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Diese Typen lassen eine Kaffeekanne fallen und nennen es Kunst

Wie erforscht man einen Bereich, den es nicht gibt?

Foto vom Autor, alle anderen Fotos mit freundlicher Genehmigung vom Institut für transakustische Forschung

Die meisten werden das Institut für transakustische Forschung—wenn überhaupt—über das Vegetable Orchestra kennen. Das baut seine Instrumente aus Gemüse und macht damit einen Sound, der sich irgendwo zwischen House, experimenteller Elektronik und Noise bewegt. Seit 1998 forschen Nikolaus Gansterer, Matthias Meinharter, Jörg Piringer und Ernst Reitermaier als „Institut für transakustische Forschung" in einem Bereich, der sich irgendwo zwischen Kunst und Wissenschaft angesiedelt hat, und sich jeder eindeutigen Beschreibung entzieht. Wir haben uns mit ihnen getroffen, damit sie uns erklären wie Kunst und Wissenschaft miteinander harmonieren können und wie man auf kunstvolle Weise eine Kaffeekanne zum Explodieren bringt.

Unten geht's weiter.

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Noisey: Was ist Transakustik?
Jörg: Wir wissen es selber nicht.
Ernst: Also das ganze Konzept des Instituts war es, einen leeren Begriff zu finden, um den herum Aktionen zu machen und dadurch Realität und Netzwerke zu generieren. Wir haben das Ganze auch größer gedacht—wir haben eine utopische Universität anvisiert, mit verschiedenen Instituten die es damals zu der Zeit gegeben hat. Da gab es das Institut für Wissenschaft und Kunst, das Institut für Gulasch-Engineering, das Institut für bezahlbaren Wahnsinn…
Jörg: Das Institut für Feinmotorik.
Ernst: Es gab weltweit verschiedene Institute, die sich mit seltsamen Forschungsfeldern beschäftigt haben. Wir haben uns das Forschungsfeld der Transakustik ausgesucht. Wir kommen aus unterschiedlichsten Richtungen, aber wir beschäftigen uns alle mit Akustik und verwenden Akustik als Ausdrucksform in unseren Arbeiten.

Ihr kommt ja aus der Design- und Kunstrichtung, also nicht aus der harten Wissenschaft
Jörg: Also ich hab Informatik studiert, ist keine Naturwissenschaft, aber eine Ingenieurswissenschaft, der Ernst ist Philosoph…
Nikolaus: …ich bin ursprünglich Bildhauer…
Jörg: …und der Matthias ist Medienkünstler.

Es ist ein schwieriger Begriff; ist es das, was über die Akustik hinaus geht?
Jörg: Der ist mit Absicht so gewählt, weil wir es uns offen halten wollten. Und weil wir nicht reine Musik machen wollten und auch immer noch nicht machen. Also, Musik und die Grenzgebiete, bzw. Akustik und die Grenzgebiete.
Ernst: Die Bewegung ist immer wichtig, das Übersetzen. Wenn du ein Klavierstück nimmst, ist das keine Transakustik per se, aber du kannst die Hörperspektive oder die Fragestellung so verändern, dass es transakustisch wird. Wenn du ein Heavy-Metal Stück nimmst und es Pflanzen vorspielst und schaust wie sie reagieren, dann ist es ein transakustisches Experiment. Es geht immer um den Forschungscharakter. Wenn du das Ganze zu einem Geschäftsmodell erhebst, weil du jetzt Heavy-Metal-Platten produzierst, die den Ertrag von Kartoffeln steigern, dann ist das schon kein transakustisches Forschungsprojekt mehr.

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Stellt ihr Theorien auf, die ihr verifiziert? Der ist es freies Forschen
Jörg: Ja, das gibt es auch. Es sind auch die Methoden nicht einheitlich. Das Institut besticht durch große Inkohärenz (lacht). Unser klassisches Beispiel ist das Gemüseorchester. Das war ursprünglich Teil des Instituts für transakustische Forschung. Dadurch, dass es aber so eigenständig und populär geworden ist, ist es nicht mehr transakustisch; die transakustischen Qualitäten davon sind ausgeschöpft. Es ist ausgegliedert und etwas ganz Eigenständiges. Das ist mit einigen Dingen passiert.

Also es ist sowas wie eine Petri-Schale für Ideen?
Jörg: Ja, für Ideen, für Konzepte. Vieles klappt auch nicht, oder scheitert, das macht aber auch nicht wirklich was.
Nikolaus: Das ist ein Stück weit auch Kritik an der Kommerzialisierung von Musik, ich denke es ist eine Art Reservoir, wo etwas in einem kleineren Rahmen ausgetestet werden kann. Durchaus mit dem Anspruch, dass es auch nicht unbedingt funktionieren muss. Dass es einfach ein offenes Ergebnis ist. Und die Felder in denen wir operieren sind irgendwo zwischen Wissenschaft und Kunst. So ein transdisziplinäres Millieu zu erschaffen…da gab es damals gar nichts in die Richtung in Wien.

Wie habt ihr euch gefunden?
Nikolaus: Eh, über künstlerische Projekte, oder ästhetische Praxen. Das ist offener, weil ich ja ein Nachdenken oder Philosophieren durchaus als ästhetische Praxis sehen würde, die ähnlich wie eine Komposition oder Arbeit an Musikstück ist. Wo man sich trifft ist in diesem forschenden Zugang.
Jörg: Also das Schlagwort war immer Kunst mit Mitteln der Wissenschaft und Wissenschaft mit Mitteln der Kunst.

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Kann man in der Kunst so zielgerichtet forschen, ist man da eingeschränkt?
Jörg: ich glaub das geht sogar ziemlich gut. Die Kunst die mich interessiert ist oft eine, die mit starken Einschränkungen arbeitet. Wenn man sich über ein Material lange den Kopf zerbricht, ist das fast wie Grundlagenforschung. Das gibt es musikalisch und das gibt es für Materialien wie Polymere, ich glaube da ist kaum ein Unterschied.
Nikolaus: den Begriff der künstlerischen Forschung den gab es in der Form noch garnicht. Das ist etwas das in den letzten fünf Jahren..
Jörg: Den wir erfunden haben (lacht).
Nikoklaus: Im anglo-sächsischen Raum gab es das schon länger, aber im deutschsprachigen Raum ist das überhaupt nicht praktiziert worden. Langsam gibt es Programme, durch die das auch von staatlicher Seite gefördert wird. Aber damals war das ein ziemlicher Solitär in der Herangehensweise.

Kann man in dieser Richtung noch Forschen? Gibt es da noch etwas Neues, wenn man bedenkt, was John Cage zum Beispiel gemacht hat?
Jörg: Ich glaub das is unendlich. Weil sich immer auch der Blickwinkel ändert. Für die Transakustik ist John Cage ein wichtiger Vorläufer, aber ich glaub, da ist noch so viel unerforscht. Also ich sehe kein Ende.
Ernst: Ich würde John Cage als ein Element sehen. Aber auch Sounddesign hat transakustische Qualitäten. Wenn jemanden den Klang von Kartoffelchips designt, ist das durchaus für unser Institut interssant. Ich glaube Cage hätten viele Sachen die uns interessieren auch interessiert. Wir haben die Veranstaltungsreihe Hearings gemacht, wo wir unterschiedlichste Leute eingeladen haben um ganz kurze Präsentationen, Experimente oder Vorträge zu machen. Die haben davon gelebt, dass es so heterogen war, was da zusammen gekommen ist. Ein wissenschaftlicher Vortrag, ein Klavierstück, ein Bild; Sehr unterschiedliche Dinge.

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Gab es da Highlights?
Jörg: Viele.
Nikolaus: Genug.
Jörg: Über fünf Jahre haben wir 36 Veranstaltungen gemacht. Einmal haben wir eine Exkursion zu einem Flügelfriedhof gemacht. Das war ein Lager, wo irrsinnig viele Klaviere vollkommen kaputt herumgelegen sind. Das war so eine Lagerhalle im 20. Bezirk.
Ernst: Das Ding war, dass es aufgelöst wurde.
Jörg: Genau, das war der Tod des Flügelfriedhofs.
Ernst: Sie haben alle Klaviere zerhackt.
Nikolaus: und verbrannt.
Jörg: Wir haben auch eins [ein Hearing] in einer zu renovierenden Wohnung gemacht, wo wir ein Stück namens „The Wall" gespielt haben.
Matthias: mit den Bohrmaschinen…
Jörg: Das im Grunde daraus bestanden hat einen Durchbruch zu machen.
Matthias: einen musikalischen Durchbruch.
Nikolaus: Es sind Kompositionen die weit über traditionellen Formate hinausgehen. Die auch den Raum, die Atmosphäre, öffentlichen Raum, und Zufall stark einbeziehen. Ob man dazu Happening oder Musikstück sagt; das beginnt auch für uns zu zerfließen. Ein Stück heißt zum Beispiel Fallstudie. Das ist eine Komposition, die besteht daraus, dass Gegenstände von A-Z in einer gewissen Anordnung aus fünf bis sechs Metern Höhe fallen gelassen werden und dieser Moment des Aufpralls macht das Stück aus.

An was arbeitet ihr jetzt gerade?
Jörg: Im Moment ist unser Projekt eine Studie zum Thema Popmusik. Eigentlich etwas das für das Institut sehr ungewöhnlich ist, weil wir uns bis jetzt von Popmusik ferngehalten haben. Was wir schon länger machen ist Instrumente zu bauen oder an Instrumenten zu forschen. Jetzt wenden wir unser Instrumentarium und unserer Konzeptionen auf Popmusik an und suchen wieder den Durchbruch. Einfach auch um für uns selbst herauszufinden was Popmusik ist und was Popmusik in der Transakustik sein kann.

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Wie versteht ihr Popmusik?
Jörg: Eigentlich so, dass wir zum Beispiel über die Textproduktion nachdenken und einen Text erstellt haben aus den häufigsten Wörtern die in der englischen Sprache vorkommen. Die haben wir an einander gereiht und das war dann der Text für den Pop-Song. Die Musik selbst ist vielleicht etwas wie Electro-Pop, aber sie entsteht aus relativ untauglichen Instrumenten.
Matthias: Pop hat ja klare Strukturen, die werden teilweise übernommen, oder persifliert und mit ihnen auch gespielt. Schauen ob's funktioniert. Das war bei den Hearings und auch beim Department Pop sehr interessant, dass es einen sehr experimentellen Charakter hat, der in einer Performance dem Publikum als Diskussionsgrundlage präsentiert wird. Wo dann darüber diskutiert wird, ob es ein Popstück, oder noch experimentell ist. Deshalb hatten die Veranstaltungen von uns auch immer eine Art wissenschaftlicher Zugang. Man kann die Grenze nicht gut definieren; Pop heißt ja Popularmusik. Was ist gerade populär? Das ist ein Zeitgeist, den man einfangen möchte, der sich aber immer von einem entfernt und man ihm dann hinterherhinkt. Wir versuchen den Zeitgeist schon in der Zukunft zu fangen. (lacht)
Nikolaus: Vorhinken

Nachdem ihr nicht aus öffentlichen Mitteln gefördert werdet: Seid ihr dadurch eingeschränkt in den Ideen die ihr verwirklichen könnt?
Ernst: Ich denke wir würden es nicht ablehnen um Förderung anzusuchen wenn es um konkrete Projekte geht. Wir müssen nicht wenn wir nicht wollen und wir sind keinem Rechenschaft schuldig über unsere Jahrestätigkeit.

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Ist eure Arbeit jetzt Kunst oder Wissenschaft?
Jörg: Wir haben uns bewusst entschlossen nicht so zu trennen. Uns war es nicht so wichtig, was das Ergebnis ist. Wenn du Musik machst, willst du am Schluss ein Stück haben, das gut klingt oder interessant ist. Uns war die Methode wichtig, der Prozess. Was man dadurch erfährt, oder nicht erfährt, oder was schief geht dabei. Es ist irrsinnig viel schief gegangen. Daraus ist dann etwas entstanden. Wir haben mehrere Stücke zum Thema Kaffee gemacht und das Stück „coffee two", das ist dadurch entstanden, dass uns eine dieser Espresso-Kannen explodiert ist.

Wie bringt man eine Espresso-Kanne zum explodieren?
Matthias: Ich kann's dir genau sagen. Das ist mir passiert. Ich hab Kaffee gemacht und hab mit der Espresso-Kanne nicht umgehen können. Da ist eine Dichtung drinnen und darunter ein Sieb. Das hat aber irgendwer gewaschen. Ich hab das nicht gewusst und hab die Dichtung ohne Sieb rein getan. Dann fängt die Kanne an (Pfeifgeräusch), ich hab schon gewusst:„Au, das Ventil… das klingt jetzt sehr verrückt." Ich bin daneben gestanden und das Ventil ist immer lauter geworden. Dann bin ich zu den anderen gegangen und hab „ das mit dem Ventil passt nicht." Und plötzlich hat's gemacht „ Bam!" Dann musste ich die ganze Küche ausmalen.

Wie hat sich denn das Institut über die Zeit verändert?
Jörg: Das erste Drittel vom Institut ist bestimmt worden von den Hearings, wo wir einfach Leute eingeladen und mit Kommunikationsaufwand so etwas wie eine Community gebildet haben. Nach den Hearings haben wir viele Veranstaltungen gemacht, in anderen Räumen, und jetzt ist es fast so wie eine Band. Jetzt arbeiten wir nicht mehr in die Breite gehend sondern eher an einem Projekt. Das machen wir über mehrere Jahre—vielleicht—, und dann kommt das nächste Projekt. Früher war immer alles gleichzeitig. Das hängt auch damit zusammen, dass wir alle inzwischen eigene Karrieren haben, wo wir andere Dinge machen, die sehr viel Platz einnehmen. Das Institut ist dann ein Projekt, meine eigene künstlerische Arbeit ist ein Projekt und das Gemüseorchester ist ein Projekt, und dann hat man eh schon drei Projekte, die groß genug sind.

Wie sieht eure Forschung aus?
Nikolaus: Ich glaube bei Forschung denkt man an das Forschungsmodell der Wissenschaft, aber ich denke, das ist nur ein Modell, wie man forschend tätig sein kann. Aber die Forschung im Institut war immer über die Praxis. Durch das „Tun" Dinge erkunden, also nicht nur rein intellektuell darüber nachdenken, sondern Praxis-based-research. Wirklich über eine künstlerisch-ästhetische Praxis etwas erkunden, erforschen, ausprobieren, mit all den Implikationen die Forschen nach sich zieht. Eben „nicht-schon-vorher-wissen", sonst muss man es ja nicht erforschen.

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