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Interviews

„Worüber sprechen wir jetzt eigentlich?“ Sido im Gespräch über Bescheidenheit, Flüchtlingspolitik und Air Jordan III

Sidos neues, sechstes Album ist—laut Pressetext—seine politische Platte. Wir haben Marcus Staiger losgeschickt, um das mit ihm genauer zu erörtern.

Album Nummer 6 von Sido—VI. In den letzten Jahren hat sich der einstige Maskenmann und Schöpfer des Arschficksongs zu so etwas wie dem einsamen Moralisten der Deutschrap-Szene entwickelt. Ob es nun daran liegt, dass er sich mit Frauchen, Haus und Kindern in den nördlichen Berliner Speckgürtel verabschiedet hat oder einfach nur so etwas wie Altersweisheit einsetzte? Man weiß es nicht. Fakt ist allerdings, dass Sido auch auf seinem neuen Album zwischen vereinzelten Boastern immer wieder die Moralkeule schwingt und keinen Zweifel daran lässt, dass er es mit seinem pädagogischen Auftrag ernst meint. Marcus Staiger sprach mit Sido über die ganz großen Dinge des Lebens, die sich irgendwo zwischen Glaube, Liebe, Hoffnung und Air Jordan III bewegen.

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Noisey: Ich habe gehört, dass du mein politisches Engagement verfolgst.
Sido: Ich verfolge es, das heißt aber nicht, dass wir jetzt über Politik reden müssen.

Nun ja, in dem Informationsblatt zum Album steht, dass das dein politischstes Album sei.
Du weißt ja, was für Leute das so schreiben.

Normalerweise schreibe ich das.
Genau, aber du kannst mir ja jetzt mal was über die Partei erzählen, die du bald gründen wirst.

Ich werde keine Partei gründen. Ich mache das außerparlamentarisch. Ich halte nicht so viel vom Parlamentarismus.
Da sind wir uns einig.

Was hältst du eigentlich von der Menschheit an sich? Nach dem Durchhören des Albums hatte ich den Eindruck, du bist ein bisschen unglücklich oder unzufrieden mit der Menschheit.
Ja. Ich finde, so ein größeres Quäntchen Mitgefühl fehlt. Ich denke, damit könnte man einige Probleme auf der Welt lösen.

Was meinst du damit? Wenn so ein Sharoholder-Aktien-Pakets-Inhaber einfach mal ein bisschen mehr Mitgefühl zeigen würde und die T-Shirt-Fabrik in Bangladesh aus seinem Portfolio heraus streicht, dann würde sich die Welt verändern?
Nein. In erster Linie geht es ja ums Volk. Wenn wir in einer sogenannten Demokratie leben und wenn man es schaffen könnte, die Politiker unter Druck zu setzen, damit sie ein paar Sachen in der Welt verändern, dann wäre doch das ganz schön. Und das hat dann eben was mit dem Volk zu tun. Die Bevölkerung darf sich einfach nicht blenden lassen von den Shareholdern mitsamt ihren T-Shirt-Fabriken.

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Für den alltäglichen Mann auf der Straße, und das beschreibst du in manchen Songs ja auch ganz eindrücklich, stellt sich die gesellschaftliche Realität aber eher als Konkurrenzveranstaltung dar und nicht als politische Angelegenheit, die man beeinflussen könnte. Das heißt: Ich muss meinen Arbeitsplatz vor jenen verteidigen, die auch meinen Arbeitsplatz wollen. Da Mitgefühl zu entwickeln, um die Dinge zu verändern, ist ein bisschen schwierig, oder?
Wenn man sich aber ernsthaft Gedanken macht, ob die anderen einem den Job weg nehmen, wird man feststellen, dass das gar nicht so ist. Gerade, wenn wir jetzt auch über Flüchtlinge sprechen…

Es geht da ja noch nicht mal um Flüchtlinge. Also die Person, die jetzt diesen Pressetext für dich geschrieben hat, die hat mir eine Erwerbsquelle weggenommen.
Ja.

Diese Person ist mein Konkurrent. Mir der habe ich kein Mitgefühl.
(lacht) Das ist doch aber kein richtiges gesellschaftliches Problem. Das könnt ihr doch untereinander ausmachen. Das Beispiel ist irgendwie doof. Du hast ja trotzdem einen Job und heute redest du mit mir…

Ja, du hast leicht reden. Du hast ja einen Job, der dich relativ komfortabel in die Umlaufbahn katapultiert und dich wie ein Astronaut über der Erde schweben lässt.
Du brauchst dich doch gar nicht beschweren. Du kommst doch gerade direkt aus deinem Rumänienurlaub.

Ja, aus Rumänien. Meine Frau macht in der Zwischenzeit Urlaub in Kalifornien. Sogar in unserer Familie gibt es ein Einkommensgefälle.
Und sie nimmt dich nicht mir?

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Doch, aber dafür bin ich zu stolz.
Aber das sind doch gar keine Probleme. Das sind doch nicht die großen Probleme.

Aber die größeren ergeben sich doch aus den kleineren. Also diese Frau Merkel zum Beispiel, die tut alles, damit es Deutschland gut geht. Und das meint sie auch ernst. Deutschland ist der Krisengewinner. Deutschland ist der Konkurrenzgewinner in Europa, was man an jeder Lidl-Filiale sehen kann, die in Rumänien aufmacht, wo die rumänischen Arbeiterinnen und Arbeiter für 400 Euro schuften gehen, um Gartentüren herzustellen, die dann wiederum von deutschen Firmen auf dem deutschen Markt verkauft werden. Die deutsche Wirtschaft brummt und trotzdem geht es den Leuten auch dort nicht unbedingt gut.
Nein, aber besser als in Rumänien.

Und genau das ist auch das Argument von Frau Merkel, dass man sich doch bitte nicht zu beschweren habe, schließlich geht es uns ja besser, als den Leuten in Rumänien…
Worüber sprechen wir denn jetzt eigentlich?

Darüber, dass du sagst, man müsse sich nur ein bisschen bescheidener geben und mehr Mitgefühl zeigen und ich aber sage, dass es gar nicht so sehr am Mitgefühl liegt. Ich glaube, dass man so viel Mitgefühl haben kann, wie man will, dass man sich aber letztenendes doch so verhalten muss, wie es in diesem System läuft.
Man muss das machen, damit man auf nichts verzichten muss.

Nein. Man muss das machen, damit man überhaupt überleben kann.
Na ja. Man könnte schon ein bisschen was runterschrauben, oder?

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Was sollte man denn runterschrauben?
Naja, man könnte ja auch mit den Jobs zufrieden sein, die man hat, und nicht sauer sein, dass du diesen einen Job für meinen Pressetext nicht auch noch bekommen hast.

Auf deiner Platte sagst du aber, dass du nicht zehn Jahre Schule machen willst, um dann für einen Euro pro Stunde am Fließband zu stehen—dafür mache ich mich doch nicht krumm. Und damit hast du ja auch vollkommen Recht. Jetzt sagst du aber, dass sich die Leute mit ihren Jobs zufrieden geben sollen?
Nein. Die sollen sich mit ihrer Sozialhilfe zufrieden geben oder versuchen, da raus zu kommen, aber doch nicht über Leichen gehen. Aber wir reden jetzt ja auch über ein System, wie es besser gehen könnte. Natürlich hast du Recht, dass in der Realität in den meisten Köpfen drin ist, dass man das und das machen muss, um zu überleben. Das mag ja so sein, aber es muss nicht so sein. Das glaube ich.

Wer könnte das ändern?
Nur Politiker. Und wenn wir wirklich in einer Demokratie leben, was man ja zu bezweifeln wagt, dann kann es am Ende ja auch das Volk, oder? Das Volk kann dann auch die Politiker dazu zwingen, wenn es die Mehrheit bildet. Aber dazu müsste man sich sicher sein, dass man ernsthaft in einer Demokratie lebt oder ob uns da eine Demokratie nur vorgemacht wird, um uns zu beruhigen.

Diese Art von Demokratie, die in diesem Land existiert, und das kann man ja auch im Grundgesetz nachlesen, existiert dafür, dass diese kapitalistische Grundordnung mit ihren Eigentumsverhältnissen, die bestehen, aufrecht erhalten bleibt. Und das bedeutet, dass Leute, die Eigentum besitzen, durch die Ausnutzung der Arbeitskraft von anderen Leuten am Ende noch mehr Eigentum haben.
Muss man aber nicht.

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Das würde dann aber bedeuten, dass die Bevölkerung sagt, dass wir unsere Sachen nicht mehr auf diese Art und Weise produzieren wollen.
Genau. Ich muss nicht mehr in den Supermarkt gehen und die Riesenauswahl haben. Ich muss vielleicht damit leben, was es gerade gibt, vielleicht auch nur regionale Produkte.

Dann kommen die Leute und sagen: Aber so wie in der DDR wollen wir es auch nicht haben.
Ja genau. Das würden die sagen und deshalb rede ich ja auch von einer Theorie, wie es besser gehen könnte. Die Realität sieht komplett anders aus. Da gebe ich dir Recht.

Dann sagst aber du wiederum, in einem deiner Songs auf dem neuen Album, dass du deinen Kampf an vorderster Front in den neuen Air Jordan III führen möchtest.
Ja, das möchte ich. Schau mal, für mich muss es kein Air Jordan sein. Es gab tausende von Air Jordans, an denen ich vorbei gegangen bin, die ein richtiger Schuhfanatiker unbedingt hätte kaufen müssen. Die habe ich links liegen lassen, weil ich mir gedacht habe, dass ich die nicht auch noch zuhause rumstehen haben muss, weil das Schwachsinn ist. Trotzdem finde ich es rein HipHop-technisch, und wir HipHopper sind nun mal styleaffin, ist ein Jordan III ein gutes Stilmittel. Das sagt viel über dich aus, wenn du einen Jordan III trägst und deswegen ist das so ein Sinnbild für Hip Hop.

Und das hat also deiner Meinung nach alles mit der persönlichen Einstellung zu tun?
Ja, das hat mit dem Egoismus zu tun.

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Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel den Song „Ackan“ auf dem Album, der genau diese Art von Egoismus repräsentiert.
Ja, das ist ein Song, auf dem ich sage, was ich mir mittlerweile leisten kann und wo ich überall bin. Das ist für mich aber wieder das gleiche Ding wie die Jordans. Das ist so ein HipHop-Ding. Das ist bragging. Das ist für mich ein Stilmittel von HipHop. Ich glaube auch, HipHop-intern versteht man das auch. Wenn wir gerade so eine Diskussion führen, dann stört das, aber ich finde das kann man als Rapper schon machen.

Ich versuche ja nur die verschiedenen Stränge deines Albums zusammenzubringen. Weil auf der einen Seite sagst du, dass man darüber nachdenken und sich ändern soll, auf der anderen Seite feierst du diesen Lifestyle auch ab.
Aber eigentlich sagt der Song ja nur, dass wenn du dir was wünschst—und mein größter Wunsch war es nun mal, die Welt zu sehen, zu reisen und essen zu können, was ich will—wenn du das haben möchtest, dann musst du dafür ackern. Das ist die Essenz von diesem Lied. Um an das ranzukommen, wovon man träumt, musst du ackern. Faul sein bringt dir nichts.

Da dreht es sich aber von der Message her genau in die Richtung, die diese Leistungsgesellschaft von einem verlangt: Du musst ackern. Das ist mir auch bei dem Song „Löwenzahn“ aufgefallen. Du beschreibst sehr gut die Verhältnisse, in denen man aufwächst, und am Schluss sagst du dann aber, dass es nur auf einen selber ankommt—änder dich! und genau das bezweifle ich. Das ist genau die Lüge, die einem immer erzählt wird, dass es nur auf einen selber ankommt.
Natürlich. Das ist Kämpfen gegen Windmühlen. Du alleine bist nur ein Teil eines riesigen Ameisenhaufens, das kriegt keiner mit.

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In deinem Fall hat das ja geklappt. Du bist raus aus dem Ameisenhaufen. Deine Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte: Ich hab's geschafft, aus diesen Verhältnissen rauszukommen.
Das muss aber nicht heißen, dass es da hingehen muss, wo ich jetzt bin. Aus den Verhältnissen rauszukommen, heißt ganz einfach, nicht das zu tun, was die Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, damals getan haben und teilweise heute immer noch tun. Die sitzen da, leben von Sozialhilfe und kriegen ein Kind nach dem anderen. Alleine, das nicht zu tun, ist schon besser. Das muss nicht so weit gehen wie bei mir. Rauskommen kann man auch anders.

Und du meinst, dass das jeder schaffen kann?
Nicht jeder kann das schaffen. Ich glaube auch, dass da ein gewisses Quäntchen Glück dazu gehört. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ich kenne schlaue Typen, die sind da immer noch. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun. In meinem Fall war es Talent. Woran ich aber fest glaube—und deshalb sage ich, änder dich—ist , wenn du in der Schule nicht die ganze Zeit versuchst, der Coolste zu sein, dann bringt das was. Die Opfer, die in der Schule die ganze Zeit mitgemacht haben, Einsen gekriegt haben und von den Coolen immer als die Opfer verschrien wurden, die sind alle raus aus dem Viertel. Mir ist ganz klar: Wenn du im Viertel nicht immer versuchst, deine Eier zu behaupten und jeden Hahnenkampf annimmst, dann glaube ich, dass du es leichter hast, da rauszukommen, als wenn du auf dieser Viertel-Welle mit schwimmst. Ich war ja auch ein Opfer für die ganzen Gangster im Viertel. Ich war der Typ, der Deutschrap gemacht hat. Das haben ‘ne Handvoll Leute bei uns gemacht. Da gab‘s nicht viele und wir waren Opfer. Trotzdem habe ich mich lieber auf diese Sache konzentriert, weil ich wusste, das wird was.

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Jetzt hat das auch viel mit kommerziellem Erfolg zu tun und viele junge Rapper träumen davon, ebenfalls erfolgreich zu sein. Hast du immer auf die Musik geachtet oder mehr aufs Marketing?
Immer auf die Musik. Ich gehe ins Studio, um ein gutes Album zu machen. Deswegen mache ich auch mein Business nicht selber. Ich könnte ja auch von Universal weggehen und mein Business alleine weiter machen, wäre ja an der Zeit bei mir, aber ich will das nicht. Das würde mir den Spaß am Musikmachen verderben. So gebe ich die Platte ab, wir reden nochmal kurz darüber und dann war‘s das. Weil ich Musik machen möchte.

Wie sieht dein Leben jetzt eigentlich aus, als Musiker in diesem Berliner Vorort?
Idyllisch—also bei uns auf dem Grundstück. Darüber hinaus sagen meine Nachbarn noch nicht mal hallo. Ich sag hallo, aber da wirst du nicht mit dem Arsch angeguckt.

Du gehörst da nicht hin.
Für diese Leute gehöre ich da nicht hin. Ich, für mich, gehöre da schon hin. Ich habe einen sehr netten Nachbarn, den laden wir auch immer zum Grillen ein, aber mit dem Rest, der da um uns herum wohnt, habe ich noch nicht mal ein Wort gewechselt. Wir haben auch Briefe im Briefkasten, wo drin steht: Ihr Zigeunerpack, zieht mal wieder zurück in euer Viertel.

Ernsthaft?
Ja. Die Hunde von meiner Mutter werden bedroht, weil die Mülltonnen nicht so stehen, wie sie stehen sollen. Wir verdammtes Zigeunerpack sollen mal lernen, wie man sich benimmt, in so einer Gegend und so ‘ne Sachen.

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Beschäftigt dich das eigentlich, dass sich die neuesten Verschärfungen in Sachen Flüchtlingspolitik hauptsächlich gegen Leute vom Westbalkan richten, sprich gegen Roma.
Riesenthema bei uns zu Hause wegen meiner Mutter. Die ist gerade richtig durch den Wind deswegen. Erst letztens wurde eine Frau mit ihren zwei Kindern von einem Nazi angepisst und die ganze U-Bahn war voll und keiner hat was gemacht. Die sitzt manchmal da und weint. Gerade das Sinti und Roma-Thema nimmt die richtig mit.

Inwiefern habt ihr da überhaupt noch Verbindungen?
Unsere ganze Familie ist so. Meine deutsche Familie von meinem Vater habe ich nie kennengelernt. Ich kenne nur meine Sinti-Familie.

Wie nehmt ihr das auf, dass deutsche Politiker gerne zwischen guten Flüchtlingen mit berechtigten Fluchtgründen und den ungebetenen Gästen unterscheiden, die nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen und damit im Endeffekt hauptsächlich die Sinti und Roma meinen?
Was der Politik da in die Hände spielt, ist natürlich, dass die, die von da unten flüchten, auch keine Ausbildung haben und nichts gelernt haben, außer Scheiße bauen—gezwungenermaßen, weil sie dort diskriminiert werden und ihnen keiner hilft, eine einigermaßen vernünftige Ausbildung zu machen. Dann sind das natürlich die Ungebetenen, im Gegensatz zu den gebildeten Ärzten aus Syrien, die man gerne nimmt.

Ich finde da ja gut, dass jemand wie Till Schweiger sich einmischt und sagt: Ich bau jetzt ein Haus. Aber damit ist es ja nicht getan. Die wohnen dann da und dann? Dann fangen die an, Scheiße zu bauen und dann hat Pegida wieder recht. Es geht ja darum, dass darüber hinaus noch was getan werden muss. Man muss denen unter die Arme greifen. Man muss was tun für die.
Trotzdem finde ich das gut, wenn Till Schweiger sich äußert. Ich finde es gut, dass die Stimme, die für Flüchtlinge ist, ein bisschen lauter wird in diesem Land. Ich glaube, die Stimme, die dagegen ist, ist viel zu laut und deshalb ist es gut, wenn wir uns da zu Wort melden. Aber im Endeffekt muss das Volk „ja“ sagen. Weil da in Heidenau, da steht das Volk und nicht irgendein Prominenter. Wir müssen erreichen, dass das Volk zustimmt.

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Wo sind eigentlich die ganzen HipHopper bei dieser Diskussion?
Deshalb ziehe ich meinen Hut vor Joko und Klaas, dass die so ein klares Statement gemacht haben. Ich kann mir nämlich schon vorstellen, dass man sich dadurch ein paar potenzielle Fans vergrault. Und ich kann mir auch vorstellen, dass Rapper, die das Marketing an erster Stelle haben, sich denken, dass man sich da jetzt lieber nicht einmischt und äußert. Ich bin mir sicher, die meisten haben schon die Meinung, dass man die Leute rein lassen soll, zumal viele ja auch einen Migrationshintergrund haben. Aber obwohl?! Auch da kann man sich nicht mehr sicher sein. Es gibt auch genug Leute mit ausländischen Wurzeln, die sagen, dass man die Grenzen dicht machen soll. Diese Stimmen kenne ich auch.

Was mich nur wundert, Anfang der 90er Jahre gab es Tausende von Antirassismus-Jams, zur Zeit herrscht Stille.
Darum gehts nicht mehr (lacht). Der Kapitalismus hat uns alle am Arsch. Keine Nächstenliebe mehr.

Was ist eigentlich aus deinem Projekt geworden, eine Landkommune zu gründen?
Ich finde das immer noch einen krassen Plan. Was mein Problem ist: Ich habe viele Bauernhöfe gesehen und ich habe festgestellt, dass ich doch an sehr hygienische Standards gewöhnt bin. Man müsste wirklich sehr viel tun an so einem Bauernhof, damit er für mich bewohnbar wird. Ich habe echt kein Bock auf Geviech. So Kleinviech. Spinnen. Käfer. Wir haben neulich eine Hornisse im Schlafzimmer gehabt. Unfassbar. Ich bin gestorben. Ich habe gekreischt wie ein Weib. Ansonsten ist das aber kein vergessener Plan.

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Wie würde das demokratische System dort aussehen, wenn du also deinen eigenen kleinen Staat machen könntest?
Jeder hat seinen Job und jeder trägt was zur Kommune bei—was er halt kann. Und das, was da ist, hat man und das, was nicht da ist, hat man eben nicht.

Also man stellt fest, was man braucht, dann beschafft man es sich und dann wird es verteilt?
Genau.

Und wer hat das Sagen?
Ich würde keinem das Sagen geben wollen. Es gibt ein System, danach lebt man und vielleicht muss dieses System von jemandem erstellt werden. Vielleicht kann man das aber auch gemeinschaftlich erstellen. Ich glaube, das ist nicht so schwer.

Du beschäftigst dich ja anscheinend viel mit gesellschaftlichem Wandel und bei deinem satirischen Song über die Probleme der Reichen, deren größte Sorge es ist, ob sie in der Forbes Liste stehen oder nicht, hatte ich die Vision, ob man nicht einfach mal anfangen sollte, die Leute in der Forbes Liste nach und nach alle wahllos zu erschießen. Ich glaube, das Bedürfnis ,nicht mehr in dieser Liste zu sein, würde spätestens nach dem 50. Toten immens steigen.
Machste? Ist ja blöd, dass jetzt auszuplaudern, aber ich fänd‘s ok. Ich meine, das machen die ja jeden Tag. Das machen die jeden Tag, über irgendwelche Leichen gehen. Also ich hätte kein Problem damit. Feuer mit Feuer bekämpfen.

Um zum Schluss nochmal auf deinen Pressetext sprechen zu kommen. Da steht: Du malst düstere Bilder mit einem Funken Hoffnung. Was überwiegt bei dir? Der Pessismismus oder die Hoffnung?
(schaut verwirrt)

Ich meine, hast du deinen Pressetext überhaupt durchgelesen?
Überfolgen. Mann, da reitest du jetzt aber drauf rum, auf dem Pressetext. Was steht da? Dürstere Texte mit einem Funken Hoffnung? Ich habe wirklich Hoffnung. Ich glaube wirklich daran, dass jeder Mensch, am Ende des Tages das gleiche Moralempfinden hat. Es gibt vielleicht wirklich Menschen, denen alles scheißegal ist, aber im tiefsten Inneren, wenn sie alleine sind, dann wissen auch diese Leute, dass sie einen Fehler machen. Ich glaube, dass alle Menschen ethisch und moralisch dasselbe empfinden. Da glaube ich ganz fest dran und das ist meine Hoffnung.

Vielen Dank für das Gespräch.

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