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Nein, BILD, Rap hängt nicht mit ISIS zusammen

Einst war HipHop verantwortlich für Jugendgewalt, dann für Drogenkonsum, jetzt soll er Schuld an der Radikalisierung von muslimischen Teenagern sein?

Schlagzeile auf bild.de vom 14.10.2014

In den letzten Monaten hat sich die Bild ausführlich mit ISIS beschäftigt. Mit dem Selbstverständnis als Wächter einer christlichen Weltmeister-Nation wird das Springer-Blatt nicht müde, die Bedrohung der dschihadistischen Kameltreiber immer und immer wieder in die Köpfe der Leute einzuhämmern.

Am Besten funktioniert das, wenn man einen lokalen Bezug zu dem Krieg im Irak und in Syrien herstellt. In diesem Zusammenhang hat Bild häufig über Denis Cuspert alias Deso Dogg berichtet. Der ehemaligen Rapper aus Berlin kämpft in Syrien unter dem Namen „Abu Talha al-Almani“ für den IS. In einem Porträt über Deso Dogg bezieht sich das Blatt auf einen Bericht des Verfassungsschutzes, in dem gesagt wird, dass sich Cuspert nach dem ausbleibenden Erfolg als Rapper der Salafisten-Szene zugewandt hat und so weit radikalisiert wurde, dass er im nahen Osten der IS-Führung als deutsche Werbeikone für den Dschihad dient.

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Gestern erschien auf bild.de der Artikel: „So hängen Rap und ISIS zusammen“, in der sich der nicht genannte Autor auf einen Bericht aus dem Billboard-Magazin über Dschihadi-Rap bezieht. In dem Original-Bericht erklärt Peter Neumann, Professor für Radikalisierung und politische Gewalt vom King’s College in London, dass Dschihadisten-Rap aus den Vorstellungen eines puristischen Islams aus dem siebten Jahrhundert und den Einflüssen von modernen Elementen wie des Internets und Raps entstanden ist. Die Interpretation des Bild-Artikel mündet unter anderem in der Aussage, dass Extremisten versuchten, Rapper für ihre Gesinnungen zu gewinnen, um durch sie an die jungen oft muslischen Fans der Rapper heranzukommen.

Zitat: „Dass es sich für Terrororganisationen lohnt, den Kontakt zu Musikern zu suchen, zeigt auch ein Gespräch zwischen Hass-Prediger Vogel Pierre Vogel und Gangsta-Rapper Deso Dogg 2010 in einer Moschee, indem es darum geht, einen anderen Rapper für die eigene Propaganda zu gewinnen.“

Gut, „Vogel Pierre Vogel“ hat ein Gespräch mit Deso Dogg über Massiv und Bushido geführt. Aber wo hat sich dieses Gespräch gelohnt? Massiv und Bushido machen weiterhin Gangstarap und ficken darin Mütter. Wir wissen sogar, wer diese Musik noch mehr ablehnt als die Bild-Redaktion: Islamische Extremisten. In ihrer strengen Auslegung der Scharia ist das Hören von Musik sogar verboten.

Bereits im August brachte das Blatt einen Artikel mit dem Titel „Wie fanatisch ist die Rapper-Szene“ und heizte weiter mit den Ressentiments, die es gegenüber Rap in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch gibt. Einst war HipHop verantwortlich für Jugendgewalt, dann für Drogenkonsum, jetzt soll er Schuld an der Radikalisierung von muslimischen Teenagern sein?

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Natürlich wird nicht darüber geschrieben, dass Deutschrap die wichtigste Kulturform für muslimische Jugendliche ist. Ignoriert wird auch die integrative Kraft dieser Kunst, allein schon durch die deutsche Sprache. Und es wird verschwiegen, dass es hierzulande keinen relevanten Rapper gibt, der auch nur im Ansatz Texte über den radikalen Islam hätte. Ganz im Gegenteil: Die meisten MCs leben ein komplett sündhaftes Leben vor, das rein gar nichts mit fundamentalistischen Lebensweisheiten zu tun hat.

Hätte Deso Dogg ein bisschen mehr Talent und einen klareren Verstand gehabt, säße er jetzt vielleicht glücklich und zufrieden in einer Eigentumswohnung, hätte einen amtlichen Leasingwagen und würde den Kids ab und an mal den Gangstarap-Film auf Albumlänge vorspielen. Ohne dass es irgendwem weh tun würde. Nur weil ein damals 27-jähriger Idiot sich in den Kopf gesetzt hat zu rappen, es nicht hingekriegt hat und sich dann entschloss für Terroristen zu kämpfen, darf nicht ein ganzes Musikgenre dafür herhalten. Nochmal, sehr geehrte Bild: Deso Dogg steht in keinster Weise für die deutsche Rapszene.

Als ich vor ein paar Monaten Farid Bang einen der erfolgreichsten Gangstarapper dieses Landes interviewte, wusch er sich nach unserem Interview Hände und Gesicht um zu beten. Davor erzählte er mir, wie er die Mütter von anderen Sprechgesangsartisten penetriert. Wenn man versteht, dass das eine der persönliche Glauben und das andere eine Kunstform ist, dann könnten wir uns alle mal beruhigen.

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Aber klar, nach Bild-Logik ergibt: Gefährlich (Islam) plus gefährlich (Rap) gleich super-gefährlich (Auflage).

Trotzdem: Auch muslimische Rapper sollten dieses Thema nicht totschweigen. Wenn sie wissen, dass es unter ihren jungen Fans welche gibt, die für die Propaganda von Islamisten anfällig sind, dann sind auch sie in der Pflicht, zu sagen, dass Extremismus einfach falsch ist.

Und im Zuge dessen können sich alle mal wieder beruhigen und Rap als das behandeln, was es ist: Musik, nicht mehr und nicht weniger.

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