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Was die Übergriffe in Köln und Stockholm für die Clubkultur bedeuten

Sexuelle Übergriffe sind nach den Vorfällen in Stockholm und Köln ein viel diskutiertes Thema.

Foto: We Are Sthlm

Sexuelle Übergriffe sind nach den Vorfällen in Köln ein viel diskutiertes Thema. Die Deutschen entdecken plötzlich ihre Liebe für die Rechte der Frauen und unterbrechen dafür den Konsum ihrer Mario Barth DVD-Sammlung. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!", sagte Kaiser Wilhelm II. am 4. August 1914. In diesen Tagen scheint man dieses Credo wieder zu befolgen. Das gemeinsame Hassthema verbindet über alle Grenzen hinweg. Über die wirklichen Erfahrungen der Frauen und ihre Bedeutung redet man nicht, man instrumentalisiert das Thema stattdessen für eine Debatte über Abschiebungen. Dabei tut man so, als würde es einen Antagonismus geben: hier die triebhaften Nordafrikaner, dort die aufgeklärten Männer, die den Feminismus lieben, obwohl sie ihn beim letzten Stammtisch noch als Ursache allen Übels sahen. Sicherlich kann man mit Blick auf die Rechte der Frauen sagen, dass, relativ gesehen, Frauen in Deutschland und in vielen westlichen Staaten freier leben können als in anderen Ländern. Die Verabsolutierung des ganzen, hier die freie westliche Frau mit den aufgeklärten Männern und dort die durch ihr naturhaftes Verlangen gesteuerten Flüchtlinge mit ihren unterdrückten Frauen, ist das Problem. Die Rechte von Frauen in Deutschland werden häufig übrigens vom juristischen Apparat grade gegen die deutschen Männer durchgesetzt. Wobei genau diese Institution auch zum Teil versagt und zweifelhafte Urteile spricht, wie kürzlich in Bayern, als eine Frau nach einem sexuellen Übergriff in Notwehr reagierte und dafür Schmerzensgeld zahlen musste, der Mann für seine Tat jedoch offenbar nicht belangt wurde.

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Foto: Screenshot Polizei Bayern

In Schweden kam es vergangenen Sommer zu Vorfällen, die nun mancherorts mit denen in Köln in der Silvesternacht 2015 verglichen werden. Der Vorfall soll sich schon im August 2015 auf dem Festival „We are Sthlm" in Stockholm ereignet haben, das man gratis besuchen kann und sich an die Altersgruppe von 13-19 Jahren richtet. Es wird jährlich von 170 000 Menschen besucht. Eine große Gruppe von Männern soll mehrere Besucherinnen umkreist und vorgetäuscht haben zu tanzen, sei dann immer näher gekommen und habe sie intim berührt, teilweise in Kombination mit Diebstahl. Laut der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter, die diese Geschichte und das vermutliche Vertuschen durch die Polizei kürzlich berichtete, kam es zu 20 Anzeigen. Und bereits im Vorjahr soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Die FAZ berichtet, dass 200 Männer des Festivalgeländes verwiesen wurden. Ein großer Teil von ihnen soll laut der Veranstaltungsabteilung der Stadt Stockholm „afghanischen Ursprungs" sein und temporäre Ausweise für Flüchtlinge bei sich getragen haben. 50 Männer seien tatverdächtig—davon die Mehrheit mit afghanischer Herkunft. Ein Polizist, der nicht näher genannt werden wollte, sagt der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter, dass man die Vorfälle angeblich schon früher berichten wollte, jedoch: „Manchmal wagen wir es wohl nicht zu sagen, wie die Dinge wirklich sind, weil wir glauben, das könnte den Schwedendemokraten [die schwedischen Rechtspopulisten] in die Hände spielen."

Ähnlich wie in Deutschland ist aber noch nichts bestätigt. Die schwedische Soziologin Linnéa Bruno sagte bezüglich der Vorwürfe an die Polizei, den Vorfall vertuscht zu haben: „Ich denk nicht, dass die Polizei diese Geschichte mehr vertuscht hat als andere Fälle von Belästigung. Musik-Festivals sind ein bekannter Ort für sexuell motivierte Straftaten. Ich und nahezu alle Frauen, die ich kenne, haben bereits Erfahrung mit sexistischen Beleidigungen und Belästigungen gemacht. Schweden hat die höchste Anzahl von sexuellen Übergriffen in der EU. 81 % aller Schwedischen Frauen sagen, dass sie schon Opfer solcher Übergriffe waren. Wir haben eine ausgeprägte Alkohol- und Vergewaltigungskultur in Schweden. Nur ein kleiner Prozentsatz der Täter wird für ihre Taten verurteilt." Paula Bieler von den Schwedendemokraten empört sich hingegen darüber, dass die Polizei angeblich aufgrund eines möglichen Zuwachses für die Rechtspopulisten, keine Details über die Straftaten und den Hintergrund der vermeintlichen Täter während des Festivals veröffentlichte. Die Politikwissenschaftlerin Ellen Tiala konstatierte—auf Rechtspopulisten wie Bieler anspielend—dass es zu früh sei, irgendwas über den Vorfall zu sagen, aber dass man bereits jetzt sehen könne, dass einige Leute ihn benutzen, um ihre rassistische Agenda auszubauen. In der Vergangenheit jedoch haben diese Leute sich nie zu sexuellen Übergriffen geäußert. Und die Vorsitzende der feministischen Partei in Schweden, Gudrun Schyman, stellte treffend fest, dass Frauen in der Debatte nur als Instrument genutzt werden, um über Einwanderung zu reden, statt über die Taten selbst.

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Bedeutung für die Clubkultur

Was bedeutet das für die Club- und Musikkultur? Die Vorfälle in Schweden zeigen erstens und wenig überraschend, dass Sexismus und Übergriffe ein über Deutschland hinausgehendes Problem sind. Es gab sie vor Köln und Stockholm in verschiedenen Orten Europas. Zweitens zeigen sie, dass in der Clubkultur und den dazugehörigen Kanälen mehr darüber berichtet und diskutiert werden muss, wie und ob Belästigungen oder im schlimmsten Fall Vergewaltigungen stattfinden. Es ist nicht anzunehmen, dass Clubs ein von allen gesellschaftlichen Mechanismen abgespaltener Schutzraum sind. The Black Madonna sagte uns dazu kürzlich in einem Interview: „Menschen lieben es, die Illusion aufrecht zu halten, dass Clubs sichere Orte sind, in denen alle frei und gleich sind. Das ist eine wirklich verführerische Illusion, auf die wir immer und immer wieder in der Dance-Musik zurückgreifen. Am Ende ist eine Illusion aber nun einmal, was sie eben ist. Clubs sind gefährliche Orte für Frauen. Die Anzahl von sexuellen Übergriffen in einem Party oder Barkontext, bei denen Substanzen mit ihm Spiel waren, ist ziemlich erschreckend." Dieses Thema aufzugreifen und die Zustände zu kritisieren, sollte auch eine Aufgabe der sogenannten elektronischen Musikszene und nicht nur von Frauen allein sein. Egal welche Herkunft die Täter haben, denn was sie alle primär und offensichtlich gemeinsam haben: Es waren Männer. Und es macht auch keinen Unterschied, ob sie zuvor schwere Erlebnisse hatten, sei es eine schwere Kindheit in Dresden, Meppen, Dortmund oder Kairo. Dass man ihnen helfen sollte, diese Erlebnisse zu verarbeiten, ist richtig, steht aber auf einem anderen Blatt. Es geht darum, die Opfer zu schützen.

Dieser Artikel ist zuerst auf THUMP erschienen.

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