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Op-Eds

Ihr müsst keine Rapper hören, die Frauen schlagen oder sexuell nötigen

Die Vorgeschichten angesagter Rapper wie XXXtentacion, 6ix9ine oder Kodak Black stellen viele Hörer vor einen moralischen Zwiespalt. Aber ist die Sache wirklich so kompliziert?
Thaddaeus McAdams/FilmMagic; Bennett Raglin/Getty Images for BET; Scott Dudelson/Getty Images

XXXtentacion ist mit seinem zweiten Album ? auf Platz eins der US-amerikanischen Charts eingestiegen und ist damit unbestreitbar einer der erfolgreichsten Newcomer der letzten Jahre. Der kometenhafte Aufstieg des 20-Jährigen wurde allerdings begleitet von erschreckenden Vorwürfen: XXXtentacion soll 2016 seiner damals schwangeren Freundin gegenüber gewalttätig geworden sein. 2017 saß er die ersten Monate im Gefängnis, man hatte ihn wegen Raubes und Körperverletzung mit einer tödlichen Waffe angeklagt. Sein geheimnisvolles und kontroverses Image machte den Rapper zu einem heiß diskutierten Thema in den sozialen Medien: Rap-Fans stritten sich darüber, ob man XXXtentacions Musik überhaupt noch hören und öffentlich promoten sollte oder nicht. Diese Diskussion fand ironischerweise zum gleichen Zeitpunkt statt wie die #MeToo-Debatte, die vielen einflussreichen Männern wie Harvey Weinstein Kopf und Kragen kostete. Aber trotz der Kontroverse bleiben XXXtentacion und einige seiner Kollegen, denen ebenfalls missbrauchendes Verhalten vorgeworfen wird, weiterhin die Aushängeschilder einer neuen Rap-Generation. Wie sollte man als Fan dieser Musik nun mit den Anschuldigungen umgehen?

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Kurz nachdem XXXtentacions Debütalbum 17 vergangenen August erschienen war, berichtete das Musikportal Pitchfork über die Details der Beziehung zwischen dem Rapper und einer Ex-Freundin, die bei einigen der vorgeworfenen gewalttätigen Zwischenfälle sogar schwanger gewesen sein soll. XXXtentacion soll der Frau eine Kopfnuss verpasst haben, weil sie den Vers eines anderen Rappers auf einem seiner Songs mitsummte. Außerdem soll er Plastikkleiderbügel auf ihren Beinen zerbrochen und sie fast bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Jetzt ist auch noch ein Video aufgetaucht, in dem XXXtentacion augenscheinlich eine andere Frau schlägt.

Aber auch andere Rapper stehen in der Kritik. 2016 wurde mit Kodak Black ein weiterer Musiker aus Florida wegen eines sexuellen Übergriffs angeklagt – er soll die Bitten einer Frau ignoriert und sie gegen ihren Willen weiter in den Hals und die Brust gebissen haben. 2015 bekannte sich der Brooklyner Rapper 6ix9ine schuldig, eine Minderjährige für eine sexuelle Performance angestellt zu haben. Vorher hatte er sich mit einer leicht bekleideten 13-Jährigen auf seinem Schoß filmen lassen. Und der aufstrebende Rapper NBA YoungBoy wurde vor Kurzem wegen schwerer Körperverletzung und Entführung angeklagt, nachdem ein Video erschienen war, in dem er seine Freundin in einem Hotelflur zuerst brutal auf den Boden wirft und dann wieder ins Zimmer zurückzerrt.

Die HipHop-Kult ist schon immer durch junge, kontroverse Künstler geprägt worden. Mit dem, was wir nun über die eben erwähnten Rapper wissen, ist es allerdings unmöglich, diese mit gutem Gewissen zu unterstützen. Bleibt da wirklich nur noch die konsequente Maßnahme, sie einfach nicht mehr zu hören?

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Die Fangemeinde der Rapper wächst stetig und im Strudel der schnelllebigen Internet-Debatte kann man eine Sache schnell vergessen: Wir müssen uns mit den Erfahrungen von Frauen und Missbrauchsopfern in der immer größer werdenden HipHop-Community auseinandersetzen.

In einem Twitter-Review des N.W.A.-Biopics Straight Outta Compton lobte die Regisseurin Ava DuVernay den Film für die ausgezeichnete Darstellung eines großen Kapitels der HipHop-Geschichte. Dann fügte sie aber noch eine gewichtige Anmerkung hinzu: "Als Frau HipHop zu lieben, bedeutet manchmal, den eigenen Missbrauchstäter zu lieben", schrieb sie. "Denn die Musik war und ist genau das. Trotzdem ist es unsere Kultur." Dass Traumas in der HipHop-Kultur so geläufig sind, muss aber nicht so bleiben. Wir als Hörer müssen uns bessern und diese Künstler nicht mehr weiter konsumieren.

Was bei all diesen Fällen am besorgniserregendsten ist: Trotz der schlimmen Anschuldigungen sind XXXtentacion, 6ix9ine, YoungBoy und Kodak extrem einflussreich. Alle vier sind 21 oder jünger und haben Alben in den Top 25 der Charts gehabt. Und das nicht zufällig. Sie machen Musik, die zumindest rein oberflächlich betrachtet gut ist – egal ob nun durch die explosive Energie (6ix9ine), die eindringliche Thematik (Kodak und YoungBoy) oder die unverfälschte Verletzlichkeit (XXXtentacion). Und der durchschnittliche Hörer will eben nicht über die kriminellen Vergehen seiner Lieblingsmusiker nachdenken. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die meisten Menschen, die zu diesen Künstler aufschauen, noch jünger sind. Ihr trotz der Anschuldigungen anhaltender Erfolg zeigt, dass es selbst bei missbrauchendem Verhalten irgendwie weitergeht. Deswegen können auch Musiker wie R. Kelly oder Chris Brown weiter ihrem Beruf nachgehen, ohne dass die Industrie und die Fans wirklich ein Zeichen gegen sie setzen.

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Eine Sache macht es zugegebenermaßen recht knifflig, gegen solche Künstler zu protestieren: Musik wird heutzutage ganz anders konsumiert als noch im Zeitalter von greifbaren Veröffentlichungen. Anstatt ein Album jetzt einfach nicht zu kaufen, muss man Geschmacks-Algorithmen umgehen und bei neuen Playlisten bewusst auf die Lieder achten. Spotify, YouTube und Soundcloud spielen automatisch Songs ab, die zu dem passen, was wir bewusst eintippen. Und selbst wenn man sich die Musik der Künstler nicht anhört, stolpert man mit Sicherheit in Artikelüberschriften, Tweets oder Instagram-Posts über ihre Namen. All diese Umstände machen es extrem schwierig, diese Musiker wirklich zu ignorieren.

Dazu kommt, dass es für XXXtentacion gerade nicht besser laufen könnte. Sein Album ? wurde in der ersten Woche nach der Veröffentlichung umgerechnet 131.000 mal verkauft. Dieses Jahr war mit 150.000 Einheiten nur Culture II von Migos besser. Der Unterschied zwischen den beiden Acts: Migos gelten als Teil der Rap-Speerspitze, während XXXtentacion eher den Untergrund repräsentiert. Dennoch wird seine Musik fast genauso viel konsumiert. Inzwischen hält sich der Rapper eher bedeckt und verbreitet höchstens positive Botschaften. Dadurch verändert sich auch die Auffassung der Öffentlichkeit: Wenn man Twitter nach XXXtentacion durchforstet, stößt man auf viele Tweets, in denen die Verfasser ein schlechtes Gewissen haben, weil sie die Musik des Rappers mögen.

Auch ich bin bezüglich dieser ganzen Problematik nicht perfekt. Vergangene Woche habe ich Kodak Blacks Lied "Tunnel Vision" gehört und einen Screenshot davon als Instagram-Story hochgeladen. Eine Freundin sprach mich darauf an, ich erkannte meinen Fehler und löschte das Bild wieder. Wie so viele war ich für einen kurzen Moment nur ein fauler und nachlässiger Musikkonsument. Wenn man Musik hört, vergisst man schnell jegliches kritisches Denken – und das ist in den meisten Fällen auch nicht schlimm. Hier geht es jedoch um so viel mehr. Bei den Künstlern handelt es sich um bekannte Missbrauchstäter. Das können und dürfen wir nicht ignorieren. Vor allem nicht in dieser Zeit.

Im Jahr 2018 ist es nicht einfach, die Kunst vom dazugehörigen Künstler zu trennen. Wir kennen heutzutage so viele Aspekte aus den persönlichen Leben unserer Lieblingsmusiker – und ihre Musik wirkt wie eine tatsächliche Abbildung ihres Charakters. Was erschwerend dazu kommt: So viele Künstler setzen auf Transparenz, damit sich ihre Fans ihnen noch näher fühlen können. "Nur" gute Musik zu produzieren, darf aber nicht ausreichen, um vergessen zu machen, dass man das Leben eines anderen Menschen zur Hölle gemacht hat. Unterm Strich gibt es wirklich nur einen Weg, dieses Problem anzugehen: Die Musik einfach nicht mehr hören.

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