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Ich war beim Konzert von Liont und Dagi Bee, um die Jugend zu verstehen

Alle Teenager lieben die Youtube-Stars. Ich bin dem nachgegangen.

Liont (links hinten), T-Zon (rechts hinten), kreischende Teenagerinnen und ich.

Leicht seltsam ausschauende Teenager—zu denen der Autor dieser Zeilen um die Jahrtausendwende herum ebenfalls gehörte—hatten es nie leicht. Sie sind genauso horny wie alle anderen Teenager überall auf der Welt, haben aber das Problem, auf andere Teenager zu treffen, bei denen der potentielle Prinz/die Prinzessin auch noch wie einer ausschauen muss. Unsereins musste früher als Kompensation für den Bauchansatz noch zu absurden Mitteln greifen und als Bassist in einer Punkband spielen, um seine pubertätsbedingte Dauergeilheit wenigstens in theoretische Schlagdistanz zu real existierenden Brüsten zu bringen. Aber in Anlehnung an die Theorie, dass jede menschliche Errungenschaft im Grunde nur stattfindet, weil man damit potentielle Geschlechtspartner beeindrucken will, könnte man auch sagen: Jeder technische und popkulturelle Sprung bietet immer auch neue Rollen, mit denen man sich Game verschaffen kann.

Eine dieser Rollen, die es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben hat, ist der Youtube-Star. Der Youtube-Star wird von 50 Prozent der Teenager gehasst, von den anderen 50 Prozent abgöttisch verehrt. Erwachsene begegnen ihm, je nach Gemütslage oder Alter des Nachwuchses, mit lächelndem Wohlwollen oder Zynismus. Das alles verbindet den Youtube-Star mit dem Boyband-Mitglied der 90er Jahre.

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Am Samstag besuchten drei Stars dieser Szene Wien, um ein Konzert in der Arena zu geben. „Konzert“ deshalb, weil einige der erfolgreichen Youtuber natürlich auch Musik machen, die sich exakt an dasselbe Publikum richtet, wie ihre Webvideos. Liont hat auf Youtube knapp 1,7 Millionen Abonnenten, seine Ex-Freundin Dagi Bee kommt auf stolze 2,3 Millionen und sein Freund und Voract T-Zon immerhin auf 180.000.

Ich mache mich auf den Weg in die Arena, weil ich verstehen will, warum die Jugend so von diesen irgendwie durch und durch durchschnittlichen Menschen fasziniert ist. Auf dem Weg google ich noch ein bisschen herum und bekomme langsam Angst. Grundsätzlich hab ich ja ein ambivalentes und relativ bescheuertes Verhältnis zur Popularität von kulturellen Produkten: Wenn sich alle einig sind, werd ich misstrauisch. Ich hab auch immer das Bedürfnis, Helene Fischer in meiner Blase verteidigen zu müssen. Gar nicht mal so wirklich aus Originalitätszwang, sondern weil ich unbewusst wahrscheinlich irgendwie glaube, dass alle Diskussionen nur noch ein Circlejerk sind, wenn es niemand tut. Das Konzert macht es mir aber ein bisschen schwierig. Kreischende Teenagerinnen sind nämlich als abstraktes Phänomen leichter zu ertragen als wenn sie direkt neben dir stehen.

In der Arena selbst ist es dann ein bisschen das Bild, das man sich auch schon im Vorfeld gemacht hat: Vor der Bühne drängeln sehr junge Mädchen (ich würde gerne etwas anderes schreiben, aber es wäre einfach nicht die Wahrheit) und fotografieren die leere Bühne (um schon mal die Filter einzustellen, wie mir erklärt wird), hinten und auf der Tribüne lächeln die Eltern und Arena-Mitarbeiter mal gequält, mal gerührt. Die Bar ist dem Alter des Publikums entsprechend völlig verwaist. Vermutlich bin ich der einzige, der sich ein Bier kauft. OK, vier Bier. Die Halle schaut irgendwie unglaublich leer aus, der Veranstalter versichert aber glaubhaft, dass es eh mehr oder weniger ausverkauft sei. Vielleicht hat es einfach damit zu tun, dass die durchschnittliche 13-jährige weniger Platz einnimmt als der durchschnittliche Metal-Fan.

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Vor dem Konzert beginnt das Publikum in unregelmäßigen Abständen zu kreischen, herunterzuzählen oder „TI-MO! TI-MO!“ zu rufen. Anfangs glaube ich noch, dass es irgendwie mit den Bewegungen der Stagehands auf der Bühne zu tun hat, aber das ist maximal eine leichte Korrelation. Das Publikum ist einfach sehr, sehr aufgeregt.

Dem Publikum hat's gefallen.

T-Zon kommt auf die Bühne und stellt sich als relativ unspektakulärer Teenager heraus, der das Talent hat, ein schönes Gesicht mitzubringen. Im Hintergrund steht ein „DJ“, weil heute alle einen DJ dabeihaben, auch wenn der nur auf Play drückt. Nach einer halben Stunde gesellt sich Liont (der sich als noch unspektakulärerer Teenager mit Bommelmütze entpuppt) mit auf die Bühne. Die beiden sprechsingen ein bisschen vor sich hin. Das ist noch nicht mal völlig unerträglich, aber eben auch kein Rap—was sie aber immerhin auch nicht behaupten. Wenn ich es mit Musik aus meiner Generation vergleichen müsste, fiele mir am ehesten Oli P. ein.

Die jungen Mädchen vor der Bühne rasten vollkommen aus. Jede Ansage wird mit einem ohrenbetäubenden Kreischen beantwortet. Auch da irre ich mich kurzzeitig, indem ich glaube, dass die Reaktion bei Ansagen wie „Wien, ihr seid das beste Publikum der Tour“ größer sei. Das stimmt nicht. Es ist bei „Ich hab Durst. Hat jemand von euch auch Durst?“ genauso laut. Es ist wohl einfach ein Katalysator für die Aufregung, der sich immer einen Weg nach draußen bahnt, sobald sich Liont von der Bühne an sie richtet.

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Während ich langsam leichte Kopfschmerzen bekomme, denke ich über die Unterschied zwischen dem nervigem Teenie-Pop meiner Generation und dem der Youtuber nach. Es gibt natürlich erstaunlich viele Gemeinsamkeiten, einfach weil sich Teenager vermutlich gleichen, seitdem es das Konzept gibt. Also sind auch die Themen universell. Jeder 14-jährige fühlt sich mal als Außenseiter, jeder 14-jährige will am Montag nicht aufstehen, jeder 14-jährige ist mal unglücklich verliebt, jeder 14-jährige glaubt, dass seine erste Liebe ewig halten wird. Und jede 14-jährige ist froh zu hören, dass der hübsche Boy gar nicht auf die Schlampen steht, sondern auf die ganz normalen Mädchen mit Zahnspange. Genau wie die Slutshaming-Hymne gehören alle diese Themen zum festen Repertoire eines Teenager-Popstars. Es ist ja auch grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn junge Menschen das Gefühl haben, verstanden zu werden und mit ihren Problemen nicht alleine zu sein.

DAAAAAGGIIIIIIIIII! KREIIIIISCH!!!!!

Manche Dinge ändern sich aber natürlich auch. Im Verlauf des Konzert fällt einem ein Muster auf: Unzählige Songs sind Empowerment-Hymnen, die sich an eine anonyme Masse an Hatern richten. Das klingt dann ungefähr so: „Halt deine Schnauze, Digga! Halt deine Schnauze, Digga! Halt deine Schnauze, Digga! Halt deine Schnauze, Digga!" Das kommt bei einem Publikum, das sich seiner Rolle in der Welt noch unsicher ist, natürlich gut an. Es bleibt die Frage, wo das herkommt. Übernimmt der Teenie-Pop da einen HipHop-Gestus? Ja, sicher. Hinzu kommt aber vermutlich noch eine andere Sache: Durch die sozialen Netzwerke ist der durchschnittliche Popstar heute dem Hass viel unmittelbarer ausgesetzt als noch in den 90ern. Diesen Gegenwind in die Songs einzuarbeiten ist sicher ein recht effektiver Mechanismus, das zu verarbeiten.

Der größte Moment in der Arena ist übrigens gekommen, als Dagi Bee die Bühne betritt. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass sie auch singen würde. Mitnichten. Sie winkt und sagt genau einen Satz: „Ich wünsche euch noch viel Spaß beim Konzert.“ Das ist der Moment, an dem ich kurz aussteige. Hat die jetzt wirklich vermutlich über Tausend Euro für diesen 30-Sekunden-Auftritt bekommen? Ich bin völlig fassungslos. Andererseits: Die Mädchen um mich herum kreischen aufgeregt. Und im Gegensatz zu mir, haben sie ihr Taschengeld für die Tickets ausgegeben.

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Nach dem Zugabenblock, der einfach nochmal aus bereits gespielten Songs besteht, verlasse ich ein bisschen ratlos ein Arena. Es ist 20:30 Uhr, und ich bin nicht wirklich schlauer als vorher. Ich weiß aber immerhin jetzt, dass man Dagi Bee wie „Dagi Bi“ ausspricht und Liont tatsächlich „Leient“, nicht wie „Lion T“. Was die Frage aufwirft, warum er auf Pressefotos die ganze Zeit einen Löwen auf seinem T-Shirt hat. Das ergibt für mich keinen Sinn.

Merchstand-Madness

Das Konzert in der Arena war verhältnismäßig unspektakulär, zumindest verglichen mit der Youtube-Show im Gasometer im Mai, erzählt man mir. Ich glaube das sofort. Ich glaube, dass der Erfolg von Leuten wie Liont auf einem recht einfachen Prinzip beruht. Youtuber bedienen universelle Bedürfnisse von Teenagern und übersetzen sie in eine Sprache, die wir Älteren zwar mit Mühe erlernen, aber eben nicht leben können. Das ist etwas völlig Normales. Jede Generation braucht ihre Stars und Codes, die Menschen 30+ nicht verstehen. Wenn ich jetzt hier Namen wie die Beatles oder Take That schreibe, werde ich gesteinigt. Aber das Erfolgsprinzip ist völlig dasselbe.

Die Youtube-Stars sprechen mit ihrer digitalen Allgegenwärtigkeit, ihren Selfies und ihrer (Pseudo)-Authentizität die Sprache der Menschen, die mit sozialen Netzwerken ausgewachsen sind. Die Generation der ersten wirklichen Digital Natives, die sich nicht mehr an das Einwählen per Router oder das Herzklopfen, wenn man bei seinem Schwarm auf dem Festnetz anrufen muss, erinnern können.

Das wirkt auf uns Ältere seltsam, ist aber kein Grund für Kulturpessimismus. Zumindest nicht, wenn man ein bisschen Sicherheitsabstand hält.

Dem Autor auf Twitter folgen: @L4ndvogt

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