FYI.

This story is over 5 years old.

offener brief

Ist Kritik an Red Bull bei einem Red-Bull-Event verlogen? Ein offener Brief von Schapka an den 'Kurier'

Über die Dehnbarkeit des Wortes "Meinungsfreiheit".

Am 27. Juli trat die Band Шапка (Schapka) am Popfest in Wien auf der Red-Bull-Stage auf und kritisierte während des Konzerts den Red-Bull-Konzern. Nebst medialem Beifall kritisierte Martina Salomon vom 'Kurier' im Artikel "Reichtum verleiht auch anderen Flügel" die Band dafür. Hier antwortet Schapka auf ihren 'Kurier'-Beitrag zum "Keine PR für Bullen"-Konzert am Popfest und die 111 Hasskommentare im Presseforum.

Anzeige

Wir wurden vom Popfest eingeladen, auf der Red-Bull-Stage zu spielen und standen vor der Frage: Nehmen wir eine Konzertanfrage auf einer großen Bühne mitten am Karlsplatz an? Oder müssen wir einen Auftritt absagen, wenn wir damit als Werbeobjekte für eine Marke benutzt werden, mit deren öffentlicher politischer Positionierung wir in klarer Opposition stehen?

Frauen*bands, die sich zusätzlich um Themen wie weibliche* Sexualität, Feminismus und Queerness bemühen, stehen normalerweise nicht auf großen Bühnen im öffentlichen Raum. Wir finden es wichtig, dass auch Menschen außerhalb der Szene, in der wir uns bewegen, Bands sehen, die nicht zum Großteil aus cis-Männern bestehen. Die eine politische Agenda haben. Die sich innerhalb und rund um ihre Musik klar positionieren.

Wir wurden und werden regelmäßig dabei bestätigt, dass Bands, die nur aus Frauen bestehen, noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Unter anderem in einem Kommentar von "Steuersklave“ am 1. August 2018 um 09:52 Uhr im Forum der Presse:

"Die Hand die einen Füttert beißt man nicht, aber vielleicht wird man nur so auf die Frauenmusikerinnen aufmerksam, alles als rechts bezeichnen bringt anscheinend den Erfolg der ansonsten ausbleibt. Künstler sollten sich um Kunst kümmern und nicht um Politik."

Im Falter gab man sich nach unserem Auftritt begeistert über das Beißen der fütternden Hand, als wir für unsere Aktion zum "guten" Gesicht der Woche gekürt wurden. Und auch von FM4 wurde uns frenetisch applaudiert. Sogar in der Presse gab es einen lobpreisenden Artikel über unsere Aktion.

Anzeige

Wir haben uns also entschieden, das Privileg eines Popfest-Auftritts zu nutzen und uns die große, öffentliche Bühne zu nehmen, die uns angeboten wurde. Unsere Texte sind durchwegs politisch, wir positionieren uns in jedem unserer Konzerte klar. Wer uns einlädt, muss damit rechnen, dass wir unsere Meinung – mit der wir nie hinterm Berg gehalten haben – kundtun. Mit unseren Songs. Auf Transparenten. Mit Redebeiträgen.

Jetzt aber zu Martina Salomons Artikel "Reichtum verleiht auch anderen Flügel" im Kurier am 4. August. Spannenderweise fand dieser Artikel sogar im eigenen Forum viel Kritik, weil er eine so absurde Argumentationslinie hat. Kurz zusammengefasst: Wir hätten Dietrich Mateschitz aufgrund seines Reichtums kritisiert, würden aber als Künstlerinnen von ihm profitieren, weil der gütige Unternehmer seine Steuern im Inland zahlt und somit unsere Wirtschaft ankurbelt. Hier also unsere Antwort:


Die Burenschaft Hysteria:


Liebe Martina Salomon,

Sie waren offensichtlich nicht bei unserem Konzert. Der Großteil ihres Artikels beschäftigt sich damit, dass wir Dietrich Mateschitz dafür kritisiert hätten, dass er reich ist. Das ist ein aus dem Zusammenhang gerissener Teilaspekt unserer Kritik. Wir haben kritisiert, dass er gegen eine Politik, "die sich in politischer Correctness ergeht" sowie gegen "eine selbst ernannte sogenannte intellektuelle Elite" wettert. Er gleichzeitig aber seit 2015, laut einer Studie des Forbes-Magazins, jedes Jahr als der reichste Österreicher eruiert wurde. Was heißt jetzt also Elite? Soweit unsere Kritik an Mateschitz’ Reichtum.

Anzeige

Weiter in unseren eigenen Belangen: Wir finden das, was Mateschitz als "politische Korrektheit" bezeichnet, wichtig. Worüber er abwertend spricht, ist Feminismus, Antirassismus, es ist das Aufbegehren gegen Homophobie, Islamophobie und Antisemitismus, es ist eine gendergerechte Sprache, es ist die Gleichberechtigung aller. Wir wollen als Frauen gleich behandelt werden wie Männer! Wir wollen nicht, dass es salonfähig ist, gegen (egal welche) Minderheiten zu hetzen.

Im oben genannten Interview outet sich Mateschitz als von Putin und Trump begeistert und schimpft über das "Meinungsdiktat des politisch Korrekten". Warte mal. Im Kurier-Artikel gibt es eine Überschrift: "Meinungsdiktatur?" – direkt an uns gerichtet. Beim Lesen der negativen Kommentare zu unserem Auftritt auf der Red Bull-Bühne haben wir einiges über das Argumentieren mit Schlagworten wie "Meinungsfreiheit" oder eben "Meinungsdiktat" gelernt:

Man scheint sie einsetzen zu können, wann sie einem passen, immer natürlich, um sich selbst als unterdrückt darstellen zu können. Ein Beispiel, liebe Frau Salomon: Wenn wir als kleine Punkband die großen Player Red Bull und Servus TV kritisieren – oder auch das Online-Portal Quo Vadis Verita s –, ist das also Meinungsdiktatur?

Wie funktioniert denn dann Meinungsfreiheit, Frau Salomon? Vielleicht so, dass immer alle Menschen ihre Meinung sagen dürfen und sich danach niemand gegenseitig kritisiert? Diese Frage richtet sich auch an die Verfasser*in "Wien8" eines Kommentars, der am 29. Juli 2018 um 11.11 Uhr im Presse-Forum publiziert wurde:

Anzeige

"(…) Hier geht es aber auch darum, dass die Frauen Mateschitz dafür kritisieren, dass er auch Menschen unterstützt, die anderer Meinung sind als sie. Und dass sie auf ihr Recht pochen, diese Meinung sagen zu dürfen, was ihnen eh unbenommen ist, genau diese Meinungsäußerung aber bei anderen Ansichten nicht akzeptieren."

Wie sind dann die zynischen Aussagen von Mateschitz zur Asylpolitik einzuordnen?
Wessen Meinung darf denn kritisiert werden und welche nicht? Mateschitz' Aussagen werden übrigens begeistert von diversen Rechtsextremen geteilt, unter anderem von der "Identitären Bewegung" und von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Ein anderer Standpunkt zum Thema "Meinungsfreiheit", der öfters im Kontext von unserem Konzert gefallen ist, ist, dass man Mateschitz positiv anrechnet, auch linke, anders gesinnte Musikerinnen auf seine Bühnen einzuladen. Wozu dann der ganze Aufstand? Wenn er uns eh eingeladen hat, weil er Kritik so gerne auf seinen Bühnen sieht, dann könnten ja auch alle einmal aufmerksam zuhören. "wozu" schrieb am 28. Juli 2018 um 19:45 Uhr im Presse-Forum:

"Dieser schlimme Mateschitz ist dermaßen rechts, dass er sogar einer Band wie dieser seine Bühne überlässt. Furchtbar dieser Mensch, der auch andere Meinungen zulässt und seine eigene gut argumentieren kann. An alle die hier Mateschitz schimpfen… munter werden und bissl nachdenken"

Weiter im Artikel von Martina Salomon:

Anzeige

"Dass gerade eine Punkband kritisiert, dass im langsam immer erfolgreicheren Mateschitz-Sender
ServusTV auch Menschen mit nicht mainstream-konformen Ansichten auftreten dürfen, hat eine fast humorige Note."

Ähm…

Wirklich? Wir haben auf der Bühne kritisiert, dass Martin Sellner vermehrt bei ServusTV eingeladen wird. Wollen Sie ihn als Mensch mit nicht mainstream-konformen Ansichten bezeichnen?

Martin Sellner ist der Frontmann der rechtsextremen "Identitären". Er wurde von ServusTV als Diskutant eingeladen: Thema der Diskussion war eine Studie, die erhöhte Gewaltbereitschaft, Homophobie und Antisemitismus bei großen Teilen sozial schwacher junger Muslime in Wien feststellte. Drei von fünf Teilnehmern der ServusTV-Diskussion zogen ihre Zusage zurück, weil der "Identitären"-Chef ebenfalls diskutieren sollte. ServusTV lud Sellner aber weiterhin nicht aus.

Neben vielen anderen kritisierte auch der ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, dass "vom Verfassungsschutz beobachtete Neonazis an TV-Debatten einfach so teilnehmen können".
Menschen mit "nicht mainstream-konformen Ansichten"? Wirklich? Wir haben auf der Bühne ServusTV-Chefredakteur Ferdinand Wegscheider kritisiert, der sich auch über die (schon wieder das Wort, sie begeben sich in nicht besonders erfreuliche Gesellschaft mit ihrem Vokabular, Frau Salomon) Meinungsdiktatur der Mainstream-Medien auslässt und von "Überfremdung" spricht. Wir haben über Felix Baumgartner gesprochen, quasi das Aushängeschild des Sponsors Red Bull.

Aber damit Sie sich selbst ein Bild machen können, Frau Salomon, und sich nicht einen "Mittelfinger" ausmalen müssen, den wir ausgestreckt hätten – über den wurde auch heftig im Kurier-Forum diskutiert – haben Sie hier ein Video von unserem Auftritt. Nun können Sie nachsehen, inwiefern unser Auftritt anders war, als sie ihn sich vorgestellt haben. Sie können sich überlegen, ob seine Steuern in Österreich zu bezahlen all diese "Ausrutscher" oder "Einzelfälle" wieder gut macht. Wir haben uns übrigens etwas viel fantasievolleres als einen Mittelfinger überlegt, wir haben aus Red Bull Dosen gesquirtet.

**

Folgt Noisey Austria bei Facebook, Instagram und Twitter.

Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify.