samy deluxe fußball rassismus
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Kommentar

Samy Deluxe bezeichnet Fußball als "Inbegriff des Rassismus" und verzettelt sich gnadenlos

Mit seiner irrsinnigen Argumentation begibt sich der Hamburger Rapper auf das brandgefährliche Terrain der Verharmlosung.

In den düsteren Zeiten des Rechtsrucks ist es erfrischend, wenn sich Künstler mit einer großen Plattform klar positionieren. Nicht zuletzt, weil sie einen unvergleichlichen Draht zu jungen Menschen haben.

Schwierig wird es, wenn man mit kruden Thesen weit über das Ziel der politischen Aufklärung hinausschießt. Womit wir ausnahmsweise nicht bei Kool Savas, Kollegah oder etwa Fler sind, sondern beim Rap-Urgestein Samy Deluxe.

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Der erklärte kürzlich in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass Fußball für ihn der "Inbegriff von Rassismus" sei. Das klingt erst mal nach einem mutigen Statement. Dafür muss Samy doch einen guten Grund haben!

Vielleicht wurde er ja nach seiner persönlichen Einschätzung zu der komplizierten Özil-Debatte gefragt? Und ist dann im Laufe seines Redeflusses zu dem gewaltigen Schluss gekommen, dass der Deutsche Fußball-Bund rassistische Strukturen aufweist? Leider nein, da muss ich sämtliche Fans der guten alten Hamburger Schule enttäuschen.

Vereinsfußball ist ein denkbar schlechtes Beispiel für Rassismus

Samys abstrusem Mannschaftssport-Bashing ging lediglich eine allgemeine Frage nach dem "kleinen Rassisten" in jedem von uns voraus. Hier sein erstes "Argument", das sich übrigens auf jeden Mannschaftssport und eigentlich alles im Leben übertragen lässt:

Samy erklärt, dass manche Gruppierungen in Deutschland eindeutig über anderen stünden und das man in der Gesellschaft kein Problem mit dieser Ungerechtigkeit habe. Man erkenne dieses Phänomen am Vereinsfußball. "Da ist es normal zu sagen, dass man den einen Verein geiler findet als den anderen. Mit derselben Logik könnte man auch meinen, dass die eigene 'Rasse' überlegen ist", so der Rapper.

Klar, wenn man betrachtet, wie unsere Gesellschaft funktioniert, erkennt man die Machtgefälle zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen an jeder erdenklichen Ecke.

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Laut einer Studie von 2018 werden Grundschulkinder mit ausländischen Wurzeln bei gleichen Rahmenbedingungen im Schnitt eine halbe Note schlechter bewertet. Eine andere Studie von 2018 zeigt, dass viele Menschen mit Namen, die sie als Mitglieder einer ethnischen Minderheit ausweisen, bei der Wohnungssuche kämpfen müssen. Und was die Berliner Polizei Ende September am Kottbusser Tor veranstaltet hat, spricht Bände über die deutsche Exekutive.

Das sind alles dringlichere Rassismus-Baustellen als Fußball, vor allem Vereinsfußball.

Sport im Allgemeinen gilt seit jeher als Möglichkeit für junge Immigrantinnen und Immigranten, Sprach- und Kulturbarrieren zu überwinden. Soziales Engagement geht mit der Vereinskultur in Deutschland einher. Mit "Integrationskicks", diversen Spendenaufrufen, Freikarten für Spiele und anderen Mitteln solidarisieren sich viele Fußball-Klubs in Deutschland seit Jahren mit Geflüchteten.

Fußball hat keinen Freifahrtschein

Samy Deluxe behauptet in dem Interview, unsere Gesellschaft sei einzig und allein auf Wettbewerb ausgelegt und Fußball sei ein perfektes Mittel, um Rassismus in Deutschland zu fördern. "Die salonfähigste Art, Rassismus in Deutschland zu promoten, ist Fußball", so Samy. "Für mich ist er der Inbegriff des Rassismus."

Wenn er sich dabei auf das eifrige Flaggen-Wedeln der Deutschland-Fans zu langweiligen Länderspielen bezöge, wäre das ein nachvollziehbarer Gedankengang. Doch Herr Sorge sieht in sämtlichen Vereinen der Welt ein Problem.

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Auf die Frage, warum für ihn Fußball der Inbegriff von Rassismus sei, antwortet er, dass nach Fan-Prügeleien noch nie ein Verein verboten worden sei. Nebenbei malt er sich aus, Messerstechereien bei Rap-Konzerten würden ein allgemeines Rap-Konzert-Verbot nach sich ziehen. Fußball habe bei solchen Vorfällen "einfach einen krassen Freifahrtschein".

Wenn Freifahrtscheine bedeuten, dass man Bußgelder in Höhe von 225.000 Euro zahlen muss, dann sind deutsche Fußballvereine im Vergleich zur Rap-Szene wirklich klar im Vorteil. Diese sechsstellige Summe ist übrigens nicht aus der Luft gegriffen: So viel musste der Hamburger SV allein in der letzten Saison für das Fehlverhalten seiner Fans blechen. Damit hat sich der Zweitligist an die Spitze der Fußball-Strafen 2018 gezahlt. So viel zur Vorteilsposition des Fußballs.

Wann werden eigentlich Rapper wie Capital Bra oder Bonez MC vom Deutschen HipHop-Verein belangt, wenn sie mal wieder ihre Fans auf kritische Journalisten hetzen? Und wann werden Rapper zur Verantwortung gezogen, wenn sie ihren unreflektierten Meinungsbrei aus halbgarer Systemkritik in die Köpfe ihrer Fans schütten, wo er mit Flow-Fetzen und Punchlines zu gefährlicher Halbwissen-Suppe gerührt wird?

Geht's hier nicht eigentlich um etwas anderes?

Menschen, die ihr Tischgebet mit "Au, der Magen knurrt wie Sau" beginnen, werden sich spätestens jetzt die Wuttränen von der Wange reiben. Sie werden mich einen unwissenden Heuchler nennen, weil ich gerade den belesenen Wortakrobaten Samy Deluxe mit vermeintlichen Straßenrap-Stümpern verglichen habe, die wahrscheinlich nicht mal die vier Elemente kennen. Ganz schön scheiße, so über einen Kamm geschoren zu werden, oder?

Genau das passiert aber bei Samy und seiner hanebüchenen Haltung dem beliebten Sport gegenüber, "Adriano" hin oder her.

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Natürlich gehören die Strukturen und Tendenzen im Fußball kritisiert, nur halt an völlig anderer Stelle und in anderem Maße. Man könnte sich stundenlang aufregen, über den DFB-Chef Reinhard Grindel, dem die Werte seines Verbandes gemütlicherweise erst nach den harten Rassismus-Vorwürfen von Mesut Özil wieder einfallen. Oder man könnte die rassistischen Fans des Belgrader Vereins FK Rad verurteilen, die den brasilianischen Profi Everton Luiz mit ihren verhöhnenden Affengeräuschen zum Weinen gebracht hatten.

Die Vereinskritik von Samy Deluxe hat mit Rassismus aber wenig zu tun.

Klar kann man die Logik von Rassismus anhand von Vereinen erklären, wenn man sagt, dass Vereine stellvertretend für Staaten und Fans stellvertretend für Bürgerinnen und Bürger stehen. Dieser Vergleich lässt sich aber mit jeder Institution machen, die Anhänger hat – Musiker eingeschlossen. Den Fußball und seinen Wettkampf-Grundgedanken als "Inbegriff von Rassismus" zu erklären, ist daher eine klare Übertreibung. Seinen Lieblingsverein kann man nach Belieben ändern, anders als die eigene Herkunft. Ein Trikot kannst du ausziehen, deine Hautfarbe nicht.

Get a grip, Samy! Du hast schließlich eine große Verantwortung und weißt mit Sicherheit, dass man schnell in die gefährliche Verharmlosung rutscht, wenn man versucht, Rassismus mithilfe von unhaltbaren Vergleichen zu erklären.

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