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Der Perfektionismus von The 1975 schränkt mich in meinem Online-Stalking ein

Warum sind Bands eigentlich so perfektionistisch und ändern ständig ihren Namen und ihr Konzept?

Vor zwei Jahren stellte sich für mich auf dem Dockville Festival die Frage, ob ich die nächste Wasserstelle suchen oder mir eine Band namens The Slowdown aus Manchester ansehen sollte. Der Name klang okay und ich hatte sie im Booklet markiert, weil sie hübsch aussahen (es gab keinen richtigen Promotext, nur ein Bandfoto und etwas à la „The next big thing aus Manchester“). Also sah ich mir mit circa 34 anderen Leuten das Konzert von vier Jungs an, die, glaube ich, lieber im Dunkeln gespielt hätten, statt das Publikum per Augenkontakt fixieren zu müssen.

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Trotz der unglücklichen äußeren Umstände (33°C, keine Wasserstelle, Dehydrationsalarm) blieb mir das Konzert vor allem mit einem Satz, den ich meinen Freundinnen damals zurief, in Erinnerung: „Die klingen, als ob sie in einem Casino spielen sollten und nicht hier um 14 Uhr!“. Das bestätigte sich auch zehn Minuten später, als ihnen der Strom abgestellt wurde, weil sie ihr Zeitfenster zu sehr strapazierten.

Die Band war nur mit einem Youtube-Link im Programm vermerkt, der zu genau einem Video führte, es gab keine offizielle Facebook-Seite. Mein Online-Stalking verlief also erfolglos, bis ich sie durch Zufall unter dem neuen Namen B I G S L E E P auf einem Festival-Flyer wiederfand, den ein Freund aus Sheffield postete. Es gab inzwischen auch eine Facebook-Fanpage und den Vimeo-Channel des Sängers Matthew Healy, auf dem man stilisierte Videos fand—was mich als Online-Stalker sehr befriedigte.

Schnitt: Im Frühling 2012 benannte sich die Band erneut um. Dieses Mal aufgrund eines Eintrags in einem gebrauchten Beat-Literature Roman, den sich Healy im Urlaub gekauft hatte. Dort stand „June 1st, the 1975“. Das Mysterium um das grammatikalisch falsche „the“ führte dann zu dem neuen Bandnamen.

Nun gab es wieder ein eigenes Facebook-Profil, auf dem fortan stilisierte Fotos (immer puristisch schwarz-weiß und mit demselben Filter) und die erste Video-Reihe zur EP „Facedown“ gepostet wurde. Diese entstand in Zusammenarbeit mit James Booth, der die Songs, die sich irgendwo zwischen epischem Shoegaze und 90er R'n'B befinden (The 1975 nennen als Einflüsse TLC, Prince und die Talking Heads), ästhetisch untermalte.

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Gespannt auf neues Material stellte ich fest, dass die Single dieser ersten EP—„The City“—einer der Songs von dem Festival damals war, allerdings inzwischen ästhetisch visualisiert und eingebettet in ein rundes Gesamtkonzept aus vier anderen Videos. Wenn es jetzt klappen sollte mit der Band, würde es also nicht primär an einer musikalischen Weiterentwicklung liegen.

The 1975 wurden gesigned (Dirty Hit, UK und Vagrant Records, US) und haben ihre erste ausverkaufte Headline-Tour in den USA gespielt, während sie zwei weitere EPs in Robyn-esker-Manier veröffentlichten, jeweils mit Videos zu den Key-Singles jeder EP („Sex“ und „Chocolate“, ebenfalls alte Songs, die neu gemastert wurden).

Keine Frage: The 1975 sind eine der Bands, die man 2013 im Auge behalten sollte, nicht nur weil sie großartige Songs schreiben, sondern vor allem weil sie mit einem Gesamtkonzept aus visueller Ästhetik mit Wiedererkennungswert, perfektionistischem Online-Marketing und klaren Selfmade-Vorstellungen repräsentativ sind für erfolgreiche Bands von heute.

The 1975 sagen, dass sie sich früher als eine „Band's Band“ verstanden haben—andere Bands kannten sie, doch nicht die Szene-Kids, weshalb sie auch kein Problem damit hatten, ihren Namen drei Mal zu ändern und ewig an ihren Songs weiterzuarbeiten, bis sie sich „fertig“ anfühlten. Schließlich war niemand da, den es interessiert hat.

Es reicht heutzutage einfach nicht mehr, catchy Songs zu schreiben, die sich im besten Falle noch über möglichst viele Genres erstrecken, damit eine größtmögliche Zielgruppe erreicht wird. Man will nicht einfach nur Musik hören. Man möchte Kunstfilme, Film Noir als Videos, um sich auf mehreren Ebenen mit der Band zu verbinden. Zwischen diesen Videos möchte man aber auch noch Beweise dafür, dass die Ästhetik dieser Videos nicht von außen der Band aufgesetzt wurde, sondern von der Band selbst kommt und echt ist—also möchte man Instagram-Fotos als Beweis.

Matthew Healy sagt, dass sie inzwischen auf dieselbe Weise kreieren wie sie selbst konsumieren, „and no-one consumes in a linear format“. Deswegen verwundert es auch nicht, dass die Band sagt, dass sie ihr Album (wird von Mike Crossey produziert und kommt im September) längst fertig gestellt haben und die EPs erst später um die Key-Singles des Albums herum geschrieben haben, um diese konzeptuell einzubetten und schneller eine Reaktion zu erhalten.

Die Tatsache jedoch, dass zum Beispiel das eigentliche Video von „The City“ jetzt durch ein neues, noch fetteres ersetzt wurde (und auf der nächsten EP „IV“ nochmal erscheint), das andere so gut wie nicht mehr aufzufinden ist (außer über die Seite des Regisseurs selbst) und die zugehörige EP (wie ich vor fünf Minuten feststellte) auch online verschwunden ist, macht The 1975 zu einer wirklich harten Challenge. Ich liebe das Überwerfen von Ideen und ausgereifte Konzepte, aber genauso liebe ich Online-Stalking. Wenn ich jetzt aber Angst haben muss, dass EPs und Musikvideos unangemeldet wieder aus dem Netz genommen werden, wie soll ich dann alles, was ich hier geschrieben habe, jemals beweisen?

The 1975 spielen übrigens heute zusammen mit Swim Deep im Magnet in Berlin. Und übrigens verlosen wir dazu Tickets. Wer sein Glück versuchen möchte, der klicke einfach hier und folgt den Anweisungen.