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Doku-Donnerstag: Wie der Missbrauch von Codein in Nigeria eskaliert ist

"Später wird ein Junge eingeliefert, der bewusstlos am Straßenrand gefunden wurde. Überdosis." – Die BBC-Doku 'Sweet Sweet Codeine: Nigeria's cough syrup crisis' ist gnadenlos.

Sirp. Lean. Sizzurp. Syrup. Texas Tea. Codein. Der dickflüssige Hustenstiller hat viele Namen, und gerade in der deutschen Rapszene auch viele bekennende Fans. Neben Bonez MC von der 187 Strassenbande setzen auch Rapper wie Ufo361, Nimo oder Bausa die lila Brille auf und das verschreibungspflichtige Medikament in ihren Musikvideos oder Texten in Szene. Auch in diversen Insta-Stories gehört die dunkle Mische in der Sprite-Flasche längst zum Standard-Prop. Codein hat sich als Trend etabliert. So, wie es beim großen Vorbild USA schon lange der Fall ist.

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Es ist schwer zu sagen, wie sehr Hustensaft abseits des Straßenraps wirklich ein Thema in Deutschland ist. Offizielle Zahlen gibt es keine. Laut "Jahrbuch Sucht 2017" von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. sind rund 1,9 Million Menschen in Deutschland medikamentenabhängig. Wie viele davon Codein konsumieren, ist nicht bekannt.

"Wie sieht es in einem Land aus, in dem tausende Jugendliche codeinabhängig sind?"

Was bei den Bonez MCs und Co. lila in den Insta-Stories und Musikvideos schimmert, reißt in Nigeria tiefe Abgründe in die Gesellschaft. Hier ist der Missbrauch des Opiates längst eskaliert. Das zeigt die absolut sehenswerte Dokumentation Sweet Sweet Codeine: Nigeria's cough syrup crisis. Wie sieht es in einem Land aus, in dem tausende Jugendliche codeinabhängig sind und Hustensaft eine gängige Straßendroge ist? Wer stellt ihn her? Wie kommen die Kids ran? Und wie kommt man davon wieder los?

Um all den Fragen rund um den Codeinhandel in ihrem Heimatland auf den Grund zu gehen, begleitet die BBC-Reporterin Ruona Meyer Drogenrazzien, besucht Entzugsanstalten und trifft sich undercover mit Pharmavertretern.

Sie ist dabei, als die National Drug Law and Enforcement Agency (NDLEA) nachts durch einschlägige Viertel ziehen, um Hustensaftkonsumenten und -dealer aufzuhalten. Ein billiges Hotel ist einer der Orte mit der höchsten Trefferquote. Dort findet das SWAT-Team regelmäßig Frauen vor, die zuerst mit einem Codein-Cocktail willenlos gemacht und anschließend von einem oder mehreren Männern vergewaltigt werden. Auch mit Meyer stoßen sie immer wieder auf solche Szenen und verhaften in dieser Nacht mehr als 20 Menschen. Aber solche Razzien allein können den andauernden Kampf gegen den Codeinmissbrauch nicht gewinnen.

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"Die Empfehlung der Pharmavertreter: Halte dich in der Nähe von Schulen auf."

Wo kommt all das Codein her? Teenager, die auf offener Straße konsumieren, erzählen Meyer, dass man das ähnlich wie in Deutschland verschreibungspflichtige Medikament eigentlich an jeder Straßenecke kaufen kann. Aber woher bekommen es die Dealer? Die Reporterin vermutet korrupte Pharmaunternehmen und holt sich deshalb den BBC-Korruptionsexperten Adejwuon Soyinka zur Hilfe.

Wie leicht es für die Reporter ist, ohne Rezept an Hustensaft zu kommen, ist erschreckend. Ein Anruf bei einem namhaften nigerianischen Pharmaunternehmen genügt. Sie schildern einem Handelsvertreter, dass sie ohne Papiere große Mengen an Hustensaft einkaufen wollen. Schon werden sie ins Firmengebäude geladen und die Verhandlungen beginnen. So einfach ist das. Völlig offen erklärt Soyinka, der mit versteckter Kamera ausgestattet ist, das Medikament in großem Maße illegal vertreiben zu wollen. Als der Undercover-Journalist angibt, erstmal nur fünf Kartons kaufen zu wollen, um die Marktlage zu checken, wird er sogar vom Store-Manager ausgelacht. Wieso so klein anfangen? Die meisten Kunden würden 1.000 Kisten im Monat bestellen. Bei einem gewöhnlichen Pharmaunternehmen. Dazu gibt es dann noch Tipps auf den Weg, wo man den Hustensaft am Besten an den Mann bekommt, oder besser gesagt ans Kind. Die Empfehlung der Vertreter ist nämlich: Halte dich in der Nähe von Schulen auf. Gerade jüngere Schüler werden nämlich schön schnell abhängig. Quittung gibt es keine.

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"Später wird ein Junge eingeliefert, der bewusstlos am Straßenrand gefunden wurde. Überdosis."

Die tragischsten Bilder spielen sich in einer staatlichen Rehabilitationsklinik im Norden des Landes ab. Sie erinnert weniger an eine Entzugsklinik, sondern vielmehr an ein verlassenes Guantanamo. Abhängige sind mit einem Fuß an den Boden gekettet, überall liegen Fäkalien. Von Codein loszukommen ist unheimlich hart. Schließlich ist das Schmerzmittel wie auch Heroin ein Opiat. Der Entzug verläuft sehr ähnlich und nur wenige schaffen das sowohl körperlich als auch mental kräftezehrende Vorhaben. Auf dem tristen, vertrockneten Gelände der Klinik sieht man einen Mann, der sich immer wieder schreiend auf die Knie wirft. Vor einigen Tagen wurde er manisch brüllend im Stadtzentrum aufgefunden und in die Klinik gebracht. Seitdem kam er nicht zur Ruhe. Laut dem Sprecher der Anstalt hat er die schlimmsten Phasen des Entzugs noch vor sich. Später wird ein Junge eingeliefert, der bewusstlos am Straßenrand gefunden wurde. Überdosis. Kurz darauf stirbt er.

24 Stunden nach Veröffentlichung der Dokumentation Anfang Mai gab Nigerias Regierung laut BBC bekannt, sowohl Herstellung als auch Import von codein-basierten Hustensäften komplett zu verbieten.

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