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Südtirol kann mehr als nur Frei.Wild—Eine Liebeserklärung an die dortige Musikszene

Wenn die beiden Begriffe „Südtirol” und „Musik” zusammen in einem Satz fallen, dann geht es meistens um die vier geweihtragenden Patriotenrocker von Frei.Wild. Leider.

Foto via Flickr | Ritten_Renon | CC BY-ND 2.0

Wenn die beiden Begriffe „Südtirol“ und „Musik“ zusammen in einem Satz fallen, dann geht es meistens um die vier geweihtragenden Patriotenrocker von Frei.Wild. Was dabei aber leider so oft außer Acht gelassen wird ist, dass Südtirol über eine wunderschöne, lebendige und bunte Musikszene verfügt. Seien es nun die Bands, die die Szene mit einer unheimlichen Vielfalt bereichern oder die Festivals, mit ihren malerischen Locations, internationalen Headlinern und dem familiären Gefühl, das es nur dort gibt—Südtirol hat sich zum pulsierenden Musikherz der Alpen gemausert.

Das Rock im Ring Festival auf dem Ritten bietet seit Jahrzehnten musikalische Höhepunkte in familiärem Ambiente. Wenn du nach Klobenstein auf dem Ritten fährst, um dein Zelt inmitten von Techno­-Beats und Death­-Metal­-Klängen aufzustellen, bist du nicht nur ein x-beliebiger Besucher eines Festivals, du wirst Teil einer moshenden, saufenden, fickenden und schwitzenden Partygemeinde. Mit über 5.000 Besuchern gehört das Festival zu einem der größten im Land. Mag zwar sein, dass das im internationalen Vergleich immer noch winzig ist, aber gerade in dieser Intimität liegt die Schönheit der ganzen Sache. Als Kraftklub im letzten Jahr bei Rock im Ring ein Konzert spielten, fand man die beiden Brummer­-Brüder später beim Mainact in der Crowd wieder. So ähnlich war es auch bei Volbeat. Als die Show zu Ende war, machte sich der Gitarrist der Band, Rob Caggiano, auf in die angrenzende Eishalle um bei der Aftershowparty dabei zu sein.

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Seit 1994 findet das musikalische Ghet­together auf dem Ritten statt. Daran konnten auch die gesetzlichen und steuerlichen Hürden nichts ändern, die den Veranstaltern vom italienischen Staat aufgedrängt werden. Die Bürokratie­ und Regulierungswut bei Veranstaltungen stellt nämlich ein großes Problem dar. Bei größeren Veranstaltungen, wie dem Rock im Ring Festival, muss fast immer ein Rechtsbeistand dabei sein, der alles dokumentiert. Jede Bewegung muss dokumentiert und abgesegnet werden. Diese Hürden schlagen sich natürlich auf die Ticketpreise nieder, was oftmals dafür sorgt, dass der große Besucherandrang ausbleibt. Bei allen Bemühungen muss man den Südtirolern aber auch eine gewisse Lethargie vorwerfen, wenn es um Festivalbesuche geht. Beim Rock the Lahn Festival im Herzen von Meran blieb der Besucherandrang im letzten Jahr nämlich aus. Das hat überrascht, da so großartige Bands wie Frank Turner, Limp Bizkit und die Broilers auf dem Plakat standen. Möglicherweise lag es daran, dass das Line­Up mit seinen Reggae­ und Punkacts in der Vergangenheit hauptsächlich Underground und nur selten Mainstream war. Trotzdem, das Rock the Lahn Festival—unweit der ehemaligen Residenz von Kaiserin Sissi—ist bis heute eines der wichtigsten Punkte auf der musikalischen Landkarte Südtirols.

Das Festival wird vom „Kultuverein Integration ­Rock“, der dem „Ost West Club“ nahesteht, organisiert. Der Klub, der für ein kulturelleres Südtirol eintritt, hat sich über die letzten zwei Jahrzehnte zu einer der wichtigsten Institutionen des Landes hinaufgearbeitet. Mit Diskussionsrunden, Ausstellungen, Konzerten und gesellschaftlichen Projekten, trägt es maßgeblich zum Zusammenleben in Südtirol bei. Es sind aber nicht nur diese Lokalitäten, die die Szene in Südtirol zu der macht, was sie ist. Der Grundbaustein, die Essenz des Ganzen, sind die Bands und Musiker, die die Szene am Leben halten.

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Da gibt es zum Beispiel eine Band die sich Mainfelt nennt. Als die durch Mumford and Sons losgetretene Folkwelle langsam auch nach good 'ol Europe rüberschwappte, ergab sich im Vinschgau eine neue Formation, die die Szene im Sturm eroberte. Patrick Strobl und Willy Theil, der Sänger und der Drummer der Band, ergeben dabei das beste musikalische Paar seit Kurt Cobain und Dave Grohl. Die Band, die Musik spielt, die an eine Mischung aus Mumford and Sons und Friksa Viljor erinnert, sorgt immer wieder für volle Lokale und Clubs—nicht nur innerhalb der Ländergrenzen. Nachdem sie sich eine Fanbase innerhalb Südtirols aufgebaut hatten, zog es sie für mehrere Tourneen nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz.

Mainfelt waren letzten Winter mehrmals im Wiener Eden zu Gast. Mit dabei waren auch einmal The Artificial Harbor. The Artificial Harbor kommen eigentlich aus Brixen, der Großteil von Ihnen findet sich aber mittlerweile in Wien wieder. The Artificial Harbor mit Worten zu beschreiben, ist verdammt schwer. Der androgyne ­Indie­-Pop-­aber-dann­-doch-wieder-nicht-­Sound der Eisacktaler verzaubert und taucht jede Stage, auf der die Fünf stehen, in eine super­spacige Atmosphäre, vor der man sich nur schwer retten kann. Die FAZ etikettierte die Band einst als Neohippies, was es wahrscheinlich am treffendsten beschreibt.

Während die Hippie­ness Südtirols nicht von der Hand zu weisen ist, gedeiht hier eine andere Undergroundbewegung, die mittlerweile im Mainstream angekommen ist. Punk ist hier nämlich nicht dead, sondern in den Neunzigern stehengeblieben. Die Skaterpunk-Anarchisten von Average sind altbekannte Szenegrößen und setzen bei ihren Auftritten auf Altbewährtes: Harte, geradlinige Gitarrenriffs treffen auf Punkgesang im Stil von The Offspring. Als überzeugte Antifa-­Anhänger und Gegner von Nationalismus und Patriotismus, machten sie im Frühling vor zwei Jahren auf sich aufmerksam, als sie ablehnten, auf Frei.Wilds hauseigenem Festival zu spielen.

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Mit über 30.000 Besuchern, zählt es zum größten Festival Südtirols. Man würde es nicht vermuten, aber Südtirol lässt selbst beim Hip­Hop nichts aus. Homies4Life tragen politisch korrekten System­-Rap vor, der aufwecken soll. Mit ihrer Videoauskoppelung „Mittelmeer“ thematisieren sie das Massensterben vor europäischen Toren. Die Tracks gehen auch ohne Bling-­Bling, Bitches und Drogen ziemlich ab. Der Erfolg in Südtirol gibt ihnen recht und beweist, dass Rap nicht immer Gangsta sein muss.

Südtirols Musikszene verdient sich so viel mehr, als immer wieder mit patriotischer Kacke in einen Topf geworfen zu werden. Nicht zuletzt haben wir musikalische Genies wie Giorgio Moroder hervorgebracht, der das Disco-­Genre erfunden hat, was bedeutet, dass er damit mehr als zwei Dekaden Popkultur beeinflusst hat. Mit über 150 goldenen Schallplatten und drei Oscars, gehört er definitiv zu den erfolgreicheren Musikproduzenten auf diesem Planeten—und trägt dabei auch gar kein Geweih.

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