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Nachruf

Eine Hommage an Martin Stricker – von Tom Gabriel Fischer

Am Freitag wird Celtic Frost-Bassist und Nightlife-Macher Martin Stricker der Tribute Award der SMAs postmortem verliehen. Sein ehemaliges Bandmitglied und langjähriger Freund Tom Gabriel Fischer schreibt über ihren gemeinsamen Weg.
Tom, Martin und Erol Ünala bei den Aufnahmen ihres Comeback-Albums. Foto Tom Gabriel Fischer, alle zvg

Der Mitgründer von Celtic Frost, Nightlife-Macher und Karaoke-From-Hell-Kopf Martin Stricker verstarb am 21. Oktober 2017. Am Freitag wird ihm an den Swiss Music Awards der Tribute Award für sein Lebenswerk verliehen.

Die Laudatio wird nicht Tom Gabriel Fischer halten, der mit Martin zusammen Celtic Frost gründete und einer seiner längsten Wegbegleiter war: "Diese ganzen Schweizer Institutionen haben uns 34 Jahre ignoriert, obwohl wir auf der ganzen Welt Dinge bewegten und nun soll es für Martin eine Auszeichnung geben – jetzt, wo er tot ist und es ihm auch nichts mehr bringt", schreibt Tom über die Swiss Music Awards.

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Im folgenden Nachruf nimmt er in seinen Worten Abschied von Martin.

Die Anfrage zu diesem Artikel erreicht mich, als ich abends nach einem Konzert in Zürich im Tram der Linie 2 nach Hause fahre. Ein Zufall. Unzählige Male seit Martins Tod gab es Momente, die mir die Endgültigkeit seines Fehlens unerträglich vor Augen führten. Und auf dieser Tramlinie, zu dieser Uhrzeit, häufen sie sich.

Nicht nur, dass das nächtliche Zürich während den vergangenen 20 Jahren zur Domäne von Martin wurde und ich immer wusste, dass er irgendwo in seinen Clubs und Bars zu finden war. Und genau der Verlust dieser Omnipräsenz lässt die Stadt trotz des pulsierenden Nachtlebens trist und leer erscheinen. Es liegt auch daran, dass die Tramlinie 2 an so vielen Orten vorbeifährt, die für Martin und mich einst eine Rolle spielten.

Juni 2006, Martin in Gelsenkirchen. (Foto: TGF)

Die Einmündung zur Langstrasse, an welcher sich einige von Martins Lokalen befanden und welche einen seiner Lebensmittelpunkte darstellte. Das Gebäude, in welchem wir 2006 nach der Celtic-Frost-Reunion gemeinsam das erste Video der Band nach 16 Jahren besprachen. Das Bezirksgericht, auf dessen Stufen wir 1986 eine Fotosession durchführten. Martins ehemalige Wohnung an der Badenerstrasse, wo sich das weit über die Landesgrenzen hinaus legendäre "schwarze Zimmer" ohne Türen oder Fenster befand und in welcher sich so viel Wichtiges und auch Tragisches ereignete. Das Treuhandbüro, in welchem wir Celtic Frost geschäftlich verankerten.

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Der Baum, an welchem Martin 1986 in einem Wutanfall sein Fahrrad stehen liess, welches anschliessend jahrelang dort angelehnt blieb und zu unserem Running Gag wurde. Der Stauffacherplatz, wo wir uns während Jahrzehnten zum Kaffee trafen, um Bandangelegenheiten zu besprechen. Die Bäckerstrasse, an welcher Martin den DVD-Laden "Laserzone" eröffnete. Das Volkshaus, wo wir in den 80er Jahren gemeinsam unzählige Metal- und New-Wave-Konzerte erlebten. Und der Friedhof Sihlfeld, vor dessen Toren wir im Februar 2006 eine prägnante Celtic-Frost-Fotosession durchführten. Und wo Martin nun seine letzte Ruhe gefunden hat.

Kaum einer dieser Wegpunkte würde auf diese Weise existieren, wenn Martin und ich einander nicht begegnet wären. Ausserhalb seiner Familie war ich wohl derjenige in seinem Umfeld, der mit ihm den längsten Pfad zurückgelegt hatte; eine 34-jährige Freundschaft. Unser Aufeinandertreffen hätte kaum lebensverändernder sein können.

Dezember 1983, Hellhammer in Birchwil (Foto: Martin Kyburz)

Wir lernten uns 1983 in der sporadisch stattfindenden "Quo Vadis"-Disco im reformierten Kirchgemeindehaus in Wallisellen – Martins damaliger Wohnort – kennen. Die Veranstaltung war unter Einfluss der Zürcher Jugendunruhen in der Hoffnung entstanden, die Dorfjugend vom Gang in die böse Stadt abzulenken. Neben Chartsmusik spielte der DJ jeweils aus Mitleid auch etwas Heavy Metal für die paar auffälligen, schwarz gekleideten Teenager aus den umliegenden Käffern. Diese Teenager waren wir, und genau deshalb gingen wir hin.

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Meine Band Hellhammer existierte zu diesem Zeitpunkt seit über einem Jahr und wir hatten zwei Demos aufgenommen. Martin und seine Freunde fielen uns sofort auf und wir ihnen ebenso: Wir alle verbreiteten auf unsere eigene Art und Weise eine zwar radikale aber auch seelenwunde Aura. Bald tauchten Martin und seine Freunde bei unseren Proben auf – in einem Bunker zwei Dörfer weiter. Sie kamen mit dem Fahrrad, über steile Hügel, bei grösster Sommerhitze, an kältesten Wintertagen, und nachts durch stockdunkle Wälder.

Martin nach zwei Wochen bei Hellhammer: "Als Mitglied von Hellhammer finde ich, dass ich die Band nur aufhalte. Deshalb schmeisse ich mich zugunsten der Band selbst raus!"

Martin war 15 Jahre alt, ich 19. Er war in vielerlei Hinsicht genauso fanatisch wie ich und wir wurden bald zu wichtigen Bezugspersonen füreinander. Seine Intelligenz und sein Wissensdurst waren beeindruckend. Wir verbrachten unzählige Nächte damit, alle möglichen Themen zu sezieren; Eltern, Musik, Geschichte, Religion, Kunst, Bandstrategie, und so weiter. Und beide wuchsen wir durch diesen intensiven Austausch.

Die Existenz von Hellhammer ermutigte Martin, auch eine Band zu gründen. Wir stellten ihm dazu sowohl Instrumente wie Proberaum leihweise zur Verfügung. Im Herbst 1983 brauchte Hellhammer einen neuen Bassisten. Es war eigentlich klar, dass Martin diese Rolle übernehmen müsste. Doch er traute es sich nicht zu. Stattdessen half er Hellhammer mit durchdachten Ideen, Image, Texte und Professionalität zu verbessern. Martin übermittelte solche Gedanken nicht nur in Gesprächen, sondern in detaillierten Denkschriften, unterzeichnet mit "Mart Jeckyl", in Anspielung auf die zwei Persönlichkeiten Dr. Jeckyl und Mr. Hyde.

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März 2005, Zürich (Foto: TGF)

Irgendwann gelang es mir, Martin zu Hellhammer zu holen, doch er hielt sich noch immer für zu schlecht. Nach zwei Wochen erschien er im Proberaum und erklärte: "Als Mitglied von Hellhammer finde ich, dass ich die Band nur aufhalte. Deshalb schmeisse ich mich zugunsten der Band selbst raus!" Und tat es.

Im Dezember 1983 nahmen wir das dritte Demo auf, welches zum internationalen Plattenvertrag führte. Wieder half Martin lediglich in beratender Rolle. Doch inzwischen war allen Beteiligten klar, dass er unausweichlich zu uns gehörte und endlich fest in die Band einsteigen würde. Wir machten sogleich Fotos der neuen Besetzung und sandten diese mit dem Demo zur Plattenfirma in Berlin. Damit kam ein Stein ins Rollen, welcher nichts unberührt liess und uns eine internationale Karriere bescherte. Die unbedarfte Teenagerzeit in den Bauernkäffern war definitiv vorbei.

Nur fünf Monate später hatten wir das Gefühl, unserer Zusammenarbeit eine offenere Plattform verschaffen zu müssen, als Hellhammer sie bieten konnte. Genau wie ich hatte Martin inzwischen seine Ausbildung hingeschmissen und wir begannen unser neues Projekt buchstäblich mit einem leeren Blatt Papier. Es war die Geburt von Celtic Frost, in der Nacht des 31. Mai 1984.

April 1985, das erste Pressefoto von Celtic Frost. (Foto: Sergio Archetti)

Im Gegensatz zu vielen anderen, die lediglich ein grosses Mundwerk führten, war Martin einer der wenigen Menschen, die bereit waren, diese schwierige Reise mit mir anzutreten, kompromisslos und gegen erheblichen Widerstand. Er war Autodidakt und entwickelte sich zu einem aussergewöhnlichen Bassisten. Er schrieb kaum Musik, doch seine anderweitigen Beiträge waren für die Band von ähnlicher Wichtigkeit. Die Einzigartigkeit von Celtic Frost hing wesentlich von unserer kreativen Zusammenarbeit ab. Wir hatten im schimmligen Proberaum mit einer Untergrund-Band begonnen, die in der Schweiz nur verlacht wurde. Nun führte uns Celtic Frost jahrelang als Headliner um die ganze Welt und unsere Alben wurden von Tokio bis New York von Medien, Publikum und Musikern ernstgenommen und nachgeahmt.

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November 1989, Berliner Mauer (Foto: TGF)

Es ist schwierig, Martins tiefere Motivation zu eruieren, diesen Weg mit mir einzuschlagen. Primär handelte es sich wohl um Rebellion gegen das rigide, religiöse Umfeld seiner Jugend. Als dieser Zweck erfüllt war, verlor der musikalische Pfad zunehmend seine Bedeutung für ihn. Er sagte sich bereits von Celtic Frost los, bevor die Band 1993 dem unausweichlichen Zerfall anheim fiel. Martin wurde anschliessend ein intuitiver Unternehmer und wandte sich Dingen zu, welche oft in krassem Widerspruch zu den Werten standen, die er als Jugendlicher inbrünstig vertreten hatte.

1985, Martin am WWIII Festival in Montreal. (Foto: Big Lavellee)

Ähnlich verhielt es sich, nachdem wir Celtic Frost 2001 wiedervereinigten, 2006 nach jahrelanger Arbeit das gewichtige Monotheist-Album veröffentlichten und abschliessend erneut um die Welt tourten. Obwohl Martin zunächst mit mir einig ging, dass die Reunion eine langfristige Angelegenheit sein würde, vertraute er mir gegen Ende der Tour an, wir hätten uns genügend bewiesen; ein weiteres Album sei nicht notwendig. Im Vergleich zum komfortablen und lukrativen Leben, welches er in Zürich mit seinen Clubs führte, fühlte er sich ausgelaugt von den Anstrengungen des Tourens und des Betreibens einer menschlich oft ungestümen Band in einer musikalischen Umgebung, die sich grundlegend verändert hatte. Sein Fokus lag bereits woanders und ich begriff, dass die Reunion für ihn einen anderen Zweck erfüllte als für mich. Der absolute Tiefpunkt kam, als er mir offenbarte, das Ganze wäre für ihn ohnehin nur Schauspiel gewesen. Es war zwar symptomatisch für ihn, doch damit war auch für mich die Reunion gelaufen.

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Februar 2006, Tom und Martin mit HR Giger. (Foto: Les Barany)

Martin war eine komplexe und oft widersprüchliche Person und es gab Momente, in welchen ich mich fragte, ob ich ihn überhaupt kenne – doch genau dies würde er auch über mich sagen. Wir waren uns sehr ähnlich und zugleich extrem verschieden. Er konnte grosszügig und herzlich sein, aber auch kleinlich, kalt und stur. Wir haben uns gegenseitig das jeweils Wichtigste im Leben des anderen genommen, was bei beiden tiefste Wunden hinterliess. Und gleichzeitig verdankten wir einander unseren jeweiligen Lebensweg und die Erfüllung unserer einst als unrealistisch empfundenen Teenagerträume.

Wir wussten dies zu jeder Zeit; auch in den Jahren, in welchen wir nicht zusammengearbeitet und uns kaum gesehen haben. Martin war immer Teil meiner Existenz und als ich nach der finalen Auflösung von Celtic Frost 2008 eine neue Gruppe gründete, schrieb ich trotzdem jeden einzelnen Song insgeheim für seine Ohren. Und wo immer ich auf der Welt auftrete, denke ich unweigerlich an ihn – was ich ihm zu seinen Lebzeiten auch regelmässig mitteilte.

Unsere Freundschaft war eine Symbiose, die aus eigentlich unvereinbaren Gegensätzen bestand. Doch trotz zum Teil heftigster Zerwürfnisse gelang es uns, schlussendlich stets etwas Kreatives, Aussergewöhnliches zu erschaffen. Etwas, das empfundene und reale Grenzen irrelevant werden liess und uns beide überdauern wird.

November 1986, Volkshaus Zürich (Foto: Alex Solca)

März 1987, Hanover. (Foto: Fred Baumgart)

Oktober 1987, Hammersmith (Foto: Hugh Gilmour)

Januar 1992, letztes Celtic-Frost-Shooting

August 2005, Horus Studio


Tom Gabriel Fischer schreibt auf Blogspot

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