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Interviews

"Solange wir unser Leben dem Geld unterstellen, sind wir gefickt"—Architects im Interview

Ein bedrückend aufbauendes Gespräch mit Architects über diese beschissene Welt, ‚Zeitgeist‘ und Vorbilder.

Wer wie Architects sein Album All Gods Have Abandoned Us nennt, muss verdammt tief in den Abgrund geblickt haben. Dabei geht es den Post-Metalcorern aus Brighton eigentlich blendend: seit über zehn Jahren am rumwüten, mit jedem neuen Album eine deutliche musikalische Weiterentwicklung gezeigt und sich durch extreme Disziplin zu einer der wichtigsten Vertreter des Genres hochgearbeitet.

Und trotzdem: die Macht, zu unzähligen Menschen auf der ganzen Welt zu sprechen, verpflichtet. Dazu, Dinge anzusprechen, die in dieser Welt schieflaufen und ein Bewusstsein für Ungerechtigkeiten zu schaffen, um die Hörer zu ermutigen, etwas zu verändern. Eben nicht von ohnmächtiger Angst zu sprechen, sondern die aufrüttelnde Rolle einzunehmen, die die Jungs um Sänger Sam Carter in ihrer Zeit als Teenager selbst so bitter gebraucht hätten.

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Wir treffen Carter in einem Meetingraum eines Berliner Hotels, wo er uns von all den bedrückenden Sachen erzählt, die ihn momentan auf der Welt und in unmittelbarer Nähe ankotzen. Nicht gerade aufheiternd. Und trotzdem zieht er daraus für sich immer auch etwas Aufbauendes.

Noisey: Die Texte der neuen Platte sind auffällig düster und pessimistisch. Waren die letzten Jahre hart für dich?
Sam Carter: Nun, Tom [Anm.: Gitarrist] schreibt die Texte. Die letzten Jahre waren für uns als Band toll und wir sind sehr froh, wie das alles gelaufen ist. Aber in Anbetracht der Dinge, die in der Welt passiert sind, war es hart, das mitanzusehen. Es sind ziemlich beängstigende Zeiten, in denen wir leben.

Klar sind die Texte düster und passen damit auch zur düsteren Musik. Es geht darum, nicht die Augen zu verschließen, sondern trotz der beängstigenden Welt ein Licht in der Dunkelheit zu finden. Wir sind gefickt, stehen als Menschheit an einem sehr schlechten Punkt, aber wir sollten trotzdem dankbar dafür sein, wer wir sind und was wir haben. Am Leben zu sein, ist toll.

Was macht dich eigentlich so wütend?
Die fehlende Empathie, die fortschreitende Zerstörung des Regenwaldes und des Klimas, das konstante Streben nach Geld, Gier, Macht—einfach der Fakt, dass wir wie ein Krebsgeschwür nicht aufhören werden, bis wir alles zerstört haben. Es ist hart, das mitanzusehen und zu verstehen zu müssen, dass Menschen kurzfristigen Profit über das Leben stellen.

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Du lebst in Brighton, hast du da schwerwiegende Veränderungen in deiner unmittelbaren Umwelt mitbekommen?
Ich habe Glück, Brighton ist ein toller Ort zum Leben. Aber generell ist in der UK zurzeit Fracking ein Problem. Es ist schrecklich, seit David Cameron an der Macht ist. Haushaltskürzungen, abertausende leere Häuser, unzählige Obdachlose in den Straßen. Es ist so traurig: Hier hast du die leeren Häuser, da die Obdachlosen—also warum nicht diesen Leuten die Häuser geben? Es gibt so viele Dinge in der UK, wo du deinen Finger drauflegen könntest … Budgetkürzungen für Behinderte … Unsere Regierung ist einfach scheiße. Sie kürzen anderen die Gelder und streichen selbst mehr ein.

Wenn man sich allgemein die westliche Zivilisation anguckt, ob nun Trump in den USA oder Le Pen in Frankreich, kann einem das echt Angst machen, oder?
Es ist beängstigend, wie einflussreich diese Leute sind. Sie können fast alles sagen, um den Leuten Angst zu machen. Manche sind zu dumm und stimmen einfach zu, wieder andere glauben alles, ohne selbst zu recherchieren. Das ist das Beängstigende. „Ich habe das im Fernsehen gesehen, also muss es wahr sein“, und nicht: „Das macht doch gar keinen Sinn.“

Euer Album heißt All Gods Have Abandon Us. Warum überhaupt weitermachen, wenn doch eh alles verloren scheint?
Wir sind eher daran interessiert, was Kim Kardashian zum verfickten Frühstück gegessen hat, als das, was der Dalai Lama sagt. Wir Menschen sehen uns selbst als Götter und fühlen uns so mächtig, glauben, alles zu durchblicken und von niemanden Hilfe zu brauchen. Dabei sind wir einfach nur am Arsch. Wir sind am Arsch! Wir trampeln für Geld aufeinander rum, versuchen immer besser als der andere zu sein, haben jegliche Empathie verloren. Wir haben alle Götter verjagt und wollen nicht mehr wissen, was richtig oder falsch ist. Nicht, dass ich weiß, ob es einen Gott gibt oder nicht. Niemand weiß das. Aber wir sind am Abgrund und sollten versuchen, ein paar Dinge zu richten, bevor es zu spät ist.

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Also verstehst du euch als Stimme, die den Leuten sagt, dass nunmal alles am Arsch ist, sie aber endlich was tun können?
Ich denke schon. Wir sind nicht die Beatles, die vom Frieden singen. Das wäre toll, aber die Generation, zu der wir sprechen, sind wütende Jugendliche, die angepisst aufwachsen. Ich bin mit Hardcore-Shows aufgewachsen und rede heute über die gleichen Sachen, über die die Hardcore-Leute geredet haben, als ich ein Kind war. Deswegen musst du mit sowas wie dem Spruch All Gods Have Abandon Us schocken, damit sie es realisieren. Klar ist diese Welt beängstigend. Aber es ist OK, Angst zu haben und nicht wegzuschauen. Du musst ja nicht gleich dein Leben ändern, aber vielleicht bist du wenigstens dankbarer für das, was du hast.

Als ich als Teenager zu Hardcore-Konzerten gegangen bin, fand ich es total normal, wenn sich Bands gegen Rassismus positioniert haben. Heutzutage habe ich aber das Gefühl, dass das noch viel öfter und lauter gesagt werden müsste.
Es ist verrückt, dass es immer noch diese Ungleichheit in der Welt gibt. Egal, ob Antirassismus oder Anti-Homophobie—diese Dinge wurden uns früher auf Shows gesagt und ich muss sie heute immer noch sagen. Nicht, dass ich damit ein Problem habe, es zu sagen. Aber warum ist das noch aktuell? Vor allem in unserer Szene, warum gibt es denn da immer noch diese Probleme?

Als ich eure Texte gelesen habe, ist mir ein Wort in den Sinn gekommen, dass es so auch im Englischen gibt: Weltschmerz. Macht es dich nicht fertig, ständig zu erkennen, wie schlecht diese Welt ist?
Es kann passieren. Als wir zuerst darüber geredet hatten, war es ein bisschen viel. Aber es kann ziemlich motivierend sein, zu wissen, was abgeht. Denn wenn du nichts weißt, lebst du dein Leben in einem Schatten der konstanten Angst. Als ob du ausgehst und viel Geld ausgibst, aber nicht deinen Kontostand checkst, weil du Angst davor hast.

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Ich weiß, was abgeht und komme damit klar. Weil ich weiß, dass ich noch 50, 60 Jahre habe. Also tue ich alles, um jeden Moment zu genießen. Manche Leute würden nicht den ganzen Tag in einem Raum sitzen, um Interviews zu geben. Ich kann entweder sagen, wie langweilig das ist oder ich erkenne, wie krass es ist, dass ich noch nach zehn Jahren über meine Band reden darf. Für uns war es mehr wie ein Weckruf, unsere Haltungen und Ansichten in jeder Situation zu verändern. Wie du schon sagst, man kann total davon ausgebrannt werden. Oder man sagt: „OK, wir sind am Arsch, aber vielleicht kann ich was dagegen tun.“

Tom hat mal gesagt, dass es nur eine Möglichkeit gibt, diese Erde noch zu retten. Man müsste die komplette Menschheit vernichten. Ist das wirklich der einzige Weg?
Es gibt so viele Dinge, die wir tun könnten, aber nicht tun. Der Grund dafür? Geld. Solange wir unsere Erde und unser Leben dem Geld unterstellen, sind wir gefickt. Wirklich. Und wenn du das realisiert, macht es dir schon Angst. Aber dann siehst du die Positivbeispiele wie Deutschland und die vielen Windräder. Das ist toll.

Es gibt diesen Spruch: „Die Ahnungslosen sind die Glücklichen“. Dich eben nicht zu informieren, wäre aber nie eine Option für dich oder?
Ich wäre nicht glücklich. Für eine lange Zeit habe ich mich nicht informiert. Sobald du aber Dinge herausfindest, wirst du wütend und fühlst dich so, als hätte man dich jahrelang belogen. Du fragst dich, warum niemand über solche Dinge redet.

Kannst du dich noch an die erste Sache erinnern, die du herausgefunden hast?
Als erstes habe ich die Dokumentation namens Zeitgeist gesehen. Ich dachte nur: „What. The. Fuck.“ Das Währungssystem hat mir eine scheiß Angst eingejagt. Das hat komplett Sinn gemacht. Der 11. September war auch eine große Sache, die ich verdammt verrückt fand. Das ist keine Verschwörung, das sind Fakten. Wenn du darüber redest, denken die Leute natürlich, du wärst verrückt—nur weil du es ein kleines Stück für möglich hältst. Warum denn nicht, das ist nur das Wort einer Person gegen das einer anderen. Ich weiß nicht, ob das Terroristen waren oder die US-Regierung. Aber es gibt mehr Fakten, die auf die US-Regierung hindeuten. Ich kenne so viele Leute, die mich für so eine Aussage für komplett verrückt halten.

Besonders in den USA.
Ja, von wegen: „Unsere Regierung würde uns das nicht antun.“ Es gibt eine Menge, das deine Regierung tut und du nicht weißt..

Schon interessant, Zeitgeist ist fast wie eine Einstiegsdroge.
Fast wie ein Tor zum Aufwachen. Danach willst du herausfinden, was es noch alles gibt, worüber du nichts weißt.

Ihr seid schon mit Enter Shikari getourt, oder? Die sind ja auch sehr engagiert im Zeitgeist-Movement.
Wir haben mit ihnen ein paar Sachen gemacht, ja. Rou [Anm.: der Sänger von Enter Shikari] ist ein toller Redner. Er arbeitet eng mit ihnen zusammen. Ich hatte mit ihm schon lange Gespräche. Das ist eine wirklich coole Band, mit allem was sie tun, ihre Ethik … Sie sind eine große Inspiration für uns.