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Interviews

„Und dann musste ich den Reporter kurz anschreien“—Sylabil Spill im Interview

Sylabil Spill ist nicht bekannt für Zärtlichkeit, aber einer der sympathischsten Gesprächspartner im Musikbusiness. Ein Interview über Gewalt, Architektur, Macht und größenwahnsinnige Rap-Images.

Sylabil Spill ist nicht bekannt für Zärtlichkeit. Gerade erst kommt er aus einem Telefoninterview, bei dem er sein Gegenüber kurz anschreien musste, erzählt er zu Beginn unseres Treffens. Auf seinem Pullover der passende Slogan: „Respekt vor Gewalt“. Fairerweise sei an dieser Stelle aber erwähnt, dass Sylabil Spill wohl einer der sympathischsten Gesprächspartner im Musikbusiness ist. Auch bei dem Herren am anderen Ende der Leitung habe er sich direkt entschuldigt—Interviews hätten eben so ihre Tücken, sich Stunden am Stück selbst zuzuhören, sei er einfach nicht gewohnt.

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Warum auch? Zuhören sollen schließlich andere. Die Kollegen aus dem Rap-Game etwa, die der Bonner MC („nicht Rapper, sondern MC!“) in seinen Tracks verbal steinigt. Und der gemeine Zuhörer, den der Radira, wie man ihn in Fachkreisen nennt, nun einmal mehr in die Mangel nimmt. Heute erscheint mit der Okular-EP eine Platte, auf der Spill unsere Gesellschaft observiert und auf ihre Werte abklopft, und außerdem eine zweite, die Fress.Orgie-EP, auf der es originäre Beleidigungen nur so hagelt. „Ein bisschen bescheuerter Battle-Rap“, meint Spill. Oder aber eine gesunde Besinnung auf eine Disziplin, die hierzulande mehr schlecht als recht ihr Dasein im Schatten fristet.

Im Gespräch erklärt Spill, wie aus anfänglichen Weltverbesserungsplänen zunächst ein kurzer Anlauf im Journalismus, später dann ein Architekturstudium und schließlich auch eine Rap-Karriere wurden.

Noisey: Lass uns über Gewalt reden. Du hast den Slogan „Respekt vor Gewalt“ ins Leben gerufen. Was fasziniert dich an Gewalt?
Sylabil Spill: Gewalt hat zwei Seiten—eine positive und eine negative. Und sie ist allgegenwärtig. Interessant ist, dass Menschen Gewalt immer negativ assoziieren. Gewalt bedeutet gleich „Auf’s Maul hauen!“. Die Entstehung der Galaxien dagegen, erklärt man sich auf irgendwelchen komischen Wegen, obwohl sie ein klares Resultat der Gewalt ist.

Es gibt also positive Gewalt?
Ja, die Sicherheit und der Frieden, die wir genießen. Man braucht sich nichts vormachen, wir wiegen uns in Sicherheit, weil für unseren Frieden gekämpft wird.

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Das Hippietum ist also zum Scheitern verurteilt?
Naja, eigentlich nicht, also nicht ideologisch. Ich meine, das ist zwar absurd, aber tatsächlich ist es doch so, dass man auch von Gewalt profitiert. Aufgrund von Wirtschaftsinteressen herrschen in anderen Ländern Kriege, und europäische Staaten ziehen daraus einen Nutzen. Andere leiden natürlich darunter, das will ich auch nicht glorifizieren. Aber ich nutze Bilder der Gewalt, um zu erläutern, dass Gewalt an sich nicht bei der entspannten Backpfeife endet. Gewalt hat eine viel multiplere Natur, als viele annehmen.

Arbeitest du mit Wortgewalt?
Ja, mit Wort- und Bildgewalt. Sagen wir Sprachgewalt. Ich heiße es gut, wenn jemand mit Sprache gut umgehen kann. Mich beeindruckt es zum Beispiel, wenn mit relativ wenig Aufwand viel passiert. Natürlich kannst du ein riesiges Vokabular besitzen und ich möchte niemanden klein reden, der total metaphernreich beschreibt, dass eine Maus tot in der Ecke liegt. Aber mich fasziniert es, ein komplexes Ergebnis mit ein, zwei Worten zu erzielen.

Ein Resultat der Gewalt ist die Angst. Du hast ihr nun einen Song gewidmet, in dem es heißt: „Zu viel Angst killt, doch in Maßen geht’s“. Das musst du mir erklären.
Für mich steht Angst in Maßen für Respekt. Für deinen Selbsterhaltungstrieb brauchst du ein bisschen Angst, Respekt vor dem Leben. Dann bist du Herr deiner Selbst. Doch zu viel Angst macht dich lenkbar. In dem Song sage ich: „Plötzlich hockst du auf deinem Arsch und lebst von deinem Hartz“ – du sitzt da, hast Angst und willst nichts machen. Weil du eventuell denkst, dass du nichts kannst, nichts schaffst. Und du willst nicht in eine Situation kommen, in der du dich noch mal beweisen musst. Also versuchst du, dich in Sicherheit zu wiegen. In dem Moment wirst du aber zu einem Instrument. Und das finde ich schade. Deswegen sage ich: Habe Respekt vor gewissen Sachen, aber mach dir verdammt noch mal nicht in die Hose. Kämpf doch – und wenn du verlierst, dann hast du’s wenigstens versucht. Wenn du nicht mal gegen gewisse Vorgaben gehst, und dich nur einlullen lässt, dann ist das schade um dich und deine Persönlichkeit. Die Freiheit ist für mich ein wertvolles Gut. Und das muss man sich erkämpfen. Viele merken nicht, dass einem Freiheit oft subtil suggeriert wird, man aber eigentlich ein Gefangener ist.

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Auf dem Cover der Okular EP stehst du mit dem DJ und Produzenten Ghanaian Stallion ganz gelassen vor einer Stadt, die im Atompilz aufgeht. Wie bewahrt man Haltung, während hinter einem die Stadt in Flammen aufgeht?
Durch Beobachtung. In einer schnelllebigen Gesellschaft ist es ein wenig wie in der Druckwolke einer Atombombe: Ehe du dich versiehst, ist alles umgestürzt – zack, alles neu. Dem kann man nur mit Beobachtung entgegnen. Und dafür muss man versuchen, sich selbst treu zu bleiben. Nur, wenn du dich nicht wie ein Chamäleon immer sofort anpasst, bewahrst du die Ruhe, die dir eine Beobachtung erlaubt.

Du hast früher journalistisch gearbeitet. Bist du aus dem Beobachtungsgedanken dazu gekommen?
Nein, das habe ich eigentlich aus einem naiven Idealismus heraus begonnen. (lacht)

Du dachtest, du erklärst den Menschen jetzt mal die Welt?
Genau! Ich meine, schlussendlich mache ich das ja immer noch. (grinst) Ich muss sagen, dass ich selbst recht gesegnet war. Aber ich habe halt bei Freunden so viel Scheiße und Ungerechtigkeit gesehen, dass ich dachte, ich schreibe ganz viel darüber und verändere damit die Welt. Ich habe dann Journalismus studiert und eine Zeit lang im Bereich der Materialarchivierung gearbeitet. Dann habe ich aber schnell feststellen müssen, dass das mit der Weltveränderung als Journalist auch nicht so optimal läuft.

Also fängt man an zu rappen?!
Haha, nein, ich habe dann festgestellt, dass mir die Architektur auch liegt und ich damit viel mehr beeinflussen kann. Mit dem Rappen habe ich aber viel früher schon angefangen. Rap war für mich zum großen Teil einfach pure Entspannung und Spaß. Teilweise vielleicht auch Therapie.

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Siehst du da Parallelen zum Sport? Du bist schließlich auch Leichtathlet.
Ja, der Challenge-Aspekt ist wie beim Sport. Ich nehme auf jeden Fall den Ehrgeiz aus dem Sport mit, wenn ich rappe. In Tracks muss ich unbedingt immer noch mal richtig einen drauf setzen.

Wo du gerade den Einfluss Architekt ansprichst, den ein Architekt hat: Auf der Okular EP geht es immer wieder auch um Macht. Machst du dir Gedanken darüber, wie mit Architektur Macht ausgeübt wird?
Klar, als Architekt hat man unglaubliche Macht. Wenn die Leute keine Bildung wollen, dann baue ich ein Gebäude so, dass man an der Bildung nicht vorbeikommt. Auch als Städteplaner hat man unglaublichen Einfluss auf die Gesellschaft.

Klingt ziemlich gefährlich.
Klar, sieh dir allein den Unterschied von europäischen Großstädten zu afrikanischen an, dann erkennst du ziemlich schnell, welche Rolle Kriege auf die Planung von Städten haben können. Man kann Menschen als Architekt sehr stark lenken. Du kannst durch ein paar Gebäude auch einer kompletten Nation mehr Selbstbewusstsein verleihen. Du baust eine riesige Reichskuppel, ein paar überdimensionale Straßen und der ganze Staat fühlt sich gleich ganz anders an.

Das Welterklären hast du nicht ganz abgelegt. Auf dem Song Okular heißt es nun: „Wer nicht sieht, kommt nicht voran.“ Dein persönliches Sesamstraßen-Update?
(lacht) Ja, Mann!

Im Video stehst du vor einem Bild lesenden und sich durchs TV zappenden Hartzer, um ihn aus seiner Verblendung zu wecken. Schon ziemlich lehrerhaft, oder?
Nein, gar nicht. In dem Song sage ich am Ende: „Du warst mein Rezipient, das war ’ne Verarsche.“ Ich nehme quasi die Rolle von dem ein, was der Typ da sieht. Ich setze den kurz fest und erkläre ihm, was er da sieht. Damit bin ich das Mikro. Das finde ich nicht lehrerhaft. Ich sehe mich nicht als auktorialen Erzähler, sondern mehr als Teil der Erklärung an sich. Ich erhebe nicht von außen den Zeigefinger, sondern bin Teil des Prozesses. Daher auch die Auflösung am Ende: „Auch wenn du’s grad abstreitest/Du hast mitgemacht, nachgedacht/Einen Monolog geführt und dich selbst gefragt“.

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Neben dem Hartzer bekommt auch das Bildungsbürgertum sein Fett weg, wenn du sagst, dass man in dieser Gesellschaft nicht anerkannt wird, wenn man Edith Piafs bekannteste Chansons nicht kennt. Wo würdest du dich denn selbst positionieren?
Als Künstler. (grinst) Und als HipHopper braucht man Nike Air Max.

Hast du welche?
Nein!

Dann müssen wir das Gespräch an dieser Stelle vielleicht beenden.
Das Beste ist: Ich mach’s trotzdem. Ich bin ein Dieb. Ich darf das hier eigentlich gar nicht machen, aber nehme mir das Recht einfach. (lacht)

In dem Track „Sperrholz“ geht es um viele verschiedene Dinge, die man in dieser Gesellschaft scheinbar braucht – vom Smartphone bis zum Nike-Schuh. Am Ende ist die Rede von der „ganz großen Verarsche“. Klingt für mich gefährlich nach Verschwörungstheorie.
Finde ich nicht. Man muss halt sagen, dass viele sogenannte „Verschwörungstheorien„ zum Teil auch stattfinden. Zumindest das, was ich anspreche, sehe ich als Fakt. In unserer schnelllebigen Gesellschaft bist du nur jemand, wenn du bestimmte Dinge besitzt. Dein Image, das Bild, das du transportierst und durch materielle Dinge prägst, hat unglaublich viel Gewicht. Man muss teilweise gewisse Sachen einfach besitzen. Das ist schon Wahnsinn manchmal.

Verstehe. Eine Verschwörungstheorie wird nur eben dann schwierig, wenn jemand für unsere Lebensweise verantwortlich gemacht wird, der oder die vermeintlich alles steuert. Das gesellschaftliche System, in dem wir leben, ist ja aber sehr viel komplexer.
Klar. Ich sehe das folgendermaßen: Der Staat ist für mich heute eine Abteilung der Wirtschaft, im größeren Sinne also der Bank. Die Politiker sind quasi die Kellner und Bankmanager kochen das Ding eigentlich. Mein Anliegen ist nur, dass man sich selbst bewusster darüber wird, in was für einer Ellenbogengesellschaft und -zeit man lebt, in der alles schnelllebiger wird. Zu sagen, hinter dieser Entwicklung stecke eine Person, ist verschwörungstheoretisch, denn da steckt natürlich ein ganzes System hinter. Und davon profitieren wir ja auch auf gewisse Weise. Zu viel ist nur destruktiv. Das ist überhaupt eine ziemlich gute Regel: Von allem zu viel tut nicht gut. Wenn man sich ziehen und neu definieren lässt, anstatt zu reflektieren, dann halte ich das für gefährlich. RoboCop ist ein gemachter Mann – aber RoboCop hat keine Identität.

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Apropos RoboCop: Die EP-Cover erinnern mit ihrem Marvel-Comic-Stil an Superhelden. Im Gegensatz zu anderen Rappern bist du aber eigentlich sehr bodenständig. Was stört dich an größenwahnsinnigen Rap-Images?
Dass immer einer kommt, der noch einen drauf setzen kann. Da nimmt man sich selbst die Luft. Je größenwahnsinniger du wirst, desto größer werden auch die Löcher im Käse. Da will ich nicht mitmachen. Immer schön mit Vorsicht genießen. Als Musiker arbeitet man natürlich mit Fiktion und Übertreibungen. Aber dahinter muss sich irgendetwas verbergen, das mehr ist, als nur Luft – eine Botschaft.

Steckt ein kapitalismuskritischer Ansatz in deiner Kritik am Rap-Größenwahn?
Naja, ich bin ja selbst auch Abhängig vom Kapital. Mir geht’s nur um ein Exzessverhalten, das ich kritisiere. Eine Übertreibung, mit der man sich selbst aufgibt, das Schwarzenegger-Bild – „I’ll be back“ und Daumen nach oben –, untergehen und lachen. Das ist in Maßen lustig, aber auch schade, weil du als Künstler in der Lage bist, Dinge anzusprechen. Und das tue ich ohne übermäßig den Zeigefinger zu erheben. Denn ich will Leute ja dazu bewegen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, ich will sie nicht leiten.

Deine beiden neuen EPs erscheinen ausschließlich auf Vinyl. Warum macht man zwei Platten voll geballter Erkenntnisse und schränkt sich dann so in der Reichweite ein?
Ich habe das erstmal für mich gemacht. Ich bin ein Plattenfreund. Ich freue mich über ein großes Cover. Und ich sehe meine Musik-Vita als Collage, in der das Cover notwendig ist. Das ist ein geschmacklicher Aspekt. Wenn jetzt etliche Leute Interesse zeigen, dann bringe ich’s gern auch auf iTunes, myTunes raus.

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Aber vorerst legst du es darauf an, „underground“ zu bleiben?
Nein, mit dem Gedanken gehe ich da gar nicht ran. Wenn das wegen der kleinen Auflage als „underground“ gesehen wird – aight. Aber für mich persönlich ist das einfach ein Thema, das nicht am Mittwochabend im Radio gebangt wird, sondern Musik, die sich jemand gibt, der daran interessiert ist.

Auf Fress.Orgie EP ist die Rede von kommerziellen Rappern. Das habe ich zuletzt vor zehn Jahren als Diss gehört. Kann man als Rapper überhaupt nicht-kommerziell sein?
Nein, sobald du eine Platte rausbringst, gibst du sie ja zum Verkauf frei. Man kann natürlich ein Album aufnehmen, das danach in einem Schuhkarton unterm Bett verstecken oder am besten direkt verbrennen, das wäre real. Ich richte mich in dem Track an Rapper, die andere Rapper als kommerziell beschimpfen. Dieser Realkeeper-Shit nervt mich. Real ist Echtzeit. Wer real ist, der würde erzählen, wie er aufgestanden ist, geduscht, sich angezogen, gekackt und gegessen hat, die Bahn nimmt und zur Arbeit fährt. Der interessanteste Aspekt wäre dann, was derjenige bei der Arbeit erlebt hat. Alles andere, was man erzählt, ist kreative Fiktion. Da kann natürlich ne Message drin sein. Aber Rapper dissen, weil sie nicht echt sind? Ist doch bescheuert.

Apropos andere Rapper: In dem Track „Deine Eltern sind Affen“ nimmst du Bodybuilder-Rapper auf den Arm, die sich als „Tier“ bezeichnen.
Ich finde das lustig. Als Sportler bin ich Freund der Effektivität. Ich habe keine Discomuskeln. Ich überlege da ganz praktisch, was ich für den Sport körperlich brauche. Alles andere soll doch nur ein Image aufbauen. Das kann ja auch unterhaltsam sein, aber eben, weil sich jemand zum Affen macht. Du bist dann der Gegenstand des Witzes und nicht die Person, die etwas erzählt, worüber ich lache. Und die Fress.Orgie EP ist aber auch einfach ein bisschen bescheuerter Battlerap, muss man sagen.

Die EPs Okular und Fress.Orgie könnt ihr hier bestellen.

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