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Unsere autonomen Jugendzentren sterben und wir müssen etwas tun

Das autonome Jugendzentrum. Es ist eine Möglichkeit, ohne den erdrückenden Dämon Kapitalismus, seinen krachmachenden Interessen nachzugehen.

Das Graf Hugo in Feldkirch. Bild mit freundlicher Genehmigung des Graf Hugos.

Das autonome Jugendzentrum. Es ist eine Möglichkeit, ohne den erdrückenden Dämon Kapitalismus seinen krachmachenden Interessen nachzugehen. Leider werden diese wichtigen Institutionen immer mehr zurückgedrängt und keine Ersatzlösungen gefunden. Von Seiten der Politik werden die Autonomen oft nur als politischer Spielball gesehen und die Wichtigkeit dieser Organisationen entweder nicht verstanden oder gekonnt ignoriert. In Vorarlberg wurde der Keller des Culture Factor-Y vor zwei Jahren aus „feuerpolizeilichen Gründen“ geschlossen. Die offene Jugendarbeit Feldkirch muss bis Ende 2017 das Gebäude des Graf Hugo Kellers verlassen. Ein Plan für neue Räumlichkeiten für das Graf Hugo wurde noch nicht präsentiert. Ich habe in einem längeren Gespräch mit Roman Zöhrer, dem Leiter der offenen Jugendarbeit Lustenau, versucht herauszufinden, warum die autonome Jugendarbeit immer mehr zurückgedrängt wird. Laut einer neuesten Meldung wurde die Website einer Initiative namens „Graf Hugo bleibt!“ ins Leben gerufen.

Aber zunächst zu den Begrifflichkeiten. Was unterscheidet die autonome Jugendarbeit von der offenen Jugendarbeit? Laut Zöhrer ist die offene Jugendarbeit meistens eine von der Stadt oder dem Land beauftragte Organisation, welche sich in verschiedenen Feldern engagiert. Die Jugendarbeiter sind Angestellte des Staats und die Stadt hat ein beträchtliches Mitspracherecht bei der Gestaltung der Jugendarbeit und der Auswahl der Tätigkeitsfelder. Im Gegensatz dazu ist die autonome Jugendarbeit üblicherweise weder Weisungs- noch Personalgebunden und wird meistens von einem ehrenamtlichen Verein und Freiwilligen organisiert. Die Stadt stellt der autonomen Arbeit meistens nur Räumlichkeiten und ein kleines Budget zur Verfügung.

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Das Culture Factor-Y in Lustenau wurde 2013 mit der Schließung der autonomen Kellerräumlichkeiten konfrontiert. In besagten Kellern waren Proberäume und eine Konzertbühne. Veranstaltet wurde durch ehrenamtliche Zusammeschlüsse wie MultiCore-Events. Wie bereits erwähnt, wurde der Keller aufgrund „feuerpolizeilicher Notwendigkeit“ geschlossen. Laut Roman Zöhrer wollte die Stadt weder bauliche Maßnahmen vornehmen, noch Ausweichräumlichkeiten anbieten. Dass der Keller schon davor jahrelang in Betrieb war und diese baulichen Mängel schon immer bestanden haben, tat offenbar nichts zur Sache. Mit der Schließung des Factor-Y Kellers war es mit dem Konzert- und Proberaumbetrieb vorbei.

Doch warum ist dieser Konzert- und Proberaumbetrieb so wichtig? Nehmen wir die alte Analogie des Kartenhauses. Auch wenn es aus einer absurd großen Anzahl an Karten besteht, fällt es zusammen wenn man eine herauszieht. Die Musikszene ist eine dieser Karten. Sie ist das Auffangbecken für alle, die sich weder in den großen Technotempeln/Bauerndiscos dieser Welt, noch in den Grashöhlen, noch in den Sportvereinen aufgehoben fühlen. Krach hören und Krach machen wird zum absoluten Lebensinhalt. Wenn dieses Krachmachen jetzt schwer bis umöglich gemacht wird, drängt man diese Jugendlichen wieder zurück auf den Dorfplatz. Diese eine Karte wird herausgezogen und es entstehen eine Vielzahl neuer Probleme. Diese Proberäume und Konzerte sind ein wichtiger Lebensanhaltspunkt für viele und sie werden immer weniger und weniger.

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Die autonome Szene gibt einem gewisse Freiräume. Den Freiraum, mit seiner Kunst nicht sofort profitabel sein zu müssen. Wenn man ein Konzert macht müssen nicht genug Besucher kommen, um alle Kosten zu decken. Man muss mit seiner Musik nicht sofort genug Menschen ansprechen, um den Proberaum bezahlen zu können. Man hat die Freiheit, einfach ein paar Jahre lang schlecht zu sein. Unsäglich schlecht. Niemand ist als Genie auf die Welt gekommen. Da frage ich mich, warum ist es dem Staat Österreich nichts wert, diesen Freiraum zu erhalten? Wir haben eine Buchpreisbindung, damit Autoren von etwas leben können. Wir haben eine Milchpreisbindung, damit Bauern leben können. Wir haben Bergbauernförderung, damit die Natur kultiviert wird. Warum kann sich der Staat nicht diese (sehr moderate) Summe leisten, um ein paar Jugendlichen die Freiheit zu geben Kunst zu machen? Wenn man sich auf dem freien Markt einen Proberaum organisieren muss gibt es diese meistens nur an Orten ohne öffentliche Anbindung und für marktübliche Preise. 300 Euro aufwärts. Meine Mutter hätte sich die 50 bis 75 Euro zusätzlich im Monat nicht leisten können. Die einzigen, die noch in einer Band sein könnten, wären die Kinder der Habenden.

Der Graf Hugo Keller | Foto via Facebook

Es stellt sich die Frage, warum die offene Jugendarbeit gefördert wird, jedoch die autonome zurückgedrängt wird. Dafür gibt es keine genauen Antworten, jedoch mehrere Vermutungen. Zum einen lässt sich der Erfolg der autonomen Jugendarbeit oftmals nicht direkt an Zahlen festlegen. Nur weil ein paar Junge keinen Proberaum mehr haben, geht die Welt ja nicht unter. Stimmt. Hier will ich Roman Zöhrer direkt zitieren: „Für Lustenau ist es besonders wichtig, dass man die Möglichkeit für diese Entwicklungen nicht versäumt, dass ein kultureller Austausch zwischen allen Schichten und Subkulturströmungen stattfinden kann, unabhängig von der Kommerzialisierung der Musik. Erste Schritte sollen unabhängig von der Qualität des Outputs möglich sein. Ich glaube daran, dass das in Zukunft auch möglich ist, alles andere wäre ein Rückschritt“.

Lustenau ist ein Ort mit einem hohen Migrantenanteil und besonderen gesellschaftlichen Jugendproblemen. Die Seiteneffekte des Fehlens dieser Möglichkeiten sind nicht abzuschätzen. Es können ethnische und gesellschaftliche Gräben überwunden werden, wenn man nur einmal ein Konzert zusammen spielt. Es können persönliche Differenzen überwunden werden, wenn einmal alle für das selbe Ziel arbeiten. Die ganze Szene verlangt auch nach aktiver Partizipation der Jugendlichen, im Gegensatz zum stumpfen Konsum in der Disco.

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Warum wird diese gute Idee also so stark zurückgedrängt? Von der Regierung wird oft nur Geld in Projekte gesteckt, welche direkt messbare Ergebnisse liefern. Die offene Jugendarbeit kann mit Geld x die Jugendarbeitslosigkeit durch Schulungen und Betreuung um y reduzieren? Geld vorhanden, denn man kann die Ergebnisse direkt verkaufen. Wenn es jedoch darum geht, etwas aus reiner Prinzipsache zu tun, weil es das Richtige ist, stellt man sich gerne quer. Oft sind es auch simple Gründe, wie Anreiner oder Bauprojekte. Manchen Politikern ist es vielleicht auch ein Dorn im Auge, dass sie in der autonomen Arbeit kein großes Mitspracherecht haben. Es könnten ja politische Ideen propagiert werden, welche ihren eigenen widersprechen. Manchmal schieben sich auch Kultur- und Jugendarbeit gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die Jugendarbeit sagt, Musik wäre eine Aufgabe des Kulturressorts und die Kultur sagt, es handelt sich um Jugendliche, daher ist die Jugendarbeit zuständig. Warum eigentlich nicht beide? Warum bieten nicht beide Ressorts die Ressourcen, eine Musikszene aufrecht zu halten?

Meine Meinung: Eine Demokratie muss das aushalten. Kunst- und Kulturförderung war schon immer ein zentraler Bestandteil, um die geistlichen Werte einer Gesellschaft zu erhalten und zu fördern. Was hier passiert ist das Symptom einer neuen Kurzsichtigkeit der Regierung. Kein direktes Ergebnis? Kein Geld. Sogar als 16-jähriger versteht man, dass es die Nachbarschaft vielleicht nicht ideal findet, wenn aus dem obersten Stock des Jugendzentrums unidentifizierbare Schreie und dauerndes Gehämmer eines Schlagzeugs dröhnen. Nennt sich Metal. Jedoch darf die fruchtbare Jugendarbeit nicht auf dem Altar der Wählerschaft geopfert werden. Jedes Projekt, welches für mehr interkulturelle Verständigung sorgt, beugt vielen Gesellschaftsproblemen wirksam vor. In der Medizin wird langsam das Konzept der Vorsorge umgesetzt, warum nicht auch in der Gesellschaft?

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In Lustenau drängt der autonome Jugend- und Kulturverein immer noch auf eine Wiedereröffnung oder neue Räumlichkeiten. In Feldkirch wird um ein Weiterführungskonzept verhandelt, mehr als Lippenbekenntnisse gibt es jedoch nicht. Ich plädiere dafür, diese Entwicklungen nicht abzutun und nicht zu vernachlässigen. In Lustenau wurden über 2.000 Unterschriften für eine Weiterführung des autonomen Betriebs gesammelt. In einem Ort mit 21.000 Einwohnern. Zur Erinnerung: Das ist mehr Volkeswille als es manche Koalitionspartei hatte.

Solltet ihr auch von Schließungen eurer Jugendzentren mitbekommen, schickt uns eine Mail an .

Jugendhaus brennt @igrpp

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