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You Need to Hear This

Bettgeschichten für Quentin Tarantino mit The Majority Says

Wenn eine Band mit sechs Mitgliedern zum Interview auftaucht, kann es schon mal unterschiedliche Meinungen geben. Aber bei The Majority Says entscheidet ja die Mehrheit.

The Majority Says, das sind sechs stylische Schweden, deren Bandfotos gut für die Kampagne einer skandinavischen Modekette herhalten könnten. Gerade einmal Anfang 20, machen einige von ihnen bereits seit einer Dekade gemeinsam Musik. In dieser Besetzung steht die Band seit vier Jahren auf der Bühne. Just ist ihr internationales Debütalbum erschienen. Wirklich Zeit, das zu verarbeiten, hatten Hanna Antonsson (Vocals), Emil Berg (Gitarre), Axel Engström (Bass), Jonathan Lennerbrant (Gitarre), Timo Krantz (Synths und Percussion) und Matthias Jonasson (Drums) noch nicht.

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Ich treffe sie in der Hamburger Speicherstadt. Die Jungs tun das, was Mucker zwischendurch halt so tun: Sie kickern. Hanna hat sich derweil mit einer Decke in einen Sessel gemummelt—und wird fast von dem Möbelstück verschluckt. Relaxt sie noch oder schläft sie schon? Es war ein langer Promo-Tag. Und sie müssen noch nach Berlin. Trotzdem nehmen sie sich viel Zeit für ein entspanntes Gespräch. „Sven. Bist du Schwede?“ Nee, aber über Namen soll auch später noch gesprochen werden.

Noisey: Ich habe euch im ZDF Morgenmagazin gesehen. Ist es nicht ein bisschen spießig, als junge Band dort aufzutreten?
Axel: Echt? In Schweden ist es sehr respektabel im Frühstücksfernsehen aufzutreten. Viele aufstrebende Bands haben dort schon gespielt.
Emil: Ich denke, wir haben ein ziemlich breit gefächertes Publikum. Und über eine solche Show erreichst du eben junge und auch ältere Leute. Warum also nicht?

Es ist ein altes Klischee, dass Schweden gute Popmusik machen, aber es bewahrheitet sich immer wieder? Ist bei euch irgendwas im Wasser?
Jonathan: Ich denke, in Deutschland gibt es auch viele gute Musiker. Aber vielleicht bekommt ihr hier nicht genügend Support. In Schweden wirst du vom Staat unterstützt und kriegst mehr oder weniger alle Hilfe, die du brauchst, um all deine Ideen umzusetzen und wirklich daran zu glauben. Das ist großartig.

Was meinst du mit Staat?
Jonathan: Die Regierung. Sie finanziert Treffen unter Musikern. Wenn man eine Band mit mehr als drei Mitgliedern hat, bekommt man tatsächlich Geld dafür.
Matthias: Sie organisiert Proberäume, stattet einen mit Instrumenten aus, das ist ziemlich cool. Sie bestärkt Jugendliche darin, ihre eigene Band zu gründen. Keiner stellt sich mit erhobenem Zeigerfinger hin und sagt so was wie „Nein, nein, nein! Ihr solltet besser zur Schule gehen!“. Sondern „Ja, probiert’s aus!“
Emil: Und weil wir so viele gute Künstler und Bands haben, gibt es mittlerweile eine Art Zirkel. So lernen wir von den Guten und eines Tages können wir den Neuen vielleicht etwas beibringen.

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Wer hat euch denn unterrichtet?
Jonathan: Es geht mehr um Inspiration.
Emil: Wir haben gute Produzenten.

Ihr werdet oft mit The Cardigans verglichen. Ich höre da nicht allzu viele Ähnlichkeiten.
Emil: Ich auch nicht.

Haben sie denn Einfluss auf euer Schaffen?
Hanna: Für einen Song auf dem Album haben wir uns tatsächlich von den Cardigans inspirieren lassen, um den Sound und das Gefühl hinzubekommen. Aber nur für diesen einen, „Raindrops“.
Jonathan: Vielleicht geht es mehr um das akustische Gefühl der Cardigans und Hannas charakteristische Stimme. Wir klingen nicht wie sie, sind allerdings vom Aufbau her irgendwie ähnlich. Aber wir könnten nie wie eine andere Band sein.

Ihr habt das Album in den Kingside Studios aufgenommen, mitten im Wald. Ich stelle mir euch sechs vor, wie ihr um ein Lagerfeuer sitzt und jammt. Das Album klingt hingegen ziemlich clean und poliert. Passt irgendwie nicht zu der Idee von Natur und Wildnis.
Axel: Na ja, da ist halt dieses gute Studio in den Wäldern. Und die Musik ist das Ergebnis dessen, was wir in diesem Moment machen wollten. Ich weiß aber nicht, ob wir wollten, dass es clean klingt.
Timo: Wir haben einfach unser Ding gemacht.
Axel: Wir sind gern in der Natur, weil es dort ruhig ist. Weit weg von der Stadt, von Handys und so. Vielleicht klingt es deshalb so sauber, weil dort keine Geräusche von außen sind.

Was ist denn typisch schwedisch für euch?
Axel: Wenn’s um Musik geht oder überhaupt?
Jonathan: Köttbullar.
Hanna: Knäckebrot.
Emil: Gescheckte Pferde.
Axel: Es gibt eine typisch schwedische Art, wie man sich verhält: sehr zurückhaltend und ruhig.
Matthias: Und sehr respektvoll. Du kannst dich nicht zu nah neben jemanden setzen, jeder braucht seinen speziellen Raum, um sich wohl zu fühlen.
Jonathan: Und lieber nicht miteinander reden.
Matthias: Aber nicht, weil man sich nicht mag, sondern weil man sich eben respektiert.
Jonathan: Alberner Respekt.
Timo: Ich denke, Schweden sind depressiver als Menschen aus anderen Ländern.
Emil: Und wirklich auf ihre Karrieren konzentriert.
Hanna: Nein, das finde ich nicht.
Emil: Das bezieht sich dann ja auch wieder auf die Depression. Jeder will nach ganz oben kommen, und wenn er es nicht schafft, fällt er in ein Loch.
Jonathan: Nicht jeder ist derart fokussiert und macht sich so viele Gedanken, was er erreichen will. Aber es stimmt schon: Manchmal hast du großen Druck, dies und das schnell umzusetzen, sonst kommt dir jemand zuvor.
Matthias: Und es hängt auch davon ab, in welchem Teil von Schweden du lebst, ob du in einer großen Stadt lebst oder auf dem Land.

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Auf dem Land bleibt dir vielleicht nicht viel anderes übrig, als Musik zu machen.
Emil: Vielleicht, ja.
Matthias: Schwedische Musiker gucken auch gern in Richtung USA. Andersrum kommen viele amerikanische Künstler und Songwriter extra nach Schweden, um in den dortigen Studios aufzunehmen. Ich denke, das hat uns musikalisch ebenfalls weitergebracht.
Emil: Viele schwedische Produzenten arbeiten für amerikanische Künstler.

Hattet ihr Einfluss auf die finale Produktion eures Albums?
Jonathan: Nach den Aufnahmen haben Linda und Otto (Linda Öst und Otto Wellton, Anm. d. Red.) noch allein daran rumgeschraubt und das eine oder andere hinzugefügt, von dem wir nichts wussten. Den Mix haben wir uns gemeinsam angehört, unsere Meinungen geäußert, dann ging es zum Mastering und fertig.
Timo: Das hängt auch von den Songs ab. Jeder einzelne hat seine eigene Geschichte, wir machen nicht jedes Mal das gleiche.

„You Steal I Steal“ ist komplett anders. Eine sehr theatralische Storytelling-Nummer mit einem dunkleren Sound, auch in der Stimme. Habt ihr das Lied von vornherein so geschrieben oder hat es sich während der Aufnahmen entwickelt?
Matthias: Es hat sich entwickelt. Wie viele Songs.
Emil: Tatsächlich war es anfangs ein Gute-Nacht-Lied. (Er stimmt ein folkig-beschwingtes Stompin’-Feed-Stück an.) Aber das hat überhaupt nicht gepasst. Jonathan kam dann mit der Idee, dass wir ein mystisches Stück daraus machen sollten. Nur ein Akkord, über dem Hanna improvisiert, in ihrem eigenen Tempo, und so eine ganz bestimmte, eigene Stimmung kreiert.
Hanna: Das Gefühl war einfach da.

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Aus dem Hintergrund meldet sich Linda zu Wort, Produzentin, Managerin und verantwortlich für einige Backing Vocals.
Linda: Ich hoffe wirklich, dass der Song es eines Tages in einen tollen Film schafft. Das würde echt passen.
Matthias: Ja, einen Quentin-Tarantino-Film.
Emil: Aber wir spielen ihn auch sehr gern live.
Hanna: Yeah!
Axel: Und wir sind sehr glücklich, dass wir ein Album machen konnten, das einen Song beinhaltet, der so total anders ist.

Seid ihr eine demokratische Band? Euer Name legt dies jedenfalls nah.
Axel: Ah!
Jonathan: So weit wie möglich. Aber es ist schwierig, total demokratisch zu sein, wenn du vorankommen willst.

Und anstrengend.
Jonathan: Absolut. Doch wir vertrauen uns gegenseitig so sehr, dass wir uns keine Gedanken machen müssen: Der eine entscheidet dies, der andere das.
Emil: Sowie den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten.
Jonathan: Anfangs waren wir sehr demokratisch. Es ist eine gute Art, voneinander zu lernen, auch wie man Songs schreibt. Doch je besser wir darin werden, desto häufiger managen wir die Dinge zunächst für uns und beenden sie dann gemeinsam.

Die Auswahl der Lieder, die auf das Album sollen, stellt einen ja auch immer wieder vor Probleme.
Linda: Wir hatten 19, 20 Songs über die wir mit den Labels diskutiert haben: Wer bevorzugt welche? Es ist ein Kompromiss. Jeder soll glücklich sein, mit den Songs, die es letztlich auf das Album geschafft haben. Die übrigen wirst du vielleicht in der Zukunft hören?
Emil: Meine beiden Lieblingssongs für dieses Album sind tatsächlich gar nicht auf dem Album. Aber wir wollen sie auf jeden Fall noch veröffentlichen.

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Akustischere Nummern?
Emil: Ja.

Also auf dem nächsten Album.
Emil: Hoffentlich.

Aber gibt es denn so etwas wie einen Bandleader?
Timo: Nein, ich denke nicht.

Emil, du schreibst die meisten Texte.
Emil: Ja. Und einige schreiben wir auch zusammen.

Die meisten drehen sich um Liebe, Beziehungen, Trennungen. Ist es schwierig, all das aus der Perspektive einer Frau zu schreiben?
Emil: Ja, ziemlich.
Hanna: Aber du benutzt ja kein „er“ oder „sie“.
Emil: Stimmt, meistens sprechen wir von „du“ und „ich“. So dass sich jeder in den Texten wiederfinden kann, Frauen und Männer, ob du schwul bist oder lesbisch.

Die Texte erzählen häufig sehr emotionale Momentaufnahmen, ihr malt ganz klare Bilder.
Emil: Ja, ich persönlich mag diese konkreten Geschichten. Solche Momente vermitteln dir ein ganz spezielles Gefühl, lassen bei genauer Betrachtung aber immer noch Raum für Interpretationen. Ich bin immer auf der Suche danach im Leben.
Axel: Es ist wie ein Film. Du schließt die Augen und guckst, was passiert. Du kreierst deine eigenen Charaktere oder versetzt dich selbst in die Szenerie. Und die Musik vermittelt die passende Stimmung.
Emil: Ich stelle fest, dass ich viele der Texte aus der Bett-Perspektive schreibe, nach dem Aufwachen oder beim Schlafengehen. Ich weiß nicht, warum. Es ist nichts Sexuelles. Ich sehe mich selbst im Bett, wenn ich schreibe und erzähle die Dinge von dort aus.
Jonathan: Das ist die Zeit, in der du reflektierst und realisierst.
Emil: Kann sein.

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Die oft melancholischen Texte stehen im Kontrast zu dem meist luftigen Sound und insbesondere deiner niedlichen, mädchenhaften Stimme, Hanna. Die ist aber kein künstlich kreiertes Markenzeichen?
Hanna: Nein, das ist meine natürliche Stimme und meine Art zu singen. So klinge ich ganz einfach.

Wer musste denn die ganze unerwiderte Liebe ertragen?
Axel: Wir alle. Wir haben alle unsere Gefühle in dieses Album gesteckt und können uns in den Texten wiederfinden.
Jonathan: Vielleicht alle Leute, die es sich anhören.
Emil: Hoffentlich.

Zwei Zeilen scheinen recht repräsentativ für eure Texte: „Where ist the line between live or just pretend / (…) / Where is the line between love and simple friends.“ Wie sieht das bei euch aus. Ihr seid fünf Männer und eine Frau —alle nur Freunde?
Emil: Einfach nur Freunde.
Axel: Wie eine Familie.
Hanna: Und wir arbeiten zusammen. Das kann schon mal kompliziert werden, aber …

Es herrscht längere Stille.

Emil: Hm, das Schweigen … spricht vielleicht für sich?

Für Spannungen im Tourbus?
Axel: Nee.

Euer Name weckt natürlich politische Assoziationen. Ihr seid aber keine politische Band, oder?
Emil: Nein, sind wir nicht.

Woher kommt dann der Name?
Emil: Darüber haben wir heute schon gesprochen.

Das wundert mich jetzt nicht.
Emil: Und darüber, dass wir jedes Mal andere Antworten haben.

Nenn mir drei.
Hanna: Die Anfangsbuchstaben unserer Namen. T, H, E, M, A, J.
Emil: Das haben wir allerdings erst später bemerkt. Ein anderer Grund ist, dass wir häufig sagen: Die Mehrheit sagt, ABER … Es gibt immer eine Mehrheit, die etwas kundtut und es liegt bei dir, ob du Teil dessen sein möchtest oder nicht.

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Und ihr wollt das nicht.
Emil: Das muss jeder für sich selbst wissen. Wir machen einfach unser Ding und haben unsere eigene kleine Mehrheit.
Timo: Unser Name hat keinen spezifischen politischen Bezug. Aber es ist falsch zu sagen, dass wir nicht politisch sind. Nur haben wir keine konkrete politische Botschaft.
Matthias: Bislang haben wir noch keinen politischen Song geschrieben, aber wer sagt, dass wir das nicht eines Tages tun?
Axel: Es ist ja auch eine Frage, was du aus den Texten heraushörst. Alles kann politisch sein.
Timo: Texte müssen nicht politisch sein, um politisch zu sein.
Jonathan: Vielleicht geht es ja nicht um deine Freundin, sondern um die Regierung? Ach so, der dritte Grund: Der Name klingt gut. Matthias hat nach einem Namen mit einer besonderen Melodie gesucht, die sich gut anfühlt.
Axel: Niemand fragt mich, warum ich Axel heiße.
Emil: Sag mal Axel, warum ist dein Name Axel?
Axel: Keine Ahnung, weil er gut klingt?
Timo: Wusstest du, dass Axel im Schwedischen die Schulter ist?

Im Deutschen ist es die Kurzform für die Achselhöhle. Da musstest du in der Schule vermutlich viele schlechte Witze über dich ergehen lassen?
Axel: Oh ja.

Was hat es mit dem Pfau auf dem Cover auf sich? Er vermittelt etwas sehr Reines, Esoterisches. Ein weiterer Gegensatz zur rauen schwedischen Wildnis und dem Lagerfeuer.
Matthias: Dieses Album ist das erste Werk, das wir von Beginn an gemeinsam geschrieben und realisiert haben. Wir haben ja vorher schon ein Album aufgenommen, während es Wechsel in der Band gab. Und der Pfau steht für Wiedergeburt.
Emil: Wie für einen Neustart. Diese Platte ist unser erstes richtiges Baby. Na ja, und wir mögen Federn. Eigentlich hat es mit der Idee einer Feder begonnen.
Axel: Es ist einfach ein schönes Bild. Als würde man in jemandes Auge gucken, ganz tief. Jemandem, der so blaue Augen hat wie Timo. Wenn du ihm in die Augen schaust, kannst du beinahe den Pfau erkennen.
Timo: Manchmal kann ich ihn sehen.

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Euer erstes Album Under Streetlights wurde bislang nur in Skandinavien veröffentlicht. Werdet ihr es noch mal weltweit rausbringen, wie The Cardigans damals Emmerdale?
Jonathan: Keine Ahnung.
Hanna: Vielleicht? In ein paar Jahren.
Emil: Jetzt haben wir erst mal The Majority Says.
Matthias: Wir gucken immer nach vorn und konzentrieren uns auf Neues. Wie ich schon sagte, dies ist unser erstes gemeinsames Album als Gruppe, und es fühlt sich einfach extrem gut an. Es wäre also vermutlich besser, neue Sachen zu veröffentlichen. Denn ich kann mir vorstellen, dass sich die alten Songs nicht so richtig nach unseren Songs anfühlen.

Ihr spielt sie also auch nicht live?
Hanna: Doch, tun wir. Einige davon.
Emil: „King of the Night“ zum Beispiel.
Matthias: Das ist einfach ein cooler Live-Song. Ein älterer, den wir fast immer spielen. Aber nicht während dieser Tour.
Hanna: Doch, tun wir.
Jonathan: Wir sollten darüber abstimmen.

The Majority Says spielen am 18. September beim Reeperbahn Festival.

Das Album The Majority Says bekommt ihr über Amazon oder iTunes.

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