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You Need to Hear This

Von Sommerhits, Exorzisten und wie ihr euch davor schützen könnt

Unser neuer Gastautor Agent Dexter bringt zu seinem Einstand den Sommer(hit) mit.

Natürlich war früher nicht alles besser. Im Sommer 1998 etwa: Damals war ich gerade volljährig geworden und fing an, diesen seltsamen Musikgeschmack zu entwickeln. Zugegeben, viel dagegen tun konnte ich ohnehin nicht, schallte Neks „Laura non c'è“ doch ausgerechnet durch die Kellerdisco des spanischen Hotels, in dem ich mit meiner Familie 14 Tage Urlaub machte.

Dieses Lied lief tatsächlich jeden Abend. Die Mittdreißiger freute es, was sie allabendlich im Strobo-Licht der Tanzfläche unter Beweis stellen mussten. Meine Eltern waren zum Glück nicht darunter. So konnten Nina aus München und ich auf einer dieser abgesessenen Ledergarnituren im Halbdunkel ungeniert knutschen.

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Schon zwei Jahre zuvor hatte ein weitaus furchtbareres Lied die Bevölkerung infiziert. Dessen erschreckende Wirkung offenbarte sich einem dadurch, dass Menschenmassen—einem Flashmob gleich—seltsame Tanzbewegungen ausübten. Das Virus hörte auf den Namen Macarena. Es wurde von zwei in die Jahre gekommenen spanischen Altherrenwitzen freigesetzt, die sich Los del Rio nannten.

Auch heute gibt es noch Langzeitgeschädigte, die sich akribisch an jede Bewegung des dazugehörigen Teufelstanzes zu erinnern wissen. Zu allem Überfluss fühlen sie sich offenbar gezwungen, genau das auch auf jeder Dorfdisco ja jedem zu zeigen. Jeden halbwegs vernünftigen Exorzisten sollte dieser Anblick in Alarmbereitschaft versetzen.

Um gleich mal klarzustellen, dass ich für euch tatsächlich bereit bin, mich in die Untiefen der Musikgeschichte vorzuwagen, will ich ein letztes Mal alle Verdrängungsmechanismen kurz offline schalten. Es war der Millenium-Sommer und wieder war ich mit meiner Familie im Urlaub. Einmal mehr saß ich in einer Kellerdisco und starrte ungläubig auf die Tanzfläche. Immerhin: Das Lied hatte sich geändert. Diesmal wütete der kleine Urlaubermob zu Anastacias „I'm outta love". Reizend – wirklich reizend.

Aber wisst ihr, im Grunde gab es ihn schon lange davor—den Sommerhit. Sogar schon vor dem Jahr 1975, in dem Rudi Carrell mit "Wann wird’s mal wieder richtig Sommer" ein Liedchen schmetterte, das es bis heute geschafft hat, von allen Sonnenverstrahlten zitiert zu werden, wenn nicht bitteschön bereits Mitte Mai mindestens 30 Grad im Schatten herrschen.

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Und jetzt kommt's ganz dicke: Bereits mit dem erwähnten Macarena war im Grunde ein sogenannter Sommerhit-Typ kreiert, der an Albernheit kaum zu überbieten ging. Musik für eine Menschenmasse nämlich, deren Hirn unter der heftigen Sonneneinstrahlung schlimmer gelitten haben muss, als die Getreidefelder der Bundesrepublik im Hochsommer.

Überraschenderweise ist einigen Wahnsinnigen gelungen, womit niemand bei klarem Musikverstand gerechnet hätte: Ob „Mambo No. 5" von Lou Bega, „Aserje" von Las Ketchup oder „Dragostea din tei" von O-Zone—alles das bittere Beispiele für die Zombiefizierung der vom Formatradio geprägten Menschheit. Wäre Hitler noch am Leben, dann würde er einfach einen massentauglichen Sommerhit performen und könnte sich einer großen Anhängerschar sicher sein.

Tut mir also bitte den Gefallen und hört in diesem Sommer ausnahmslos gute Musik. Macht zum Sommerhit, was euch gefällt. Und auf gar keinen Fall dieses eine ganz bestimmte Lied, das von sämtlichen Radiostationen mindesten einmal pro Stunde gespielt wird, weil es irgendwelche verstecken Botschaften enthält, die der kaputte Teil der Musikindustrie in unsere Köpfe pflanzen will.

Und um meinen Einstand hier würdig zu beenden, habe ich noch einen Sommerhit für euch:

Agent Dexter mag keine Schusswaffen, dafür ausgewählten Körperkontakt und lebt in Hamburg. Dort hört er Musik, schreibt eigene Texte und liest die von anderen. Nebenbei fährt er oft U-Bahn, sitzt gern in der Sonne oder tut, was richtige Männer eben so tun: Er rettet die Welt.

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Dexter bei Twitter @Agent_Dexter und Tumblr.

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