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Wem gehört der Donaukanal?

Niemand weiß heute mehr genau, wem die Stadt gehört. Die Raves am Donaukanal könnten aber dabei helfen, sich den öffentlichen Raum zurückzuholen.

Alle Fotos: Isabella Khom

UPDATE (2.7.15): Nach Berichten des Standard steht Sky & Sand vor dem Aus.

Wenn man schon ein paar Jahre hier lebt, merkt man es ja gar nicht mehr so. Aber Wien ist grundsätzlich ein ziemlich nettes Ziel für einen Städtetrip. Dementsprechend kam es, dass ich am Samstag Nachmittag meinen ehemaligen Noisey Deutschland-Kollegen und seine Frau durch die Wirren des Ersten Wiener Gemeindebezirks führte. Natürlich auch über den Schwedenplatz runter zum Donaukanal. Der stand nämlich im Reiseführer der beiden. Die leichte Enttäuschung der beiden, als sie bei 2 Grad Celsius und mangelnder Romantik vor trübem Wasser und viel Beton standen, versuchte ich dann mit folgendem Satz zu lindern: „Ja, eh. Aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie das hier im Sommer ausschaut."

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Und das stimmt ja auch. Am Wochenende sind in Wien über 20 Grad angesagt, und der Donaukanal wird langsam wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Sogar ziemlich abrupt: Am Samstagnachmittag hat sich schon der erste Rave um das Knartz-Mobil aus dem Neos-Umfeld angesagt, nächstes Wochenende ist dann gleich das Down Under The Bridge-Festival mit den knapp 10.000 Zusagen, über das wir hier schon mal geschrieben haben. Irgendwann werden dann auch die temporären Gastrobetriebe wieder ihre Zelte aufschlagen und die 16-Jährigen vor das Flex zurückkehren. Im Sommer gehört der Donaukanal den Wienern, bzw. den Wienern und den Zugezogenen, die sie erdulden.

Jetzt nutze ich mal ein journalistisches Stilmittel, das im VICE-Kontext eigentlich streng verboten ist, und cutte meinen Text mit einem Einschub: Moment mal. Gehört er ihnen wirklich? Ja, die halbwegs Gescheiten wissen jetzt eh, worum es gehen wird: Den Kampf um den öffentlichen Raum. Die Frage „Wem gehört die Stadt?" ist eine der zentralen der letzten, aber sicher auch der nächsten zehn Jahre. Und damit ist gar nicht mal der Kampf um besetzte Häuser oder Mietspekulanten gemeint. Sondern die Frage, inwieweit öffentlicher Raum uns allen gehört oder Exklusion vertretbar ist.

Dieses Problem stellt sich jeder größeren oder kleineren Stadt irgendwann. In der Bundeshauptstadt ist sie aber am präsentesten, nicht nur weil man dort gerade mehrere Stadtviertel am Reißbrett kreiert. Wien hat da in den letzten Jahren nicht nur negative Schlagzeilen gemacht. Mit dem Museumsquartier hat man einen allgemein akzeptierte, semi-öffentlichen Raum geschaffen, von dem sich einige andere Städte eine Scheibe abschneiden könnten. Klar, da sind viele Touristen. Aber die Stadt wäre ohne die Möglichkeit, im Sommer auf einem Enzi sitzen und ein Dosenbier trinken zu können schon eine ganze Stange ärmer. Und dass das MQ nicht nur seiner Verwaltung, sonder auch den Wienern gehört, hat man am vergeblichen Versuch sehen können, dort selbst mitgebrachte Getränke zu verbieten.

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Der Donaukanal nimmt ein bisschen eine Sonderstellung ein, weil er relativ jung, relativ untouristisch und relativ zentral ist. Und weil sich viele Leute noch an die Zeit erinnern können, als sie mit Weinflaschen vor dem Flex gesessen sind. Aber der Donaukanal ist mit seiner Gastro-lastigkeit eben auch ein Symbol für die Privatisierung des öffentlichen Raums und dementsprechend auch ein idiologischer und praktischer Kampfplatz. Das Ziel der zuständigen MA19 (Architektur und Stadtgestaltung) ist die Wahrung einer „guten Balance zwischen konsumfreier und kommerzieller Nutzung." Eh, Balance wollen wir alle. Aber darunter versteht halt jeder etwas anderes.

Es ist ja gar nicht mal so, dass alle Gastro am Donaukanal scheiße wäre. Es gibt ein paar großartige, teilweise temporäre Lokale dort, die von Menschen betrieben werden, die sicher keine finsteren Absichten verfolgen. Aber trotzdem ist jeder Gastronomiebetrieb mit Hausrecht eine kommerzielle Zone, die dem frei zugänglichen Raum abgerungen wird. Wortwörtlich sogar: Es gibt nämlich konsumfreie Zonen, die immer weiter eingeschränkt werden. Und das sorgt für Kontroverse. Die Kollegen vom Standard haben im Februar gleich zwei Projekte publik gemacht, die den Donaukanal betreffen. Zum Einen das geplante Sky & Sand, ein Gastro-Projekt mit 800 Sitzplätzen nördlich des Tel Aviv Beachs, zum anderen die „Schwimmenden Gärten“, also die Überplattung und Begrünung der Kaiserbadschleuse auf Höhe des Flex. Man kann an den Sinnhaftigkeit der Projekte zweifeln, aber sie stehen jeweils grob für die beiden Pole der Bedürfnisse, die am Donaukanal zerren.

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Wer am Donaukanal veranstalten will, muss sich mit der berüchtigen MA36 (Veranstaltungswesen) herumschlagen. Es sei denn, er oder sie bedient sich eines Schmähs, der schon bei der Love Parade jahrelang funktioniert hat und meldet die Veranstaltung als poltische Kundgebung an. Oder macht gleich alles illegal. Man muss nicht jedem, der am Donaukanal ein frei zugängliches Festival veranstaltet, gleich politische Motive unterstellen. Und doch lässt sich jede diese Veranstaltung als kleiner Wien Hack lesen, als Versuch, den öffentlichen Raum für die Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Klar, man läuft Gefahr, Veranstaltungen, auf denen primär gefeiert wird, viel zu sehr zu romantisieren. Und solche Events laufen natürlich auch nicht problemlos ab. Aber ein bisschen Romantik ist in Ordnung. Die Alternative ist die semi-öffentliche Konsumzone. Da darf man ruhig ein bisschen reingrätschen.

Der Kampf um den öffentlichen Raum wird im Wiener Wahljahr relativ erbittert geführt werden, auch durch politische Initiativen. Wir bleiben da natürlich dran. Aber wir können jetzt schon mal sagen: Wenn sich die Leute—sei es Tanz durch den Tag, Singer/Songwriter oder ein Neos-Mobil—, die den Raum nutzen wollen, mit ihren Mitteln zu Wort melden, ist das eine gute Sache. Auch weil sie dabei vielleicht Worte benutzen, die Leute in ihrer Altersklasse verstehen. Denn wenn die Architektin Gabu Heindl, die die Gestaltungsleitlinien für den Wiener Donaukanal erarbeitet hat, das Sky & Sand-Projekt ablehnt, weil es „die einzige in der Sonne liegende, zentrale noch nicht kommerzialisierte Wiesenfläche in der urbanen Mitte des Donaukanals" belegen soll, mag das richtig sein. So wirklich sauber kommunizierbar ist das nicht.

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