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Es ist scheißegal, ob „der erste offen schwule Deutschrapper“ wirklich schwul ist

Allein der Vorwurf, Juicy Gay spiele seine Homosexualität nur, verrät eine ganze Menge über unsere Gesellschaft.
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Vor einiger Zeit kam die Frage zum ersten Mal öffentlich auf: Ein schweizer Qualitätsportal hatte über einen „ehemaligen Schulfreund“ und einen „weiteren Freund“ erfahren, dass der Homo-Rapper Juicy Gay gar nicht schwul sei. Als er den Autoren daraufhin bei Twitter blockierte, war seine „Schuld“ belegt. Jetzt kam diese essentielle Frage bei einem Interview wieder auf. Darin spricht der sogenannte „erste offen schwule Deutschrapper“ zwar klar über seine Positionierung als schwuler Rapper, aber nicht, ob „der Mensch hinter Juicy Gay (also Arthur)“ denn tatsächlich schwul sei. Da hat der Interviewer in grober Versäumnis seiner journalistischen Pflicht leider nicht direkt nachgebohrt. Schlimm, oder? Andererseits: Reicht es nicht, dass für Juicy Gay die Battlerap-typischen „Ich ficke dich“-Aussagen eben etwas lustiger sind, als für andere? Es ist doch eigentlich scheißegal, ob Juicy Gay nun wirklich schwul ist.

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Gründe dafür gibt es viele. Zum Ersten ist da die Ebene der Kunstfiguren: Wenn LGoony nicht wirklich Millionen Euro in der Schweiz hat und Kollegah nicht wirklich Zuhälter war, dann muss Juicy Gay auch nicht wirklich schwul sein. Er ist aber vor allem eine Kunstfigur, die eine starke, schwule Position vertritt. Wenn überhaupt, können Homosexuelle daran Kritik üben, weil sie sich schlecht vertreten fühlen—verbieten können sie es ihm aber auch nicht. Anders, als der amerikanische Rapper Keith Murray, der behauptete, sich zu „outen“, um dann bloß ein Album zu promoten, nimmt Juicy Gay seine Position nämlich dauerhaft ein, ohne aus der Rolle zu fallen. Am wichtigsten ist aber, dass hinter dem Vorwurf der gespielten Homosexualität weder ein moralisch erhabener „Wahrheitssinn“ steckt, noch der große Hiphop-Ruf nach Realness: dahinter steckt ein Verdrängungswunsch—der Wunsch, den einzigen offiziell schwulen Deutschrapper möglichst schnell wieder loszuwerden. Dass er dabei auch noch aus der Swag-Rap-Ecke stammt, die (fälschlicherweise) dauerhaft unter Ironieverdacht steht, macht es Kritikern umso einfacher.

Was dabei schnell vergessen wird: Ob Arthur schwul ist oder nicht, seine Kunstfigur Juicy Gay ist es auf jeden Fall. Auch wenn man nachweist, dass er nicht schwul ist, wird dieser Homo-Rapper nicht verschwinden. Die Ungewissheit, ob „der Mensch hinter Juicy Gay“ (pun intended) schwul ist, sorgt nur für schlechtere Verortbarkeit, was die Wirkung der Kunstfigur verstärkt. Wüsste man, dass es stimmt, könnte man ihn als „ersten Homorapper“ einsortieren und möglichst ignorieren. Wüsste man, dass es nicht stimmt, könnte man sich moralisch empört auf die Seite der unpassend dargestellten Homosexuellen stellen und ihn dadurch der Aufmerksamkeit verweisen. Auf beide Arten wäre eine weitere Beschäftigung mit dem „Trapgaylord“ nicht weiter notwendig.

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Vor einigen Monaten gab es in den USA einen umgekehrten Fall: Hier wurde dem Rapper 50 Cent von seiner Exfreundin der „Vorwurf“ der Homosexualität gemacht. Bemerkenswert war hier aber nicht hauptsächlich der „Vorwurf“ an sich, sondern die extreme Reaktion von 50. Dessen Dementi folgte in einem Schwall von beleidigenden Posts, bei denen er kaum eine Minderheit nicht beleidigte. Zwar ist auch seine Kunstfigur zweifelsfrei hetero, da er sich aber als „realer“ Gangsterrapper inszeniert, ist es für seine Credibility wichtig, dass Curtis Jackson in gewissen Teilen mit 50 Cent übereinstimmt. Generell ist die Authentizitätsfrage im Rap wichtiger als in anderen Musikrichtungen. Die Gründe dafür kann man sicherlich im Internet bei Marcus Staiger oder Falk Schacht lernen. Von der Berliner Legende Fler bis zum Oldschool-Backpacker ist die Ansicht weit verbreitet, Rap bedeute, nur zu rappen, was man auch ist. Aber selbst wenn wir diese Grundregel spaßeshalber akzeptieren, geht die Rechnung, Juicy Gay aus dem Blickfeld zu schieben, nicht auf.

Denn wenn man die Übereinstimmung von Künstler und Kunstfigur annimmt, ist die Frage „Bist du echt schwul?“ noch dreister. Man könnte sogar schlaumeierisch sagen: ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Durch die Forderung nach vollständiger Authentizität fällt nämlich nicht nur der Unterschied zwischen Kunstfigur und Künstler weg, auch der Unterschied zwischen der Privatperson (unter Freunden, bei Mutti) und der Künstlerperson (Backstage beim splash!, beim Recorden) wird eingestampft. Wie ekelhaft wäre es denn, unter diesen Bedingungen noch Forderungen an die sexuelle Selbstpositionierung anderer zu stellen? Wenn der Rap-Mensch-Hybrid Juicy Gay, den wir gerade erschaffen haben, hetero ist, aber als schwul geoutet sein möchte: Warum sollte er das nicht dürfen? Aber alleine sein Schwulsein anzuzweifeln, speist sich hier schon wieder aus einer diffusen Angst vor „Homos“. Oder würdest du im privaten Bereich einen schwulen Freund fragen, ob er denn wirklich schwul sei oder ob er nur einen Joke macht? Eben.

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Große Reden darüber, dass schwul sein okay ist und (Deutsch-)Rap sich mal schnelltsmöglich den Rektalstock entfernen sollte (pun erneut intended), gibt es genug. Beschwerden, dass Homophobie kein Rap-, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, auch. Stimmt alles, ist auch wichtig, müssen wir hier aber nicht nochmal wiederholen. Als Freund der Gleichberechtigung solltest du dir aber zwei Mal überlegen, ob dir wirklich so wichtig ist, ob Arthur nun schwul ist oder nicht. Freu dich lieber darüber, dass es endlich einen schwulen Rapper gibt. Der dazu noch eine starke und darin emanzipatorische Position einnimmt.

Der Vorwurf, dass er nur eine Möglichkeit nutzt, sich ungehemmt über Schwule lustig zu machen, ist dabei absurd. Erstens sind die Texte zu explizit, und dadurch für die meisten Homophoben zu ekelhaft, um als Witz noch zu funktionieren. Und zweitens hat mir ein Freund von Arthur im Instagram-Chat gesagt, dass er richtig, richtig schwul ist. Ein anderer Freund bestätigte das via MySpace. Außerdem hat er mich bei Twitter bisher nicht gesperrt. Was geht mit euch, mindestens ein MC ist schwul in Deutschland.

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