch Bruno Mars singt bei „When I Was Your Man“ ebenso von Reue ohne Boshaftigkeit wie er in „Gorilla“ von zügelloser Sexualität singt. Da Frauen sich zunehmend als eigenständige Gleichgestellte sehen, vertreten die Liebesgötter von 2015 sie ihnen in ihren Songs auch auf diese Weise. Und wenn man bedenkt, dass Bruno Mars, der sich dem vorher etablierten 90er-Schwarm-Standard widersetzt, gerade seinen zweiten Superbowl gespielt hat, sickert dies vielleicht in die allgemeine Kultur und erzeugt einen Dominoeffekt. Vielleicht haben Frauen diese neuen Liebesgötter verlangt, Pop hat abgeliefert und jetzt spielt es sich in einem größeren, sozialen Dialog ab.

Und was Justin Bieber angeht: Er ist ziemlich verwirrt und Purpose zeigt das. Biebs hätte genau in die Riege der 90er-Schwärme gepasst—er hat die Moves, die Bauchmuskeln, den verletzten Blick und die trendige Frisur. Aber er ist durch die Zeit gereist, hat sein Dasein als Kinderstar überlebt, um jetzt bei uns zu sein und möchte so verzweifelt dazu gehören. Er will so ernst genommen werden wie die anderen Typen, besonders als Liebesgott, aber das ist schwer, denn bis vor Kurzem stand er für ein Relikt aus einer Zeit der Männlichkeit, in der Testosteron jegliche Form von Gentleman-ähnlicher Sensibilität überlagerte. Jetzt versucht er, seine Marke neu zu definieren, um mit dem Tempo der neuen Ära Schritt zu halten. „Sorry“ scheint dies zu vermitteln. Während junge Teenagerinnen es als eine Entschuldigung an seine Ex Selena Gomez sehen, ist es ebenso an seine Fans gerichtet wie an sie. Bei „Sorry“ singt er: „I’m missing more than just your body“, womit er anerkennt, dass Verlangen nicht nur visuell oder körperlich ist. Und bei „Where Are You Know?“ deutet die Textzeile „I gave you the shirt off my body“ die Verwirrung in einer Post-Backstreet-Boy-Ära an, wie viel nackter Oberkörper von seinem Publikum erwünscht ist. OK, das ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber belassen wir es dabei. Purpose könnte ein Zeichen sein, dass Biebs anfängt zu verstehen, dass nur ein Schwarm zu sein nicht ausreicht, um ein Liebesgott zu sein, und dass Frauen nicht länger wollen, dass ihnen ihr Verlangen durch Männer mit glattrasierten Bauchmuskeln und fordernden Texten erklärt wird.

Der sensible Mann kam in der Kunst im späten 18. Jahrhundert auf, aber erst jetzt wird er zu einer in relevanten Kraft in der Popmusik. Er ist jetzt hier als Antwort auf die sich verändernden Forderungen einer Kultur, die immer mehr vom Weiblichen angetrieben wird. Geschlecht, Sexualität und Gefühl weisen langsam aber sicher die traditionelle Diktatur der Männlichkeit von sich. Und die maskuline Angst der Fight-Club-Ära darüber beginnt sich aufzulösen. Wir werden immer männliche Männer haben. Ich werde immer Usher anschmachten. Aber jetzt sehen wir, wie unser geheimstes Verlangen—ob als Frauen, emotional unterentwickelte Männer oder als nicht-binärer Ausdruck von Geschlecht und Sexualität—erhört wird. Die neuen Liebesgötter erzählen uns, dass jemand zuhört und und spiegeln die Vorstellung von Männlichkeit wider, von der wir immer gehofft haben, dass wir sie einmal vergöttern können.

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