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„Popmusik sollte sich eine dicke Scheibe von HipHop abschneiden“—Twenty One Pilots im Interview

Twenty One Pilots erleben gerade—Achtung Wortspiel—einen Höhenflug. Wir haben mit ihnen über Ruhm, Kanye West und die Bescheuertheit von Popmusik gesprochen.

Twenty One Pilots erleben gerade—Achtung, schlechtes Wortspiel—einen Höhenflug in den USA und Europa. Und von einem Höhenflug kann man schon mal sprechen, wenn man zwischen Justin Bieber und One Direction auf Platz 3 chartet. Auch in Deutschland identifizieren sich inzwischen viele der Generation Peter Pan mit dem Erwachsen-werden-ist-voll-kacke-Hit „Stressed out“, was auch erklärt, warum die Single im Radio rauf und runter läuft, wie eine gestresste Hausfrau in ihrer Doppelhaushälfte. Als Teil dieser Generation, kombiniert mit einer gehörigen Portion Verplantheit, verpasste ich das Berliner Konzert der laut Rolling Stone „einer der größten Bands des letzten Jahres“. Ich fühle den Stressed-Out-Pain einfach zu sehr.

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Macht aber nichts. Heutzutage gibt es ja Flugzeuge, in denen Piloten relativ stressfrei zu Bands, die sich so nennen, fliegen können, damit man mit ihnen Gespräche über Ruhm, Kanye West und die Bescheuertheit von Popmusik sprechen kann.

Noisey: Ich bin den ganzen Weg von Berlin nach Bristol geflogen, um mit euch zu reden. Selbst schon mal so viel Engagement investiert für den Job?
Tyler: Oh scheiße, dann müssen wir uns jetzt wohl richtig Mühe geben. Naja, als wir mit der Band angefangen haben, da habe ich auf Facebook einfach gepostet „Hey, hat irgendjemand Bock auf ein Konzert von uns?“ Und die Leute, die Bock hatten, zu denen bin ich dann mit meinem Auto gefahren, um ihnen die Tickets zu bringen.

Als Newcomer muss man eben seine Dues payen. Obwohl ihr in den USA sehr erfolgreich und berühmt seid, habt ihr diesen Status des unbekannten Newcomers in Europa jetzt wieder.
Tyler: Wir wissen, dass es ein Prozess ist, bis man sich auf einem neuen Markt etabliert hat. Aber ich liebe diesen Prozess, ehrlich gesagt. Man kann einen neuen ersten Eindruck von sich vermitteln. Das ist manchmal ganz vorteilhaft. Ist ein bisschen so, wie wenn man eine neue Beziehung anfängt, ohne irgendwelche Altlasten.

Also ist es mehr ein Segen als ein Fluch, plötzlich wieder der Newcomer zu sein?
Tyler: Wir reden oft darüber, wie es damals war, als wir völlig unbekannt waren und Minishows gespielt haben. Wenn man in ein neues Land kommt, ist das ein bisschen wieder so, wie damals. Das kann manchmal auch anstrengend sein, weil man verschiedene Karrieren in verschiedenen Ländern hat.

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Gibt es etwas an diesen alten Zeiten vor Ruhm und Reichtum, das ihr manchmal vermisst?
Josh: Mir gefiel es irgendwie, dass uns damals niemand kannte und wir noch selbst bestimmt haben, wie uns die Leute betrachten. Ab diesem Zeitpunkt bilden sich die Leute selbst ihre Meinung, wo sie uns einzuordnen haben. Manchmal vermisse ich es, auf einem Parkplatz im Van zu schlafen. Früher sind wir mit vier, fünf Freunden in unserem Van durch die Gegend gefahren und haben Shows gespielt.

Also vermisst ihr die Romantik der Anfänge?
Tyler: Es war sehr romantisch. Wir mussten uns gegenseitig wärmen.

Man kann natürlich auch den „Neuanfang“ als Chance sehen, Entwicklungen zu verhindern, die beispielsweise in den USA bereits passiert sind, Stichwort der ewige Drang, euch in ein Genre zu drücken.
Tyler: Es ist eine großartige Gelegenheit, den Leuten beizubringen, inwiefern wir einzukategorieren sind, das stimmt. Das Problem ist nur: Wir wissen das selbst nicht so genau. Wir wissen selbst nicht, wie wir uns einem Genre zuordnen sollten.

Aber wieso sollte man das auch immer müssen? Muss man immer alles kategorisieren?
Tyler: Ja, das stimmt, aber wenn man sich selber nicht einer Kategorie zuordnet, dann machen es eben die anderen für dich und stecken dich vielleicht irgendwohin, wo du dich gar nicht siehst. Es nervt uns nicht, wenn Leute versuchen, uns in eine Sparte einzuordnen. Das hilft nur dabei, den Leuten einen Eindruck zu vermitteln, was sie erwartet. Und dann kann man natürlich ihre Erwartungen zerstören.

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Hattet ihr von Anfang an diesen Mix aus verschiedenen Genres, oder hattet ihr klar mit einer bestimmten Richtung angefangen, die sich dann aber multipliziert hat?
Josh: Also wir haben beide schon immer alle möglichen Musikrichtungen gehört. Ich mein, wenn du jetzt auf deinen iPod schaust, ist da ja nicht einfach nur eine Musikrichtung zu finden, oder?

Also ehrlich gesagt doch, schon. Eigentlich ist alles HipHop.
Josh: Oh, ok. Naja, ich habe das Gefühl, heutzutage mischt sich alles sehr stark und man hört sehr Verschiedenes, das einen dann eben auch verschieden beeinflusst.

Kanye West ist ja auch jemand, der sehr viele verschiedene Genres und Einflüsse mischt. Habt ihr sein neues Album gehört?
Tyler: Nein. Es war ein ziemlich heißes Thema in den USA, aber ich habe es nicht gehört. Er hat aber definitiv eine recht furchtlose Herangehensweise an Musik.
Josh: Ich habe es teilweise gehört und es gab auch ein paar Tracks, die mir gefielen. Aber irgendwie bin ich nie wirklich auf diesen Kanye-Zug aufgesprungen. Nicht weil ich ihn nicht „mag“, sondern weil ich bei ihm irgendwie nie durchgestiegen bin. Einiges ist sehr kreativ, aber manches verstehe ich einfach nicht. Aber vielleicht geht es manchen Hörern mit unserer Musik genauso.
Tyler: Für die sind wir Kanye.

(Ich lache) Anderes Thema: Ihr habt euch lange gegen klassische Mainstream-Moves gewehrt. Ihr wolltet lange euren Van nicht aufgeben, habt Major Label-Angebote abgelehnt und große Sponsoren ausgeladen. Seid ihr antikapitalistisch?
Tyler: Der Grund ist eigentlich nicht, dass wir antikapitalistisch wären. Wir wollen uns einfach nur treu bleiben. Und wenn man als Band erfolgreicher wird, bekommt man Angebote, diesen Erfolg zu steigern. In diesem Prozess kann es passieren, dass man riskiert, etwas davon zu opfern, wer man ist. Das sind oft Kleinigkeiten, aber wenn die sich addieren, ist man plötzlich jemand, der man nie sein wollte. All diese Entscheidungen haben wir also nur deswegen getroffen, um authentisch zu bleiben. Man muss auch Nein sagen können.

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Hattet ihr schon einen solchen Moment, in dem ihr euch dachtet, ihr könntet gefährdet sein, euch selbst ein bisschen zu verlieren?
Tyler: Je mehr Erfolg wir sehen, desto mehr sehen wir, wie leicht man sich in diesem Erfolgsding verlieren kann. Nicht, weil es uns oder anderen so ergangen wäre, sondern weil Leute auf einen zukommen und sagen: „Hier ist Geld. Wollt ihr's haben?" Und natürlich würde dieses Geld einige Probleme lösen, aber wenn du es haben willst, musst du eben Dinge dafür tun. Und man sollte sich eben fragen, ob es das wert ist. Da wir von der Musikindustrie und Kanye reden: Habt ihr das Gefühl, in der aktuellen Musikindustrie herrscht genügend Diversität, oder haben Bands jenseits der Hörgewohnheiten keine Chance, was zu reißen?
Tyler: Also worüber sich Kanye ja aufgeregt hatte, waren die Grammys und deren mangelnde Diversität. Man muss nur bedenken, dass die Grammys eine Awardshow sind, die die Musikindustrie zelebriert, nicht den Künstler. Es gibt andere Preise, die die Künstler ehren, die die Leute gut finden und die entscheiden, wer einen Award verdient hat. Die Grammys repräsentieren also nicht 1:1, was musikalisch abgeht.

Ich denke aber, es gibt eine Sache die alle vom HipHop-Genre lernen können: Wenn man sich HipHop-Sender anhört oder nur ansieht, was in der HipHop-Szene so passiert im Moment, sieht man, dass HipHop so innovativ ist. Man akzeptiert dort sämtliche verschiedene Ansätze und ich finde, da könnte Pop mindestens ein bis zwei Dinge von HipHop lernen. Die Popwelt ist sehr verschlossen, sehr wählerisch. Fast so, als existierten gewisse Regeln, um in den Club aufgenommen zu werden. Zu sehen, wie die HipHop-Szene wächst und die Frauen und Männer auf so vielen Feldern dort Pionierarbeit leisten und die Musik verändern—wenn Pop und Rock und Alternative so offen wären, hätten wir eine viel gesündere Musikszene.

Was könnte HipHop denn von Pop lernen?
Tyler: Vermutlich nichts. Aber wenn ich etwas wählen müsste: Es gibt gewisse … ähm. Man könnte … nein.

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