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Fall Konstantin

Ehemaliger Hinterhof-Betreiber rechnet mit dem Sexismus in der Club-Szene ab

Ein Sexismus-Shitstorm weht gerade Richtung Konstantin vom deutschen Label Giegling. Lukas Rytz vom ehemaligen Basler Club Hinterhof findet starke und ernüchternde Worte.
Pressefoto, Konstantin

So schnell endet ein Hype in einem Shitstorm: Das Weimarer Kollektiv Giegling war mit seiner Welttournee in aller Munde – auch bei uns auf Noisey. Jetzt dreht sich aber die Meinung über das Label und dessen Aushängeschild Konstantin um 180 Grad. Laut einer Reportage des Groove-Magazins über die Tour soll Konstantin zum Thema Feminismus gesagt haben, dass er weibliche DJs für schlechter und überbevorteilt halte. Während er in einem Statement gegenüber Resident Advisor seinen Humor für missverstanden hält, hagelt es aus der Dancemusic-Welt massiv Kritik – bereits erste Festivals streichen das ganze Giegling-Label von ihren Line-ups.

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Auch in der Schweiz findet das Thema gehör. Lukas Rytz, ehemaliger Mitbetreiber des Basler Hinterhofs, veröffentlicht auf Facebook einen knallharten aber ehrlichen Text zur Debatte, den wir hier gerne eins zu eins übernehmen:

"Liebes Groove-Magazin, liebe "Szene", liebe Mitmenschen,

Misogynie ist inakzeptabel.
Konstantins Statement ist inakzeptabel.

Aber: Fickt so viele von euch selbst!

Weil: Ein grosser Teil dieser sogenannten "Szene" ist eine geldgetriebene, neo-kapitalistische Maschinerie, welche sich nicht gross von anderen kapitalistischen Systemen rund um den Globus unterscheidet. In Anbetracht dessen muss man sagen, dass diese "Szene" so männerdominiert, misogyn und scheinheilig ist wie jede Erstwelt-Wirtschaft, um nicht zu sagen, wie jede moderne Gesellschaft auf diesem verdammten Planeten.

Persönliches Beispiel: Ich werde bald Vater und die gesellschaftlichen Erwartungen an mich sind klar: Verdiene Geld, um deine Familie zu unterstützen, die Frau übernimmt das Aufziehen der Kinder und wenn du keinen Erfolg hast, wirst du als Loser betrachtet.

Also: Wenn du ein Akteur/eine Akteurin in dieser "Szene" bist und nicht zugibst, dass du während deiner Karriere in Berührung mit sexistischem oder misogynem Verhalten gekommen bist, lügst du: Seien es männliche oder weibliche DJs, die junge Fans/Groupies im Backstagebereich oder im Hotelzimmer ausgenutzt haben oder sei es blödes oder unbedachtes Gerede – betrunken oder nüchtern. Ich bin mir sicher, dass es euch allen passiert ist und dass ihr es in vielen Fällen stillschweigend akzeptiert habt.

Am Ende ist es ein systemisches Problem, mit dem die ganze "Szene" zu kämpfen hat und das Problem besteht seit den Enstehungstagen der Clubkultur: Sei es die Selbstwahrnehmung der schwulen afroamerikanischen und lateinamerikanischen Dancemusic-Community in Abgrenzung zu den Ansichten des Establishments von Geschlecht und Sexualität oder die Allgemeinheit, die diese Szene als unnatürliche und böse "Faggot Scums" betrachtet. Glaubt ihr wirklich, dass das Tanktop-tragende, Maori-Tattoo-zelebrierende und Gym-frequentierende Publikum, das man auf Ibiza oder irgendeinem anderen mehr oder weniger kommerzialisierten Dancemusic-Spot antrifft, sich über Gleichberechtigung und Feminismus Gedanken macht? Scheinheilig!

Was ich sagen will: Es ist einfach, eine Hexenjagd nach einem Individuum zu starten, das nicht nachdenkt, bevor es Scheisse labert. Und auch wenn dieses Individuum seine Haltung für sich behalten hätte, macht es das nicht besser. Aber um Rollenbilder, Verhaltensmuster und Haltungen langfristig zu ändern, braucht es mehr als einen Shitstorm- und "Breaking News"-Ansatz im Hinblick auf das Agieren auf Social Media und den Umgang mit Informationen. Also eben nicht, was jetzt wieder alle gemacht haben: "Breaking News: Label Co-Founder xyz is a sexist" sondern vielleicht eher die Frage aufwerfen: Ist unsere Szene grundsätzlich sexistisch? wenn ja, weshalb? Und was können wir alle gemeinsam tun, um diese Haltungen und Strukturen nachhaltig zu ändern?

An alle Fingerzeiger, Trittbrettfahrer und Mitläufer: Ihr seid einer der Gründe, wieso ich mich entschlossen habe, den Zirkus für ein Weilchen zu verlassen. Ihr schwimmt in einem System, das nicht besser als jedes andere und beansprucht für euch eine Deutungshoheit, die euch nicht zusteht.

Grüsse an alle und ich freue mich auf Diskussionen."



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