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You Need to Hear This

Mø scheißt auf ihr Spiegelbild

Für die Dänin ist jeder auf seine Art eine Schönheit, das gilt für sie selbst wie auch für dich. Daher ist vollkommen unwichtig, welches Bild du nach außen darstellst.

Foto © Sony Music

Schon nach dem ersten Song wird mir klar, warum Mø ihre Stimmbänder an die Wand gesungen hat—Mø ist, was man klassich als Rampensau bezeichnet. Immer wieder springt sie in die Menge, lässt sich auf den Händen tragen oder tanzt und singt mitten im Publikum. Die Dänin Karen Marie Ørsted sieht aus wie du und ich, doch als Mø packt sie mehr Power aus, als ihre Heldinnen Kim Gordon und die Spice Girls zusammen. Ihre Songs sind eine glitzernde Kombination aus süßem Pop, tanzbarem Elektro, einer fetzigen Nuance Rock, dich in die Knie zwingenden Beats und eingängigen Lyrics. Vor ein paar Wochen hat sie mit ihrer Power ihre Stimmbänder kaputt gemacht. Deswegen hat Mø das letzte Mal, als sie in München war, nicht viel mehr als den Warteraum einer HNO-Arztpraxis gesehen und musste ihre ganze Tour abblasen. Jetzt, ein paar Wochen später, kann sie bei ihren Fans endlich wieder alles geben. Wirklich alles.

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Noisey: Wie schaffst du das? Du sitzt mir gegenüber und knabberst an deinem Hanuta, als würden wir entspannt in deinem Garten sitzen. Du bist immer noch das Mädchen von nebenan, obwohl du dank deines Erfolgs ständig auf Tour bist und mir gerade erzählt hast, dass du nur zwei Stunden geschlafen hast.
Mø: Haha, was für ein Kompliment! Ach eigentlich denk ich da nicht so viel darüber nach. Es wäre eher ziemlich weird, wenn ich plötzlich irgendeine Rolle spielen und nicht mehr nett zu anderen Leuten sein würde, nur weil ich etwas Besonderes bin. Ich bin überhaupt nicht besser als andere nur weil ich so ein verrücktes Leben führe! Ganz egal was du machst, das macht keinen zu einem besseren Menschen. Es sollte keine Divas geben!

Mø bist also so ziemlich du selbst, Karen?
Manchmal ist das ganz schön hart, weil in Mø so viel von mir selbst drin steckt, sodass ich nichts habe, wohinter ich mich verstecken kann—da bist du immer nackt. Aber ich zahl lieber diesen Preis und fühl mich manchmal nackt, als irgendeine Kunstfigur zu erfinden, hinter der ich mich verstecken kann. Ich möchte nicht versuchen jemand zu sein, der ich nicht bin. Das würde außerdem ziemlich schnell auffallen, glaube ich.

Aber ist es nicht manchmal ziemlich hart, wenn schon lang verarbeitete Gefühle immer wieder hochkommen, wenn du darüber singst? In „Never Wanna Know“ zum Beispiel singst du ja über das Ende deiner Beziehung zu deinem Exfreund. Oder verliert der Song langsam an Gefühl?
Hm. Irgendwann werde ich es vielleicht leid sein, den Song zu spielen. Aber mittlerweile habe ich „Never Wanna Know“ bestimmt auf 200 Konzerten gespielt und spiele ihn immer wieder gerne. Obwohl ich gerade nicht mitten in einer Beziehungskrise stecke, kann ich mich noch genau an die Gefühle von damals erinnern. Weißt du, irgendetwas davon wird immer da sein. Alles was man einmal Prägendes erlebt hat, findet man irgendwo tief in sich wieder. Das ist wichtig. Aber genauso wichtig ist es darüber zu singen.

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Als ein Weg die Gefühle auszudrücken?
Genau! Es ist so wichtig, das rauszulassen.

Viele deiner Songs sind mit einer kräftigen Prise Elektropop gewürzt. Doch auf der Bühne lässt du eher die Punk-Rockerin raus, die tanzt und in die Menge springt. Ist das ein Mix aus deiner Begeisterung für die doch sehr unterschiedlichen Frauen Kim Gordon und Melanie C von den Spice Girls?
Hahaha, ja stimmt. Ich nehme einfach diese Inspiration, die ich als Kind von den Spice Girls bekam, als ich das erste Mal das Gefühl hatte, dass Musik direkt mit mir kommuniziert. Und natürlich die Inspiration, die ich als Teenie von Kim Gordon bekam oder Stancy Gold. Vielleicht versuche ich das nachzuahmen. Aber ich denke da nicht darüber nach, das passiert ganz natürlich.

Und woher nimmst du diese Power?
Das kommt noch von meiner Zeit, als ich in der Punk-Szene aktiv war. Ich meine, ich hatte zehn Jahre lang Punks um mich, eine eigene Punkband und war auf etlichen Punk-Konzerten. Ich finde dieses trashige Punk-Konzept knallt viel besser auf der Bühne als irgendeine durchgeplante große Pop-Show.

Wenn ich eine Performance sehe, möchte ich den Menschen hinter dem Künstler sehen, zusehen wie sie sich gehen lassen. Ich will nicht wie eine auf Hochglanz polierte Puppe aussehen, die einfach nur rumsteht. Das interessiert mich nicht. Man soll doch in den Augen des Sängers sehen können, wovon er singt. Und ihm ansehen, dass es ihm scheißegal ist wie er aussieht. Es geht nur darum die Geschichte zu erzählen, weil du etwas im Herzen hast, das du mit anderen teilen willst. Anstelle von dem „Ach ich bin so schön“-Getue. Fuck it!

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Ich denke das ist genau das Problem von den großen Stars, wie Beyoncé oder Lana del Rey—dieser Wunsch nach Perfektion!
Ja voll! Das ist doch scheiße. Also ich meine, ich bin ein großer Fan von Lana del Rey! Aber es geht einfach schief, wenn man versucht, perfekt zu sein. Ohne sich zugestehen zu können, dass man nicht perfekt sein kann. Das Coole an Lana del Rey ist aber, dass sie sich dieses Universum um den Falling Star aufgebaut hat, die zerstörerischen Träume. Es ist fast so, als würde sie das in echt leben. Auf diese Art ist es schön. Also es geht ihr schon sehr um Perfektion aber gleichzeitig ist sie darauf konzentriert, dass die Perfektion ein großer Fake ist. Wobei, keine Ahnung—vielleicht liebe ich auch einfach nur ihre Songs.

Du singst oft von Girl Power. Was ist Girl Power für dich?
Mmh, meiner Meinung nach können die Worte Girl Power und Feminismus oft falsch rüber kommen. Dann denken die Leute es geht darum, kein Make Up zu tragen oder keinen BH und nach dem Motto „Fuck Men“ zu leben. Aber ich sehe das ganz anders. Für mich ist das alles viel entspannter, ich meine damit eher, dass jeder auf seine Art gute Seiten hat. Wenn du von Geburt an hässlich bist, kannst du trotzdem wunderschön sein, wenn du es rauslässt. Auf der anderen Seite kannst du wunderschön sein, aber ohne irgendein Feuer in den Augen, ohne Charisma—dann bist du fucking langweilig und hässlich.

Das klingt vielleicht nach einer Seifenoper, aber es ist doch so, dass die innere Schönheit zählt! Echt, ich weiß das klingt nach einem kitschigen Klischee, aber es stimmt! Du solltest versuchen, du selbst zu sein, mit allen Ecken und Kanten und keine Angst vor Schwächen haben.

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Das muss man aber auch erstmal lernen, immer du selbst zu sein!
Absolut! Das ist so fucking schwer. Ich meine, natürlich kann ich in den Spiegel schauen und mir sagen, ich wäre hässlich. Aber das ist so anstrengend! Es geht darum, auf das Spiegelbild zu scheißen und schön zu sein!

Wen findest du denn schön nach dieser Definition, hast du ein Idol?
Na klar, Kim Gordon! Sie ist schön, sexy, cool und hat eine typische Haltung—richtige Girl Power. Aber nicht wie ein typisches Model, eher roh und weird auf ihre Art. Sie steht für all das ein, was sie ist, bewundernswert! Deswegen ist sie das beste Vorbild. Und sie ist gleichzeitig so badass. Das ist einfach supergeil!

Du hast ja erst kürzlich ein Praktikum bei JD Samson von Le Tigre gemacht. Wie war es für sie zu arbeiten?
Ich war schon immer ein großer Le Tigre Fan—aber als ich sie das erste Mal persönlich getroffen habe, war ich beeindruckt, wie gechillt und cool sie war. Eine einfache Musikerin, die ihr Ding macht. Weißt du, die meisten Musiker kämpfen oft mit einer Unsicherheit, obwohl sie großen Erfolg haben, das Musikbusiness ist einfach knallhart. JD Samson hingegen ist so bodenständig! Es war großartig, das zu beobachten. Außerdem ist Le Tigre so viel mehr als nur Musik, Politik, Kunst, Performance…

Aber sie ist schon eine herausragende Feministin…
Ihre Haltung ist schon sehr feministisch und dreht sich um emanzipationspolitische Themen. Das ist ihre politische Linie und Herzensangelegenheit. Mir ist das schon auch wichtig, aber für mich geht es um mehr. Ich bin ein politischer Mensch und mache auch politische Sachen, aber es geht mir da um mehr als Feminismus. Aber das ist einfach JD Samsons Ding, das spürt man. Ich finde das so inspirierend zu sehen, wie jemand so sehr für eine Sache brennen kann. Für JD Samson dreht sich alles um Genderthemen, sie wacht jeden Tag mit dem Gedanken auf, dass sich was ändern muss in der Welt. Sie versucht alles, um ihr Ziel zu erreichen. Es war wirklich schön, beobachten zu können, was für eine starke Persönlichkeit sie ist.

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Was ist dein Wunsch, wie sich die Welt ändern sollte?
Es ist genau dieses Verlangen nach Perfektion, über das wir vorhin gesprochen haben. Heutzutage funktioniert die Welt so, dass jeder alles haben will, Erfolg, Geld, einfach alles! Es reicht nicht mehr, einen tollen Mann zu haben oder klug zu sein. Du musst alles haben, sonst bist du nichts.

Da ist es ja kein Wunder, dass so viele Leute depressiv und unzufrieden sind. Die können den Druck nicht ertragen, den sie sich selbst machen. Das Internet verstärkt das natürlich. Wir füllen unser Gehirn mit so viel unnützem Shit. Wenn man sich die westliche Gesellschaft mal anschaut, sieht man so viele Lifestyle-Krankheiten, Stress und Angst—das ist doch verrückt! Ich denke mein Traum ist es, dass das aufhört, dass sich die Leute nicht von der Perfektion fertig machen lassen.

Das ist ja vor allem auch ein Problem unserer Generation, diese Selbstdarstellungssucht auf den Social Media-Kanälen.
Ja absolut! Und es ist noch lange kein Ende in Sicht. Ich meine, ich will nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen. Ich bin ja auch nicht besser, sondern Teil des großen Ganzen. Dazu kommt, dass ich keine Ahnung habe wie eine gegenteilige Welt aussehen würde. Vielleicht müssen wir einfach alle zusammen durch die Hölle, hahaha. Keine Ahnung. Ich kann es nicht oft genug betonen, das ist kein Klischee, es sind wirklich die kleinen Macken, die einen Menschen liebenswert machen. Fuck Perfection!

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Feminismus hin oder her, es ist aber doch auffällig, dass alle großen Künstlerinnen von männlichen Produzenten unterstützt werden. Auch du arbeitest mit einem männlichen Genie zusammen, Ronni Vindahl.
Stimmt, gute Frage! Mir fällt tatsächlich gerade auch nur Grimes als Gegenbeispiel ein. Die produziert ihre Songs selbst. Ich hab auch eine Liste an Produzenten und alle sind männlich—da hast du Recht!

Kann es sein, dass eine Zusammenarbeit zwischen Frau und Mann vielleicht doch einfach konstruktiver ist?
Ach, keine Ahnung. Da muss man vielleicht dazu sagen, dass es—rein statistisch gesehen—ja schon so ist, dass manche Sachen Männern besser liegen und andere Frauen. Also—nach der Statistik—sind Männer in technischen Dingen und Computer-Zeug einfach besser. Whatever. Irgendwie ist es schon schade, dass es so wenige weibliche Produzenten gibt. Aber eigentlich ist es mir egal. Es geht doch einfach darum, gute Musik zu machen, nicht um das Geschlecht!

Diese Liste an Produzenten, von der du gerade erzählt hast. Wer steht da drauf?
Oh das sind so viele! Mal sehen, mir fallen jetzt auf Anhieb gerade nur Jamie XX ein, Blood Orange, Danger Mouse oder SOHN.

SOHN!
Haha, stimmt der ist bei euch ja mittlerweile groß. Ich war sogar schon zwei Tage mit SOHN im Studio, als er in Dänemark war. Wunderbarer Typ. Aber jetzt sag ich nichts mehr, nicht dass ich noch zu viel verrate!

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