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Noisey Blog

Mit Brennivín und Weihnachtsbier auf der Suche nach der Iceland Airwaves-Afterparty

Rúntur, Weihnachtsbier, Konfetti, The Knife, der schwarze Tod und Sperrstunden—die skurrile Welt des Icelandic Airwaves Festival.

Copyright © 2014 Matthew Eisman

Es ist Montag, der 10. November 2014, 05:16 Uhr. Ich stehe vor der Tür eines Hotels auf dem Laugavegur und warte auf meine neu gefundenen Journalisten-Kollegen, um mich noch ein bisschen mit ihnen über Nordlichter zu unterhalten. Der Laugavegur ist Reykjavíks Hauptstraße, die man sich ungefähr so aufregend vorstellen kann, wie eine bedeutungslose Seitenstraße in einer westdeutschen Kleinstadt—mit der Ausnahme, dass die Häuser aus Blech und ein bisschen bunter sind. Am Wochenende hängen sich hier gerne gelangweilte Vorort-Kids besoffen und gröhlend aus den Dachfenstern fahrender Autos und das ist hier so angesagt, dass es sogar ein eigenes Wort dafür gibt: rúntur.

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Aber heute—Montagmorgen um fünf—ist nicht mal mehr rúntur los. Einer der Mitarbeiter des Hotels streicht mitten in der Nacht einen Teil der Außenfassade. Voll witzig, finden wir. Es ist die Nacht nach fünf Tagen Airwaves und wäre ich meine Leber, hätte ich mich längst von mir getrennt.

Alles beginnt am Mittwoch zuvor, irgendwann gegen acht. Wir stehen auf einer Bühne im Dolly, dem einzigen Club in dieser Stadt, der halbwegs bezahlbares Bier verkauft. Iceland Airwaves Sonderangebot: 600 Isländische Kronen, 4 Euro. Wir stehen auf der Bühne, weil wir uns irgendwie für die Airwaves Karaoke Nacht qualifiziert haben, scheitern aber kläglich an den Lyrics zu „Survivor“ von Destiny’s Child. Sichtlich beschämt verlassen wir ziemlich schnell den Laden—und werden von nun an mindestens 800 Kronen, meistens 1000—für ein mittelmäßig schmeckendes Dosenbier hinblättern müssen.

Um die Blamage zu verarbeiten trinken wir trotzdem. Jolabjör—Weihnachtsbier—um genau zu sein. Weihnachten ist in Island nach dem Iceland Airwaves das wohl wichtigste Happening im Jahr: In Reykjavík gibt es zwei Weihnachtsläden, die das gesamte Jahr geöffnet sind und schon Anfang November hängt hier überall Weihnachtsbeleuchtung rum, die nach zehn Weihnachtsbieren ungefähr so aussieht:

Irgendwann geraten wir in einen Weihnachts-Rundgang—sponsored by a big Jolabjörbrand. Alle haben blinkende blaue Mützen auf und singen zu der Melodie von Jingle Bells irgendwas auf Isländisch über Weihnachtsbier. Das Fernsehen ist auch da.

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Dann schauen wir die ersten Konzerte. Die Schlangen vor den Venues sind unglaublich lang, was bei Temperaturen um -1 C° nicht unbedingt angenehmer ist als auf einem Festival im Sommer und gefühlt jeder zweite Festivalbesucher ist den Tränen nahe, weil sie oder er bei Asgeír, der eben in der Harpa gespielt hat, nicht mehr reingekommen ist. Asgeír ist einer dieser Typen, die das Klischee um Island als Sehnsuchtsort aufrechterhalten—dieser Insel aus Lava und Eis irgendwo im Nordatlantik, auf der ausschließlich naturverbundene, extrem emotionale Menschen leben, die alle mindestens 30 Instrumente beherrschen und in ungefähr 20 Bands spielen, um den vielen Gefühlen, die sie haben, Ausdruck verleihen zu können. Alle wollen diesen Asgeír sehen. Die erste Show, die ich allerdings auf diesem Airwaves sehen will, ist die von MAMMÚT und die ist ähnlich düster und verstörend wie das Video hier.

Weiter geht’s mit FM Belfast, die auf jedem Iceland Airwaves gefühlt vier Konzerte spielen und auch im Ausland die—neben Sin Fang und Retro Stefson—wohl präsenteste aller isländischen Bands sind. Trotzdem rasten alle aus, und trotz—oder viel wahrscheinlicher: WEGEN—des strikten Rauchverbots in allen Venues ist die Luft schlechter als in dem Dampfbad, in dem wir heute Nachmittag noch gesessen haben. Wir gehen. Tag 1 fühlte sich eher so mittel an.

Wegen der minderen Qualität des Weihnachtsbiers geht es uns schon am zweiten Festivaltag ungefähr so wie nach einer ganzen Woche bei der Fusion. Da ändert auch der 20 Euro teure Veggie Burger zum Frühstück nicht besonders viel dran. Gegen 18 Uhr geht’s dennoch wieder los mit alkoholischen Kaltgetränken. Die Presse muss schließlich erst gut abgefüllt werden, bevor sie sich auf den Weg zu den ersten Konzerten macht. Im Palóma machen wir Bekanntschaft mit Brennivín, isländischem Aquavit, der auch als „der schwarze Tod“ bekannt ist und selbst eiskalt ziemlich schlecht runtergeht. Aber egal, ist ja umsonst. Leider bin ich nach einer Stunde auf der Presseparty so betrunken, dass ich es in dieser zweiten Airwaves-Nacht nur auf ein einziges Konzert schaffe: Sin Fang. Kann mich nicht erinnern, aber war den Fotos nach zu urteilen bestimmt ganz gut da:

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Statt Konzerte zu besuchen, landen wir aus irgendeinem unerfindlichen Grund schon gegen 23 Uhr im Kaffibarinn, Reykjavíks ältestem und legendärstem Club. Der Film zu 101 Reykjavík wurde größtenteils hier gedreht und angeblich sollen ein paar Anteile am Laden Damon Albarn gehören. Doch auch der legendärste Club der Stadt schmeißt dich irgendwann raus. Während Clubs und Bars in Reykjavík am Wochenende bis 04:30 geöffnet haben, ist unter der Woche um 01:00 Uhr Sperrstunde angesagt. Und das ist nicht nur insofern krass, dass selbst die Kneipen in Bamberg unter der Woche erst um 02:00 Uhr dicht machen müssen, sondern vor allem auch, weil Reykjavík neben seinem großen Kultur-Output besonders für seine abgefahrene Partyszene bekannt ist. Für uns heißt das: mit einer Flasche Duty-Free-Vodka ins hässlichste Hotel der Stadt und noch ein bisschen Musik aus dem Smartphone hören.

Aus diesem Grund wird der bestens organisierte Pressetrip am nächsten Tag leider etwas qualvoll. Ähnlich wie im letzten Jahr geht’s für die Presse in ein Studio—diesmal in die Greenhouse Studios, wo die Bedroom Community sich trifft, um Musik zu machen und aufzunehmen. Einar Örn, Ex-Sugarcubes-Mitglied, Vater, Musiker und Künstler, der nebenbei auch noch in der Besti flokkurinn—Islands Spaßpartei—aktiv war, hält exklusiv für die anwesenden Presse-Vertreter eine Rede darüber wie toll Reykjavík ist, wie kreativ hier alle sind und was das alles für ein großartiger Zusammenhalt ist und gibt uns am Ende noch mit auf den Weg, dass wir einfach wir selbst sein und unser Leben genießen sollen. Island sei übrigens genauso wie Joghurt—eine „living culture“.

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Auf dem Weg zu unserem nächsten Stopp erzählt uns der Reiseführer mit dem Namen, den ich mir nicht merken kann, dass Religion wie ein Penis ist, auf den man ruhig stolz sein kann, den man aber nicht in der Öffentlichkeit rausholen sollte. Das Zitat hat er aus dem Internet, warum er das aber gerade jetzt auf unserem Pressetrip erzählt, könnte damit zu tun haben, dass der rechte Flügel (und rechte Flügel haben mit Religion ja irgendwie immer was zu tun), der in Island derzeit am Hebel sitzt, gerade wieder ziemlich viel Scheiße baut: Gesundheitsversorgung ist so gut wie gar nicht vorhanden, Gelder für Kunst und—Islands Exportschlager Nummer eins—Musik werden gekürzt und Musiklehrer sollen bald weniger Geld bekommen als alle (!) anderen Lehrer. Dafür verantwortlich ist übrigens die gleiche Partei, die 2008 die Finanzkrise mitverschuldet hat. Aber das nur so am Rande, weil wir zufällig am Krankenhaus vorbeifahren. Das Politische hört auf eine Rolle zu spielen als unsere Hedonistengruppe zehn Minuten später mit Wollmützen, Pizza und Bier am geothermalen Strand im Hotpot sitzt und aufs Meer schaut.

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Nach den zwei verfehlten Abenden, die nur dazu dienten, diese Story hier möglich zu machen, werden Freitag, Samstag und Sonntag musikalisch wertvoller. Wir starten mit ein paar Drinks beim Isländischen Symphonie Orchester ins Wochenende und sehen danach folgende empfehlenswerte Acts. Da gibts nicht viel zu zu sagen. Also hier. Hört selbst.

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Jaakko Eino Kaleivi, La Luz, Ibibio Sound Machine, Zhala, Kiasmos, Sísy Ey, Samaris, Ezra Furman, Zebra Katz, Hermigervill.

Zebra Katz ist nach der für Epileptiker eher ungeeigneten Flaming-Lips-Show der letzte Act dieses Festivals. Und weil Sonntag ist, ist um 01:00 Uhr schon wieder Sperrstunde. Sie schmeißen alle raus. Alle suchen die Afterparty. Zurück auf Anfang. Ich steh‘ vorm Hotel auf dem Laugavegur und irgendein Freak streicht eine Wand. Montagmorgens um viertel nach fünf.

Wichtige Fakten, die es aufgrund von Platzmangel nicht in diesen Text geschafft haben:

1. Björks Sohn nennt sich Sindri Eldon und macht College Rock.

2. Die letzte The-Knife-Show aller Zeiten war zum Einschlafen.

3. Wir haben die Dance Competition nicht gewonnen.

4. Die Flaming Lips haben auf ihrem Konzert am Sonntag mehr Konfetti verschossen als ein Kölner Karnevalsverein durchschnittlicher Größe während der gesamten Karnevalszeit.

5. FUCK YEAH ICELAND!

Copyright © 2014 Alexander Matukhno

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