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Warum man das Noppen Air einfach lieben muss

Jedes Jahr eröffnet ein kleines, feines Festival auf einem Bauernhof im Mühlviertel die Saison.

Foto: Simon Seher

Das Noppen ist wie der liebe Onkel, den man nur einmal im Jahr sieht. Wegen der Musik kommen die wenigsten aufs Noppen, obwohl das LineUp immer wieder verdammt stark und ausgewogen ist. Für viele ist das Noppen wie ein riesiges Klassentreffen, zu dem aber niemand die Deppen eingeladen hat. Dieses Treffen beginnt traditionell am Freitag in der Früh. Bassklänge hauchen dem Campingplatz Leben ein, das erste Bier ist schon leer. Bis zum Abend kommen immer mehr Leute, aus ein paar Zelten wird für 48 Stunden ein kleines Dorf der Liebe. Umringt von Wäldern und Wiesen wird die erste große Outdoor-Party des Jahres gefeiert.

Wenn man sich Location und Veranstalter des Noppen Air ansieht, würde man eher ein Zeltfest erwarten. Das Noppen findet auf einem alten, zur Hälfte verfallenen Bauernhof 20 Kilometer nördlich von Linz statt. Veranstalter ist die Freiwillige Feuerwehr Neudorf, die mit dem Erlös neue Fahrzeuge und Geräte kauft. Heuer wurde die Anzahl der Tickets reduziert, letztes Jahr war es schon zu voll im Noppenhof. Auf die Einnahmen kann man verzichten, immerhin braucht ein kleines Kaff im Mühlviertel nicht jedes Jahr ein neues Feuerwehrauto.

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Die erste Band am Freitag heißt Nein, Franz! und spielt eine Mischung aus Punk, Rock und Ska. Man schaut sie sich an, weil man ein Bandmitglied kennt oder weil man eine Band noch halbwegs nüchtern erleben will oder weil man ein Fan von ihr ist. Nicht zuletzt dank ihrem hervorragenden Schlagzeuger heizen Nein, Franz! den alten Bauernhof bereits vor Einbruch der Dunkelheit ordentlich ein.

Nein! Franz I Foto: Michael Kramer

Musikalisch schließt die Wiener Band Rammelhof fast nahtlos an die Vorband an. Tanzbare Melodien treffen hier auf sozialkritische Texte, die Kombination führt zu glücklichem Publikum. Erstes größeres Highlight ist Viech. Jedem FM4-Hörer spätestens seit "Oh Elise" ein Begriff, kommen die Viecher mit einem neuen Album im Gepäck aufs Noppen. Das erste Mal wird leidenschaftlicher Pogo getanzt, still stehen geht jetzt nicht mehr. Viech zeigen, dass die österreichische Musikszene noch mehr zu bieten hat als Wanda und Bilderbuch. Von denen wird man noch viel hören.

Swah! I Foto: Michael Kramer

Wenn man vom Noppen erzählt, muss man auch vom Ditsch erzählen. Ditsch, der eigentlich Mathias Gahleitner heißt und als Webdesigner arbeitet, bucht die Bands und verantwortet die Kommunikation des Festivals. Er ist aber viel mehr als das. Er ist das Mädchen für alles, das Herz des Noppen. Als der 25-jährige letztes Jahr Wanda ins Mühlviertel holte, war das Noppen erstmals in der 21-jährigen Geschichte ausverkauft. Als er Wanda viele Monate vor dem Festival buchte, kannten die meisten Österreicher "Bologna" noch nicht. Für die Gage, die er damals verhandelte, würden Wanda heute vermutlich nicht mal mehr einen Song spielen. Dieses Festival lebt von Ditschs Händchen für gute Musik. Wenn das Noppen eine Pyramide wäre, dann wäre Ditsch wohl die unterste und die oberste Ebene. Ohne ihn würde vermutlich nichts stehen, aber es würde auch nicht wirklich toll aussehen.

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Foto: Michael Kramer

Lange Wartezeiten und Umbaupausen gibt es am Noppen nicht. Die Bühne ist rustikal-funktional, das bäuerliche Ambiente prägt den Charme. Die Münchener Indie-Band Cosby ist musikalisch top, der Alkoholpegel des Publikums verlangt allerdings um diese Uhrzeit härtere und schnellere Musik. Die sanften Klänge zerschellen an Biergläsern. Als sie dann Foo Fighters covern, wippt man beschwingt. Ist das Tanzen, wenn die eigene Schulter alle fünf Sekunden die Schulter des Nachbarn berührt? Die Seifenblasenmaschine tut ihren Rest. Freitag-Headliner ist die ebenfalls aus München kommende Band Kytes. Seit die vier Jungs 2015 die Band gegründet haben, geht es mit ihnen steil bergauf. Wohlfühl-Indie, zu dem man gerne mitsingt. Sie spielten schon in den USA und beehren heuer noch einige deutsche Festivals. Passend zur Uhrzeit runden Ant Antic das Noppenprogramm mit elektronischen Beats ab. Sie machen diese Art elektronische Musik, die man auch untertags auf FM4 spielen kann. Ant Antic kombinieren Elektro und Indie und das gelingt ihnen ziemlich gut. Danach strömt das Publikum in eine der vielen Themenbars (Reggaebar, Irish Pub, Electro Cave, usw.) oder lässt den Abend am Camplingplatz ausklingen.

Die Band Viech I Foto: Christoph Rammelmüller

Damit das getrunkene Bier im Magen nicht vereinsamt, kauft man Bosna, Bratwürstl oder den legendären Noppenburger. 6.000 Stück werden an einem Wochenende von ihm verkauft, das sind ungefähr doppelt so viele wie Festivalbesucher. Die Mütter und Väter der jungen Leute, die das Festival organisieren, bereiten die Burger liebevoll zu. Das Rezept ist streng geheim. Marshall von How I Met Your Mother muss genau diesen Burger meinen, wenn er vom besten Burger spricht.

Das Schöne am Noppen ist die familiäre Stimmung. Man muss sich keine Gedanken darüber machen, wie man am besten ohne längeren Klo-Aufenthalt auskommt, sondern besucht einfach eine Freundin, die nur ein paar hundert Meter entfernt wohnt. Klo, Dusche, ein Fifa-Match und schon bist du wieder fit für den Tag. Das Wetter im Mühlviertel muss man erlebt haben. Dort ist es nicht mal im Sommer wirklich heiß. Im Winter kann es vorkommen, dass die Schüler schneefrei kriegen. Während die Leute am Noppenfreitag die kurze Hose auspacken und ihre Haut immer röter wird, braucht man am nächsten Tag die Winterjacke. Nach der letzten Band am Samstag fallen die ersten Schneeflocken. Oh du Fröhliche!

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Foto: Simon Seher

Die Zeit zwischen letzter und erster Band verbringt man am Noppen hauptsächlich trinkend. Falls der Rausch zu langsam kommt, hilft man sich mittels Trichter oder einem Match Flunkyball. Am Noppen gibt es sogar ein eigenes Flunkyball-Turnier (was hat man angestellt, wenn man mit Pittinger-Bier spielen muss?). Während die letzten Festivalbesucher aus ihren Zelten kriechen, steht schon ein Lokalmatador auf der Bühne. Julian Kleiss spielt nicht Gitarre. Viel mehr ist er Gitarrenkünstler, er zupft zärtlich an den Saiten. Für ihn auf jeden Fall der richtige Slot, das Publikum besteht fast nur aus echten Musikliebhabern.

Avec I Foto: Michael Kramer

Avec lebt von der Stimme der Sängerin. Melancholische Texte gepaart mit der schönsten Stimme des Festivals wärmen das frierende Publikum wie ein Tee mit Rum. Obwohl sie "I don't feel save here anymore" singt, fühlen sich alle sicher bei dieser Band. Man könnte fast meinen, für das heurige Noppen wurde ein Kulturaustausch mit Bayern organisiert, denn nach Avec kommen schon wieder Bayern auf die Bühne. Dicht & Ergreifend mit ihrem wohlklingendem Album Dampf der Giganten machen erstmals richtig Stimmung am Noppensamstag. Sie rappen so wie ihnen "die Goschn gwachsn" ist, also "boarisch". Sprachbarrieren zwischen Band und Publikum gibt es kaum, den gesellschaftskritischen Anspruch der Band checkt man also auch nach ein paar Bier noch.

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Dicht & Ergreifend I Foto: Michael Kramer

Schnipo Schranke verursachen bei manchen Besuchern einen kleinen Kulturschock. Die beiden Musikerinnen aus Hamburg wechseln sich an Schlagzeug und Keyboard ab, was der Typ am Synthesizer genau macht, fragt man sich den Großteil des Konzerts. Mit dem Bandnamen können sich die meisten noch identifizieren (Schnipo=Schnitzel mit Pommes, Schranke=Mayonnaise und Ketchup). Die Texte sind ungewöhnlich, aber erfrischend. Am lautesten wird das Publikum beim Hit "Pisse". "Wenn man hier einen 10-jährigen Buben zuschauen lässt, schaut der nie wieder eine nackte Frau an", analysiert ein Besucher das Konzert treffend.

Nach Schnipo Schranke entert eine Band mit den selben—politisch eher ungünstigen—Initialen die Bühne: Seiler und Speer. Wochenlanger Dauerwiedergabe auf Ö3 steht das Noppen-Stammpublikum sehr kritisch gegenüber. "Warum sind die Headliner?" hört man nicht nur einmal an diesem Tag. Fun Fact: Sie sind gar nicht Headliner, die kommen erst später. Man kann zu Seiler und Speer stehen, wie man will. Sie machen auf jeden Fall eine coole Show und die Musiker, die sie begleiten, sind spitze. Der Bauernhof ist voll, vor dem Eingang müssen Leute auf Einlass warten. Auf jedem Festival gibt es diese eine Band, die komische Fans anzieht. In diesem Fall ist das Seiler und Speer. Für viele dieser Leute ist das diesjährige Noppen wohl das erste Festival. Mit vollen Bierkrügen (ja, am Noppen gibt es wirklich noch echte Krüge aus Glas) in der tanzenden Menge stehen ist echt uncool. Trotzdem sollte der Song "Stopp doch die Zeit" zur offiziellen Festivalhymne erklärt werden.

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Foto: Michael Kramer

Nun zum eigentlichen Headliner: Auch wenn sich das Publikum in der kurzen Umbauphase gefühlt halbiert, das Tageshighlight ist ganz klar Rakede. Die Rakede ist musikalisch schwer einzuordnen. Pop, Rock, Rap und Reggae mit ganz viel elektronischem Einschlag könnte ungefähr stimmen. Diese Art von Musik dringt sanft und klar in die Ohren ein und verlässt den Körper, indem er ein Lachen im Gesicht hinterlässt. Das Noppen ist kein glamuröses Festival. Es hat auch nicht das fetteste LineUp. Klein, fein, familiär. Die Vorfreude auf das Noppen 2017 ist groß.

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