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Gucci Mane ist der einflussreichste Underground-Rapper des letzten Jahrzehnts

Obwohl er im Knast sitzt, ist Gucci Mane allgegenwärtig. Grund genug, seinen Platz in der Geschichte des Rap gebührend zu würdigen.

Bild von Alex Cook

Obwohl er hinter Gittern sitzt, ist Gucci Mane einfach überall. Er ist der einflussreichste Underground-Rapper des letzten Jahrzehnts, wenn nicht der einflussreichste Rapper überhaupt. Egal, ob das nun absichtlich oder unabsichtlich geschehen ist, dass Gucci in der großen VH1-Dokumentation über Atlanta-HipHop quasi komplett außen vor gelassen wurde, spricht Bände. Die Degradierung eines derartig großen Szene-Akteurs zu einer Fußnote weist darauf hin, dass sein Platz in der Rap-Geschichte umstritten ist. Noch vernichtender für ihn war allerdings—zumindest in den Augen der Mächtigen, die die Geschichte der Popmusik schreiben—, dass er es nie geschafft hat, wie Lil Wayne, Jay Z oder Drake Erfolg bei der breiten Masse zu haben. Was seinen Status als Außenseiter weiter zementiert. In den 90ern stärkten Albumverkäufe im Platinbereich das Genre des Gangsterrap innerhalb und auch außerhalb des Mainstreams. In den späten 00ern aber, gerade als die Internet-Piraterie ihren Höhepunkt erreichte, war die wirkliche Begeisterung für Guccis Arbeit viel schwieriger zu messen—und dementsprechend auch einfacher zu leugnen.

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Geschichte hat niemals eine Frage wirklich befriedigend beantwort, aber Guccis Status scheint besonders prekär zu sein. Sicher, es gibt konkrete Gründe dafür, dass seine Musik so umstritten ist. Seine Diskografie ist voll mit frauenfeindlichen Anspielungen. Und natürlich ist sie auch angereichert mit den obligatorischen Fettnäpfchen—Klischees für die einen, formale Charakteristika für die anderen—des dreckigen Street-Rap. Einem Genre, das in der Regel eher von Liebhabern als von Historikern dokumentiert wird (falls Akademiker sich herablassen, das Phänomen zu untersuchen, dann selten als eigenständiges Kunstobjekt, sondern mehr als Pathologisierung von Künstlern und Fans: HipHop als Ursache oder Konsequenz kultureller Dysfunktion). Gleichzeitig kann das Plädoyer für seine Kunst genauso unkritisch ausfallen: Gefeiert als verrückter, vielschichtiger Charakter oder als eindimensionale Abweichung des Streetrap-Standards wird er als oberflächlich dargestellt, seine Arbeit als schwer zu entziffern—ein Vertreter der sogenannten „Ratchet Culture“ [Unterschichtenkultur], wie im Film Spring Breakers von 2013.

Die Respektlosigkeit und Dreistigkeit dieser Trash-Kultur ist etwas, mit dem Gucci aktiv spielt und das ist auch nicht immer verkehrt von ihm—nichts begräbt Begeisterung so schnell, wie die freudlosen Verbindlichkeiten der Ernsthaftigkeit. Trotzdem reicht sein Einfluss auch zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Trap House viel tiefer und weiter, als viele seiner relevanten Kollegen jemals gekommen sind. Im ganzen Süden und im post-industriellen mittleren Westen der USA ist die HipHop-Landschaft durchzogen von seinen Nachkommen, den amateurhaften und den professionellen Gucci-Jüngern—einer ästhetischen Diaspora, die ein Bekannter einst als „Sunz of Mane“ bezeichnete. Young Jeezy, der ein ähnliches Erfolgs-Level erreichte, hatte viel weniger Tricks auf Lager. Die Kids werden vielleicht von seinem Erfolg inspiriert oder können aus seinen Erfahrungen lernen, aber von außen betrachtet bietet seine Musik viel weniger, was sich zur Nachahmung eignet. Guccis Arbeiten strotzten nur so von Ideen: Von seinen Adlibs über seine thematischen Konzepte, bis hin zum Sprachstil wimmelte es bei ihm nur so vor Innovationen. In Jeezys Lebenslauf gibt es keine Mike Wills oder Waka Flockas—Künstler, denen Gucci zum Aufstieg verhalf—und Jeezy hat auch keine neue Generation von Stars inspiriert, so wie zum Beispiel Guccis Ästhetik die von Migos und Chief Keef vorausgesehen hatte. Und niemand bei CTE ist so schnell so groß geworden wie Young Thug nach seiner Zeit unter Guccis Fittichen.

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Auch wenn sich Thug viel mehr im Fahrwasser von Lil Wayne als von Gucci befand, war es wenig überraschend, dass Gucci derjenige war, der ihm als erstes die Hand reichte. Beide Stars stehen für die gegenüberliegenden ästhetischen Pole des Street-Rap der späten 00er Jahre. Lil Wayne zu hören war ein unvergleichliches Erlebnis: Es war der absolute Höhepunkt lässiger Wortspielereien. Laut Definition durfte es natürlich nur einen Wayne geben. Er war ein genialer Handwerker—einer, für den keine Ideologie jemals die Kunst des kraftvollen Wortspiels, der Bildsprache oder dem Durchbrechen der vierten Wand übertrumpfen konnte. Ob sexuell oder einfach nur derbe, kein Witz war zu flach, um von ihm nicht verbessert und auf intelligenteste und unvorhersehbarste Weise rübergebracht zu werden. Sein Übergang zum Massengeschmack erforderte es, diese Qualitäten besonders hervorzuheben: Im Kern ging es bei seiner Kunst um Exzellenz. Und so wurde seine Delivery immer schwächer, während er die Aufmerksamkeit zunehmend auf seine Tricks lenkte. (Das nahm 2009 mit der Ankunft von Young Money und dem cartoonhaften Hashtag-Punchline-Style geradezu parodistische Ausmaße an.)

Gucci arbeitete währenddessen in die entgegengesetzte Richtung und spielte jede Andeutung runter, dass er ein „Lyrical Rapper“ sei: "'Damn, Gucci lyrical!' Naw, I ain't lyrical / But my bracelet is crazy, but my necklace is hysterical.“ Für einen Rap-Künstler, der die Bezeichnung „lyrical“ ablehnte, war Gucci einer der geschicktesten, lebhaftesten und einfallsreichsten Writer überhaupt. Dieser scheinbare Gegensatz deutet weniger eine qualitative Kluft zwischen Gucci und Wayne an, als vielmehr einer ideologische. Gucci ging es bei seiner Ästhetik gleichermaßen um die Beziehung zu seinen Hörern und die Ästhetik selbst. Sie war sein Mittel zur Bindung und nicht zur Überhöhung. Dieser Ansatz lässt sich vielleicht sogar auf ein Interview zurückführen, das er Mitte der 2000er dem Murder Dog-Magazin nach dem Erfolg von „Icy“ gegeben hatte. Geboren in Bessemer, Alabama, und aufgewachsen in Birmingham, zog Gucci im Alter von neun Jahren nach Atlanta. „Dieser Scheiß passiert so schnell, ich passe mich so schnell an“, sagt Gucci über Atlanta. „Ich gehe hier im Osten der Stadt zur Schule. Ich vermische all das Zeug, was ich hier sehe mit der Art wie ich rede und den Leuten gefällt der Scheiß einfach. Das ist mein Style, ganz einfach. Es ist, als würden sich ein Junge vom Dorf und einer von der Stadt zu einer Person vermischen.“

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Ästhetisch gesehen erklärt das Guccis nuschelige und provinzielle Darbietung und seinen exzessiven Lebensstil. Aber es geht auch um etwas Tieferes. Der Junge vom Land ist nämlich nicht blöd; er ist ungebildet—ein Mensch aus bescheidenen Verhältnissen, unvertraut mit den Strukturen und Regeln institutioneller Macht. Für einen gewitzten Jungen vom Land, der sich schnell in den verzweigten Irrwegen der Musikindustrie zurechtfindet, ist Lyrik kein Selbstzweck, sondern eine Taktik, um die Aufmerksamkeit eines Publikums mit unstillbarem Durst nach neuem Material aufrechtzuerhalten. Auf seinem Höhepunkt (etwa zwischen 2007 und 2010) war jede Zeile, jeder Verse von ihm unbestritten der Must-Hear-Moment eines jeden Songs, in dem er auftauchte. (Diese Tradition war auf viele Arten mehr von Bun Bs furiosem Gastauftritt von 2004 beeinflusst, als von Waynes äußerst produktivem Mixtape-Output—eher auf die Lyrics bedacht, als stilistisch exzentrisch: „UGK my favorite group for years been rockin' with them guys.“)

Die Persona, die Gucci kreierte, war auf Zugänglichkeit, Authentizität und Solidarität mit der Straße aufgebaut, nicht auf textlichen Fähigkeiten: „All Nas need is one mic, all I need is one stove“, rappte er 2009 in „Dope Boys“. Seine Art von Lyrics hatte eine angeborene Schludrigkeit, die bedingungslos demokratisch war. Sie fand sich in seinem Verstopfte-Nase-Flow, seiner oberflächlichen Missachtung rhythmischer Präzision und in der Art, wie er die Syntax den Ideen anpasste und nicht umgekehrt. Das war auch ein Nebenprodukt der ökonomischen Gegebenheiten: Um Rapper mit finanziellen Vorteilen auszustechen, die über mehr Connections im Geschäft verfügten, produzierte er einfach mehr Musik als alle anderen. Aber er konnte die Lücke nicht einfach bloß mit Filler-Raps füllen—jeder Song musste von Bedeutung sein. Der typische Showbiz-Ansatz, eine einzige Platte hinter den Kulissen zu perfektionieren—eine Strategie, der sich privilegierte Stars bedienen konnten—wurde geopfert. Stattdessen improvisierte Gucci und experimentierte in aller Öffentlichkeit mit jedem Songtypus. Er veröffentlichte eine Reihe Variationen, die gerade unterschiedlich genug waren, um jede davon unverzichtbar zu machen. Das erlaubte es ihm, ein starkes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufrechtzuerhalten und dabei zum produktivsten Aushängeschild der Szene zu werden.

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Seine Diskografie wuchs und wuchs, wobei jede neue Veröffentlichung die Perspektive auf das Gesamtwerk veränderte. Er schuf den neuen Pfad für das kommende Jahrzehnt des Street-Raps—einen Entwurf dafür, wie man Erfolg hat, wenn einem die üblichen Kanäle der Macht versperrt bleiben—und teilte ihn mit der Welt. Der Anti-Wayne: Das, was er machte, war einfach nachzuvollziehen—zumindest ließ er es so aussehen. Es wäre natürlich schwer geworden, seinen künstlerischen Einfluss oder die Einzigartigkeit seiner Geschichte nachzuahmen. Es war aber einfach, die Sachen um ihn herum nachzuahmen. (Der, der seinem spirituellen Erbe am nächsten kommt, Chief Keef, hat es auf seinem neuesten Tape am besten ausgedrückt: „Got so many styles, n—as bite one.“) Seine Kunst eröffnete uns eine neue Welt der Möglichkeiten, eine Welt, in der die meisten Street-Rapper von heute leben.

Es gibt viele innovative Aspekte an Guccis Kunst, die noch gar nicht angesprochen wurden. Zum einen gehörte er zu der ersten Generation von Künstlern, die sich den Herausforderungen des Songwritings in der Ära nach den Super-Produzenten stellte und eigenen Hooks und Konzepte mit einem einzigen Beatproduzenten erschuf (Zaytoven)—und nicht mit einem Aufgebot an A&Rs und Pop-Songwritern wie den Neptunes oder Lil Jon. (Ein weiteres Beispiel dafür, wie er für nachfolgende Künstler einen demokratischeren Entwurf des HipHop erschaffen hatte.) Er war außerdem einer der ersten, die gezwungen waren, sich infolge der berüchtigten Mixtape-Razzia bei DJ Drama einem Mixtape-Modell anzupassen, für das nur eigene Sachen genutzt werden durften. Aus diesen rechtlichen Konsequenzen entstand dann wahrscheinlich auch eines der umfangreichsten, kreativ erfolgreichsten Mixtapes der Rapgeschichte.

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Obwohl er wohl eher für die eigenwilligen Aspekte seiner Persona bekannt ist, war seine Geschichte—viel mehr als die von Wayne—durch die konkreten und allzu menschlichen Details seiner eigenen Autobiografie begründet. Das wird zum Beispiel auch in Songs wie „Frowney Face“ von 2009 erzählt. Dieser Song, der sich auf die Auseinandersetzungen mit seinem ehemaligen Plattenlabel Big Cat und seinen Beef mit Young Jeezy bezieht, deutet auf den Pathos hin, auf dem Guccis Aufstieg fußt: „Two tear drops under my eye because I wish some days I could cry / But to lose my self-respect my nigga I would rather die.“ Seine Geschichte war eine der unauflösbaren Feindseligkeit gegenüber dem Rest der breiten Gesellschaft, inklusive des Gefängnissystems. Das erklärt auch seinen besonderen Anklang bei einer Fanbase, die allzu oft vom Mainstream pathologisiert wird.

Heute spricht die Verletzlichkeit seiner Position im allgemeinen Szenekanon genau das an, was von denen wertgeschätzt wird, die das ganze Gebilde dokumentieren. Es ist die Einzigartigkeit—das lyrische Talent von Rappern wie Lil Wayne, Eminem und Jay Z—die die meisten Beobachter des HipHops fasziniert: diejenigen, für die Rapmusik weniger Kunst und mehr Sport ist—ein Wettbewerb so messbar wie eine Ligatabelle. (Schau nur auf die Faszination der Musikwelt für Verkaufszahlen oder die ganzen Studien, die versuchen, das Vokabular von Rappern zu quantifizieren.) Um Guccis Anziehungskraft wirklich zu verstehen, müssen wir uns einen Schritt wegbewegen von der Sprache des Wettbewerbs und der Quantifizierung. Es ist dieser Schritt—die notwendige Erklärung seines einzigartigen Werdegangs—der am Ende Kommentare darüber inspiriert, wie Gucci überanalysiert wird; dass er selbst gar nicht verstehen würde, was über ihn geschrieben wird; dass wir tausende Wörter über jemanden schreiben, der sich selber gar nicht so viele Gedanken über seine Kunst macht. Aber es ist nicht so sehr, dass seine Kunst einer Song-für-Song-Erklärung bedarf—das verwirrende „My Shadow“ von 2009 ist genauso kraftvoll direkt wie jede Pop-Platte und ich muss nichts darüber gelesen haben, um das zu erkennen.

Der Grund, warum Gucci so viele Artikel inspiriert, hat mit der Natur seiner Kunst zu tun—dass ihr Einfluss so massiv war und trotzdem nach ihren eigenen Regeln funktioniert; dass ihre Beziehung zu den Fans so historisch einzigartig ist. Obwohl sich seine Alben respektabel verkauft haben, kommen sie nicht an die Stückzahl von Lil Wayne oder Drake heran. Trotzdem ist er so groß geworden, wie ein Street-Rapper nur werden kann, ohne sich in einen Mainstream-Star zu verwandeln. Einige argumentieren weiter, dass es einfach nur „Musik zum Aufdrehen“ ist—eine Perspektive, die die tiefen Furchen ignoriert, die der Back-Katalogs des Rappers hinterlassen hat, und ihn so auf einen dieser zynischen Hit-Sucher reduziert, die die Radios verstopfen. Das ignoriert die Art und Weise, in der seine vielschichtige Kunst reich an erzählerischen Widersprüchen und von Pathos durchzogen ist. Mittlerweile ist seine Musik, obwohl solide, weitaus weniger eindringlich als sie es in den ersten fünf Jahren seiner Karriere war. Trotzdem ist er im Laufe der letzten zehn Jahre eine der wichtigsten und zentralsten Stimmen im HipHop geblieben. Ein Künstler mit einer Diskografie, die so umfangreich und verschachtelt ist, dass wir gerade erst an der Oberfläche kratzen konnten, und dessen Einfluss sich wie eine Dominokette durch die neue Künstlergeneration zieht.

Es braucht nicht viel Überredungskunst, um sich von David Drake Gucci Mane Songs vorrappen zu lassen. Folgt ihm bei Twitter—@somanyshrimp

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