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Zwei Pfadfinder haben uns zu einem „Questival“ eingeladen

Sie haben ein ausschweifendes Wochenende versprochen. Wie konnten wir da Nein sagen?
Ryan Bassil
London, GB

Im März hat mich unser Rezeptionist Nathan angerufen. „Hi Ryan“, sagte er.

„Hier sind zwei Leute für dich“. „Wer ist es?“, fragte ich. Er sagte mir zwei Namen, die ich noch nie zuvor gehört hatte und erzählte weiter: „Ach ja, sie tragen Pfadfinder-Uniformen“. Ich wusste nicht, was auf mich zukam. „Okay…“, antwortete ich und ging zum Empfang, um dort von diesen Beiden begrüßt zu werden, die mich anstarrten.

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„Bist du Ryan?“, sprachen sie. „Ja“, antwortete ich. „Wir sind wegen dir hier“, sagten sie Unisono, grinsten und sahen mich eindringlich an. „Wir sind mit einem sehr besonderen Geschenk gekommen. Du musst es lösen, folge der Anleitung im Inneren und schließ dich uns an.“ Als ich etwas zurückwich, legten sie eine Puzzlebox in meine Hand. Ich war überzeugt, dass sie Teil irgendeines Kults waren, der von alten Ausgaben des Time Out-Magazins, Wes Anderson und dem Erbe von Baden Powell beeinflusst ist, aber mir sind schon komischere Dinge passiert, also bin ich zurück zu meinem Schreibtisch gegangen und habe ihre Aufgabe gelöst. In der Box fand ich zwei Pfadfinder-Abzeichen und eine Papierrolle.

Das Papier war eine Einladung zum Camp Wildfire—„ein Abenteuer-Camp im Stil der 1950er“, in dem „Pfadfinderleiter die Camper ermutigen, bei einer ganzen Reihe an Aktivitäten mitzumachen“, bis die Nacht einbricht und die Camper „es sich wirklich verdient haben“, bei „ausschweifenden Partys“ mitzumachen. Also im Prinzip tagsüber ein Abenteuer-Camp und nachts ein „Musikfestival im Wald“ mit einem „geheimen Line-up mit großartigen Bands und DJs“. Sie nannten es „das weltweit erste Questival“—ein Ereignis „nur für die Neugierigen“. Ich empfand es als langatmigste Einladung, die ich jemals bekommen habe.

Auch wenn die Einladung sich komisch anfühlte—wie wenn einer der Scientologen auf der Straße anbietet, „einen Persönlichkeitstest zu machen“, nur für Musikjournalisten, die „einen Artikel schreiben“ sollen—das Festival versprach ein ausschweifendes Wochenende. Und bin ich daran interessiert? Und wie ich das bin! Also habe ich mir meine Wanderschuhe angezogen und habe mich auf den Weg zu der „exklusiven, geheimen Wald-Location eine Stunde außerhalb Londons“ gemacht.

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„Geheime Location“ bedeutet anscheinend irgendwo, wo man nicht mit dem Zug hinkommt, also kamen wir Freitag spät nachts an. Ich lüge nicht, der Ort sah richtig schön aus. Als wir durch den seicht erleuchteten Tunnel gingen, fühlte es sich an, als würden wir Narnia erreichen, nur mit dem Wissen, dass wir Einkaufstüten voll mit billigem Alkohol dabei haben, anstatt tiefe Gefühle für unsere Geschwister. Aber wie Lucy, Susan, Peter und Edmund kamen auch wir ohne eine einzige Rolle Klopapier an.

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Ich erreichte das Camp mit einigen Fragen. Würde das erste „Questival" der Welt wie ein Kult sein? Würde es ein von Rauschmitteln befeuerter Aufstieg in das Paradies der Ekstase sein? Würde mich die Erfahrung zu einem neuen Menschen machen? Ich war nicht sicher, aber als am Eingang noch mehr Pfadfinderleiter auf uns warteten, erhärtete sich mein ursprünglicher Verdacht, dass wir uns einem alternativen Glaubenssystem anschließen sollen. Uns wurde gesagt, dass wir „echt trendig“ aussehen und wir wurden der „Fuchs“-Patrouille zugeordnet, weil wir wie „Großstadtfüchse“ aussehen. Es war wie Harry Potter oder der Anfang eines High-School-Films mit Studentenverbindungs-Thematik, nur mit kleinen Dachsen, heulenden Adlern, flinken Eichhörnchen und furchtlosen Füchsen anstelle von Gryffindor und griechischen Buchstaben.

Motherboard: Landstreicher 2.0

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Das Camp Wildfire basiert auf einem Anmeldesystem. Du gehst abends zum „Einschreibebereich“, wählst aus, bei welchen Aktivitäten du mitmachen willst—es gibt davon über 80—und schreibst sie in dein „Abenteurer-Handbuch“. Obwohl sie nicht vor dem nächsten Morgen losgehen sollten, waren für unseren Ankunftstag ein paar Aktivitäten geplant. Das ist passiert:

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Wir versuchen uns am „Strip the Willow“-Tanz; wir essen ein wenig Pulled Pork mit Kruste; ein paar DJs spielen einen vielseitigen Mix—von „Uptown Funk“ bis Todd Terje; ein Typ entzündet ein Schwert; unsere Gute-Nacht-Geschichte kommt von einem Forscher, der am Lagerfeuer von den Kannibalen-Stämmen Papua Neuguineas erzählt. Ich falle in ein Bett und verfluche mich selbst, weil ich mich auf das britische Wetter verlassen und nur einen Kapuzenpulli und Jeans mitgebracht habe.

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Am nächsten Morgen wachen wir auf, weil zwei Nachrichten an uns herangetragen werden. Die erste erreicht uns über das Lautsprechersystem des Camp Wildfire. „Achtung Camper“, sagt eine Stimme. „Wir haben eine wichtige Nachricht für euch“. Diese wird von einem „Ding-Dong-Ding-Ding“-Klang angekündigt, wie in den Sommercamps für amerikanische Kinder, von denen ich früher geträumt habe, nur dass es acht Uhr morgens ist, ich kaum geschlafen habe und mir verdammt kalt ist. Die zweite kommt von den Pennern, die sich fröhlich „Guten Morgen“ zurufen, wenn sie sich auf dem Campingplatz begegnen. Es ist wie Hunger Games gepaart mit dem Dorf, das Nick Frost in Hot Fuzz rettet. Ich wünsche mir wirklich, sie würden sich alle verpissen. Mir wird klar, dass ich Camping hasse und schlafe wie ein Opfer in einem Kriegsgebiet, außer dass ich nur von Minusgraden und dem Wissen, dass ich ein „trendiger Stadfuchs“, also ein Weichei, bin, geplagt werde. Neben mir meditieren Leute und hauen auf Trommeln.

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Wir frühstücken und warten auf die erste Aktivität des Tages. Während wir essen, spricht ein Campleiter über das Lautsprechersystem—aus dem Gene Vincents „Be-Bop-a-Lula“ tönt—und sagt ein paar etwas entmutigende Dinge wie: „Wenn du dich langweilst, während du wartest, warum forderst du dann nicht einen anderen Camper zu einem Rennen auf“. Und das Ganze in einer Radiostimme, die so klingt, als wäre es eine britische „Keep Calm and Carry On“-Infosendung über Kriegsrationierung aus den 1930ern.

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In der Liste über die Aktivitäten heißt es auf der Webseite des Camp Wildfire: „Heiliger Bimbam, du kannst ganz schön gespannt sein…“ und ehrlich gesagt, bin ich das auch. Im Laufe des Wochenendes mache ich bei den folgenden furchtlosen Unternehmungen mit:

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Ich lehne mich zurück, wie die Terror Squad befielt, und stoße mich von einer Wand ab. Das ist mein John McClane-Moment. Yippee Kiy Yay, Motherfuckers!

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Ich hänge in einem Getreidefeld ab.

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Ich durchlebe jeden Familien-Grillabend neu und spiele ein bisschen Swingball. Natürlich haue ich mir das Ding aus Versehen in die Fresse.

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Ich lasse es meinen Eiern im Trab gut gehen und mir wird klar, dass Leute, die Pferde haben, sie auf alles packen—Tassen, Handtücher, Kalender, handgemalte Bilder, alles, das sich irgendwie verzieren lässt. Sie verehren die vierbeinigen, haarigen Kreaturen wie ihre ungeborenen Enkel. Ich habe eine tolle Zeit mit lustigen Leuten. Questival ist toll. Das hier ist eine Utopie! Dann passiert etwas Traumatisierendes…

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Mir wird das Gesicht angemalt.

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Und ich häute ein Kaninchen, mit angemaltem Gesicht.

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Ich sollte dazu sagen, dass dieses kleine Geschöpf ein paar Tage vorher von einem Auto angefahren wurde, also sage ich zu mir selbst, dass es in Ordnung ist, diesen Protagonisten aus Unten am Fluß aufzuschlitzen. Ich meine, überfahrene Tiere zu essen, ist wahrscheinlich ein viel einwandfreierer, ethischerer Weg, Fleisch zu essen—sie wurden von einem Auto angefahren, OK, aber das ist doch um einiges besser, als in einen Käfig gestopft zu werden, um auf Fäkalien und Krankheiten zu schlafen. Mir wurde trotzdem schlecht. Ich liebe Tiere. Außerdem—wisst ihr wie viel Zeug in so einem toten Tier drin ist? Ehrlich gesagt, habe ich davor nicht wirklich darüber nachgedacht, aber die Antwort ist: eine Menge. Leider gibt es keinen Internetanschluss, also kann ich nicht bei repentyoursins.com vorbei schauen—eine mittlerweile stillgelegte Seite, dich ich tatsächlich nur benutzt habe, nachdem ich ein anderes Mal ein Kaninchen zerlegt hatte. Das zweite Mal an diesem Wochenende ist etwas richtig scheiße.

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Um mich zu beruhigen, male ich ein Bild mit Wasserfarben und bekomme späte Genugtuung durch meine Eins in Kunst. Es war alles, was meine Mutter sich gewünscht hat und als Resultat erreiche ich inneren Frieden. Später ruiniert der Regen mein Gemälde. Scheiß Regen.

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Die Nacht bricht an und zum ersten Mal an diesem Wochenende werden wir sehen, was „ein ausschweifender Abend“ bedeutet. Zuerst ist Clarence Clarity dran—ein Künstler, der laut eines Artikels, den ich geschrieben habe, „die Art von Freude hervorruft, die ansonsten durch Sadismus entsteht“. Dann kommt der nächste Act—The Keston Cobblers Club—die ihr neues Album vorstellen. Ich frage unseren Fotografen Jake, was er von denen hält. „Sie klingen fröhlich und energetisch“, antwortet er. Das hier ist nicht Glastonbury, aber definitiv eine nette Abwechslung von gängigen Festivals.

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Am nächsten Tag passiert ungefähr das Gleiche. Wir machen ein paar Masken; wir lernen, wie man Feuer macht, wir sehen, wie ein Schwein sich über dem Feuer dreht und essen noch mehr. Es gibt eine Wasserschlacht. Manche machen Tauziehen. Normaler Abenteuer-Camp-Kram.

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Während des Festivals sammelt jede Patrouille Punkte—für gutes Abschneiden bei den Aktivitäten, das Gewinnen von Wasserschlachten usw.—am Ende gewinnt die Patrouille mit den meisten Punkten eine Trophäe. Die Füchse gewinnen und wir fühlen uns wie die härtesten Motherfucker im ganzen Camp. Jake hält die Trophäe in die Höhe wie ein echt harter Hund.

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Sieh dir das nur an. Sieh dir all die Zufriedenheit an. Ich bin ins Camp gegangen und habe erwartet, dass es merkwürdig, lahm, eine schlimme Erfahrung wird, aber im Prinzip ist es anders als alles, was ich erlebt habe, Es ist wie die letzten drei Schultage oder ein Pfadfinder-Camp, aber mit den tollen Annehmlichkeiten, die einem nur Drogen und Alkohol bieten—und anders als jedes andere Festival. Es bietet eine Möglichkeit, um sich auf Abenteuer einzulassen und etwas Neues auszuprobieren. In einer Festival-Landschaft, die voller Events ist, bei denen dasselbe passiert, dieselben Bands gebucht werden und man die selben Erfahrungen macht, ist das etwas Aufsehene rregendes. Ich bin angekommen und habe mich gefühlt, als wäre ich in einen Kult eingeweiht worden. Ich bin mit einem Erlebnis wieder nach Hause gefahren. Wenn du nicht Kasabian oder The Who oder Metallica zum zweiten Mal sehen willst, dann kannst du dir wahrscheinlich nicht mehr von einem Festival wünschen.

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Es waren sogar ein paar VIPs da. Das ist Daniel Bedingfields Bruder in all seiner Pracht.

BUM BAH BUM, BUM BAH, BUM. BUM BAH BUM.

Ich wette, das hört er immer wieder.

Sorry Bro.

Ryan Bassil ist bei Twitter. Alle Fotos von Jake Lewis.

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