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You Need to Hear This

Die Pop-Diaspora von M.I.A.

Statt mit dem Hinweis auf Unterdrückung von „Drittweltlern“ Kontroversen zu provozieren, bringt M.I.A. uns ihre Rhythmen, Farben und Slangs. Das macht weißen Rezensenten offenbar Angst.

Das Unterhaltsamste und gleichzeitig Frustrierendste daran, ein M.I.A.-Fan zu sein, ist es, weiße Kritiker zu beobachten, wie sie sich beim Versuch M.I.A.s Stil zu beschreiben und ihre Ästhetik zu hinterfragen, einen abbrechen. Farbige Künstler werden häufig nicht wegen ihres hohen Niveaus oder ihrer Absichten wahrgenommen, sondern auf ihre „primitive Rohheit“ beschränkt.

Wegen ihrer Synthese aus unterschiedlichen, aber miteinander verbundenen Motiven wird M.I.A. oft unter „Cut and Paste“ abgestempelt. Häufig fallen Wörter wie „Patchwork“, „aufeinanderprallen“ und „Klebeband“ und das auch nur in positiven Rezensionen. Amerikanische Kritiker, die vom Mischklang aus M.I.A.s Identitäten und Erfahrungen verunsichert sind, projizieren ihre eigenen Unsicherheiten auf sie.

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Die Rezeption ihrer Alben kann man an der öffentlichen Wahrnehmung ablesen: Sie sind spätestens seit 2010 ein Hit. Ihr zunehmender Erfolg hat den Tonfall ihrer Protest-Haltung nicht verändert—dieses Nebeneinander von Politik und Erfolg machte das Verspotten von M.I.A. zu einem ähnlich beliebten Phänomen, wie auf „Galang“ zu tanzen.

Im M.I.A.-Porträt des New York Times Magazine stellte Lynn Hirschberg vor allem ihre eigene Unfähigkeit, M.I.A. als Mayas eigene Ignoranz zu verstehen, heraus. Die Entscheidung Blackwater-ähnliche Uniformen für das „Born Free“-Video zu verwenden, zeigte für Hirschenberg: „die Kuriosität, Kleidung zu benutzen, die an Söldner erinnert, um eine ganze andere Botschaft zu vermitteln, scheint Maya umgehen zu wollen.“ Diese „Kuriosität“ wird auch Ironie genannt, ein Konzept das Hirschenberg Maya offensichtlich nicht zutraut.

In der Rezension eines Kreayshawn-Songs für den Gawker fügte Rich Juzwiak hinzu, „M.I.A. hat auch den Vorteil einer überweltlichen Ästhetik—sie ging als Schnäppchen in einem Laden weg, der zu ethnisch ist, als das der Großteil ihrer potenziellen Fans sowas jemals aus erster Hand hätte erfahren können.“

In einer Review über M.I.A.s Debütalbum Arular in der Village Voice, schreibt Simon Reynolds während sich „das Album großartig anhört“, gibt es da „etwas Abstoßendes an dem ganzen Phänomen… lasst euch nicht von ihrer dunklen Hautfarbe ablenken: Sie hat nicht mehr Verbindungen zu Favela Funkstern als Prinz Harry.“ Diejenigen, die mit der Vielfältigkeit ihrer Quellen überfordert sind, neigen dazu diese Collage als unauthentisch abzuwerten, und führen ihre Angst eindrucksvoll auf ihre nach außen gekehrte ethnische Herkunft zurück.

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Weil sie nicht mehr in London lebt und gelegentlich Trüffel isst, erntet M.I.A. Skepsis für die Verwendung nicht-weißer Samples, die aus ihrer Vorliebe für den globalen Süden herrührt. Sie verkehrt nicht nur in der Andersheit, sie suhlt sich darin.

Anstatt mit dem Hinweis auf Unterdrückung von „Drittweltlern“, die auf Hilfe aus der ersten Welt warten, Kontroversen zu provozieren, bringt sie uns ihre Rhythmen, Farben und Slangs. Anstatt sich selbst auf eine stoische Art zu ernst zu nehmen, wie andere Popstars mit dem gleichen Anliegen, findet sich bei M.I.A. Ironie. Und das sorgt für unendliche Verwirrung.

Weil hier unterschiedliche Geographien, sowohl hörbar, als auch sichtbar, gemischt wurden, hat Reynolds beschlossen, dass Arular „von nirgendwo kommt“. Aber M.I.A.s Vielschichtigkeit vertont eine konkrete Erfahrung—eine, die nicht aufhört zu existieren, nur weil eine Weißer sie nicht einordnen kann.

Amerika hat ein feines Gespür für weiße und für schwarze Kultur. M.I.A. stört die gerade aufkommende Wahrnehmung der Kultur Südasiens, die sich immer noch auf einfach-glücklich-dabei-sein-zu-dürfende Gewinner von Buchstabierwettbewerben und Hilfsangestellte mit Akzent (Aziz Ansari und Mindy Kaling sind die Ausnahmen dieser Regel) beschränkt.

Die Entscheidung, sich bei der Bildsprache benachteiligter Gruppen zu bedienen und sie in eine Ikonographie umzuwandeln, ist nicht besitzergreifender Natur—es ist der natürliche Instinkt einer diasporischen Identität. In Südasien ist man bereits gezwungen in das vom Westen konstruierte panethnische „Fremde“ zu investieren, wir werden immer noch verprügelt, nur weil wir aussehen wie Araber / Muslime / Terroristen. Indem M.I.A. alle drei anspricht, untergräbt sie diese Verschmelzung zu ihrem eigenen Vorteil. Willkommen in der Weltstadt.

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Kinder-Refrains, die Bilder von einem überfüllten Slum hervorrufen, feuchte Dschungel, in denen Frauen aus Sri Lanka ihre Kleidung waschen, alte BMWs die durch die marokkanische Wüste driften, die Glieder einer Hindu-Göttin, die sich hinter ihr räkeln, die Kargheit von Gebieten, die schon lange durch das Militär besetzt sind, eine Burka mit Digitalprint.

Indem sie die Bildsprache des globalen Südens aufpoliert, sie ohne sich zu entschuldigen re-interpretiert und auf die bunte „Andersartigkeit“ besteht, bestärkt M.I.A. nicht nur sich selbst, sondern auch dunkelhäutige Kids weltweit, die sonst nur als Subjekt der Andersartigkeit galten und nicht als deren Vermittler. Indem sie sich den exotischen Kitsch angeeignet hat, steckt sie den untergeordneten Kampf der Dance-Pop-Coolness ab, wobei sie dem weißen Konsum nicht den Vorzug gewährt.

Das Video der ersten Single von Matangi, „Bring The Noize“, beginnt mit einem Sikkh der sein langes, dunkles Haar langsam kämmt und sich dann einen Turban bindet. Die aktuellen Top-Kommentare beschweren sich allesamt darüber, dass sie den „Handtuchkopf“ ansehen müssen, um den Song sehen zu können. Die Politik einer Ästhetik mit Ladenpreis kann nicht kompromittiert werden, wenn diese Ästhetik sowohl der Weg, als auch das Ziel ist.

Dank M.I.A. können wir endlich scherzen, ohne der Arsch zu sein, wir können über verwirrte Kritiker und Leute herziehen, die bei YouTube kommentieren und mit offenem Mund auf Jalabiyas und Turbane und Arme voller Armreifen starren, die auf der braunen Haut funkeln. In einer Welt, in der man immer noch getötet wird, nur weil man anders aussieht, ist es extrem befriedigend M.I.A. um sich schießen zu sehen.

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Die ganze Zeit hält die britisch-sri-lankische Matangi „Maya“ Arulpragasam, abgesehen von ihrer umwerfenden Schönheit, der Exostisierung des weißen Marktes stand, indem sie dessen Kommerzialisierung an sich reißt. Ihre Re-Kontextualisierung des Authentischen imitiert die aus dem Kontext gerissene Realität. Die Verpackung untergräbt die Botschaft nicht, sie ist die Botschaft.

Wie auch bei Kanye, leidet die Verbreitung von Mayas Ideen, weil sie nicht in der Sprache der Werbung spricht. Ihre Ablehnung des amerikanischen Imperialismus wird in ihrer Ästhetik fassbar gemacht. Sie ist eine visuelle Künstlerin, die sich eine Dance Musikerin verwandelt hat, die Kinderlieder für die postkoloniale Angst schreibt. Die Ethnisierung ihrer Videos in einer Zeit des Post-9/11-Orientalismus, ist Aussage genug. Diejenigen, die nicht in der Lage sind, die Ikonographie der Diaspora zu analysieren, gehen davon aus, dass sie schlichtweg nicht existiert. Für den Rest von uns, gibt es den Soundtrack dazu von M.I.A,

Ayesha A. Siddiqi ist Schriftstellerin und Kulturkritkerin. Folgt ihr auf Twitter @pushinghoops

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