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Staiger vs das Elend der modernen Welt

Jan Böhmermann ist in der Welt des Battleraps angekommen—Ein Kommentar von Marcus Staiger

„Das ist genau so gut, wie wenn ich auf die Bühne steppe und meinem Gegenüber ein herzhaftes Ich f**** deinen Vater“ ins Gesicht rotzen würde ... “—Ein Kommentar.

Seit Tagen geistert der Fall Böhmermann durch die Medien und alle Welt steht Kopf. Es geht um Demokratie und Menschenrechte, es geht um Presse- und Meinungsfreiheit und am Ende geht es sogar um die Freiheit an sich. Doch warum eigentlich? Wozu die ganze Aufregung? Der Fall ist doch eigentlich klar und wäre Herr Böhmermann tatsächlich der Rapper, der er gerne sein würde, dann wüsste er das auch.

MC Böhmi hat ein Battlegedicht vorgetragen, einen Battlrap-Track, in dem er einen realen, wenn auch ihm persönlich unbekannten Gegner, beleidigt hat. Das ist gute alte Raptradition und mehrmals betont er während des Vortrags, dass er sich voll und ganz bewusst sei, dass es sich um eine Beleidigung handle und dass er auch mit entsprechenden Konsequenzen rechne. Das ist genau so gut, wie wenn ich auf die Bühne steppe und meinem Gegenüber ein herzhaftes „Ich ficke deinen Vater“ ins Gesicht rotzen würde, nur um es zu beleidigen. Auch dann müsste ich damit rechnen, dass der andere die Beleidigung versteht und mir eine rein drückt, um die Ehre seines Vaters zu verteidigen. Denn auch wenn das Mütter- oder Vätergeficke auf Tonträgern gang und gäbe ist, auf der Bühne in einer One-on-One-Situation ist so etwas immer heikel. Das muss man wissen. Das sind die Gesetze.

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Im Rap gibt es diese, in der anderen Welt gibt es die anderen Gesetze und wenn ich hier in diesem Artikel schreiben würde, dass ich Thilo Sarrazin für ein rassistisches Arschloch halte, dann müsste ich ebenfalls damit rechnen, dass dieser mich anzeigt. Was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass Thilo Sarrazin tatsächlich ein rassistisches Arschloch ist. Aber Streit muss man eben auch aushalten können und wenn man nach dem Vaterfickerspruch eine rein bekommen hat, dann muss man aufstehen und sagen: „Gefickt habe ich deinen Vater aber trotzdem“ und nicht seine nächste Sendung absagen. Wenn sich MC Böhmi nach gelungener Provokation, dann auch noch ans Kanzleramt wendet und der Welt erklärt: „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe“, dann ist das so, wie wenn der kleine Jan auf dem Schulhof zu Mehmet geht, ihn „Ziegenficker“ nennt und sich dann bei der Klassenlehrerin versteckt und „Satirefreiheit“ brüllt. Abgesehen davon, dass sich die anderen Klassenkameradinnen und Klassenkameraden tierisch darüber amüsiert haben, dass sich da einer traut, die Worte „Ziegenficker“ und „Türke“ in einem Atemzug zu benutzen. „Hohoho. Der Türke ist ein Ziegenficker. Das ist ja mal lustig“—und das Feuilleton applaudiert.

Das meint dann auch Bushido damit, wenn er postet: „Ist man ein Boehmermann ist es Kunst, ist man Rapper landet es auf dem Index. F**** euch Ihr Feuilleton Lutscher“ und Prinz Pi ihm darin beipflichtet. Denn auch Pi hat neben Bushido und allen möglichen anderen Rap-Schaffenden ausgiebig Erfahrung darin sammeln können, dass zwischen dürfen und dürfen ein gewaltiger Unterschied besteht und es am Ende immer noch ein paar Gremien gibt, die darüber befinden, wer wo, wann und zu wem was sagen darf. Womit wir beim eigentlichen Kern des Problems wären, warum überhaupt so etwas wie ein Staat überhaupt so etwas wie eine Freiheit erteilen kann, was man wann, wo und zu wem sagt. Aber das ist eine philosophische Diskussion, die an einer anderen Stelle geführt werden muss.

MC Böhmi hat nichts falsch gemacht, außer wenn er wirklich dachte, dass eine Beleidigung dann keine Beleidigung sei, nur weil er sie ausspricht. Dass sich eine Bundeskanzlerin allerdings bemüßigt fühlt, sich für diese Kleinkunst bei ihrem immer faschistischer werdenden und leicht psychopathisch wirkenden Freund Erdoğan entschuldigen zu müssen, das steht auf einem ganz anderen Papier. Das ist schlichtweg lächerlich und wird von den Medien zu Recht gegeißelt. Allerdings wäre auch hier einzuwenden, dass es genug andere Gründe gäbe, der türkischen Regierung, der Person Erdoğan, wie auch deren aggressiver Politik kritisch entgegenzutreten, ohne das Wort „Ziegenficker“ in den Mund nehmen zu müssen. Dass der türkische Präsident auf persönliches Betreiben Zeitungen unter staatliche Kontrolle stellt und Journalisten verfolgen lässt, spielte beim Abschluss des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals genauso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass die türkische AKP-Regierung seit Monaten kurdische Städte in Schutt und Asche legen lässt. Die Bilder aus Großstädten wie Cizre oder dem Altstadtbereich von Diyarbakır gleichen mittlerweile Bildern aus Syrien. Überall zerstörte und zerbombte Häuser, tausende Menschen, die vertrieben werden und sich auf der Flucht befinden. Hunderte von Zivilisten, die unter dem Vorwand PKK-Terroristen zu bekämpfen, getötet wurden.

Zu all dem schweigt die Kanzlerin, weil sie Erdoğan und die Regierung Davutoğlu braucht, damit diese uns die Jammergestalten aus dem Nahen Osten vom Halse halten. Zu dem schweigt aber auch ein Großteil der Medien, die nun so ausführlich und ausufernd über den Fall Böhmermann berichten. Aber hier geht es ja auch um die Meinungsfreiheit. Dort sterben nur Menschen.

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